Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.04.2011, Az. 4 StR 7/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2011, 7580

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 7/11
vom
13. April 2011
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung u.a.

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Der 4. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 13. April 2011 gemäß
§
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der [X.] des [X.] bei dem [X.] vom 21. September 2010 mit den [X.] aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs ei-nes Kindes in 200 Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im Maßregel-ausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zu-ständige [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-heit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen sexuellen 1
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Missbrauchs eines Kindes in 200 Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren
und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr der Frei-heitsstrafe vor der Unterbringung zu vollstrecken ist.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Den Verfahrensrügen, mit denen der Beschwerdeführer die Verletzung von § 244 Abs. 3 StPO beanstandet, bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 25. Februar 2011 der Erfolg versagt.
II.
Soweit das [X.] den Angeklagten wegen Vergewaltigung in
Tat-einheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zum Nachteil der Ne-benklägerin A.

M.

verurteilt hat ([X.]), hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler nicht ergeben.
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Die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 200 Fäl-len und wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 100 Fällen wegen der Taten zum Nachteil seiner Tochter C.

S.

begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das [X.] hat insoweit folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Spätestens ab dem 24. September 1997 (Vollendung des siebten Le-bensjahres) kam es bis Ende 2000 zu einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Tochter C.

. Er suchte sie, in der Regel in al-koholisiertem Zustand, mindestens zweimal wöchentlich abends in dem [X.] auf, in dem sie und ihre Schwester J.

schliefen, während seine Ehefrau entweder
überhaupt nicht anwesend war oder, was häufig vorkam, im Wohnzimmer nächtigte. Er legte sich zu dem Kind ins Bett, zog es aus und [X.] es am ganzen Körper, auch im Brust-
und Genitalbereich. Ferner veran-lasste er die Nebenklägerin, ihn ihrerseits im Genitalbereich anzufassen. [X.] dreimal führte er in diesem Tatzeitraum auch den [X.] in ihre [X.] ein. [X.] kam es dazu, dass der Angeklagte mehrfach wöchentlich entweder mit einem [X.] in der Scheide seiner Tochter manipulierte oder [X.] veranlasste, seinen Penis in ihren Mund zu nehmen und an seinen Hoden zu lecken.
b) Der Angeklagte, zu dessen Gunsten das [X.] eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausschließen konnte, hat die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe bestritten. Die [X.] hat ihren Feststellungen die Angaben der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung zu Grunde gelegt, die, so die Urteilsgründe, "weitestgehend" den Aussagen der Geschädigten bei 5
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der Polizei und bei ihrer richterlichen Vernehmung
entsprachen. Soweit der An-geklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist, hat das [X.] einen Tatzeitraum vom 24. September 1997 bis 2000 zu Grunde gelegt und die Strafverfolgung durch Beschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf 200 Fälle in diesem Zeitraum beschränkt. Im Hinblick auf die drei Ta-ten, in denen der Angeklagte, wie bereits dargelegt, auch seinen [X.] in die Scheide der Nebenklägerin einführte, ist das [X.] ebenfalls gemäß §
154 Abs. 2 StPO verfahren.
2. Die
vom [X.] zum Tatzeitraum getroffenen Feststellungen ge-nügen nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO an die Urteilsgründe zu stellen sind.
In Fällen, in denen dem Angeklagten eine Vielzahl sexueller Übergriffe zur Last gelegt wird, die erst nach Jahren aufgedeckt werden, dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] zur Vermeidung [X.] an die Individualisierung der einzelnen Missbrauchs-handlungen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden (vgl. nur [X.], Beschluss vom 25. März 1994 -
3 StR 18/94, [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 5; Senatsbeschluss vom 6. September 1994 -
4 [X.], [X.]R StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 9). So ist es grund-sätzlich methodisch zulässig, wenn der Tatrichter, ausgehend vom Gesamtbild des [X.], für einen festliegenden Zeitraum die sichere Über-zeugung von einer Mindestzahl nicht notwendig durch individuelle Merkmale voneinander unterscheidbarer Einzeltaten gewinnt (Senatsbeschluss aaO mwN).
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Danach ist es im vorliegenden Fall im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass sich das [X.] auf der Grundlage der in tatrichterlicher Verantwor-tung geprüften und für sich genommen rechtsfehlerfrei bejahten Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten vor dem Hintergrund eines regelmäßig [X.] im Kinderzimmer von einer bestimmten Anzahl an Ein-zeltaten überzeugt hat. Die Ausführungen zum Tatzeitraum begegnen indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Vor allem fehlt es an einem hinreichend bestimmten Endzeitraum. Das [X.] hat lediglich festgestellt, dass es spätestens ab dem 24. September 1997, dem [X.] des siebten Lebensjahres der Geschädigten, bis "Ende 2000" zu einer Vielzahl sexueller Übergriffe kam. Sind damit ersichtlich zusammenfassend sämtliche sexuellen Übergriffe zum Nachteil der Geschädigten C.

S.

gemeint, be-ziehen sich die nachfolgenden Urteilsfeststellungen zunächst auf die 200 Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Kindes. Sodann stellt das [X.] für den Zeitpunkt "im Jahr 2000" ohne genauere Bestimmung eines Anfangs-
und ei-nes Endzeitpunktes fest, dass sich weitere 100 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs anschlossen. Diese Ausführungen genügen schon für sich ge-nommen nicht den Anforderungen an die hinreichend präzise Feststellung ei-nes Tatzeitraums; der Angeklagte ist dadurch in seinen Verteidigungsmöglich-keiten gegenüber den einzelnen Tatvorwürfen unangemessen beschränkt. Es kommt im vorliegenden Fall aber noch hinzu, dass der Tatzeitraum in der un-verändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, die der [X.] wegen zur Kenntnis zu nehmen hat, auf die "[X.] bis zum 08.03.2001"
festgelegt worden ist. Die Gründe für die Verkürzung des [X.] sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Ob sie von der vom [X.] in den Urteilsgründen erwähnten
Beschränkung der [X.] gemäß § 154 Abs. 2 StPO gedeckt ist, kann der Senat in Ermangelung einer genaueren Begründung für die Einstellung nicht nachprüfen.
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Wegen des Wegfalls der insoweit verhängten Einzelstrafen ist auch über die Höhe der Gesamtstrafe neu zu befinden.
3. Der Senat hebt zugleich den Ausspruch über die Maßregel auf.
a) Auf der Grundlage der zum Werdegang, zu den Vorstrafen und zu den abgeurteilten Taten getroffenen Feststellungen hat das [X.], [X.] beraten, den gemäß § 64 Satz 1 StGB erforderlichen Hang, alkoho-lische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen,
ebenso rechtsfehlerfrei bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Tat. Auch die Prognoseentscheidung der [X.] ist aus Rechtsgründen nicht zu [X.]. Indessen sind die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Aussicht eines [X.] nicht dar-getan.
b) Zwar steht nach der Rechtsprechung des [X.] die [X.], dass ein Täter bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig gewor-den ist, der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie regelmäßig nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 23. Oktober 1996 -
4 [X.], [X.], 131). Es kann dahin stehen, ob bei einem mehrfachen Therapieabbruch oder einem Rückfall nach jeweils erfolgreicher Absolvierung mehrerer Therapien in der [X.] eine andere rechtliche Bewertung veranlasst ist (vgl. dazu Senat aaO). [X.] im vorliegenden Fall durfte sich das [X.] nicht auf die bloße Mitteilung des Ergebnisses der Bewertung des Sachverständigen beschränken, es bestehe trotz der bisher erfolglosen Behandlungen die "hinreichende Aus-sicht, die Abhängigkeit des Angeklagten zu heilen". Der Beschwerdeführer hat über einen Zeitraum von nahezu zehn Jahren hinweg neben stationären Auf-enthalten zur Behandlung psychischer Erkrankungen eine außergewöhnlich 12
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hohe Zahl stationärer Entwöhnungstherapien von unterschiedlicher Dauer ohne durchgreifenden Erfolg absolviert. Die gleichwohl für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte, zu denen auch der -
vom [X.] nicht erörterte -
Grad der Therapiewilligkeit des Angeklagten gehört (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2009 -
3 [X.], [X.], 141), hätten daher einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen be-durft.
III.
Für die neue Verhandlung und Entscheidung bemerkt der Senat:
1. Wenn die eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs tragenden Feststellungen, wie regelmäßig und auch im vorliegenden Fall, im [X.] auf den Angaben des [X.] aus Anlass verschiedener Vernehmun-gen im Ermittlungsverfahren sowie auf der Einvernahme als Zeugin in der Hauptverhandlung beruhen, kann eine Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Aussagen etwa bei der polizeilichen Vernehmung und vor dem Ermittlungs-richter zweckmäßig sein, um dem Revisionsgericht eine nähere Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen ([X.], Beschluss vom 23. Mai 2000
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1 [X.], [X.], 496). Die Urteilsgründe müssen in solchen Fällen auch erkennen lassen, ob und in welchem Umfang von der rechnerisch ermit-telten Gesamtzahl der Taten nach den besonderen Umständen des jeweiligen Falles Abzüge vorgenommen werden müssen (Senatsbeschluss vom 6. Sep-tember 1994 aaO).
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2. Sollte die zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene [X.] wiederum zur Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) kommen, wird bei der Bestimmung der Dauer des [X.] nach § 67 Abs. 2 Satz 2, 3 StGB zu beachten sein, dass eine Kürzung der Dauer des [X.] um die Dauer der erlittenen [X.] nicht zulässig ist (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2010
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4 [X.], [X.], 171).
Ernemann Rin[X.] Solin-

Roggenbuck

sich im Ruhestand und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

Ernemann

Franke Bender

Meta

4 StR 7/11

13.04.2011

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.04.2011, Az. 4 StR 7/11 (REWIS RS 2011, 7580)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7580

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 504/09

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