Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.09.2023, Az. B 9 SB 20/23 B

9. Senat | REWIS RS 2023, 7054

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - Mindestanforderung an die Beschwerdebegründung - verständliche Sachverhaltsdarstellung - Bezeichnung des Gegenstands des Rechtsstreits - Angaben zum Ablauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens - Schwerbehindertenrecht - Bewertung eines Einzel-GdB - erforderliche Darlegung der Auswirkungen auf den Gesamt-GdB


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. April 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit der Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom [X.], mit dem über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) der Klägerin entschieden worden ist. Ihre Beschwerde hat sie mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen Form. Die Klägerin hat den von ihr geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargelegt.

3

Die Klägerin beruft sich ausschließlich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sogenannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] [X.] 3/20 B - juris Rd[X.]4; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 5 R 401/16 B - juris Rd[X.] 6).

4

Die Klägerin misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zu:

"1. Kann eine schwere Störung mit mittelgradigen [X.] Anpassungsschwierigkeiten gemäß Ziffer 3.7 der versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht vorliegen, wenn ein Mensch auf Fragen eines Sachverständigen freundlich und zugewandt antwortet?

2. Kann eine schwere Störung mit mittelgradigen [X.] Anpassungsschwierigkeiten gemäß Ziffer 3.7 der versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht vorliegen, wenn ein Mensch noch in Teilzeit einer Beschäftigung nachgeht?

3. Kann eine schwere Störung mit mittelgradigen [X.] Anpassungsschwierigkeiten gemäß Ziffer 3.7 der versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht vorliegen, wenn ein Mensch insgesamt drei Stunden täglich zu seiner Arbeitsstätte zurücklegt?

4. Gibt es im Bereich der [X.] der Behinderung eine Klassifizierung nach unterem und oberem Bereich zur Ermittlung eines Gesamtgrades der Behinderung?

5. Kann bei der Bildung eines [X.]s der Behinderung eine einzelne Erkrankung, die mit einem Einzel GdB von 10 zu bewerten ist, nie zu einer Erhöhung des [X.]s der Behinderung im gleichen [X.] auf 30 führen, wenn es im gleichen Funktionsapparat einen Einzel GdB von 20 gibt?

6. Ist für die Beurteilung eines [X.]s der Behinderung gemäß Ziffer 3.7 der versorgungsmedizinischen Verordnung prägend auf das berufliche [X.] darzustellen und die beruflichen Auswirkungen einer Erkrankung oder auf die Teilhabemöglichkeit am sonstigen [X.] Leben".

5

Zu den ersten drei Fragen erläutert sie, die vom [X.] beauftragte Sachverständige habe nach Teil [X.] 3.7 der Anlage zu § 2 [X.] ([X.] <[X.]>) für die psychiatrische Erkrankung nur deshalb lediglich einen Einzel-GdB von 30 angesetzt, weil ihre Fragen durch sie (die Klägerin) freundlich und zugewandt beantwortet worden seien, sie in Teilzeit arbeite und hierfür täglich zwei Fahrten von jeweils 1,5 Stunden zurücklege. Dem hätten sich [X.] und [X.] angeschlossen und eine schwere Störung mit mittelgradigen [X.] Anpassungsschwierigkeiten verneint. Ausgehend hiervon könne für Arbeitnehmer mit Behinderung nach Teil [X.] 3.7 [X.] niemals ein Einzel-GdB von 50 vorliegen. Einen solchen Erkenntnis- oder Rechtssatz habe das B[X.] bisher nicht aufgestellt. Daraus ergebe sich auch die sechste Frage, weil es bei gleichen Gesundheitseinschränkungen zu unterschiedlich hohen GdB führe, wenn man wie das [X.] maßgeblich auf die berufliche Tätigkeit abstelle. Zur vierten Frage führt sie aus, das [X.] differenziere bei der [X.] nach Einzel-GdB am unteren oder oberen Rand des [X.]. Ein Einzel-GdB am unteren Rand könne zu keiner Erhöhung des [X.] führen. Zu einem solchen Rechtsgrundsatz habe sich das B[X.] noch nicht geäußert. Dies gelte auch für die fünfte Frage, die auf den vom [X.] aufgestellten Rechtssatz ziele, wonach unterschiedliche Erkrankungen, die dem gleichen Ordnungssystem und der gleichen Ziffer der [X.] zuzuordnen seien und nur einen Einzel-GdB von 10 aufwiesen, nie bei der Gesamtbildung eines Einzel-GdB für die gleiche Ordnungsziffer zu berücksichtigen seien.

6

Es ist schon fraglich, ob die Klägerin damit eine oder mehrere hinreichend konkrete Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 [X.]G) mit höherrangigem Recht aufgeworfen hat. Insbesondere die erste bis dritte und die sechste Frage richten sich im [X.] gegen die Beweiswürdigung durch das [X.], das nach Darstellung der Beschwerdebegründung die Empfehlung eines Einzel-GdB von 30 durch die Sachverständige unter Berücksichtigung der von dieser für relevant erachteten Umstände für schlüssig erachtet hat. Die Zulassung der Revision kann gemäß § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbsatz 2 [X.]G aber nicht mit der Behauptung verlangt werden, das [X.] habe gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung verstoßen. Dies gilt nicht nur, wenn die Beschwerde ausdrücklich eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G geltend macht, sondern auch dann, wenn sie ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des [X.] in das Gewand einer Grundsatzrüge zu kleiden versucht (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 75/21 B - juris Rd[X.] 8 mwN).

7

Letztlich kann dies dahinstehen. Denn die Klägerin hat die Klärungsfähigkeit der von ihr formulierten Fragen nicht hinreichend dargelegt. Für eine nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G formgerechte Darlegung der Klärungsfähigkeit fehlt es in der Beschwerdebegründung bereits an einer geordneten Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört zu den Mindestanforderungen einer Grundsatzrüge (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 11.7.2022 - [X.] V 41/21 B - juris Rd[X.]0; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 22/21 B - juris Rd[X.] 6). Schon der Gegenstand des Rechtsstreits ist der Beschwerdebegründung nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Es wird lediglich mitgeteilt, dass die Klägerin nach einer Krebserkrankung psychisch erkrankt sei, dass eine vom [X.] beauftragte Sachverständige mit Blick hierauf einen Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen habe und sich [X.] und [X.] dem angeschlossen hätten. Allein dies lässt erkennen, dass Gegenstand des Rechtsstreits die Höhe des GdB der Klägerin sein könnte. Weitere Angaben zum Ablauf des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens fehlen. Ebenso fehlen Angaben zur Höhe des vom [X.] angenommenen [X.] und zu anderen Gesundheitsstörungen, die das [X.] bei dessen Bildung zugrunde gelegt haben könnte. Zugleich zeigt die Klägerin nicht auf, welche Tatsachenfeststellungen das [X.] im angegriffenen Urteil getroffen hat. Nur diese können aber einer Entscheidung des B[X.] in der angestrebten Revision zugrunde gelegt werden. Ohne die Angabe der vom [X.] festgestellten Tatsachen ist der Senat nicht in der Lage, wie erforderlich, allein aufgrund der Beschwerdebegründung die Entscheidungserheblichkeit einer Rechtsfrage zu beurteilen (vgl stRspr; zB B[X.] Beschluss vom 5.11.2020 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.] 5; B[X.] Beschluss vom [X.] - B 13 R 250/18 B - juris Rd[X.]3).

8

Dies gilt vorliegend insbesondere mit Blick darauf, dass sich die Beschwerdebegründung gegen die Bildung eines Einzel-GdB auf Grundlage von Teil [X.] 3.7 [X.] richtet. Der Einzel-GdB ist jedoch keiner eigenen Feststellung zugänglich; er ist nicht isoliert anfechtbar. Wird die Festlegung eines Einzel-GdB angegriffen, muss zugleich dargetan werden, dass sich hierdurch der [X.] ändern muss (vgl B[X.] Urteil vom 5.5.1993 - 9/9a RVs 2/92 - [X.] 3-3870 § 4 [X.] 5 - juris Rd[X.] 20; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 7/21 BH - juris Rd[X.] 9; B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 67/18 B - juris Rd[X.] 9). Konkrete Aussagen zum [X.] und den zu dessen Bildung vom [X.] festgestellten Tatsachen sind in der Beschwerdebegründung jedoch nicht enthalten. Sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder der angegriffenen Entscheidung herauszusuchen, ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts (stRspr; zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 12/21 B - juris Rd[X.] 5 mwN).

9

Dass die Klägerin die Entscheidung des [X.] inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 6.7.2022 - [X.] [X.] B - juris Rd[X.]0; B[X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

        

Kaltenstein

Röhl   

Ch. [X.]

Meta

B 9 SB 20/23 B

01.09.2023

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Aachen, 14. April 2021, Az: S 3 SB 186/20, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 54 SGG, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, Anlage Teil A Nr 3 VersMedV, § 2 VersMedV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.09.2023, Az. B 9 SB 20/23 B (REWIS RS 2023, 7054)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7054

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