Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.02.2000, Az. VI ZR 48/99

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2000, 3135

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[X.] DES VOLKESURTEIL[X.]Verkündet am15. Februar 2000Holmes,[X.] Geschäftsstellein dem [X.]:ja[X.]Z: jaBGB § 823 Dda) Hat sich gerade das Risiko verwirklicht, über das aufgeklärt werden mußte undtatsächlich aufgeklärt worden ist, so spielt es regelmäßig keine Rolle, ob bei [X.] auch andere Risiken der Erwähnung bedurften. Vielmehr kann ausdem Eingriff keine Haftung hergeleitet werden, wenn der Patient in Kenntnis desverwirklichten Risikos seine Einwilligung erteilt hat.b) Das Erfordernis eines Aufklärungsgesprächs gebietet bei einer Routineimpfungnicht in jedem Fall eine mündliche Erläuterung der Risiken. Es kann vielmehr ge-nügen, wenn dem Patienten nach schriftlicher Aufklärung Gelegenheit zu weiterenInformationen durch ein Gespräch mit dem Arzt gegeben wird.[X.], Urteil vom 15. Februar 2000 - [X.] - [X.] [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche [X.] 15. Februar 2000 durch [X.] und die [X.]. v. [X.], [X.], [X.] und [X.] erkannt:Auf die Revision der [X.] werden das Urteil des 13. Zivilse-nats in [X.] des [X.] vom 30. [X.] 1998 teilweise aufgehoben und die Berufung der [X.] das Urteil des [X.] vom 22. Juli 1997insgesamt zurückgewiesen.Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtsmittelzüge.Von Rechts [X.]:Die am 8. Februar 1994 in der 34. Schwangerschaftswoche geboreneKlägerin verlangt von der beklagten Kinderärztin Schadensersatz wegen [X.].Am 17. März 1994 wurde die Klägerin von ihrer Mutter erstmals bei [X.] zur Kindervorsorgeuntersuchung [X.] vorgestellt. Weitere Vorstel-lungen durch die Mutter schlossen sich am 18. März und 5. April 1994 an. [X.] Klägerin am 11. Mai 1994 zur Vorsorgeuntersuchung [X.] erneut bei [X.] vorgestellt wurde, verabreichte ihr diese mit Zustimmung der Mutter- 3 -eine Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis und [X.] sowie im Wege der Schluckimpfung mit einem dreifach-lebendImpfstoffpräparat gegen Kinderlähmung (Poliomyelitis). Zuvor war der [X.] Klägerin von der Sprechstundenhilfe der [X.] ein [X.] der regio-nalen Kinderärzte zu den Impfungen ausgehändigt worden, von dem sie imWartezimmer Kenntnis nahm und das sie anschließend wieder zurückgab, [X.] es unterzeichnet zu haben. Als Nebenwirkungen der Impfung gegen [X.] war in dem [X.] unter anderem aufgeführt: "Selten treten fie-berhafte Reaktionen auf, extrem selten Lähmungen (1 Fall auf 5 [X.])". Beim Eintritt in das Behandlungszimmer war sie dann von [X.] befragt worden, ob sie das [X.] gelesen habe, was sie bejahte.Nach Untersuchung der Klägerin hatte die Beklagte anschließend erklärt, wenndie Mutter es wolle, könne man jetzt impfen.Am 13. Juni 1994 kam die Mutter mit dem Kind wegen eines Hautaus-schlags erneut zur [X.]. Bei diesem Anlaß wurde die zweite Impfung ge-gen Poliomyelitis vorgenommen. Am 18. Juni 1994 wurden bei der [X.] und am 25. Juni eine Schonhaltung des linken Beines festgestellt. [X.] vorgenommenen Untersuchungen ergaben, daß die Klägerin an [X.] erkrankt war. Das Versorgungsamt [X.] hat einen Impfschadensfallmit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80% festgestellt und eine Impf-schadensrente bewilligt.Die Klägerin hat der [X.] fehlerhafte Behandlung und unzurei-chende Aufklärung mit der Folge einer fehlenden wirksamen Einwilligung in [X.] vorgeworfen; auch habe die notwendige Einwilligung ihres [X.] ge-fehlt. Sie hat die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von [X.] 100.000 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der [X.] füralle Folgeschäden aus den Polioimpfungen begehrt.Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hatihr unter Zubilligung eines Schmerzensgeldes von 80.000 DM im [X.]. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellungdes landgerichtlichen Urteils.Entscheidungsgründe:[X.] Berufungsgericht hält - dem [X.] folgend - einen Behand-lungsfehler der [X.] nicht für nachgewiesen. Es meint jedoch, die Klagesei deshalb überwiegend begründet, weil die Mutter der Klägerin mangels hin-reichender Aufklärung durch die Beklagte nicht wirksam in die Impfungen ein-gewilligt habe. Zwar sei das der Mutter am 11. Mai 1994 überlassene [X.]in bezug auf die Polioimpfung inhaltlich als ausreichende Aufklärung anzuse-hen. Jedoch sei die Aufklärung nicht rechtzeitig erfolgt.Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß die Mutter der Klägerinmit der Frage der Impfung ernsthaft erstmals am 11. Mai 1994 konfrontiert [X.] sei. Weder sei ihr bei Übergabe des [X.] noch danach von der [X.] deutlich gemacht worden, daß sie nunmehr eine eigenständige Ent-scheidung darüber treffen müsse, ob sie die Impfung durchführen lassen wolleoder nicht. Das habe sich auch aus dem [X.] nicht hinreichend deutlich- 5 -ergeben. Dieses habe eine Vielzahl von Informationen über vier verschiedeneImpfungen enthalten. Es habe die Gefahr bestanden, daß beim ersten Durch-lesen die Einzelheiten nicht vollständig erfaßt und am Ende der Lektüre der [X.] stehende Text schon wieder vergessen gewesen sei oder zumindestnicht mehr klar vor Augen gestanden habe. Zudem sei die Mutter beim Durch-lesen des Blattes im Wartezimmer durch den Säugling auf ihrem Arm abgelenktworden, so daß die Möglichkeit bestehe, daß ihr zur reiflichen Überlegung vorErteilung der Einwilligung nicht genügend [X.] geblieben sei.Eine ordnungsgemäße, rechtzeitige Aufklärung wäre ohne weiteres inder Weise möglich gewesen, daß der Mutter das [X.] entweder schon beider Untersuchung [X.] oder bei einem der weiteren Besuche übergeben und ihrbelassen worden wäre, um es Zuhause in Ruhe zu lesen, oder aber bei [X.] [X.] einen gesonderten Termin zu vereinbaren, da die ersteImpfung gerade zu diesem Termin keineswegs zwingend gewesen sei.[X.] Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Prüfung [X.]. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte we-gen rechtswidriger Verletzung ihrer Gesundheit nicht zu. Die Revision rügt [X.], daß die Annahme des Berufungsgerichts, die Mutter der Klägerin [X.] hinreichender Aufklärung durch die Beklagte nicht wirksam in [X.] eingewilligt, auf zu strengen Anforderungen [X.] Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings ausgeführt, an einerwirksamen Einwilligung fehle es nicht schon deshalb, weil der Vater der Kläge-rin der Impfung nicht zugestimmt habe. Zwar bedarf es in Fällen, in denen wie- 6 -hier die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam zusteht (§§ 1626 ff. [X.] einem ärztlichen Heileingriff, zu dem auch eine Vorsorgeimpfung gehört, [X.] beider Elternteile. Doch wird man im allgemeinen davon ausgehenkönnen, daß der mit dem Kind beim Arzt erscheinende Elternteil ermächtigt ist,die Einwilligung in die ärztliche Behandlung für den abwesenden Elternteil mitzu erteilen, worauf der Arzt in Grenzen vertrauen darf, solange ihm keine ent-gegenstehenden Umstände bekannt sind. Dies gilt, wie der [X.] bereits inseinem Urteil vom 28. Juni 1988 ([X.]Z 105, 45) ausgeführt hat und woran [X.], jedenfalls in [X.], zu denen auch die Routineimpfung gehört.Bei der im ersten Halbjahr 1994 durchgeführten Schluckimpfung [X.] mit lebenden abgeschwächten Polioerregern handelte es sich,wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, um eine Routineimp-fung. Sie war von der [X.] ([X.]) seit langem empfohlen (vgl. [X.]. 1991, 384 ff. und 1994,85) und wurde auch in [X.] von der zuständigen Gesundheits-behörde gemäß § 14 Abs. 3 [X.] insbesondere 1994 öffentlich empfohlen(GABl. [X.] 1994, 286). Sie wurde seit Einführung des oralen Polioimpfstoffes1962 millionenfach durchgeführt. Die Frage der Vornahme solcher Impfungenstellte sich jedem Sorgeberechtigten in den ersten Lebensmonaten eines [X.] (vgl. [X.]-Empfehlung 1991 aaO S. 384), und zwar üblicherweise anläß-lich der routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen der Säuglinge und Kleinkin-der, was allgemein bekannt war. Bei einer derart empfohlenen Impfung, [X.] von Eltern an ihren Kindern vornehmen ließen, durfte die [X.] daher mangels gegenteiliger konkreter Anhaltspunkte darauf vertrauen,daß die Mutter der Klägerin sich mit der Ermächtigung des [X.] für die [X.] entschied, zumal - wie das Berufungsgericht zutreffend bemerkt [X.] [X.] auch zuvor stets allein mit der Klägerin in der Praxis erschienen [X.] -2. Das Berufungsgericht geht ferner mit Recht davon aus, daß die vonder Mutter der Klägerin erteilte Einwilligung in die Impfung nur wirksam war,wenn sie zuvor über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt worden war.Einer solchen Risikoaufklärung bedarf es auch bei einer freiwilligen Impfung,und zwar selbst dann, wenn diese öffentlich empfohlen ist ([X.]Z 126, 386;[X.], Urteil vom 15. Februar 1990 [X.] III ZR 100/88 [X.] VersR 1990, 737 zu [X.]. auch [X.], Urteil vom 26. Januar 1959 [X.] III ZR 213/57 [X.] VersR 1959, 355).Die Notwendigkeit zur Aufklärung über die Gefahr, daß der [X.] auf-grund der Impfung mit lebenden Polioviren an einer spinalen Kinderlähmungerkrankt, entfiel entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb, weil essich dabei um eine äußerst seltene Folge der Impfung handelt. Das Berufungs-gericht hat unter Hinweis auf [X.] (in: [X.] 6/1997, S. 57m.w.[X.]) eine Schadenshäufigkeit von 1: 4,4 Millionen zugrunde gelegt. In [X.] der [X.] der Mutter der Klägerin ausgehändigten [X.] ist [X.] mit 1: 5 Millionen angegeben. Soweit die Revisionserwiderung demge-genüber geltend macht, diese Werte seien unzutreffend, bei Erstimpfungensteige das Risiko nämlich auf 1: 750.000 Impfdosen, bedurfte es einer näherenKlärung der Schadenshäufigkeit nicht, da statistischen Risikowerten nur einvergleichsweise geringer Wert zukommt ([X.]Z 126, 386, 389; [X.]surteilvom 22. April 1980 - [X.] - VersR 1981, 456, 457). Entscheidend für dieärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbe-sondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend ist vielmehr, ob das [X.] Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner [X.] die Lebensführung des Patienten besonders belastet ([X.]Z 126, 386,389; [X.]surteil vom 21. November 1995 - [X.] - [X.], 330,331). Der [X.] hält daher daran fest, daß grundsätzlich auch über derartigeäußerst seltene Risiken aufzuklären ist. Das gilt entgegen der Auffassung der- 8 -Revision und entsprechender Äußerungen im Schrifttum ([X.], 1057) auch für öffentlich empfohlene Impfungen, bei denen die Grun-dimmunisierung der Gesamtbevölkerung zur Verhinderung einer epidemischenVerbreitung der Krankheit im öffentlichen Interesse liegt. In [X.] hat zwar durch die Gesundheitsbehörden eine Abwägung zwi-schen den Risiken der Impfung für den einzelnen und seine Umgebung auf dereinen und den der Allgemeinheit und dem einzelnen drohenden Gefahren [X.] der Nichtimpfung auf der anderen Seite bereits stattgefunden. Das ändertaber nichts daran, daß die Impfung gleichwohl freiwillig ist und sich der [X.] daher auch dagegen entscheiden kann. Dieser muß sich [X.] nur über die Freiwilligkeit der Impfung im Klaren sein (vgl. [X.], [X.] 26. Januar 1959 aaO), was hier in bezug auf die Mutter der Klägerin nichtin Zweifel gezogen wird. Er muß auch eine Entscheidung darüber treffen, ob erdie mit der Impfung verbundenen Gefahren auf sich nehmen soll oder nicht.Das setzt die Kenntnis dieser Gefahren, auch wenn sie sich nur äußerst seltenverwirklichen, voraus; diese muß ihm daher durch ärztliche Aufklärung vermit-telt werden.3. Der [X.] tritt dem Berufungsgericht auch darin bei, daß die schriftli-chen Hinweise zur Impfung gegen Kinderlähmung in dem [X.], das [X.] der Klägerin ausgehändigt wurde, inhaltlich nicht zu beanstanden [X.]) Das [X.] enthält in bezug auf die Poliomyelitis folgende Beleh-rung:Kinderlähmung ist eine Viruserkrankung, die zu bleibenden Lähmungen undsogar zum Tode führen kann. Eine ursächliche Behandlung gibt es nicht. [X.] der Impfung gab es jährlich tausende von Erkrankungen und hun-derte von Todesfällen. Die Impfung wird als Schluckimpfung mit abge-- 9 -schwächten, lebenden [X.] in der Regel dreimal in den ersten beiden Le-bensjahren durchgeführt. Eine Auffrischungsimpfung sollte nach 10 [X.].Nebenwirkungen: Die Impfung wird normalerweise komplikationslos vertra-gen. Öfters werden als normale Reaktion breiige Stühle beobachtet, seltentreten fieberhafte Reaktionen auf, extrem selten Lähmungen (1 Fall auf [X.]) Der darin enthaltene Hinweis auf die Gefahr des Auftretens von [X.] war ausreichend.aa) Er umfaßte zunächst das Risiko einer durch die Verabreichung vonLebendviren verursachten Kinderlähmung (sog. Impf-Poliomyelitis). Zu Unrechtbemängelt die Revisionserwiderung den unterlassenen Hinweis darauf, [X.], insbesondere eine schlaffe Lähmung der Beine auch durch dassogenannte Guillain-Barré-Syndrom auftreten könnten, bei dem es sich [X.] um eine gefürchtete Folge der Impfung mit lebenden Polioviren handele.Nach der Rechtsprechung des [X.]s braucht der Patient nur "im großen undganzen" über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt zu werden.Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in [X.] ([X.]Z 90, 103, 106 sowie [X.]surteile vom 12. März1991 - VI ZR 232/90 - [X.], 777; vom 26. November 1991 - [X.]/90 - [X.], 238, 240). Der Hinweis auf Lähmungen umfaßte [X.] solche aufgrund des [X.], so daß eine [X.] hierüber nicht geboten war.Soweit die Revisionserwiderung zusätzliche Risiken anspricht (Meningo-Encephalitis, Krampfanfälle etc., vgl. OLG Stuttgart MedR 2000, 35), über dienicht aufgeklärt worden sei, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Hat sich- 10 -nämlich wie im Streitfall gerade dasjenige Risiko verwirklicht, über das [X.] werden mußte und tatsächlich auch aufgeklärt worden ist, so spielt es re-gelmäßig keine Rolle, ob bei der Aufklärung auch andere Risiken der [X.] bedurften. Vielmehr hat der Patient in Kenntnis des verwirklichten [X.] Einwilligung gegeben, so daß von daher aus dem Eingriff keine Haftunghergeleitet werden kann. Überlegungen dazu, ob er die Zustimmung bei [X.] auf ein anderes Risiko möglicherweise versagt hätte, sind notwendiger-weise spekulativ und können deshalb nicht Grundlage für einen Schadenser-satzanspruch sein.bb) Der [X.] vermag der Revisionserwiderung auch nicht darin zu [X.], daß die Belehrung in dem [X.] das Risiko der Erkrankung an [X.], vor dem die Impfung schützen soll, in unzutreffender Weise dra-matisiert habe, weil der Eindruck erweckt werde, die Impfung mit lebenden Vi-ren sei erforderlich, um eine Erkrankung an Poliomyelitis, unter Umständen mittödlicher Folge, zu vermeiden. Es ist zwar richtig, daß in dem [X.] nur vonder Vielzahl von Erkrankungen und Todesfällen vor Einführung der Schluck-impfung die Rede ist, von dem inzwischen eingetretenen Rückgang der Er-krankungsgefahr infolge der jahrzehntelangen [X.] dagegen nichts [X.] wird. Doch ist der Mutter der Klägerin deswegen keine unrichtige Vor-stellung von der [X.] vermittelt worden.Der Grund für die Einführung der Schluckimpfung mit Lebendviren [X.] 1962 bestand darin, daß die übertragbare Kinderlähmung in [X.] Maße die Gesundheit der Bevölkerung in der [X.] ein ausreichender Schutz dagegen durch die bis dahin übliche Impfung miteinem injizierten Impfstoff, der nur nicht vermehrungsfähige, inaktivierte Polio-viren ([X.]) enthielt, nicht erreicht werden konnte (Begründung des [X.] -rungsentwurfs zur Änderung des [X.] 1963, BT-Drucks. IV/3097 [X.] änderte sich, als ein Impfstoff zur Verfügung stand, der aus lebenden, ab-geschwächten Polioerregern bestand und oral zu sich genommen werdenkonnte (orale Polio-Vakzine [[X.] in der Folgezeit durchgeführten Schluckimpfungen führten nach [X.] des Berufungsgerichts in [X.] dazu, daß die auto-chthone Poliomyelitis, d.h. die durch Wildviren verursachte Kinderlähmung er-heblich zurückging. Seit 1986 wird [X.] als poliofrei angesehen[X.]/Thilo, [X.].[X.]. 1998, [X.]). Daraus erwuchs die Erkenntnis, daß [X.], an einer durch Impfung mit Lebendviren ausgelösten Kinderlähmung zuerkranken, höher war als das einer Infektion durch Wildviren, die wenigen in[X.] festgestellten Polioerkrankungen also ausschließlich durch [X.] mit Lebendviren herbeigeführt worden waren. Die [X.] änderte [X.] ihre Impfempfehlung: Sie empfahl - wegen des Risikos einer "vakzineas-soziierten paralytischen" Poliomyelitis- nicht mehr wie bisher den [X.] ([X.]), sondern nur einen "zu injizierenden Impfstoff, inakti-vierte Polio-Vakzine ([X.]), mit gleicher Wirksamkeit" ([X.]. 1998, 312,319).Diese Gegebenheiten lassen jedoch entgegen der Auffassung der Revi-sionserwiderung nicht den Schluß zu, der Mutter der Klägerin sei über denNutzen und die Gefahrträchtigkeit der Schluckimpfung für sich selbst und fürdie Allgemeinheit ein unzutreffender Eindruck vermittelt worden. Aus dem [X.] auf die Häufigkeit von Erkrankungen vor Einführung der Impfung folgt fürden Leser keineswegs, daß die Gefahr in unvermindertem Ausmaß fortbesteht,seitdem die Bevölkerung überwiegend gegen Poliomyelitis geimpft wird. [X.] liegt vielmehr [X.] ist zu beachten, daß die Empfehlungen der [X.] nach [X.] des sachverständig beratenen Berufungsgerichts medizinischerStandard sind. Da die [X.] daher auch im hier maßgeblichen [X.]raum [X.] 1994 die Impfung ab dem dritten Lebensmonat unter Anwendung desoralen Polio-Impfstoffs empfahl ([X.]. 1994, 85) und die zuständigenGesundheitsbehörden der Länder dem folgend diese Impfmethode gemäß § 14Abs. 3 [X.] öffentlich empfahlen, war dies für den jeweiligen [X.]. Für ihn bedeuteten derartige Empfehlungen, daß das Verhältniszwischen Nutzen und Schadensrisiko für den [X.] von diesen Gremien be-reits abgewogen war, mögen dabei auch epidemiologische Gesichtspunkte ei-ne Rolle gespielt haben, die freilich auch für den einzelnen [X.] nicht ohneBedeutung sind. Dementsprechend durfte auch die Beklagte mangels gegen-teiliger Erkenntnis von einem überwiegenden Nutzen der Schluckimpfung [X.] zum Risiko einer Erkrankung ausgehen.c) Die Aufklärung in dem [X.] war auch nicht deshalb unzurei-chend, weil darin nicht auf die Möglichkeit einer Impfung mit einem anderenImpfstoff als mit lebenden Polioerregern, bei dem die Gefahr einer Impf-Poliomyelitis nicht besteht, hingewiesen wurde.aa) Es bestand zwar, wie bereits ausgeführt, seit langem die [X.], die Impfung gegen Kinderlähmung auch mit einem aus abgetöteten Polio-erregern bestehenden Impfstoff ([X.]) vorzunehmen, der medizinisch anerkanntund nach der [X.]-Empfehlung 1998 von "gleicher Wirksamkeit" war. [X.] die [X.], wie aus der Impfempfehlung 1994 hervorgeht, den inaktivier-ten anstelle von oralem Polioimpfstoff nur bei Personen mit Immundefizienz(angeborener oder infolge immunsuppressiver Therapie oder HIV-Infektionu.a.) für indiziert (aaO S. 85). In den [X.]-Empfehlungen 1991 war die [X.]-- 13 -Impfung dagegen überhaupt noch nicht als in Betracht kommend erwähnt [X.]; sie tauchte nur bei den sich anschließenden Hinweisen des Bundesge-sundheitsamtes auf ([X.]. 1991, 384, 387 f.).Im Normalfall entsprach somit im Jahr 1994 die Impfung mit [X.] demmedizinischen Standard. Die Beklagte brauchte daher die Mutter der Klägerinauch nicht auf die Möglichkeit einer Impfung mit [X.] hinzuweisen.bb) Allerdings muß der Arzt den Patienten nach der Rechtsprechung des[X.]s dann auf die Möglichkeit einer anderen Behandlung hinweisen, wennernsthafte Stimmen in der medizinischen Wissenschaft gewichtige Bedenkengegen eine zum Standard gehörende Behandlung und die damit verbundenenGefahren äußern (Urteil vom 27. September 1977 - [X.] - VersR1978, 41, 42; vom 21. November 1995 - [X.] - [X.], 233). [X.] Grundsätze hätten entsprechend auch dann zu gelten, wenn wegen verän-derter Impfsituation Zweifel an der Notwendigkeit der Schluckimpfung mit [X.] [X.] aufgekommen wären und die Auffassung vertreten worden wäre,daß der [X.] unter Vermeidung der mit der bisherigen Impfmethode [X.] Gefahren auch durch eine Impfung mit abgetöteten Polioerregernerreicht werden könnte. Eine dahingehende Aufklärung konnte von der [X.] hier jedoch nicht erwartet werden, denn das Berufungsgericht hat un-angegriffen festgestellt, daß die Diskussion um die Zweckmäßigkeit von Po-lioimpfungen mit Lebendviren, die 1998 schließlich zu einer Änderung [X.] von seiten der [X.] führte, erst nach 1994 eingesetzt habe.d) Mit Recht macht die Revisionserwiderung allerdings geltend, daß die[X.] nach dem bereits mehrfach erwähnten Urteil des [X.] in [X.]Z 126, 386 auf die Gefahr der Ansteckung von [X.] mit Lebendviren geimpften Klägerin hätte hinweisen müssen, was hier nicht- 14 -geschehen ist. Dieses Versäumnis hat jedoch nicht zur Folge, daß die von [X.] der Klägerin erklärte Einwilligung in die Impfung unwirksam war. [X.] über die für Kontaktpersonen bestehende Ansteckungsgefahr [X.] der dem Patienten geschuldeten therapeutischen Aufklärung. [X.] stellt daher einen Behandlungsfehler dar, der Schadensersatz-ansprüche von seiten geschädigter Dritter auslösen kann ([X.]Z 126, 386,388). Um solche Ansprüche geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht.4. [X.] begegnet hingegen die Auffassung [X.], die Aufklärung könne im Hinblick auf die Art und Weise, wiesie hier vorgenommen worden sei, nicht als rechtzeitig angesehen werden.a) Das Berufungsgericht stellt, was die Revision nicht angreift, fest, daßdie Mutter der Klägerin erstmals bei der Vorsorgeuntersuchung [X.] am 11. [X.] mit der Frage der Impfung konfrontiert worden sei. Die Aufklärung unmit-telbar vor der Impfung durch Aushändigung des [X.]s, das die Mutter- wie das Berufungsgericht ebenfalls unangegriffen feststellt - im [X.], hält das Berufungsgericht nicht für rechtzeitig, zumal die Mutter durch [X.] auf dem Arm abgelenkt gewesen sei und daher die Möglichkeit be-stehe, daß ihr zu einer reiflichen Überlegung nicht genügend [X.] gebliebensei. Nach Auffassung des Berufungsgerichts wäre es für eine ordnungsgemä-ße, rechtzeitige Aufklärung geboten gewesen, der Mutter das [X.] schonbei der Untersuchung [X.] im März 1994 oder bei einem der weiteren Besuchezu übergeben und es ihr zu belassen, um es zu Hause in Ruhe zu lesen, oderaber bei der Untersuchung [X.] einen gesonderten Termin für die erste [X.] 15 -b) Damit überspannt das Berufungsgericht, wie die Revision zu [X.], die Anforderungen an eine rechtzeitige Aufklärung bei einer Routineimp-fung.Nach gefestigter Rechtsprechung reicht bei ambulanten Eingriffengrundsätzlich eine Aufklärung am Tage des Eingriffs aus ([X.]surteile vom14. Juni 1994 - [X.] - [X.], 1235, 1236; vom 4. April 1995- VI ZR 95/94 - [X.], 1055, 1057; vom 14. November 1995 - [X.] - [X.], 195, 197). Das gilt nur dann nicht, wenn die [X.] so unmittelbar vor dem Eingriff erfolgt, daß der Patient unter dem Eindrucksteht, sich nicht mehr aus einem bereits in Gang gesetzten Geschehensablauflösen zu können (z.B. Aufklärung unmittelbar vor der Tür zum [X.] hier vorgenommene Mehrfachimpfung erforderte keine Aufklärungzu einem früheren, von der Impfung abgesonderten [X.]punkt. [X.] nicht, wie es das Berufungsgericht für geboten hält, verlangt werden, das[X.] der Mutter mit nach Hause zu geben, damit sie es dort in Ruhe lesenund bedenken konnte, und die Impfung alsdann in einem gesonderten [X.]. Dadurch werden an den Arzt überzogene Anforderungen ge-stellt.Die Schluckimpfung stellte, auch wenn sie nicht völlig risikolos war, [X.] nicht vor schwierige Entscheidungen, die erst einer gründlichen Abwä-gung und reiflichen Überlegung bedurft hätten. Es handelte sich, wie bemerkt,um eine Routineimpfung, bei der den Eltern der [X.] der von den Gesundheitsbehörden vorgenommenen Abwägung des [X.] Wider und der von ihnen ausgesprochenen Impfempfehlung weitgehendabgenommen war. Die Notwendigkeit der Impfung war in der Bevölkerung seitlangem allgemein anerkannt und wurde von den Eltern bei ihren Kindern zur- 16 -Vermeidung der gefürchteten Kinderlähmung allseits veranlaßt. Bei [X.] konnte die Beklagte davon ausgehen, daß auch die Mutter der Klä-gerin mit der Impfung vertraut und über die allseits akzeptierte [X.] war. Sollte der Sorgeberechtigte in einem solchen Fall ausnahmswei-se eine Bedenkzeit wünschen, so kann von ihm erwartet werden, daß er diesgegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt und eine sofortige Impfung ablehnt.c) Die der Mutter der Klägerin zuteil gewordene Aufklärung war [X.] deshalb unzureichend, weil die Beklagte sie nicht in einem persönlichenGespräch über die Impfung und deren Risiko aufgeklärt hat.Nach der Rechtsprechung des [X.]s bedarf es allerdings zum [X.] Aufklärung des "vertrauensvollen Gesprächs zwischen Arzt und [X.] vom 8. Januar 1985 - [X.] - [X.], 361, 362). Das schließtjedoch keineswegs die Verwendung von Merkblättern aus, in denen die not-wendigen Informationen zu dem Eingriff einschließlich seiner Risiken schriftlichfestgehalten sind. Derartige schriftliche Hinweise sind heute weitgehend üblichund haben den Vorteil einer präzisen und umfassenden Beschreibung des [X.] sowie der für den Arzt wesentlichen Beweisbarkeit. [X.] insbesondere bei [X.], also auch bei öffentlich empfoh-lenen Schutzimpfungen am Platze.Freilich vermögen solche Merkblätter nicht das erforderliche [X.] zu ersetzen ([X.]surteil vom 8. Januar 1985 aaO), in dem sich [X.] davon überzeugen muß, ob der Patient die schriftlichen Hinweise gelesenund verstanden hat, und das ihm die Möglichkeit gibt, auf die individuellen Be-lange des Patienten einzugehen und eventuelle Fragen zu [X.] 17 -Doch gebietet dieses Erfordernis eines Aufklärungsgesprächs, an demgrundsätzlich festzuhalten ist, nicht in jedem Fall eine mündliche Erläuterungder Risiken. Unter Umständen, wie sie beim vorliegenden Sachverhalt im [X.] auf den [X.] der öffentlich empfohlenen Impfung gegebensind, kann der Arzt ausnahmsweise davon ausgehen, daß der Patient auf einezusätzliche gesprächsweise Risikodarstellung keinen Wert legt. Bei derartigenRoutinemaßnahmen kann es genügen, wenn dem Patienten nach schriftlicherAufklärung Gelegenheit zu weiteren Informationen durch ein Gespräch mit [X.] gegeben wird. Das entspricht auch den Empfehlungen der [X.] von1998 zur Aufklärungspflicht vor Schutzimpfungen ([X.]. 1998, 312). [X.] Impfung in öffentlichen [X.] oder wie hier als Einzelimpfung vor-genommen wird, ist dabei nicht von maßgeblicher Bedeutung.Gelegenheit zu einem Gespräch ist der Mutter der Klägerin im [X.] Fall gegeben worden. Nach den Feststellungen des [X.] die Beklagte sie beim Eintritt in das Behandlungszimmer, ob sie das[X.] gelesen habe, was sie bejahte. Im Anschluß an die [X.] Säuglings erklärte die Beklagte, man könne jetzt impfen, wenn die Mutteres wolle. Damit war der Klägerin in ausreichender Weise Gelegenheit gege-ben, weitere Fragen zu der bevorstehenden Impfung zu stellen, wenn sie diesgewollt hätte. Bei einer Routineimpfung wie hier durfte die Beklagte bei [X.], man könne jetzt die Impfung vornehmen, erwarten, daß die Muttereinen etwaigen Wunsch nach weiterer Aufklärung zu erkennen gibt. [X.] sie aus dem Schweigen entnehmen, daß ein derartiges Bedürfnis nichtbestand. Ebenso konnte sie erwarten, daß die Mutter spätestens bei dieserGelegenheit darauf hinweisen würde, daß sie bei der Lektüre des [X.]sdurch den Säugling auf ihrem Arm, wie das Berufungsgericht verfahrensfehler-frei feststellt, abgelenkt [X.] 18 -War danach die Art und Weise der Aufklärung bei der [X.] 11. Mai 1994 unter den hier gegebenen Umständen nicht zu beanstanden,kommt es auf die Rüge der Revision, jedenfalls habe die Mutter bis zur zweitenImpfung am 13. Juni 1994, die für den Impfschaden ursächlich war, ausrei-chend [X.] für eine freie Entscheidung gehabt, nicht mehr an. Entgegen [X.] der Revisionserwiderung bedurfte es vor der zweiten Impfung [X.] erneuten Aufklärung darüber, daß der von der [X.] empfohlene [X.] zwischen den beiden Impfungen nicht eingehalten war, denn das [X.] beratene Berufungsgericht hat - dem landgerichtlichen Urteil [X.]d - verfahrensfehlerfrei festgestellt, daß diese Abweichung unbedeutend[X.] 19 -III.Nach alledem ist das angefochtene Urteil auf die Revision der [X.]aufzuheben und - da weitere Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen -das klagabweisende Urteil des [X.]s wiederherzustellen.[X.]Dr. v. [X.] [X.] [X.] Wellner

Meta

VI ZR 48/99

15.02.2000

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.02.2000, Az. VI ZR 48/99 (REWIS RS 2000, 3135)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2000, 3135

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