Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2019, Az. XI R 51/17

11. Senat | REWIS RS 2019, 1335

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Gegenstand

Einspruchsbefugnis der Insolvenzschuldnerin (Bekanntgabe des Steuerbescheids an den Insolvenzverwalter) nach Einstellung des Insolvenzverfahrens; Fristwahrungseignung einer genehmigungsfähigen Verfahrenshandlung


Leitsatz

NV: Wird das Insolvenzverfahren vor dem Ergehen einer Einspruchsentscheidung eingestellt, entfällt das vor diesem Zeitpunkt bestehende Sachentscheidungshindernis der fehlenden Einspruchsbefugnis der Insolvenzschuldnerin. Die Einspruchsfrist ist durch die genehmigungsfähige Verfahrenshandlung der Insolvenzschuldnerin gewahrt .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 26.07.2017 - 4 K 459/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, ob ein während eines Insolvenzverfahrens eingelegter Einspruch gegen eine Steuerfestsetzung zu Recht als unzulässig verworfen wurde.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, führt nach Änderung der Firma und Sitzverlegung die [X.] (i.L.) fort. [X.] war alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer und Liquidator dieser GmbH. Nach der Eintragung im Handelsregister vom 27.04.2017 ist [X.] inzwischen als Geschäftsführer ausgeschieden (neue Geschäftsführerin ist C).

3

Das [X.] ordnete durch [X.]eschluss vom 21.11.2011 … das vorläufige Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] an; später wurde das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet ([X.]eschluss vom 07.02.2012) und dann mit [X.]eschluss vom 09.07.2015 wegen Wegfalls des [X.] nach § 212 Satz 1 der Insolvenzordnung ([X.]) eingestellt.

4

Der Insolvenzverwalter reichte am 18.09.2014 für die [X.] i.L. beim [X.]eklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) für den [X.]raum vom 07.02.2012 bis 30.06.2014 die durch die E-GmbH erstellte Körperschaftsteuererklärung für das [X.] (Streitjahr) ein (Gesamtbetrag der Einkünfte: … €; zu versteuerndes Einkommen [nach Abzug eines Verlustvortrags von … €]: … €). Das [X.] setzte mit [X.]escheid vom 09.03.2015 die Körperschaftsteuer erklärungsgemäß fest; eine [X.]ekanntgabe des [X.]escheids erfolgte an den Insolvenzverwalter als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] i.L.

5

Mit Schreiben vom 09.04.2015 legte [X.] als Liquidator gegen den [X.]escheid Einspruch ein. Später (Schreiben vom 27.05.2015) teilte er dem [X.] mit, dass er eine mündliche Vollmacht des Insolvenzverwalters habe und die schriftliche [X.]estätigung noch ausstehe. Das [X.] wies mit Schreiben vom 04.06.2015 darauf hin, dass die Vollmacht nicht vorliege und dass nur der Insolvenzverwalter Verfahrenshandlungen vornehmen könne. Im Übrigen sei der Einspruch auch nicht begründet worden. Es wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22.06.2015 eingeräumt. Mit Schreiben vom 15.07.2015 teilte die E-GmbH mit, dass das Insolvenzverfahren am 09.07.2015 eingestellt worden sei. Mit der [X.]eendigung des Insolvenzverfahrens sei die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters entfallen.

6

Das [X.] verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17.07.2015 als unzulässig, da [X.] als ehemaliger Geschäftsführer bzw. Liquidator im [X.]punkt der Einspruchseinlegung nicht einspruchsbefugt gewesen sei, sondern --da das Insolvenzverfahren noch nicht beendet [X.] nur der Insolvenzverwalter (§ 80 [X.]). Eine (vom [X.] angeforderte) Vollmacht des Insolvenzverwalters sei nicht vorgelegt worden. Im Übrigen sei der Einspruch auch unbegründet, insbesondere sei man von der Steuererklärung nicht abgewichen.

7

[X.] teilte unter Hinweis auf den Termin der Einstellung des Insolvenzverfahrens (09.07.2015) mit, dass die Vertretungsbefugnis nunmehr wieder bei ihm liege; die zwischenzeitliche [X.] seinerseits werde hiermit nachgenehmigt. Die sog. [X.] zum 30.06.2014 (als Gegenstand des Körperschaftsteuerbescheids) sei rechtswidrig. Es entfalle eine vom Insolvenzverwalter angesetzte Korrektur zu den Gesellschafterdarlehen (… €), so dass in 2014 und in der [X.] vom 01.01.2015 bis 09.07.2015 kein körperschaftsteuerlicher Gewinn auszuweisen sei. Auf dieser Grundlage reichte die Klägerin am 27.07.2015 beim [X.] eine geänderte Körperschaftsteuererklärung 2014 ein (Gesamtbetrag der Einkünfte: … €; zu versteuerndes Einkommen [nach Abzug des Verlustvortrags]: … €).

8

Mit der beim [X.] ([X.]) erhobenen Klage machte die Klägerin --über ihr Vorbringen im Vorverfahren hinausgehend-- geltend, dass nach der Steuererklärung des Insolvenzverwalters ein Gewinn auf den 30.06.2014 in Höhe von … € ermittelt worden sei. Der 30.06.2014 sei deshalb gewählt worden, weil zu diesem [X.]punkt das Insolvenzverfahren hätte eingestellt werden sollen. Tatsächlich sei das Insolvenzverfahren erst später (zum 09.07.2015) eingestellt worden. Dem Gewinnermittlungszeitpunkt zum 30.06.2014 fehle daher die Rechtsgrundlage. Gemäß § 11 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 7) des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr maßgebenden Fassung ([X.]) sei im [X.] der Gewinnermittlungszeitraum der [X.]eginn (07.02.2012) und das Ende der Liquidation (09.07.2015) und nicht der 30.06.2014. Man habe daher eine neue Steuererklärung auf den 31.12.2014 eingereicht. Das zu versteuernde Einkommen betrage … €. Der vom Insolvenzverwalter berücksichtigte Sachverhalt zu den Gesellschafterdarlehen (Korrektur in Höhe von … €) sei fehlerhaft.

9

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) könne die Prozessführung eines vollmachtlosen Vertreters bis zum Ergehen des [X.] nachträglich genehmigt werden (Hinweis auf das [X.]FH-Urteil vom 30.11.1988 - I R 168/84, [X.]FHE 156, 1, [X.]St[X.]l II 1989, 514). Gleiches gelte auch im Einspruchsverfahren. Ein von einem Nichtberechtigten eingelegter Einspruch sei schwebend unwirksam (Vertreter ohne Vertretungsmacht). Der [X.]eteiligte (Vertretene) könne die Verfahrenshandlung (Einspruchseinlegung) eines vollmachtlosen Vertreters grundsätzlich genehmigen und damit dem Einspruch rückwirkend zur Wirksamkeit verhelfen. Die Genehmigung der [X.] beseitige die Unzulässigkeit rückwirkend. Um den Mangel zu heilen, müsse die Genehmigung dem [X.] spätestens bis zum [X.]punkt der [X.]ekanntgabe der Einspruchsentscheidung zugegangen sein. Die Verfahrenshandlung sei "nachgenehmigt" worden.

Im Klageverfahren erging unter dem 06.06.2016 ein Änderungsbescheid, mit dem die Körperschaftsteuer 2014 auf … € herabgesetzt wurde. Die Klage blieb erfolglos (Thüringer [X.], Urteil vom 26.07.2017 - 4 K 459/15, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2018, 1005).

Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Körperschaftsteuerbescheid vom 06.06.2016 dahingehend zu ändern, dass die Steuer auf Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von … € festgesetzt wird.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat den Einspruch der Klägerin rechtsfehlerhaft als unzulässig verworfen, da der Mangel der Wirksamkeit des Einspruchs im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht mehr bestand und die Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 der Abgabenordnung --[X.]--) infolge der Genehmigungsfähigkeit der Verfahrenshandlung gewahrt ist.

1. Einen Einspruch kann zulässigerweise nur einlegen, wer zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig ist. Nach § 365 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 Nr. 3 [X.] sind zur Vornahme von Verfahrenshandlungen bei juristischen Personen, Vereinigungen oder Vermögensmassen ihre gesetzlichen Vertreter oder besondere Beauftragte berufen. Steht die Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter zu handeln (allgemeine Meinung, s. z.B. [X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 358 [X.] Rz 14). Auf dieser Grundlage war während des Insolvenzverfahrens nur der Insolvenzverwalter in der Lage, gegen den hier streitigen Körperschaftsteuerbescheid 2014 vom 09.03.2015 rechtswirksam Einspruch einzulegen.

a) Nach § 80 Abs. 1 [X.] verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (s. zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsfolge --noch zur Konkursordnung-- Beschluss des [X.] vom 18.07.1979 - 1 BvR 655/79, [X.] 51, 405). Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den Insolvenzverwalter über. Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht erhält der Insolvenzverwalter die Befugnis, Prozesse, die die Insolvenzmasse betreffen, zu führen. Im Prozess hat der Insolvenzverwalter kraft gesetzlicher Prozessstandschaft die uneingeschränkte Prozessführungsbefugnis unter Ausschluss des Insolvenzschuldners. Dem Insolvenzschuldner wird damit zwar nicht die [X.] abgesprochen, immerhin fehlt ihm, soweit die Insolvenzmasse betroffen ist, die prozessuale Handlungsfähigkeit, er ist nicht prozessführungsbefugt (s. z.B. [X.] vom 17.11.1977 - IV R 131-134/77, [X.], 6, [X.] 1978, 165; vom 26.07.2004 - X R 30/04, [X.], 1547; vom 31.01.2012 - I S 15/11, [X.], 989; [X.]-Urteile vom 06.07.2011 - II R 34/10, [X.], 10; vom 25.07.2012 - I R 74/11, [X.], 82; Urteil des [X.] --[X.]-- vom 18.04.2013 - IX ZR 165/12, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2013, 1314; [X.] des [X.], Urteil vom 18.11.2008 - 4 K 203/05, E[X.] 2009, 860; [X.] in [X.], [X.] Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl., § 80 Rz 45; MünchKomm[X.]/[X.], 4. Aufl., § 80 Rz 74; [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 80 Rz 18; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 251 [X.] Rz 36 f., 41; [X.], [X.]-Steuerberater --[X.]-StB-- 2004, 142, 145; [X.]., [X.]-StB 2007, 49).

Allerdings hindert dieser Umstand eine auf die Insolvenzmasse bezogene Tätigkeit auf der Grundlage einer besonderen Ermächtigung durch den Insolvenzverwalter nicht (Fall der gewillkürten Prozessstandschaft, insbesondere bei einer Genehmigung durch den Insolvenzverwalter zu einem sog. Aktivprozess gegen den Fiskus um eine Erstattung von Abgaben - z.B. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 251 [X.] Rz 32, 52; s.a. z.B. [X.] in [X.], 6, [X.] 1978, 165; [X.]-Urteil in [X.], 82; [X.] vom 19.03.1987 - III ZR 2/86, [X.], 217; in [X.], 1314; [X.] des [X.], Urteil in E[X.] 2009, 860; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 80 Rz 44; [X.] in [X.], [X.], 19. Aufl., § 80 Rz 44; [X.], juris [X.] Steuerrecht 16/2009 [X.]. 5; [X.]., [X.]-StB 2004, 142, 145).

b) Diese Grundsätze gelten sinnentsprechend für das Einspruchsverfahren, das gegen den --zutreffend gegenüber dem Insolvenzverwalter ergangenen-- Körperschaftsteuerbescheid für den Zeitraum nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der Maßgaben des § 11 Abs. 1 (i.V.m. Abs. 7) [X.] durch Einspruchseinlegung der Klägerin (nach einer Weitergabe des Steuerbescheids durch den Insolvenzverwalter an sie) formal eingeleitet worden ist (s. allgemein zur Frage der Festsetzung von nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten [X.] als Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] gegenüber dem Insolvenzverwalter z.B. Senatsurteil vom 11.11.1993 - XI R 73/92, [X.] 1994, 477; [X.]-Urteile vom 16.04.2015 - III R 21/11, [X.], 7, [X.] 2016, 29; vom 11.04.2018 - X R 39/16, [X.] 2018, 1075; vom 02.04.2019 - IX R 21/17, [X.], 109, [X.] 2019, 481 [abgrenzend zur Situation nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens]; s.a. [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 251 [X.] Rz 77 i.V.m. Rz 72; kritisch [und zugleich mit einer Differenzierung zwischen Inhalts- und Bekanntgabeadressat des Verwaltungsakts] Uhländer, [X.]-StB 2018, 324, 326).

2. Das [X.] hat rechtsfehlerfrei dahin erkannt, dass der Einspruch der Klägerin nicht vom Insolvenzverwalter genehmigt wurde. Denn nach den Feststellungen des [X.] hat der Insolvenzverwalter eine Genehmigung zur Einspruchseinlegung (sinngemäß die Situation der gewillkürten Prozessstandschaft) gegenüber dem [X.] nicht erteilt. Insoweit hat es das [X.] auch zutreffend abgelehnt, schon aus der Kenntnis des Insolvenzverwalters über ein anhängiges Einspruchsverfahren auf eine Genehmigung zu schließen. Es konnte diese Würdigung auch durch den Hinweis auf die Darlegung des (rechtskundigen) B als Liquidator der Klägerin absichern, der gegenüber dem [X.] ausgeführt hatte (Schreiben vom 17.07.2015), dass nunmehr die Vertretungsbefugnis wieder bei ihm liege und er seinerseits die [X.] "nachgenehmige".

3. Allerdings fällt mit der Wirksamkeit der Verfahrenseinstellung (§ 212 Satz 1 [X.]; hier: am 09.07.2015) die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an die Klägerin als Insolvenzschuldnerin zurück (s.a. § 215 Abs. 2 Satz 1 [X.]), was die Prozessführungsbefugnis einschließt (z.B. [X.], a.a.[X.], § 212 Rz 16; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 212 Rz 7) und zugleich die Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters entfallen lässt (z.B. [X.]-Urteil in [X.], 10, m.w.N.). Dann ist aber auch --abweichend zur Rechtsauffassung der [X.] die Behörde gehindert, in Kenntnis der insolvenzrechtlichen Verfahrenseinstellung (Schreiben mit einer entsprechenden Information an das [X.] vom 15.07.2015) eine Einspruchsentscheidung zu erlassen, mit der die (zunächst) unwirksame Verfahrenshandlung als Grundlage für eine Verwerfung des Einspruchs als unzulässig herangezogen wird.

a) Das [X.] ist in seinen Entscheidungsgründen zwar grundsätzlich der Rechtsprechung des [X.] gefolgt, dass [X.] in einem Verwaltungsverfahren durch spätere Genehmigung des Vertretenen rückwirkend geheilt werden können (Hinweis auf [X.]-Urteile vom 18.10.1988 - VII R 123/85, [X.]E 154, 446, [X.] 1989, 76; vom 01.12.2004 - II R 17/04, [X.]E 208, 386, [X.] 2005, 855) und dass ein Vertretungsmangel auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 [X.]) mit [X.] geheilt werden kann (Hinweis auf [X.]-Urteil vom [X.], [X.] 1993, 453). Allerdings liege [X.] das [X.]-- im Streitfall kein Vertretungsmangel im vorgenannten Sinne vor, da die Klägerin im eigenen Namen und nicht im Namen des Insolvenzverwalters aufgetreten sei. Im Übrigen folge aus dem Grundsatz "Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht" und der Regelung des § 81 Abs. 1 [X.], dass die Einspruchserhebung "unwirksam" i.S. einer "absoluten Unwirksamkeit" sei, wenn auch zeitlich begrenzt für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens. Wenn man in analoger Anwendung des § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulasse, insolvenzrechtlich unwirksame Prozesshandlungen des Insolvenzschuldners (vergleichbar einer Verfügung eines Berechtigten, der ohne Verfügungsmacht gehandelt hat) als wirksam zu behandeln, wenn er nachträglich die Verfügungsmacht wiedererlangt (z.B. in der Situation der Beendigung des Insolvenzverfahrens), trete diese Rechtsfolge nach der [X.]-Rechtsprechung aber nur "ex nunc" ein (Hinweis auf das [X.] vom 19.01.2006 - IX ZR 232/04, [X.], 74, Rz 20 des [X.] [zur sog. [X.]S. des § 88 [X.] betreffend einer vom Gläubiger vor Insolvenzeröffnung erlangten Sicherung]). Daher entfalte die Genehmigung der Klägerin vom 17.07.2015 keine Rückwirkung, so dass die Einspruchsfrist (Fristende: 13.04.2015) --auch wenn man davon ausgehe, dass der Einspruch im Streitfall mit Erlass des insolvenzrechtlichen [X.] am 09.07.2015 wirksam geworden [X.] abgelaufen sei.

b) Dieser die Rechtsstellung der Klägerin beschränkenden Ansicht ist nach der Konstellation des Streitfalls nicht zu folgen. Es liegt vielmehr eine dem Vertretungsmangel (s. zu [X.]) vergleichbare Verfahrenskonstellation vor, die es rechtfertigt, die Einspruchserhebung durch die Klägerin als im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (die nach dem Erlass des insolvenzrechtlichen [X.] --unter dem 17.07.2015-- ergangen ist) wirksame Verfahrenshandlung zu würdigen, da --auch unter Annahme einer "ex nunc"-Heilungswirkung des [X.]-- im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung eine [X.] der Klägerin vorlag, und die Fristwahrung der Einspruchsfrist durch die Einspruchseinlegung der Klägerin im gesamten Einspruchsverfahren fortgilt.

Eine Verwerfung eines Einspruchs als unzulässig setzt voraus, dass im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung Sachentscheidungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (allgemeine Meinung, z.B. [X.]/Rätke, [X.], 14. Aufl., § 358 Rz 3; [X.] in Tipke/[X.], a.a.[X.], § 358 Rz 3 f.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 358 [X.] Rz 39; Keß in [X.]/[X.], [X.]/[X.]O, § 358 [X.] Rz 33). Die Wirkung der insolvenzrechtlichen Verfahrenseinstellung (§ 212 Satz 1 [X.]) tritt allerdings kraft Gesetzes ein und vermittelt der Klägerin (auch ohne eigenes Handeln, d.h. auch vor der "Nachgenehmigung" durch das Schreiben des Liquidators – s. allgemein auch [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 241 Rz 4 [betr. Aufhebung einer Nachlassverwaltung]) die [X.], die das [X.] im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung zu Unrecht als fehlend angesehen hat. Insoweit geht es für diese Sachentscheidungsvoraussetzung entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanz auch nicht um die Frage einer "Rückwirkung" (s. zur Frage der Wirkung des [X.] auf Verfügungen/Verfahrenshandlungen auch z.B. MünchKomm[X.]/[X.], a.a.[X.], § 81 Rz 18; [X.] in [X.], a.a.[X.], § 81 Rz 16), sondern um die Frage der Tatbestandserfüllung im Entscheidungszeitpunkt.

Allgemein wird in der Situation eines solchen Übergangs der Befugnis für einen bereits anhängigen Prozess ("Parteiwechsel kraft Gesetzes") eine Verfahrensunterbrechung befürwortet, um dem Insolvenzschuldner --in einem von einem Insolvenzverwalter (zulässigerweise) in Gang gesetzten [X.] die Möglichkeit zu eröffnen, diesen Prozess nach der Einstellung des Insolvenzverfahrens im eigenen Namen fortzusetzen ([X.]-Urteil in [X.], 10 [zum Einspruchsverfahren, dort "analog § 239 der Zivilprozessordnung"]; s.a. [X.] in [X.], a.a.[X.], § 80 Rz 56, und --konkret auf die vorinstanzliche Entscheidung bezogen-- [X.], E[X.] 2018, 1009; vom [X.] wurde die Rechtsfrage im Urteil vom 07.07.1993 - IV ZR 190/92, [X.]Z 123, 132 offengelassen). Auch wenn sich eine solche Unterbrechung des Verfahrens als unnötig erweist, wenn der Prozess schon (wie hier mit Blick auf das Handeln der Klägerin im eigenen Namen) im Namen des Insolvenzschuldners geführt wird, wird das Bedürfnis ersichtlich, dem Insolvenzschuldner den Rechtsschutz zu erhalten, dessen Gewährung durch das Ingangsetzen des Verfahrens (gerade mit Blick auf den fristgebundenen [X.] im öffentlichen Recht) beansprucht wurde. Das Bedürfnis, dieser Handlung eine Fristwahrungseignung zuzuerkennen, folgt letztlich aus der Genehmigungsfähigkeit der Verfahrenshandlung der Klägerin durch entsprechende (nachträgliche) Erklärung des Insolvenzverwalters. Dies alles gilt auch für das behördliche Einspruchsverfahren (s. insoweit auch --zur Situation einer nachträglichen Genehmigung bei [X.] z.B. [X.] in [X.], § 357 [X.] Rz 45). Und dabei ist entsprechend der Wertung im [X.]-Urteil in [X.] 1993, 453 die Einspruchsfrist auch durch die im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung (schwebend) unwirksame Verfahrenshandlung als gewahrt anzusehen, so dass die Sachentscheidungsvoraussetzung der Wahrung der Einspruchsfrist im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung ebenfalls erfüllt ist.

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Das [X.] hat sich --auf der Grundlage seiner Rechtsansicht zur Zulässigkeit des Einspruchs zu [X.] bisher nicht mit den materiell-rechtlichen Fragen (insbesondere zu § 11 Abs. 1 [X.]) im Rahmen einer Prüfung der Begründetheit des [X.] der Klägerin befasst. Dies ist in einem zweiten Rechtszug nachzuholen. Dabei enthält sich der Senat weiterführender Hinweise zur materiell-rechtlichen Lage, da in einem etwaigen Rechtsmittelverfahren gegen eine Entscheidung des [X.] im zweiten Rechtszug nach dem zurzeit geltenden Geschäftsverteilungsplan des [X.] (z.B. [X.] 2019, 3, dort [X.] Senat Nr. 1) der [X.] zuständig wäre.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 51/17

20.11.2019

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Thüringer Finanzgericht, 26. Juli 2017, Az: 4 K 459/15, Urteil

§ 355 Abs 1 AO, § 358 AO, § 80 Abs 1 InsO, § 212 S 1 InsO, § 11 KStG 2002, KStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.11.2019, Az. XI R 51/17 (REWIS RS 2019, 1335)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1335

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IX ZR 165/12

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