Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2023, Az. 1 StR 474/22

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1806

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vermögensabschöpfung: Einziehung eines Geldwäscheobjekts


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten E.                  gegen das Urteil des [X.] vom 14. Juli 2022 wird

a) das Verfahren im Fall II.1.3.2. der Urteilsgründe auf Kosten der Staatskasse eingestellt, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat;

b) das vorbezeichnete Urteil

aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls in zwölf Fällen schuldig ist;

bb) im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen, soweit dieser den Angeklagten betrifft, dahin geändert, dass die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 239.697,22 Euro angeordnet ist; die darüberhinausgehende Einziehungsanordnung entfällt.

2. Auf die Revision der Angeklagten J.                  wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

4. Der Angeklagte E.                 trägt die weiteren Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten E.                 wegen Diebstahls in 13 Fällen unter Einbeziehung der [X.] aus dem Strafbefehl des [X.] vom 8. September 2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt sowie gegen ihn – unter Hinzurechnung des in dem genannten Strafbefehl eingezogenen Wertes von Taterträgen – die Einziehung eines solchen in Höhe von 254.865,22 Euro angeordnet. Die Angeklagte [X.]hat die [X.] unter Freispruch im Übrigen wegen leichtfertiger Geldwäsche in 17 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt und gegen sie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 61.280 Euro angeordnet. Beide Angeklagte wenden sich mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen gegen ihre Verurteilung. Auf das Rechtsmittel des Angeklagten E.                 ist das Verfahren teilweise einzustellen, was eine Abänderung der Einziehungsentscheidung in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zur Folge hat. Auf die Revision der Angeklagten [X.]  ist das Urteil, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch und im Ausspruch über die Einziehung aufzuheben. Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Soweit das [X.] den Angeklagten E.                 in dem in der [X.] bezeichneten Fall verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines [X.]. Das Verfahren ist gemäß § 354 Abs. 1 Variante 2, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen.

3

a) Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage vom 28. Oktober 2021 hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, in der [X.] von Oktober 2015 bis 25. Juni 2019 in zwölf Fällen eine Vielzahl von [X.] und ein Serversystem an seinem Arbeitsplatz entwendet zu haben. Während die Fälle II.1.1. bis 1.3.1. der Urteilsgründe (zwölf Fälle) – ungeachtet der teilweise von der Anklage abweichenden konkurrenzrechtlichen Bewertung – von dieser umfasst sind, handelt es sich bei dem Fall II.1.3.2. der Urteilsgründe zugrundeliegenden Sachverhalt (Entwendung von 16 [X.] aus Server 003) um ein tatsächliches Geschehen, das von der Anklage nicht mehr gedeckt ist. Der für diesen Fall festgestellte Tatzeitraum (18. Oktober 2018 bis 28. Februar 2020) geht über den in der Anklageschrift genannten hinaus. Zwar hebt eine Veränderung des Tatzeitpunkts die Identität zwischen dem angeklagten Lebensvorgang und dem abgeurteilten Sachverhalt nicht in jedem Fall auf. Sie ist aber nur dann unschädlich, wenn die in der Anklage beschriebene prozessuale Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen ausreichend individualisiert ist. Insoweit ist bei nur wenig konkretisierten Serienstraftaten – wie hier – Zurückhaltung geboten (vgl. [X.], Urteil vom 20. November 2014 – 4 [X.] Rn. 5; Beschlüsse vom 4. März 2021 – 2 [X.] Rn. 7 und vom 13. November 2003 – 3 [X.] Rn. 5; KK-StPO/[X.], 9. Aufl., § 200 Rn. 9). Ein Ausbau von [X.] konkret aus Server 003 wird in der Anklageschrift nicht erwähnt. Auch eine andere Individualisierung dieser Tat kann ihr nicht entnommen werden. Allein der Umstand, dass insgesamt die Entwendung einer größeren Anzahl von [X.] als der Verurteilung zugrunde gelegt angeklagt worden ist, reicht nicht aus.

4

b) Die Teileinstellung des Verfahrens hat eine Änderung des Schuldspruchs und die [X.] zur Folge. Der durch das [X.] im Übrigen rechtsfehlerfrei bestimmte Einziehungsbetrag ist um den Wert der in Fall II.1.3.2. der Urteilsgründe entwendeten 16 Speicherriegel, mithin 15.168 Euro, zu kürzen. Unter Einbeziehung der durch Strafbefehl des [X.] vom 8. September 2021 angeordneten Einziehung des Wertes von Taterträgen ist der einzuziehende Betrag insgesamt auf 239.697,22 Euro festzusetzen.

5

c) Hingegen zieht der Wegfall der im Fall II.1.3.2. verhängten [X.] von einem Jahr und sechs Monaten nicht die Aufhebung der vom [X.] gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten nach sich. Mit Blick darauf, dass die [X.] in acht Fällen [X.]n von einem Jahr und neun Monaten, in einem weiteren Fall eine solche von einem Jahr und sechs Monaten und in drei Fällen [X.]n von jeweils einem Jahr verhängt sowie [X.] von 100, 60, 40 und 30 Tagessätzen einbezogen hat, ist auszuschließen, dass das [X.] ohne die im Fall II.1.3.2. festgesetzte [X.] auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

6

2. Die rechtliche Nachprüfung der Verurteilung der Angeklagten [X.] wegen 17 Fällen der leichtfertigen Geldwäsche hat aus den zutreffenden Erwägungen in der Antragsschrift des [X.] im Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Hingegen halten der Strafausspruch und die Einziehungsentscheidung rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

Der [X.] hat hierzu in seiner Antragsschrift Folgendes ausgeführt:

"1. Das [X.] hat seine Entscheidung über die Einziehung des Wertes der Überweisungsgutschriften in Höhe von 61.280 Euro auf dem Konto der Angeklagten rechtsfehlerhaft auf §§ 73, 73c [X.] gestützt ([X.]). Ein Geldwäscheobjekt konnte jedoch auf Grundlage der gemäß § 2 Abs. 1 [X.] für den Tatzeitraum geltenden Fassung des § 261 Abs. 7 [X.] grundsätzlich nur nach § 74 Abs. 2 [X.] eingezogen werden. Die Wertersatzeinziehung richtet sich daher ausschließlich nach § 74c [X.]. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass nach § 261 Abs. 10 [X.] idF vom 9. März 2021 ([X.], [X.]) für die Einziehung von Gegenständen der Geldwäsche nunmehr [… vorrangig] die §§ 73 ff. [X.] gelten. Denn anders als die im Ermessen des Gerichts stehende Anordnung nach §§ 74, 74c [X.] ist die Einziehung nach den §§ 73 ff. [X.] zwingend vorgeschrieben. Diese sind mithin nicht das mildere Recht im Sinne des § 2 Abs. 3 und Abs. 5 [X.], so dass die Einziehungsentscheidung nach dem zur Tatzeit geltenden Recht zu treffen war (vgl. [X.], Urteil vom 13. April 2022 - 2 StR 1/21, Rn. 24 f.; [X.], Beschluss vom 25. Mai 2021 - 5 StR 62/21).

2. Auf Grundlage der Urteilsfeststellungen ist zudem nicht festzustellen, dass eine Wertersatzeinziehung nach § 261 Abs. 7 [X.] aF i.V.m. § 74 Abs. 2, § 74c Abs. 1 [X.] ohne Weiteres zulässig gewesen wäre. […] Nach § 74c Abs. 1 [X.] müsste die Angeklagte […] die Einziehung der Forderungen gegen die Bank vereitelt haben, wobei die Einziehung des [X.] durch eine andere als die im konkreten Fall die Einziehung begründende Tathandlung unmöglich geworden sein muss (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Februar 2021 - 1 [X.], [X.] 2021, 282, 284). Dies hätte durch die Verfügung über das Bankguthaben geschehen können ([X.] in: [X.] [X.] Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 74c Rn. 9).

Darüber hinaus steht die Einziehung nach § 74 Abs. 2 [X.] bzw. § 74c Abs. 1 [X.] im pflichtgemäßen Ermessen des Tatgerichts. Für ihre Anordnung gilt der […] Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, § 74f Abs. 1 [X.]. Eine solche Ermessensentscheidung hat das [X.] nicht getroffen. In Anbetracht des Betrages von 61.280 Euro und der finanziellen Verhältnisse der Angeklagten ([X.] ist nicht auszuschließen, dass das [X.] von einer Einziehung ganz oder teilweise abgesehen hätte.

3. Eine Wertersatzeinziehung als Tatlohn gemäß § 73 Abs. 1, § 73c [X.] kommt nicht in Betracht, da sich aus den Urteilsgründen nicht ergibt, dass die Angeklagte die Bankgutschriften als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung ihres Bankkontos erhalten hätte.

4. Der Rechtsfehler führt einerseits zur Aufhebung der Wertersatzeinziehung, wobei die Feststellungen bestehen bleiben können. Andererseits unterliegt auch der Strafausspruch der Aufhebung, da die Möglichkeit der Einziehung des Wertes von [X.] nach § 74 Abs. 2, § 74c Abs. 1 [X.] im Falle ihrer Anordnung aufgrund ihres Charakters einer Nebenstrafe einen bestimmenden Strafzumessungsgrund sowohl bei den Einzelstrafen als auch bei der Gesamtstrafe darstellt (vgl. [X.], Beschluss vom 21. November 2018 - 4 StR 332/18, NStZ-RR 2019, 88). Zwar handelte es sich bei dem Buchgeld als dem ursprünglichen Tatobjekt der [X.] nicht um legales Vermögen der Angeklagten. Sind die inkriminierten Gutschriften jedoch nicht mehr - auch nicht in Gestalt ersparter Aufwendungen - in dem Vermögen der Angeklagten vorhanden und wird mit der Wertersatzeinziehung nach § 74 Abs. 2, § 74c Abs. 1 [X.] auf deren Legalvermögen zugegriffen, begründet dies - unbeschadet des möglichen Vollstreckungsschutzes nach § 459g Abs. 2 und Abs. 5 Satz 1 StPO - grundsätzlich einen im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigenden Umstand (vgl. [X.], Urteil vom 13.04.2022 - 2 StR 1/21, Rn. 21 mwN)."

8

Dem schließt sich der Senat an (vgl. auch Art. 316k zweiter Halbsatz EG[X.]) und stellt klar, dass das neue Tatgericht ergänzende Feststellungen treffen kann, sofern diese den bisherigen nicht widersprechen.

Jäger     

  

Bellay     

  

Fischer

  

Wimmer     

  

Leplow     

  

Meta

1 StR 474/22

07.03.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 14. Juli 2022, Az: 2 KLs 480 Js 13774/20

§ 2 Abs 1 StGB, § 2 Abs 3 StGB, § 2 Abs 5 StGB, § 73 StGB, §§ 73ff StGB, § 74 Abs 2 StGB, § 74c StGB, § 261 Abs 7 StGB vom 23.06.2017, § 261 Abs 10 StGB vom 09.03.2021

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.03.2023, Az. 1 StR 474/22 (REWIS RS 2023, 1806)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1806

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 471/21 (Bundesgerichtshof)

Vermögensabschöpfung im Altfall der Geldwäsche: Anordnung der Einziehung des Wertes von "Schleusergeld" gegenüber tatbeteiligten Nichteigentümern


2 StR 1/21 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen Geldwäsche: Konkurrenzverhältnis bei aufeinanderfolgenden Geldwäschehandlungen; Revisionsbeschränkung auf die Einziehungsentscheidung


2 StR 46/22 (Bundesgerichtshof)

Notwendige Feststellungen zur Anordnung einer Wertersatzeinziehung


3 StR 81/23 (Bundesgerichtshof)

Vermögensabschöpfung im Altfall der Geldwäsche: Anordnung der Einziehung des Wertes von Geldwäscheobjekten


5 StR 62/21 (Bundesgerichtshof)

Einziehung von Geldwäscheobjekten: Abgrenzung der Rechtslage nach altem und nach neuem Recht


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 332/18

1 StR 127/20

5 StR 62/21

2 StR 1/21

2 StR 423/20

4 StR 153/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.