Bundessozialgericht, Urteil vom 07.04.2011, Az. B 9 VJ 1/10 R

9. Senat | REWIS RS 2011, 7772

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Impfschadensrecht - Schutzimpfung - Impfkomplikation - Impfschaden - Ursachenzusammenhang - wesentliche Bedingung - Wahrscheinlichkeit - medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand - generelle Tatsache - Rechtstatsache


Leitsatz

Im Impfschadensrecht sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands bezogen auf den konkret verwendeten Impfstoff zu beantworten.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 11. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger an einem entschädigungspflichtigen Impfschaden leidet.

2

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24.10.1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einem Sauerstoffmangel und einer Säureüberladung (perinatale Asphyxie). Am [X.] erhielt der Kläger die im [X.] öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen Diphtherie und Tetanus (Kombination) sowie gegen Poliomyelitis (oral). Zwei Wochen nach dieser Impfung sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen; nach einigen Minuten setzte eine Erholung ein; Fieber und Krämpfe traten nicht auf. Nach Angaben seiner Mutter hat sich das Kind nicht mehr vollständig erholt. Ende 1986 wurde beim Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30.4.1987.

3

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von nunmehr 100 anerkannt.

4

Im März 2001 stellte der Kläger bei dem beklagten Land einen Antrag auf Leistungen wegen eines Impfschadens. Daraufhin holte dieses ein nervenärztliches Gutachten von [X.] ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom [X.] ab. Auf der Grundlage einer nervenärztlichen Stellungnahme von Dr. M. wies der Beklagte den Widerspruch des [X.] mit Widerspruchsbescheid vom 15.8.2003 zurück, weil ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich aber nicht wahrscheinlich sei. Überwiegend wahrscheinlich sei, dass für die Erkrankung andere Faktoren, wie die Frühgeburt und Auffälligkeiten in der Schwangerschaft, ausschlaggebend gewesen seien.

5

Der Kläger hat daraufhin beim [X.] ([X.]) Klage erhoben. Dieses hat verschiedene ärztliche Unterlagen sowie von Amts wegen ein pädiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. [X.] vom 2.1.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14.6.2005 eingeholt. Dieser ist - vorbehaltlich der Richtigkeit der Schilderung der Mutter des [X.] betreffend das Ereignis zwei Wochen nach der Impfung - zu dem Ergebnis gelangt, dass die perinatale Asphyxie (lediglich) zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe. Die ab Mai 1986 ersichtlichen schweren neurologischen Störungen (Cerebralparese) seien überwiegend als Impfschadensfolge einzuordnen.

6

Der Beklagte hat demgegenüber ein nach Aktenlage erstattetes Gutachten des Prof. Dr. S. Facharzt für Mikrobiologie und Kinder-/Jugendmedizin - vom 21.2.2005 mit ergänzender Stellungnahme vom [X.] vorgelegt. Dieser hat die Auffassung vertreten, dass das Krankheitsbild des [X.] plausibel auf die perinatale [X.] zurückzuführen sei und eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der [X.] höchst unwahrscheinlich sei. Im [X.] daran hat das [X.] die Mutter des [X.] als Zeugin über den Zwischenfall zwei Wochen nach dem [X.] vernommen und danach ein weiteres Gutachten von Amts wegen eingeholt und zwar von Prof. [X.] Unter dem 27.11.2006 ist dieser Sachverständige ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die vorliegende Cerebralparese mit bestimmten Störungen bzw Behinderungen überwiegend wahrscheinlich durch die perinatale Asphyxie verursacht worden sei, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung bestehe.

7

Durch Urteil vom 10.5.2007 hat das [X.] den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom [X.] unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von [X.] zu gewähren. Es hat seine Entscheidung auf folgende Erwägungen gestützt: Der Kläger sei am 13. oder 14. Tag nach der Impfung auf dem Arm der Mutter plötzlich schlaff geworden und mit halb geschlossenen Augen im Gesicht bleich gewesen, er habe sich danach zwar erholt, aber nicht mehr wie zuvor bewegt. Zur Frage der Verursachung sei der Auffassung von Prof. [X.] zu folgen. Die anders lautenden Beurteilungen der übrigen Sachverständigen seien nicht überzeugend. Die MdE von [X.] ergebe sich daraus, dass der mit [X.] zu bewertende dauerhafte Gesundheitsschaden des [X.] nach der Beurteilung von Prof. [X.] zu zwei Dritteln durch die Impfung am [X.] verursacht worden sei.

8

Im anschließenden Berufungsverfahren hat der Kläger hilfsweise beantragt, durch Anfrage bei der [X.] ([X.]) die Tatsache zu erweisen, dass die heute verwendeten Impfstoffe gegen Polio, Diphtherie und Tetanus nicht identisch sind mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen, sowie zum Beweis der Tatsache, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können, ein medizinisches Sachverständigengutachten eines erfahrenen klinisch tätigen Arztes einzuholen, der über Erfahrungen auch zu Impfungen in den achtziger Jahren verfügt.

9

Das [X.] (L[X.]) hat das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Anspruchsvoraussetzungen nach den im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des bis zum 31.12.2000 geltenden § 51 Abs 1 Satz 1 Bundesseuchengesetz ([X.]) und des am 1.1.2001 in [X.] getretenen § 60 Abs 1 Satz 1 [X.] (If[X.]) seien nicht erfüllt. Danach sei der Nachweis einer schädigenden Einwirkung (der Impfung), einer gesundheitlichen [X.] in Form einer unüblichen Impfreaktion und der Schädigungsfolgen (Dauerleiden) erforderlich. Für die jeweiligen Kausalzusammenhänge reiche eine Wahrscheinlichkeit aus.

Der dauerhafte Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese sei hier nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die Impfung zurückzuführen, weil sich ein Impfschaden als [X.] nicht habe nachweisen lassen. Welche Impfreaktionen als Impfschäden anzusehen seien, lasse sich den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im [X.] Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht ([X.]) in ihrer jeweils geltenden Fassung entnehmen. Bezogen auf den [X.] ab Antragstellung im April 2001 sei grundsätzlich die [X.] [X.] in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 heranzuziehen, die für die einzelnen Schutzimpfungen die üblichen Impfreaktionen von den Impfschäden abgrenze. Eine Änderung sei mit den [X.] 2008 eingetreten, in welchen von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen worden sei. Vielmehr habe [X.] Satz 1 [X.] 2008 auf die im [X.] ([X.]) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem [X.] eingerichteten [X.] verwiesen, die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelten. Nach [X.] Satz 2 [X.] 2008 stellten diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Hieran habe sich auch mit Inkrafttreten der [X.] ([X.]) zum 1.1.2009 nichts geändert, denn die [X.] bis 143 [X.] 2008 behielten auch nach Inkrafttreten der [X.] weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten ([X.], [X.] zu § 2 [X.]).

Die aktuellen Mitteilungen der [X.] von Juni 2007 ([X.] Nr 25/2007, 209 ff), die zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen von Schutzimpfungen enthielten, seien gleichwohl zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Bei den einzelnen Impfstoffen würden jeweils in dem mit "Komplikationen" bezeichneten Abschnitt in zeitlichem Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Erkenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei.

Im Streit stehe der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des [X.] im Sinne einer Verschlimmerung, nicht im Sinne der Entstehung. Nach Nr 42 Abs 1 Satz 3 [X.] 2008 bzw nach Teil [X.] 3 Anlage zur [X.] komme, sofern zur [X.] der Einwirkung des schädigenden Vorgangs bereits ein einer Gesundheitsstörung zugehöriges pathologisches physisches oder psychisches Geschehen, wenn auch unbemerkt, vorhanden gewesen sei, eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung in Frage, falls die äußere Einwirkung den [X.]punkt vorverlegt habe, an dem das Leiden sonst in Erscheinung getreten wäre, oder das [X.] in schwererer Form aufgetreten sei, als es sonst zu erwarten gewesen wäre.

Bei dem Kläger liege nach Einschätzung aller Gutachter ein durch die [X.] hervorgerufener Hirnschaden vor. Einigkeit bestehe auch darüber, dass derartige frühkindliche Schäden sich oft verspätet in Gestalt einer Spastik manifestierten. [X.] des Rechtsstreits sei die Frage, ob ein bestimmter Anteil der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese auf die Impfung zurückzuführen sei. Ein derartiger Zusammenhang sei indessen nicht hinreichend wahrscheinlich, weil es am Nachweis eines Impfschadens (atypische Impfreaktion als [X.]) fehle.

In den Mitteilungen der [X.] von Juni 2007 seien für die Verwendung des [X.]Impfstoffs sowie für die Verwendung des [X.] gegen Diphtherie und Tetanus spezifische Komplikationen aufgezählt, die sämtlich beim Kläger nicht aufgetreten seien. Insbesondere habe keiner der Sachverständigen eine Erkrankung des peripheren Nervensystems diagnostiziert.

Soweit der Kläger die Mitteilungen der [X.] für nicht maßgebend halte, weil sie sich auf die heute verwendeten Impfstoffe gegen Poliomyelitis, Diphtherie und Tetanus bezögen, die nicht identisch mit den bei ihm verwendeten Impfstoffen seien, komme es auf seinen entsprechenden Beweisantrag nicht an. Selbst wenn man unterstelle, dass die Empfehlungen der [X.] Impfungen mit anderen als den damals bei dem Kläger verwendeten Impfstoffen beträfen, sei der ursächliche Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung weiterhin nicht hinreichend wahrscheinlich.

In diesem Fall wären die [X.] 2005 heranzuziehen, deren Voraussetzungen nicht erfüllt seien. [X.] Abs 12 und 13 [X.] 2005 nenne für [X.] und Tetanusschutzimpfungen spezifische Erscheinungen als Impfschäden, die bei dem Kläger nach Beurteilung des Sachverständigen Prof. [X.] nicht aufgetreten seien. Der von diesem als zentralnervöser Zwischenfall bezeichnete Vorgang zwei Wochen nach der Impfung sei keine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) gewesen. Die von Prof. Dr. S. genannten typischen Merkmale einer schweren ZNS-Erkrankung fehlten beim Kläger. Selbst wenn man die vom Kläger unter Beweis gestellte Behauptung, dass Erkrankungen des zentralen Nervensystems gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten könnten, als wahr unterstellte, ändere dies nichts daran, das vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems gerade nicht positiv festgestellt werden könne. Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge aber für die Anerkennung eines Impfschadens nicht. Der nach den [X.] 2005 erforderliche Nachweis einer Antikörperbildung möge heute noch möglich sein, sei aber nicht zielführend, weil hierdurch lediglich eine durchgeführte Impfung bestätigt würde und nicht mehr geklärt werden könne, welche der drei Impfungen des [X.] diesen Zustand herbeigeführt habe. Im Übrigen schieden andere Ursachen der Erkrankung nicht aus. Es bestehe weiterhin die Möglichkeit, dass die Cerebralparese allein auf die [X.] zurückzuführen sei.

Hinsichtlich der Erkrankungen, bei denen aufgrund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang mit der Poliomyelitisschutzimpfung als überwiegend wahrscheinlich anzusehen sei, sei - wovon auch die Beteiligten ausgingen - auf die [X.] 2005 abzustellen. Die Mitteilungen der [X.] von Juni 2007 enthielten offensichtlich lediglich Angaben zu [X.], die neben [X.], [X.] und [X.] weitere Impfstoffe insbesondere gegen [X.], Influenza und Hepatitis B, enthielten. Als Impfschäden nach einer Poliomyelitisschutzimpfung seien in [X.] Abs 2 [X.] 2005 verschiedene Erkrankungen genannt, insbesondere poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens sechs Wochen Dauer. In keinem der vorliegenden Gutachten sei erwähnt, dass der Kläger an einer derartigen Impfpoliomyelitis erkrankt gewesen sei. Ebenso wenig seien Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom vorhanden. Schließlich seien beim Kläger auch weder eine Meningoenzephalitis noch die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens diagnostiziert worden. Die von Prof. [X.] angenommene Encephalopathie sei nach den [X.] 2005 nur nach [X.]- und Pockenschutzimpfungen als Impfschaden genannt, die beim Kläger nicht vorgenommen worden seien.

Mit der vom L[X.] wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, das L[X.] habe materielles und formelles Recht verletzt.

Verletzt sei § 51 Abs 1 Satz 1 [X.] bzw § 60 Abs 1 Satz 1 If[X.]. Das L[X.] habe bei ihm das Vorliegen einer gesundheitlichen Schädigung durch die Dreifachschutzimpfung, dh eine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung und damit einen dauerhaften Impfschaden, zu Unrecht verneint, weil es verkannt habe, dass es für die Anerkennung einer unüblichen Impfreaktion und eines Impfschadens nach einer [X.] im Jahre 1986 weiterhin auf den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu unüblichen Impfreaktionen auf die 1986 verwendeten Impfstoffe ankomme. Stattdessen sei das L[X.] von den Hinweisen der [X.] von 2007 ausgegangen, die über unübliche Impfreaktionen auf die aktuell verwendeten Impfstoffe informierten, ohne aufgeklärt zu haben, ob es sich bei diesen Impfstoffen um die gleichen handele, die bei seiner [X.] 1986 verwendet worden seien, oder ob sie sich unterschieden. Außerdem sei das L[X.] von einem unzutreffenden Verständnis der medizinischen Voraussetzungen, dh der Krankheitsbilder, ausgegangen.

Damit habe das L[X.] die [X.] "aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand" sowie die ebenfalls als [X.] anzusehenden Krankheitsbegriffe "akut entzündliche Erkrankungen des Zentralen Nervensystems" sowie "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" verkannt. Nach der Rechtsprechung des [X.] - B[X.] - (Hinweis auf das Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R -) würden wissenschaftliche Erkenntnisse über medizinische Ursachen- und Wirkungszusammenhänge nicht mehr als Tatsachenfeststellungen iS von § 163 [X.]G gewertet, weil sie keine Tatsachen des Einzelfalles seien, sondern allgemeine (generelle) Tatsachen, die für alle einschlägigen (dort [X.]) Fälle von Bedeutung seien. Es gehe nicht nur um die Anwendung allgemeiner oder spezieller Erfahrungssätze auf einen konkreten Sachverhalt, sondern um sog [X.], die für die Auslegung dh für die Bestimmung des Inhalts einer Rechtsnorm benötigt würden.

Aus den tatsächlichen Feststellungen zu seinem Zusammenbruch Ende April 1986 und zu seiner Entwicklung vor und nach der Impfung folge jedoch, dass es bei ihm zu einer unüblichen Impfreaktion gekommen sei, nämlich zu einer Enzephalopathie (möglicher Diphtherieimpfschaden gemäß den [X.] 1983) bzw zu einer nicht poliomyelitischen Erkrankung am ZNS (möglicher Impfschaden nach der [X.] gemäß den [X.] 1983) bzw zu einer akut entzündlichen Erkrankung des ZNS (möglicher Impfschaden nach der [X.] gemäß [X.] 2005).

Das L[X.] habe die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Bei den [X.] "aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand", "akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems" und "Ätiologie und Pathogenese der Cerebralparese" handele es sich um allgemeine Erfahrungssätze, deren Verkennung eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung beinhalte.

Verstoßen habe das L[X.] gegen den Erfahrungssatz, dass die Impffolgen abhängig von den verwendeten Impfstoffen seien. Zudem habe das L[X.] bei der Deutung der Krankheitsbilder gegen medizinische Erfahrungssätze verstoßen. Das L[X.] habe weiter seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen, insbesondere den Sachverhalt nicht vollständig erfasst bzw ermittelt. So habe es sich nicht veranlasst gesehen, seinem - des [X.] - Beweisantrag zum Fehlen einer Identität der 1986 und heute verwendeten Impfstoffe zu folgen. Diesen und den weiteren Beweisantrag zur Möglichkeit einer Erkrankung des ZNS bei immunologisch unreifen Kindern ohne Fieberausbrüche habe das L[X.] mit der Begründung abgelehnt, dass eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber habe der Sachverständige Prof. [X.] durchaus eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS bejaht. Schließlich habe das L[X.] seine Pflicht zur Auseinandersetzung mit (sich) widersprechenden Gutachten dadurch verletzt, dass es dem Gutachten des Prof. Dr. S. hinsichtlich des [X.] einer akut entzündlichen ZNS-Erkrankung gefolgt sei, ohne sich mit den gegenteiligen Ausführungen des Prof. [X.] auseinander zu setzen und ohne darzulegen, aufgrund welcher Sachkunde es dem Gutachten von Prof. Dr. S. folge und worauf diese Sachkunde beruhe.

Auf diesen Verfahrensfehlern beruhe die Entscheidung des L[X.], dass ein Zusammenhang des Leidens der Tetraplegie mit der [X.] nicht wahrscheinlich sei, weil es am Nachweis eines Impfschadens fehle und im Übrigen andere Ursachen der Erkrankung nicht ausschieden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] vom 11. März 2010 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Mai 2007 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision des [X.] zurückzuweisen.

Er schließt sich dem angefochtenen Urteil an.

Der Senat hat eine Auskunft des [X.] vom 6.4.2011 mit einer Auflistung der seit 1979 zugelassenen Polio Oral-Impfstoffe sowie der Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus eingeholt und den Beteiligten ausgehändigt.

Entscheidungsgründe

1. Die Revision des [X.] ist zulässig.

a) Es kann dahinstehen, ob der Kläger mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat, wenn er geltend macht, das [X.] habe generelle "[X.]" verkannt. Es spricht zunächst nichts dagegen, die in den [X.] 1983 bis 2005 unter [X.] für Schutzimpfungen ausgeführten Erkenntnisse zu üblichen Impfreaktionen und "Impfschäden" als generelle Tatsachen anzusehen. Zutreffend hat der Kläger insoweit auf das Urteil des 2. [X.]s des [X.] vom 27.6.2006 ([X.], 291 = [X.]-2700 § 9 [X.]) zum Berufskrankheitenrecht hingewiesen. Auch der erkennende [X.] ist bereits im Bereich des Schwerbehindertenrechts davon ausgegangen, dass generelle Tatsachen vorliegen, soweit es um allgemeine medizinische Erkenntnisse geht ([X.] Urteil vom 24.4.2008 - [X.]/9a [X.] - [X.]-3250 § 69 [X.] Rd[X.] 28). Nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.] führt die Annahme, dass ein bestimmter Umstand nicht (nur) einzelfallbezogene Tatsache ist, sondern eine generelle Tatsache darstellt, indes nur zur Durchbrechung der nach § 163 [X.]G angeordneten strikten Bindung des [X.] an die tatsächlichen Feststellungen des [X.] verbunden mit der Befugnis bzw der Aufgabe für das Revisionsgericht, entsprechende generelle Tatsachen selbst zu ermitteln und festzustellen ([X.] aaO). Die Nichtberücksichtigung genereller Tatsachen durch das Berufungsgericht bewirkt damit nicht unmittelbar eine Verletzung materiellen Rechts.

Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn es um die unterlassene oder die fehlerhafte Berücksichtigung von generellen [X.] geht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar mag eine im og Sinne generelle Tatsache dann als Rechtstatsache anzusehen sein, wenn sie Gegenstand einer Rechtsnorm ist (vgl [X.] [X.]-2700 § 9 [X.]; noch nicht differenziert in [X.] [X.] 3-2500 § 34 [X.]). Das [X.] ist aber auch im Fall der Annahme einer generellen "Rechtstatsache" bisher ausdrücklich allein von der Durchbrechung der Bindung des § 163 [X.]G ausgegangen ([X.], 291 = [X.]-2700 § 9 [X.], Rd[X.] 24; [X.]E 94, 90 = [X.] 3-2500 § 18 [X.] 6; s dazu Dreher, Rechtsfrage und Tatfrage in der Rechtsprechung des [X.], Festschrift 50 Jahre [X.], 791, 796). Ob eine Erweiterung dieser Rechtsprechung in einem Fall angezeigt ist, in dem es um Inhalt und Reichweite der [X.] geht, deren Änderung in der Rechtsprechung des [X.] wegen der "rechtsnormähnlichen Qualität" der [X.] als Änderung der rechtlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 [X.]B X angesehen worden ist ([X.] [X.] 3-3870 § 3 [X.] 5 S 6), kann ebenfalls auf sich beruhen.

b) Jedenfalls reicht es zur Zulässigkeit einer Revision aus, wenn der [X.] die berufungsgerichtliche Feststellung genereller Tatsachen mit zulässigen Verfahrensrügen angreift (§ 164 Abs 2 Satz 3 [X.]G). Das ist hier geschehen. Der Kläger hat insbesondere schlüssig dargetan, das [X.] habe es unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 [X.]G) unterlassen aufzuklären, ob sich die vom [X.] herangezogenen, in den Hinweisen der [X.] von 2007 und den [X.] 2005 niedergelegten medizinischen Erkenntnisse auf die Impfstoffe beziehen, die im Jahre 1986 bei ihm (dem Kläger) verwendet worden sind. Dazu hat der Kläger auch hinreichend vorgetragen, dass es - ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des [X.] - auf diese Feststellungen ankam, weil nach den [X.] 1983 andere Krankheitserscheinungen zur Bejahung eines über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden Gesundheitsschadens (dort als "Impfschaden" bezeichnet) ausreichten als nach den - insoweit gleichlautenden - [X.] 1996 bis 2005. Sollten im vorliegenden Fall die [X.] 1983 maßgebend sein, so wäre danach eine für den Kläger günstigere Entscheidung des [X.] möglich gewesen. Diese Rüge erfasst den gesamten Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie führt mithin zur unbeschränkten Zulässigkeit der Revision.

2. Die Revision des [X.] ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 [X.]G). Über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch vermag der erkennende [X.] auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des [X.] nicht abschließend zu entscheiden.

a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Anspruch des [X.] auf Beschädigtenrente wegen eines Impfschadens nach einer MdE um [X.] ab April 2001 (ab 21.12.2007: Grad der Schädigungsfolgen von 65). Mit Urteil vom 10.5.2007 hat das [X.] - entsprechend dem Klageantrag - den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der am [X.] erfolgten Impfung unter Anerkennung der Impfschadensfolge "Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung, leichte Sprachstörung" ab April 2001 Versorgung nach dem If[X.] iVm dem [X.] nach einer MdE von [X.] zu gewähren. Dieses Urteil hatte der Kläger vor dem [X.] erfolglos gegen die Berufung des Beklagten verteidigt. Im Revisionsverfahren erstrebt er die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit der - in der [X.] klargestellten - Maßgabe, dass er nicht allgemein Versorgung, sondern Beschädigtenrente begehrt (vgl dazu [X.]E 89, 199, 200 = [X.] 3-3800 § 1 [X.] 21 S 92 f).

           

b) Der Anspruch des Klägers, der für die [X.] ab März 2001 zu prüfen ist, richtet sich nach § 60 Abs 1 If[X.], der am 1.1.2001 in [X.] getreten ist und den bis dahin und auch schon zur [X.] der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden - weitgehend wortlautgleichen ([X.]E 95, 66 = [X.]-3851 § 20 [X.] 1, Rd[X.] 6; [X.]-3851 § 60 [X.] 2 Rd[X.] 12) - § 51 Abs 1 [X.] abgelöst hat. § 60 Abs 1 Satz 1 If[X.] bestimmt:

Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1. von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,

2. aufgrund dieses Gesetzes angeordnet wurde,

3. gesetzlich vorgeschrieben war oder 

4. aufgrund der Verordnungen zur Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,

eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des [X.] des § 2 [X.] 11 If[X.] oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des [X.], soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.

        

Nach § 2 [X.] 11 Halbs 1 If[X.] ist im Sinne dieses Gesetzes Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

        

aa) Die zitierten Vorschriften des If[X.] verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen. Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs 1 Satz 1 If[X.] - ua zB öffentliche Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde - erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine [X.], sowie eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (s zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des [X.] nach dem [X.], wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: [X.] Urteile vom 19.3.1986 - 9a [X.] 2/84 - [X.]E 60, 58, 59 = [X.] 3850 § 51 [X.] S 46 und - 9a [X.] 4/84 - [X.] 3850 § 51 [X.] 10 S 49; ebenso auch [X.] [X.] 1983 bis 2005).

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im [X.] Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter [X.] ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei [X.] nicht erforderlich ist. (s [X.][X.], [X.]-Kommentar, Stand 1/11, § 1 [X.] 10 mwN; [X.]/[X.], Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/11, § 8 [X.]B VII Rd[X.] 8 mwN).

Zutreffend ist das [X.] davon ausgegangen, dass die Impfung und sowohl die als [X.] in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - im sog [X.] - feststehen müssen und allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit ausreicht (s § 61 Satz 1 If[X.]). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (s [X.]E 60, 58 = [X.] 3850 § 51 [X.]; [X.][X.], aaO [X.] 11 mwN). Die Feststellung einer [X.] im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

bb) Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalbeurteilung sind im [X.] Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden [X.] anzuwenden und zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen [X.] (jetzt beim [X.] für Arbeit und Soziales <[X.]>) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten [X.] insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog antizipierte Sachverständigengutachten (s nur [X.] [X.]-3250 § 69 [X.]). Die [X.] sind in den Bereichen des [X.] Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm ("normähnlich"). Für den Fall, dass sie nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft wiedergeben, sind sie allerdings nicht anwendbar ([X.] aaO). Dann haben Verwaltung und Gerichte auf andere Weise den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zu ermitteln. Die [X.] enthalten in allen hier zu betrachtenden Fassungen seit 1983 unter den [X.] 53 bis 142/143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen [X.], wobei die [X.] 56 Impfschäden im Allgemeinen und die [X.] Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

           

Die detaillierten Angaben zu [X.] (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in [X.] [X.] 1983 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim [X.] gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des [X.] vom 12.12.2006 - [X.]-48064-3; vgl auch [X.] [X.] 2008):

        

Die beim [X.] eingerichtete [X.] entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der [X.] werden im [X.] veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar.
Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 [X.] 11 If[X.] und [X.] 56 Abs 1 [X.]) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f If[X.] durchzuführen. Siehe dazu auch [X.] 35 bis 52 (Seite 145 bis 169) der [X.].

Die seit dem 1.1.2009 an die Stelle der [X.] getretene VersMedV ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung, die indes, sofern sie Verstöße gegen höherrangige, etwa gesetzliche Vorschriften aufweist, jedenfalls durch die Gerichte nicht angewendet werden darf ([X.] Urteil vom [X.] - [X.] SB 3/08 R - SozialVerw 2009, 59, 62 mwN). Anders als die [X.] 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern (s [X.] , Einleitung zur VersMedV, [X.]), sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der [X.] (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen.

cc) Zutreffend hat das [X.] die Auffassung vertreten, dass alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten sind. Dies entspricht der Rechtsprechung des [X.] im Sozialen Entschädigungsrecht, insbesondere im Impfschadensrecht, und Schwerbehindertenrecht (s [X.] Urteil vom 17.12.1997 - 9 [X.] 1/95 - [X.] 3-3850 § 52 [X.] 1 S 3, Urteil vom 24.4.2008 - [X.]/9a [X.] - [X.]-3250 § 69 [X.] Rd[X.] 25) sowie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ([X.] Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - [X.], 196 = [X.]-2700 § 8 [X.] 17; Urteil vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - [X.], 291 = [X.]-2700 § 9 [X.]). Ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden. So kann auch die vor Jahrzehnten bejahte Kausalität aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden als fehlend erkannt werden, mit der Folge, dass Anerkennungen unter Umständen zurückzunehmen oder nur aus Gründen des Vertrauensschutzes (§ 45 [X.]B X) zu belassen sind (vgl [X.] Urteil vom 2.12.2010 - [X.] V 1/10 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen).

Bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist allerdings jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, ggf lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können, gilt dies insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden [X.] gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben.

c) Diesen Grundsätzen entspricht das angefochtene Berufungsurteil nicht in vollem Umfang.

aa) Zunächst hat das [X.] unangegriffen festgestellt, dass der Kläger am [X.] im [X.] öffentlich empfohlene Schutzimpfungen, nämlich gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis, erhalten hat. Sodann ist allerdings unklar, das Auftreten welcher genauen Gesundheitsstörungen das [X.] in der [X.] nach diesen Impfungen als bewiesen angesehen hat. Das [X.] hat sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines "Impfschadens" im Sinne einer primären Schädigung (also einer [X.]) zu verneinen. Bei der insoweit erfolgten Kausalitätsbeurteilung hat es sich in erster Linie auf die Hinweise der [X.] von Juni 2007 (Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen/Stand: 2007, [X.] vom 22.6.2007/[X.] 25 <[X.] 25/2007>) und hilfsweise auch auf die [X.] [X.] 2005 gestützt, ohne - wie der Kläger zutreffend geltend macht - Feststellungen dazu getroffen zu haben, ob sich die darin zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die beim Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen.

Das [X.] hat es bereits unterlassen, ausdrücklich festzustellen, welche Impfstoffe dem Kläger am [X.] verabreicht worden sind. Auch aus den vom [X.] allgemein in Bezug genommenen Akten ergibt sich insofern nichts. Der in Kopie vorliegende Impfpass des [X.] enthält für den [X.] nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem [X.] die Angabe "DT-Polio".

Ermittlungen zu dem im Jahre 1986 beim Kläger verwendeten Impfstoff sowie zu dessen Einbeziehung in die Hinweise der [X.] ([X.] [X.] 25/2007) und - hinsichtlich des oral verabreichten [X.] - in die [X.] Abs 2 [X.] 2005 hat das [X.] offenbar für entbehrlich gehalten. Es hat den Umstand, dass die Impfstoffe im Laufe der Jahre verändert worden sind, hypothetisch als wahr unterstellt und anhand der [X.] 2005 unter Auswertung der Sachverständigengutachten den Eintritt von [X.] beim Kläger verneint. Dabei hat es jedoch nicht geklärt, ob die [X.] 2005 für die Beurteilung von Komplikationen infolge der im Jahre 1986 vorgenommenen Impfungen auch wirklich uneingeschränkt maßgebend sind.

bb) Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu [X.] nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden [X.] 1983 bis zu den [X.]-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert haben. Ebenso könnte auf nähere Feststellungen zu diesem Punkt verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den [X.]-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in [X.] [X.] 2005 Berücksichtigung gefunden haben, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden [X.]) im gesamten [X.]raum im Wesentlichen unverändert geblieben sind, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden sind. Von alledem kann nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht ausgegangen werden.

           

aaa) Zunächst lassen sich Unterschiede in den Ausführungen der [X.] [X.] 1983 und 1996 (letztere sind in die [X.] 2004 und 2005 übernommen worden) sowie in den [X.]-Hinweisen von 2007 feststellen:

So enthält die [X.] Abs 2 [X.] (Poliomyelitis-Schutzimpfung) für die Impfung mit Lebendimpfstoff zwar hinsichtlich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 (2004/2005) im Wesentlichen die gleichen Formulierungen, der Text betreffend "Impfschäden" (im Sinne von [X.]) weicht jedoch in beiden Fassungen voneinander ab. In den [X.] 1983 heißt es insoweit:

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen; Inkubationszeit 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (21 bis 158 Tage beobachtet). Nicht poliomyelitisähnliche Erkrankungen am Zentralnervensystem nach der Impfung, wie die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens oder - sehr selten - eine [X.], [X.], [X.] oder Fazialisparese, bedürfen stets einer besonders sorgfältigen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 30 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren im Darm oder Rachen und eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Dieselben Voraussetzungen gelten für das selten als Impfschaden in Betracht kommende Erythema nodosum.

           

Die Fassung der [X.] 1996 nennt dagegen als "Impfschäden" (Komplikationen):

        

Poliomyelitisähnliche Erkrankungen mit schlaffen Lähmungen von wenigstens 6 Wochen Dauer (Impfpoliomyelitis): Inkubationszeit beim [X.] 3 bis 30 Tage, Auftreten von Lähmungen nicht vor dem 6. Tag nach der Impfung. - Bei Immundefekten sind längere Inkubationszeiten zu beachten (bis zu mehreren Monaten). Beim Guillain-Barré-Syndrom ist ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung innerhalb von 10 Wochen nach der Impfung aufgetreten ist, außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Die sehr selten beobachtete [X.] und/oder die Manifestation eines hirnorganischen Anfallsleidens ohne die Symptome einer Impfpoliomyelitis bedürfen stets einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung ist dann wahrscheinlich, wenn die Erkrankung zwischen dem 3. und 14. Tag nach der Impfung nachgewiesen wurde und außerdem Impfviren und/oder eine Antikörperbildung nachzuweisen waren und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Einzelne hirnorganische Anfälle nach der Impfung (z.B. Fieberkrämpfe) mit einer mehrmonatigen Latenz zur Entwicklung eines Anfallsleidens können nicht als Erstmanifestation des Anfallsleidens gewertet werden.

In den [X.] 25/2007 finden sich zu einem Poliomyelitisimpfstoff mit Lebendviren, wie er dem Kläger (oral) verabreicht worden ist, keine Angaben. Dies beruht darauf, dass dieser Impfstoff seit 1998 nicht mehr zur Schutzimpfung bei Kleinkindern öffentlich empfohlen ist (vgl dazu [X.] [X.]-3851 § 60 [X.] 2 Rd[X.] 16).

Für die [X.] ist die [X.] Abs 12 [X.] bezüglich der "üblichen Impfreaktionen" in den Fassungen 1983 und 1996 im Wesentlichen wortlautgleich.

           

Die "Impfschäden" (im Sinne von Komplikationen) sind in der Fassung der [X.] 1983 beschrieben mit:

        

Sterile Abszesse mit Narbenbildung. Selten in den ersten Wochen Enzephalopathie, Enzephalomyelitis oder Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit). Selten Thrombose, Nephritis.

           

Demgegenüber ist Abs 12 der [X.] [X.] 1996 hinsichtlich der "Impfschäden" (Komplikationen) wie folgt gefasst:

        

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des [X.]; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

           

Hinsichtlich der [X.] sind in Abs 13 der [X.] der hier relevanten Fassungen der [X.] die "Impfschäden" wie folgt übereinstimmend umschrieben:

        

Sehr selten Neuritis, Guillain-Barré-Syndrom.

           

Demgegenüber differiert hier die Beschreibung der "üblichen Impfreaktionen" zwischen den Fassungen 1983 und 1996. Während 1983 als "übliche Impfreaktionen" beschrieben sind:

        

Geringe Lokalreaktion,

           

enthält die Fassung der [X.] 1996 die Formulierung:

        

Lokalreaktion, verstärkt nach Hyperimmunisierung.

           

In den [X.]-Hinweisen von 2007 ([X.] 25/2007, 211) heißt es zum [X.] (DT-Impfstoff):

        

Lokal- und Allgemeinreaktion
Als Ausdruck der normalen Auseinandersetzung des Organismus mit dem Impfstoff kann es innerhalb von einem bis drei Tagen, selten länger anhaltend, sehr häufig (bei bis zu 20 % der [X.]e) an der Impfstelle zu Rötung, Schmerzhaftigkeit und Schwellung kommen, gelegentlich auch verbunden mit Beteiligung der zugehörigen [X.]. Sehr selten bildet sich ein kleines Knötchen an der Injektionsstelle, ausnahmsweise im Einzelfall mit Neigung zu steriler Abszedierung.

Allgemeinsymptome wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik (Frösteln, Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, Kreislaufbeschwerden) oder Magen-Darm-Beschwerden (Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall) treten gelegentlich (1 % der [X.]e) und häufiger (bis 10 %) bei hyperimmunisierten (häufiger gegen Diphtherie und/oder Tetanus geimpften) [X.]en auf.

In der Regel sind diese genannten Lokal- und Allgemeinreaktionen vorübergehender Natur und klingen rasch und folgenlos wieder ab.

Komplikationen
Im Zusammenhang mit einer Fieberreaktion kann es beim Säugling und jungen Kleinkind gelegentlich zu einem Fieberkrampf (in der Regel ohne Folgen) kommen. Komplikationen der Impfung in Form allergischer Reaktionen an der Haut oder an den Atemwegen treten selten auf. Im Einzelfall kann es zu Erkrankungen des peripheren Nervensystems (Mono- oder Polyneuritiden, Neuropathie) kommen, auch Einzelfälle allergischer Sofortreaktionen (anaphylaktischer Schock) wurden in der medizinischen Fachliteratur beschrieben.

           

bb) Der erkennende [X.] hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Kombinationsimpfstoffe gegen Diphtherie und Tetanus ([X.]) von den [X.]-Hinweisen von 2007 erfasst worden sind. Dafür dass sich diese nur auf im Jahre 2007 gebräuchliche Impfstoffe beziehen, spricht schon der vom [X.] selbst erkannte Umstand, dass es sich dabei ausdrücklich um "Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen Stand: 2007" handelt. Zudem wird in diesen Hinweisen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sich die nachfolgende Textfassung sowie das zugehörige Literaturverzeichnis auf alle gegenwärtig (Stand: Juni 2007) in [X.] zugelassenen Impfstoffe beziehen (s [X.] [X.] 25/2007 [X.] rechte Spalte). Weiter heißt es dort:

        

Auf dem [X.] Markt stehen Impfstoffe unterschiedlicher Hersteller mit zum Teil abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen zur Verfügung, die zur gleichen Anwendung zugelassen sind. Die Umsetzung von [X.]-Empfehlungen kann in der Regel mit allen verfügbaren und zugelassenen Impfstoffen erfolgen. Zu Unterschieden im Spektrum unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist ggf auf die jeweiligen Fachinformationen zu verweisen. Die Aktualisierung der Fachinformationen erfolgt nach Maßgabe der Zulassungsbehörden entsprechend den Änderungsanträgen zur Zulassung. Diese aktualisierten Fachinformationen sind ggf ergänzend zu den Ausführungen in diesen Hinweisen zu beachten.

Nach der vom erkennenden [X.] eingeholten Auskunft des [X.] vom 6.4.2011 waren im Juni 2007 noch drei [X.] zugelassen, deren Zulassung vor 1986 lag. Daneben waren im Juni 2007 und bis heute weitere neun [X.] zugelassen, deren zeitlich früheste Zulassung im Jahr 1997 datiert. Hinzu kommt, dass es nach Angaben des [X.] nach Einführung der Zulassungspflicht im Jahre 1978 eine Übergangszeit von mehreren Jahren gab. In dieser [X.] erhielten Impfstoffe nach und nach eine Zulassung im heutigen Sinne. So können Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in [X.] gebräuchlich gewesen sein.

Diese Gegebenheiten schließen nach Auffassung des erkennenden [X.]s - jedenfalls auf der Grundlage der gegenwärtigen Erkenntnisse - eine undifferenzierte Anwendung der [X.]-Hinweise auf die 1986 beim Kläger erfolgten Impfungen aus. Es lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen [X.] zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört haben, auf die sich diese Hinweise nach ihrem Inhalt beziehen. Darüber hinaus werden darin ausdrücklich Unterschiede im Spektrum der unerwünschten Arzneimittelwirkungen angesprochen, die sich aus abweichenden Antigenkonzentrationen und Inhaltsstoffen ergeben können. Ohne nähere Feststellungen zu den Zusammensetzungen der 1986 gebräuchlichen [X.], insbesondere der beim Kläger verwendeten, lässt sich mithin nicht beurteilen, ob und inwieweit die [X.]-Hinweise von 2007 bei der hier erforderlichen Kausalitätsprüfung zugrunde gelegt werden können.

Entsprechend verhält es sich mit den [X.] 2005, die das [X.] in erster Linie bei der Poliomyelitisimpfung und hilfsweise auch bei der [X.] zur Kausalitätsbeurteilung herangezogen hat. In [X.] 56 und 57 [X.] 2005, die insoweit mit den [X.] 1996 und 2004 übereinstimmen, wird nicht genau angegeben, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben beziehen. Insbesondere wird nicht deutlich, ob diese Angaben auch für die 1986 gebräuchlichen Impfstoffe Geltung beanspruchen. Da das [X.] auch nicht festgestellt hat, dass die in Frage kommenden Impfstoffe in ihren Auswirkungen von 1986 bis 1996 gleich geblieben sind, können die [X.] 1996/2004/2005 hier nicht ohne Weiteres angewendet werden. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die [X.] 1983 maßgebend sind, ggf ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

d) Zwar könnte der erkennende [X.] die danach erforderlichen Feststellungen, soweit sie sich auf allgemeine Tatsachen beziehen, nach entsprechenden Ermittlungen selbst treffen. Eine derartige Vorgehensweise hält er hier jedoch nicht für tunlich.

aa) Zur Klärung einer Anwendung der [X.]-Hinweise von 2007 müsste - ohne vorherige Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe, die der [X.] nicht selbst durchführen darf (vgl § 163 [X.]G) - allgemein, dh voraussichtlich mit erheblichem Aufwand, geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben [X.] zu rechnen war, wie sie in den [X.]-Hinweisen für [X.] aufgeführt werden. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, könnte auf die Feststellung der tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden.

bb) Soweit sich feststellen ließe, dass die [X.] 1996/2004/2005 - ggf mit allgemeinen Modifikationen - ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich sind, könnte das Berufungsurteil jedenfalls nicht in vollem Umfang aufrechterhalten werden. Zumindest hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten [X.] beruht die Entscheidung des [X.] nämlich sowohl auf einer teilweise unzutreffenden Rechtsauffassung als auch auf Tatsachenfeststellungen, die [X.] zustande gekommen sind.

Nach der vom [X.] (hilfsweise) als einschlägig angesehenen [X.] Abs 12 [X.] 2005 kommt bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (Komplikation) ua eine "akut entzündliche Erkrankung des [X.]" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden.

aaa) Dementsprechend ist zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des [X.] im maßgeblichen [X.]raum nach der Impfung eingetreten ist. Soweit das [X.] bezogen auf den vorliegenden Fall angenommen hat, eine entsprechende Erkrankung des [X.] lasse sich nicht feststellen, beruht dies - wie der Kläger hinreichend dargetan hat - auf einem Verstoß gegen §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G.

Zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K. und Prof. Dr. S. bestand darüber Streit, ob beim Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des [X.]" aufgetreten ist. Das [X.] hat sich für die Verneinung einer derartigen Erkrankung in erster Linie auf die Auffassung von Prof. Dr. S. gestützt, der als typische Merkmale einer "schweren" [X.]-Erkrankung Fieber, Krämpfe, Erbrechen und längere Bewusstseinstrübung genannt habe. Dagegen hatte der Kläger unter Beweis gestellt, dass Erkrankungen des [X.] gerade bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrüche auftreten können. Diese Behauptung hat das [X.] hypothetisch als wahr unterstellt und dazu die Ansicht vertreten, dies ändere "nichts daran, dass vorliegend eine akut entzündliche Erkrankung des [X.] gerade nicht positiv festgestellt werden kann". Die Möglichkeit einer derartigen Erkrankung genüge nicht.

Zwar trifft es zu, dass der Eintritt einer akut entzündlichen Erkrankung des [X.] beim Kläger für den relevanten [X.]raum von 28 Tagen nach Impfung bewiesen sein muss. Den Ausführungen des [X.] lässt sich jedoch nicht entnehmen, auf welche medizinische Sachkunde es sich bei der Beurteilung gestützt hat, eine positive Feststellung sei im vorliegenden Fall unmöglich. Auf die Ausführungen von Prof. Dr. S. konnte sich das [X.] dabei nicht beziehen, da es in diesem Zusammenhang gerade - abweichend von dessen Auffassung - die Möglichkeit einer ohne Fieberausbrüche auftretenden akut entzündlichen Erkrankung des [X.] unterstellt hat. Mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K., auf die sich der Kläger berufen hatte, hat sich das [X.] nicht auseinandergesetzt. Folglich hätte das [X.] entweder zunächst dem auf allgemeine medizinische Erkenntnisse gerichteten Beweisantrag des [X.] nachkommen oder sogleich mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des [X.]) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K. als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen ist, als akut entzündliche Erkrankung des [X.] anzusehen ist.

bbb) Auch (allein) mit dem (bislang) fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung hätte das [X.] eine [X.] nicht verneinen dürfen. Seine Begründung, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie - wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen - nicht mit Sicherheit der am [X.] vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, ist aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Der erkennende [X.] hält es für unzulässig, eine Versorgung nach dem If[X.] an Anforderungen scheitern zu lassen, die im [X.]punkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (vgl dazu Thüringer [X.] Urteil vom [X.]/01 - juris Rd[X.] 32; [X.] Baden-Württemberg Urteil vom [X.] VJ 847/04 - juris Rd[X.]0). Der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des [X.] durch die Impfung ist erstmals in der [X.] Abs 12 [X.] 1996 enthalten. Die [X.] 1983 nannten an entsprechender Stelle als "Impfschäden" (Komplikationen) noch nicht einmal die akut entzündliche Erkrankung des [X.], sondern andere Erkrankungen, wie zB die Enzephalopathie, ohne einen Antikörpernachweis zu fordern. Nach der am [X.] erfolgten Impfung bestand somit grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Wenn die Zuordnung von jetzt noch feststellbaren Antikörpern nach den weiteren Impfungen von 1987 aus heutiger Sicht medizinisch nicht möglich sein sollte, verlangte man rechtlich etwas Unmögliches vom Kläger. Demzufolge muss es zur Erfüllung der Merkmale der [X.] Abs 12 [X.] 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen.

ccc) Soweit das [X.] schließlich im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der [X.] Abs 12 [X.] 2005 festgestellt hat, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom [X.] aufgetreten sind, nicht ausscheiden, ist auch diese Feststellung - wie vom Kläger zutreffend gerügt - [X.] zustande gekommen. Das [X.] hat insoweit nicht das Gesamtergebnis der Beweisaufnahme berücksichtigt. Denn es hat sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Neben dem vom [X.] erörterten verringerten Schädelwachstum des [X.] hat Prof. Dr. K. in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es ist jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom [X.] - gestützt auf Prof. Dr. S. angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lässt.

e) Nach alledem ist es geboten, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Das [X.] wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 9 VJ 1/10 R

07.04.2011

Bundessozialgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: VJ

vorgehend SG Berlin, 10. Mai 2007, Az: S 40 VJ 49/07, Urteil

§ 60 Abs 1 S 1 IfSG, § 2 Nr 11 Halbs 1 IfSG, VersMedV, § 163 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 07.04.2011, Az. B 9 VJ 1/10 R (REWIS RS 2011, 7772)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7772

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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