Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.01.2013, Az. 2 StR 106/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8997

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Gegenstand

Beweiswürdigung im Strafverfahren: Anforderungen bei Tod des einzigen Belastungszeugen vor der Hauptverhandlung und daraus resultierender mangelnder Verteidigungsmöglichkeit des Angeklagten


Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 29. Juni 2011 wird verworfen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.

3. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entschädigungsentscheidung wird kostenpflichtig verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, an der Tötung von [X.]  am 3. Juni 1996 beteiligt gewesen zu sein. Darüber hinaus hat es für erlittene Untersuchungshaft eine Entschädigung zuerkannt. Die Staatsanwaltschaft greift den Freispruch mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde an; außerdem wendet sie sich gegen die Entschädigungsentscheidung des [X.]s. Die Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s hielt sich die aus [X.] stammende 20-jährige Geschädigte [X.]  seit dem Jahreswechsel 1995/96 in [X.] auf und ging dort der Prostitution nach. In der "Bar       " in [X.]  traf sie auf die ebenfalls aus [X.] stammende Angeklagte S.     , die zum damaligen Zeitpunkt mit dem ehemaligen Mitbeschuldigten [X.].  liiert war. Über ihn und die Angeklagte lernte sie im Laufe des Jahres 1996 den Angeklagten [X.]  kennen, zu dem sie alsbald eine intime Beziehung aufnahm, obwohl sie sich - [X.]   sprach nur polnisch - nur schwer verständigen konnten. In der Folgezeit zog sie zu ihm in seine Wohnung. Dort kamen in den Wochen danach die Angeklagten, [X.].  und das spätere Tatopfer häufiger zusammen, um vom Angeklagten [X.]   besorgtes Kokain zu konsumieren. Weitere Feststellungen zum Verlauf der nur wenige Wochen dauernden Beziehung zwischen dem Angeklagten [X.]   und [X.]  konnten nicht getroffen werden.

3

Am Abend des 3. Juni 1996 hatten der Angeklagte [X.]   und [X.]  in der Wohnung des Angeklagten Geschlechtsverkehr; Anhaltspunkte dafür, dass dies gegen den Willen des späteren [X.] geschehen sein könnte, hat die [X.]mmer nicht festgestellt. Später erschienen die Mitangeklagte S.     sowie       [X.].   in der Wohnung des Angeklagten [X.]   und konsumierten dort im Beisein der Geschädigten wie in der Vergangenheit gemeinsam Kokain. Im Verlauf des Abends äußerte der Angeklagte sinngemäß, dass es "Probleme mit dem Mädchen" gebe und es deshalb weg müsse. Den genauen Wortlaut der Äußerung konnte die [X.] ebenso wenig feststellen wie weitere Gesprächsinhalte. Das [X.] ist nicht davon ausgegangen, dass der Angeklagte [X.]   mit seinen Äußerungen der Mitangeklagten und     [X.].   einen Tötungsauftrag erteilen wollte, ebenso wenig davon, dass sie diese als einen solchen verstanden.

4

Am späten Abend des 3. Juni 1996 verließen die Angeklagte,      [X.].   und das spätere Tatopfer die Wohnung des Angeklagten [X.]  , der dort zurückblieb, und fuhren von [X.]  aus in die [X.]. Anlass und Ziel der Fahrt konnte das [X.] nicht feststellen. Gegen 0.00 Uhr am 4. Juni 1996 hielt die Angeklagte, die zuvor mitgeteilt hatte, austreten zu müssen, das von ihr gesteuerte Fahrzeug auf einem Seitenweg in einem Waldgebiet im [X.] [X.].   an. Nach kurzer Verständigung mit der Geschädigten in [X.] stiegen beide Frauen aus dem Fahrzeug aus. Die Angeklagte begab sich in den Wald und urinierte. [X.]   suchte in der gleichen Absicht den Schutz nahe gelegener Bäume und zog sodann Hose und Unterhose herunter. Nicht ausschließbar fasste [X.].  in dieser Situation spontan den Entschluss, [X.]zu töten. Er entnahm aus dem Kofferraum einen Hammer, folgte der Geschädigten und schlug der nicht mit einem Angriff rechnenden Geschädigten mit Tötungsabsicht mehrfach und mit großer Wucht mit dem Hammer auf den Kopf- und Halsbereich. [X.]   verstarb am Tatort aufgrund einer Kombination von komprimierender Gewalteinwirkung gegen den Hals und starkem Blutverlust nach außen. Die Angeklagte beobachtete das - für sie überraschende - Tatgeschehen, ohne einzuschreiten. Gemeinsam mit [X.].  fuhr sie wieder zurück in die Wohnung des Angeklagten [X.]   nach [X.]  . Was dabei zwischen ihnen gesprochen wurde, konnte die [X.] nicht feststellen. Dem Angeklagten [X.]   berichteten sie, dass und wie [X.]   zu Tode gekommen war. Wie dieser hierauf reagierte, konnte das [X.] nicht feststellen. Keiner von ihnen benachrichtigte in der Folgezeit die Polizei.

5

[X.]   wurde am Vormittag des 4. Juni 1996 tot aufgefunden. Ermittlungen der [X.] Polizei zur Identität der Toten blieben erfolglos, auch konnte ein Tatverdächtiger nicht ermittelt werden. Im Jahre 2009 ergab ein Abgleich mit der beim [X.] geführten [X.], dass sich an Gegenständen des [X.] DNA-Spuren des Angeklagten [X.]   befanden. Dies führte nach Übernahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft [X.] im Juni 2010 zu einem Haftbefehl gegen den Angeklagten, der zunächst angab, das Tatopfer nicht zu kennen, sich schließlich aber doch an sie erinnerte und im Zuge von Vernehmungen einräumte, von der Tötung des Opfers durch [X.].  , der dieses im Beisein der Mitangeklagten in den [X.]n erschlagen habe, zu wissen.     [X.].   räumte die Tat in seiner umfangreichen polizeilichen Vernehmung am 3. Juli 2010 ein, wobei seine Angaben, die das [X.] wörtlich in den Urteilsgründen wiedergegeben hat, nicht widerspruchsfrei sind. Weitere Angaben zum [X.] und zum Auslöser der Tat machte     [X.].   gegenüber seinem Verteidiger und gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen, bevor er am 8. Oktober 2010 in der JVA eines natürlichen Todes starb.

6

Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Das [X.] hat sich bei seinen Feststellungen im Wesentlichen auf die Angaben des verstorbenen früheren Mitbeschuldigten [X.].  sowie der Angeklagten in ihren polizeilichen Vernehmungen gestützt. Es hat sich die Überzeugung, die Angeklagten seien an der Tötung des [X.] durch    [X.].  beteiligt gewesen, nicht bilden können und hat sie freigesprochen. Eine Auftragserteilung an die Angeklagte S.     und    [X.].   durch den Angeklagten [X.]   sei nicht nachweisbar gewesen. Dass [X.].   und die Angeklagte ausdrücklich oder konkludent den Plan gefasst oder verabredet hätten, [X.]   (gemeinsam) zu töten, sei nicht anzunehmen. Die Tat stellte sich aus Sicht der [X.]mmer als eine mit der Mitangeklagten [X.] des [X.].   dar, zu deren Ausführung er zwar durch Äußerungen des Angeklagten [X.]   veranlasst, aber nicht im Sinne des § 26 StGB vorsätzlich bestimmt worden sei ([X.] 182).

II.

7

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

8

1. Die Verfahrensrügen greifen aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 18. Mai 2012 dargelegten Gründen nicht durch.

9

2. Auch die Sachrüge deckt durchgreifende Rechtsmängel der landgerichtlichen Entscheidung nicht auf. Entgegen der Ansicht der Revision hält die angegriffene Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung stand.

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Die revisionsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter hierbei Rechtsfehler unterlaufen sind. Ein sachlich-rechtlicher Fehler liegt vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar, lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. In der Beweiswürdigung selbst muss sich der Tatrichter mit den festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei dürfen die Indizien nicht nur isoliert betrachtet werden, sie müssen vielmehr in eine umfassende Gesamtwürdigung aller bedeutsamen Umstände eingebracht werden. Der Tatrichter darf insoweit keine überspannten Anforderungen an die für die Beurteilung erforderliche Gewissheit stellen.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Die [X.] hat in einer umfassenden Beweiswürdigung die wesentlichen für die Entscheidungsfindung bedeutsamen Gesichtspunkte erörtert und diese auch im Rahmen einer Gesamtschau abgewogen. Sie hat insoweit rechtsfehlerfrei dargelegt, weshalb sie sich von einer Tatbeteiligung der Angeklagten nicht hat überzeugen können. Die von der Revision geltend gemachten Rechtsmängel liegen - wie schon der [X.] im Einzelnen in seiner Antragsschrift dargelegt hat - nicht vor.

a) Zentraler Punkt der landgerichtlichen Würdigung sind die Angaben des früheren Mitbeschuldigten [X.].  , die das [X.] - der besonderen Beweisbedeutung entsprechend - in ihrem Wortlaut in den Urteilsgründen wiedergegeben hat. Dies ermöglicht es dem Senat, ohne Weiteres in allen Einzelheiten nachzuvollziehen, dass [X.].   sich zu [X.], [X.] und Nachtatgeschehen nicht einheitlich und schlüssig, sondern vielmehr mit logischen Brüchen und Ungereimtheiten eingelassen hat. Soweit die [X.] - wie dies die Revision rügt - einigen Angaben des     [X.].   gefolgt ist, andere für widersprüchlich und andere als zu "schwammig" für ihre Überzeugungsbildung gehalten hat, begegnet dies deshalb keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Diese sorgfältige und eingehende Würdigung der die Angeklagten belastenden Angaben gebietet im Übrigen - worauf der [X.] zutreffend hingewiesen hat - der Umstand, dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, ihr Recht auf Befragung des vor der Hauptverhandlung gestorbenen     [X.].   auszuüben (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d) [X.]). Das Tatgericht war aus diesem Grund gehalten, den eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten Rechnung zu tragen und die in ihrem Beweiswert geminderten Angaben von     [X.].   einer besonders sorgfältigen und kritischen Beweiswürdigung zu unterziehen.

b) Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, dass das [X.] aus der einzig festgestellten Äußerung des Angeklagten [X.]   vor der Tat, [X.]   müsse weg, weil es mit ihr Probleme gebe, nicht als "strafbare" Anstiftung zu ihrer Tötung angesehen hat. Die [X.] hat im Einzelnen dargelegt, wie diese Mitteilung des Angeklagten [X.]   zu verstehen gewesen sein könnte, und warum sie sich nicht von einer Beauftragung von    [X.].  und der Mitangeklagten überzeugen konnte. Diese Würdigung hat sie nicht isoliert, sondern unter weiterer Berücksichtigung für und gegen einen solchen Auftrag sprechender Umstände vorgenommen, wobei maßgeblich eingeflossen ist, dass [X.].  mehrfach von seinem spontanen Tatentschluss und in seiner ersten Beschuldigtenvernehmung davon gesprochen hat, es sei doch nicht geplant gewesen, "das Mädchen umzubringen". Die insoweit gezogenen Schlüsse sind durchweg möglich und beruhen auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Demgegenüber erweisen sich die von der Revision geltend gemachten Bedenken, etwa gegen die Annahme des [X.]s, Anlass und Ziel der gemeinsamen Fahrt hätten nicht festgestellt werden können, im [X.] als bloßer Versuch, anstelle des Tatrichters eigene Schlussfolgerungen anzustellen, ohne damit Rechtsfehler aufzuzeigen.

c) Es stellt auch keinen Rechtsfehler dar, dass das [X.] trotz der festgestellten Umstände, dass die Angeklagte die Tötung des Opfers durch [X.].   beobachtete und mit diesem zurückfuhr, ohne dass     [X.].   von Vorwürfen ihm gegenüber berichtet habe, nicht von einer Beteiligung der Angeklagten an dessen Tat ausgegangen ist. Die [X.] hat in dem passiven Verhalten der Angeklagten zwar einen Hinweis auf ihr Einverständnis mit der Tötung gesehen, hat allerdings daraus nicht den Schluss ziehen wollen, die Tat sei mit [X.].   vorab verabredet worden. Vor dem Hintergrund mehrfacher Angaben von     [X.].   , er habe die Tat spontan begangen, weil es "über ihn gekommen" sei, und weiterer Zeugenaussagen zum Verhältnis zwischen     [X.].   und der Angeklagten konnte das [X.] Angst vor [X.].   als eine (einer Verabredung oder Unterstützung der Tat entgegenstehende) Erklärungsmöglichkeit für ihr passives Verhalten nicht ausschließen. Diese mögliche Schlussfolgerung beruhte - entgegen der Ansicht der Revision, die auch an diese Stelle revisionsrechtlich unbeachtlich eine eigene Würdigung der Beweise vornimmt - auf einer tragfähigen Grundlage, ohne dass das [X.] damit überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) gestellt hätte.

III.

Auch der nicht näher begründeten sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung über die Entschädigung erlittener Untersuchungshaft bleibt der Erfolg versagt. Es ist nicht ersichtlich, dass ein durchgreifender Ausschluss- oder Versagungsgrund (§§ 5, 6 StrEG) gegeben ist.

[X.]

                 [X.]

Meta

2 StR 106/12

16.01.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 29. Juni 2011, Az: 111 Ks 28/10 - 82 Ss 96/11

§ 261 StPO, Art 6 Abs 3 Buchst d MRK

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 16.01.2013, Az. 2 StR 106/12 (REWIS RS 2013, 8997)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8997

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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