Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.05.2012, Az. VI ZB 2/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 6684

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI [X.]
VI ZB 2/11

vom

8. Mai 2012

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO §§ 233 Ga, 321a, 511 Abs. 2 Nr. 1

der Rechtsanwalt den für seinen Mandanten sichersten Weg zu beschreiten, selbst wenn dies zu der Notwendigkeit führt, zwei Rechtsbehelfe (hier: Berufung und Anhö-rungsrüge) parallel anhängig zu machen.

[X.], Beschluss vom 8. Mai 2012 -
VI [X.] und VI ZB 2/11
-
LG Oldenburg

[X.]

-
2
-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am
8. Mai 2012
durch den [X.] [X.], die Richter
Wellner, Pauge und [X.] und die Richte-rin von Pentz
beschlossen:
Die [X.] gegen die Beschlüsse der 13.
Zivilkam-mer des [X.] vom 6. Dezember 2010 und vom 20.
Dezember 2010 werden auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.
[X.]:

Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Haftpflichtversicherung wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Am 24. September 2010 ist ihm das Urteil des Amtsgerichts zugestellt worden, durch das seine Klage teilweise abgewie-sen worden ist. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 8.
Oktober 2010, beim Amtsgericht
eingegangen am selben Tag,
hat er unter anderem An-hörungsrüge gemäß
§
321a ZPO erhoben, um eine Fortführung
des Verfahrens und Entscheidung auch über den abgewiesenen Teil der Klageforderung in sei-nem Sinne zu erreichen. Dabei hat er die Auffassung vertreten, dass das Rechtsmittel der Berufung nicht gegeben sei, weil die Berufungssumme von 1
-
3
-

600

ie Rüge durch
Beschluss vom 27. Oktober 2010 unter Hinweis darauf
zurückgewiesen, dass die [X.] Schriftsatz vom 12. November 2010, beim [X.] eingegangen am selben Tag, hat der Kläger durch seine [X.] Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. Dezember 2010 zurückgewiesen und die Berufung nach Anhörung des [X.] mit dem angefochtenen Beschluss vom 20. Dezember 2010 als unzulässig verworfen. Mit den
[X.]
begehrt der Kläger Aufhebung dieser Entschei-dungen und Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung.

II.
Die [X.] sind gemäß §
574 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz 4, §
238 Abs.
2 Satz 1 ZPO statthaft. Die [X.] sind aber nicht zulässig, weil es an einem Zulassungsgrund gemäß §
574 Abs.
2 ZPO fehlt. Insbesondere
ist eine Entscheidung des [X.] zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§
574 Abs.
2 Nr.
2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Das Berufungsgericht hat das Verfahrensgrundrecht des [X.] auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit
dem Rechtsstaatsprinzip) entgegen der Ansicht der Rechts-beschwerden nicht verletzt.
1. Die [X.] können
nicht auf einen Verstoß
gegen das Begründungserfordernis (§
576 Abs.
3, §
547 Nr.
6 ZPO) gestützt werden. Zu Unrecht beanstanden die
[X.], dass
die angefochtenen [X.] nicht ausreichend mit Gründen versehen
seien. Beschlüsse, die der 2
3
-
4
-

Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge in beiden Instanzen erkennen lassen (vgl. etwa [X.]sbeschluss
vom 12.
April 2011 -
VI
ZB 31/10, [X.], 1199 Rn.
8
mwN). Eine Sachdarstellung ist jedoch ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der maßgebliche Sachverhalt und das Rechtsschutzziel mit noch hinreichender Deutlichkeit aus den [X.] ergeben (vgl. [X.]sbeschlüsse vom
25.
April 2007 -
VI
ZB 66/06, [X.], 273 Rn.
3; vom 8.
Mai 2007 -
VI
ZB 74/06, [X.], 139 Rn.
4 und
vom 22. Januar
2008 -
VI
ZB 46/07, [X.], 1374 Rn.
4). Im vorliegenden Fall enthält der angefochtene Beschluss vom 6. Dezember 2010 eine Darstellung des Prozessverlaufs mit den für die Fristberechnung maßgeb-lichen Daten; die Beschlussgründe lassen das Rechtsschutzziel des [X.] und die für die Berechnung des Wertes des [X.] ent-scheidende
Schadensposition erkennen, so dass für das [X.] in ausreichendem Maße ersichtlich ist, von welchem Sachverhalt das Be-rufungsgericht hinsichtlich der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen ist. Der angefochtene Beschluss vom 20. Dezember 2010 enthält zwar keine eigene Sachverhaltsschilderung. In der Zusammenschau mit dem vorangegangenen Beschluss vom 6. Dezember 2010, in dem auf die bevorstehende Verwerfung der Berufung hingewiesen und diesbezüglich rechtliches Gehör gewährt worden ist, wird aber hinreichend deutlich, dass es sich um denselben Sachverhalt handelt; eine Wiederholung der entsprechenden Ausführungen war deshalb nicht veranlasst.
2. Die angefochtenen Beschlüsse leiden auch sonst nicht an [X.].
Das Berufungsgericht hat dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung im Ergebnis mit Recht versagt und dementsprechend die Berufung mit Recht ver-4
5
-
5
-

worfen. Es ist
dabei
zutreffend davon ausgegangen, dass der Wert des Be-§
511 Abs.
2 Nr.
1 ZPO das zulässige Rechtsmittel war und der Prozessbevoll-mächtigte des [X.] die Einhaltung der Berufungsfrist des §
517 ZPO nicht ohne Verschulden im Sinne des §
233 ZPO versäumt hat.
a)
Die sogenannte Erwachsenheitssumme (§
511 Abs.
2 Nr.
1 ZPO) war erreicht. Die vom Kläger weiterverfolgte restliche Hauptforderung betrug ent-sprechend der Höhe des in erster Instanz abgewiesenen Teils seiner Klage 575,91

Darüber hinaus ist dem
-
ebenfalls abgewiesenen
-
Freistellungsan-trag hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren,
die durch die Einholung einer [X.] gegenüber der Rechtsschutzversicherung entstanden, ein selb-ständiger
Wert beizumessen.

Das hängt nicht davon ab, ob dieser Freistellungsanspruch als selbstän-dige Forderung (vgl. [X.], Urteil vom 4.
August 2010 -
3
B [X.], juris Rn.
41 -
insoweit in [X.] 2011, 29 und 123 nicht abgedruckt)
oder als -
grundsätzlich nicht streitwerterhöhende
-
Nebenforderung im Sinne des §
4 Abs.
1 Halbs.
1 ZPO (vgl. [X.], [X.], 140, 142; [X.], Urteil vom 18.
Juli 2011 -
43
S 41/11, juris Rn.
97; [X.], [X.] 2009, 355, 356; [X.], [X.], 688, 689; [X.], [X.], 1428, 1429) anzusehen ist. Denn eine Nebenforderung wird zur Hauptforderung, sobald und soweit die Hauptforderung nicht mehr [X.] ist, weil die Neben-forderung sich in der sie bedingenden Forderung "emanzipiert"
hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 4.
Dezember
2007 -
VI
ZB 73/06 [X.], 557 Rn.
8 und vom 17.
Februar 2009 -
VI
ZB 60/07 VersR 2009, 806 Rn.
6). So liegt es auch im Streitfall. Das Amtsgericht hat dem Kläger 1.353,38

t-forderung ist nicht mehr [X.]. Das hat dazu geführt, dass der 6
7
-
6
-

hierauf bezogene Teil des vorgenannten [X.] -
wenn er denn als Nebenforderung anzusehen gewesen wäre
-
zur Hauptforderung wurde.
Wie die [X.] selbst geltend machen, erhöhte sich der Wert des [X.] dadurch, dass zu dem abgewiesenen Teil des [X.] (575,91

och der Wert des verselbständigten Teils des [X.] hinzuzurechnen war, auf mehr als 600

war mithin die Berufung eröffnet.
b) Der Prozessbevollmächtigte des [X.] hatte Anlass, gegen das amtsgerichtliche Urteil -
jedenfalls auch
-
Berufung einzulegen.
Die Zulässigkeit der Berufung konnte hier nur deshalb in Frage stehen, weil die Erwachsenheitssumme (§
511 Abs.
2 Nr.
1 ZPO) nicht hätte erreicht sein können. Aus der in dem Urteil des Amtsgerichts erfolgten Festsetzung
des Streitwertes ergab sich aber für den Prozessbevollmächtigten des [X.], dass der Kläger in Höhe von mehr als 600

e-richt hatte neben dem Wert für den Zahlungsanspruch (und dem für den Fest-stellungsantrag) einen eigenen Wert für den Anspruch auf Freistellung von den durch die Deckungsanfrage verursachten Anwaltsgebühren festgesetzt (148,75

ereits aus diesem Grund musste der Prozessbevollmächtigte des [X.] in Betracht ziehen, dass nicht die Anhörungsrüge sondern die Berufung das zulässige Rechtsmittel sein könnte und dass er, wenn er allein die Anhö-rungsrüge erheben würde,
Gefahr laufen würde, die Berufungsfrist zu versäu-men.
Zwar hat das Berufungsgericht -
was hier auch geschehen ist -
den Wert des [X.] nach eigenem freiem Ermessen ohne Bindung an einen für die erste Instanz festgesetzten Streitwert zu bestimmen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Dezember 1987 -
IVb
ZB 124/87, NJW-RR 1988, 836, 837; vom 25. September 1991 -
XII
ZB 61/91, [X.], 169 f.; Urteile vom 20. 8
9
10
-
7
-

Oktober 1997 -
II
ZR 334/96, NJW-RR 1998, 573; vom 24. April 1998 -
V
ZR 225/97, NJW 1998, 2368; Beschluss vom 9. Juli 2004 -
V
ZB 6/04, NJW-RR 2005, 219). Deshalb darf sich der Rechtsanwalt bei der Prüfung der [X.] eines Rechtsmittels nicht allein an der Streitwertfestsetzung durch das erst-instanzliche Gericht orientieren. Ergibt sich daraus aber, dass die Zulässigkeits-voraussetzungen eines anderen Rechtsbehelfs als des von dem [X.] ins Auge gefassten -
im Streitfall die Berufung statt der Anhö-rungsrüge
-
erfüllt sein könnten, hat er jedenfalls auch diesen anderen Rechts-behelf zu ergreifen. Denn der Rechtsanwalt hat im Interesse seines Mandanten den sichersten Weg zu gehen (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
November 1992 -
V
ZB 37/92, [X.], 77
=
juris Rn.
4 und Beschluss vom 3.
November 2010 -
XII
ZB 197/10, NJW 2011, 386
Rn.
19, jeweils mwN). Besteht Unsicherheit, welcher Rechtsbehelf zulässig ist, hat der Rechtsanwalt jeden ernsthaft in [X.] zu ziehenden Rechtsbehelf zu ergreifen (vgl. [X.] NJW 2003, 575 und NJW 2008, 2167; [X.], Beschluss vom 3.
November 2010 aaO Rn.
20; [X.]/[X.], ZPO 9.
Aufl. 2012 §
233 Rn.
44). Der Prozessbevollmächtigte des [X.] handelte mithin fahrlässig (§§
233, 85 Abs.
2 ZPO), indem er nicht -
wie nach der Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht naheliegend
-
Beru-fung einlegte; die Berufung hätte er zumindest parallel zu der von ihm erhobe-nen Anhörungsrüge einlegen müssen.
c) Im Übrigen hätte -
entgegen der Auffassung der [X.]
-
dem Prozessbevollmächtigten des [X.] die Rechtslage bezüglich der (teil-weisen) Verselbständigung eines ursprünglich als Nebenforderung geltend ge-machten Anspruchs auch bereits im hier maßgeblichen Zeitraum [X.]/Oktober 2010 bekannt sein müssen. Nach ständiger
Rechtsprechung des [X.] sind Zinsen aus einem nicht oder nicht mehr im Streit ste-henden [X.] nicht Nebenforderungen im Sinne des §
4 Abs.
1 Halbs.
2 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob ein anderer Teil des [X.]s 11
-
8
-

noch anhängig ist
([X.]sbeschluss vom 4. Dezember 2007 -
VI
ZB 73/06, [X.], 557 Rn.
7; [X.], Beschluss vom 12. Dezember 1957 -
VII
ZR 135/57, [X.]Z 26, 174, 176 ff.; Urteil vom 24. März 1994 -
VII
ZR 146/93, NJW 1994, 1869, 1870). Der [X.] hat -
wie schon dargelegt
-
bereits vor Erhebung der Klage in diesem Rechtsstreit entschieden, dass die Nebenforderung zur Hauptforderung wird, sobald und soweit die Hauptforderung nicht mehr Pro-zessgegenstand ist, weil die Nebenforderung sich von der sie bedingenden Forderung "emanzipiert" hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforde-rung gibt ([X.]sbeschlüsse vom 4. Dezember 2007 -
VI
ZB 73/06, aaO Rn.
8; vom 17. Februar 2009 -
VI
ZB 60/07, aaO
Rn.
6). Da die genannten höchstrich-terlichen Entscheidungen sämtlich bis 2009 veröffentlicht und überdies in den im Jahre 2010 aktuellen Auflagen der gängigen Kommentare zur [X.] zitiert waren (vgl. [X.]/[X.]/[X.]/[X.], ZPO, 68.
Aufl., §
4 Rn.
11; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
4 Rn.
30; [X.]/[X.], ZPO, 7.
Aufl., §
4 Rn.
17; [X.] in [X.], ZPO, 2.
Aufl., §
4 Rn.
16; Hüßtege in [X.], ZPO, 31.
Aufl., §
4 Rn.
9; Zöl-ler/[X.], ZPO, 28.
Aufl., §
4 Rn.
13), gereicht es dem Prozessbevollmächtig-ten des [X.] zum Verschulden, diesen Punkt bei der Prüfung der [X.] der Berufung nicht hinreichend beachtet und die Rechtslage im Hinblick auf die Höhe der Beschwer deshalb falsch eingeschätzt zu haben.
-
9
-

Da die anwaltlich verschuldete Versäumung der Berufungsfrist eine [X.] in den vorigen Stand ausschließt, hat das Berufungsgericht die Berufung des [X.] zu Recht verworfen.
Galke
Wellner
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.09.2010 -
46 [X.] (XI) -

LG Oldenburg, Entscheidung vom 06.12.2010 -
13 S 569/10 -

LG Oldenburg, Entscheidung vom 20.12.2010 -
13 S 569/10
12

Meta

VI ZB 2/11

08.05.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.05.2012, Az. VI ZB 2/11 (REWIS RS 2012, 6684)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6684

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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