Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2023, Az. I ZR 148/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6168

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Gegenstand

Wettbewerbsverstoß eines ausländischen Anbieters von Zweitlotterien im Internet: Europarechtskonformität des Internetverbots für Glücksspiele


Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten zu 1 und 2 gegen das Urteil des [X.] - 5. Zivilsenat - vom 18. August 2022 gemäß § 552a Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

Gründe

1

I. Die Klägerin ist die [X.]. Sie organisiert und veranstaltet Lotterien mit behördlicher Erlaubnis. Die Beklagte zu 1 ist eine in [X.] ansässige [X.], deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 bis zum 10. April 2018 war. Über ihre [X.] und bundesweit abrufbare [X.]seite [X.].     .de bot die Beklagte zu 1 im [X.] gegen Entgelt unter anderem die Vermittlung von Tipps auf den Ausgang von Ziehungen der staatlichen Lotterieanbieter (Zweitlotterien) an. Seit dem 26. März 2019 wird die [X.]seite [X.].     .de von der [X.]. mit Sitz in [X.] betrieben. Die Beklagte zu 1 verfügte nicht über eine von [X.] Behörden erteilte Erlaubnis für die Veranstaltung oder Vermittlung von Glücksspielen in [X.], war nach eigenem Vortrag aber im Besitz einer Glücksspielerlaubnis von [X.].

2

Die Klägerin meint, die [X.] verstießen mit ihrem Online-Glücksspielangebot gegen den Glücksspielstaatsvertrag, weil Glücksspielangebote und deren Vermittlung ohne behördliche Erlaubnis verboten seien. Die Werbung der [X.] zu 1 verletze das Werbeverbot für unerlaubtes Glücksspiel. Sie hat die [X.] auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen.

3

Das [X.] hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben. Die Berufung der [X.] ist ohne Erfolg geblieben; das Berufungsgericht hat lediglich die Kostenentscheidung des [X.]s von Amts wegen abgeändert.

4

II. Das Berufungsgericht hat angenommen, das [X.] der [X.] zu 1 und die darauf bezogene Werbung verstoße gegen § 4 Abs. 4, § 5 Abs. 5 GlüStV 2012 und § 4 Abs. 4 Satz 2, § 5 Abs. 7 GlüStV 2021. Das Totalverbot von [X.] sowie das darauf aufbauende Werbeverbot seien unter dem [X.] 2012 verfassungs- und unionsrechtskonform gewesen. Eine Änderung dieser Bewertung sei auch durch den [X.] 2021 nicht veranlasst. Die Übertragung des Geschäftsbetriebs der [X.] zu 1 auf eine andere Gesellschaft führe nicht zum Wegfall der Wiederholungsgefahr. Der Beklagte zu 2 sei als ehemaliger Geschäftsführer für die unlauteren Handlungen der [X.] zu 1 verantwortlich. Seine Abberufung als Geschäftsführer sei für die Frage der Wiederholungsgefahr in Ermangelung einer Unterlassungsverpflichtungserklärung ohne Relevanz.

5

III. Der Senat beabsichtigt, die zugelassene Revision der [X.] durch einstimmigen Beschluss gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen (dazu [X.]) und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat (dazu III 2).

6

1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

7

a) Die Revision ist zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BVerfGK 19, 467 [juris Rn. 24]; [X.], Beschluss vom 21. März 2018 - [X.], ZUM 2019, 186 [juris Rn. 6] mwN; Beschluss vom 16. Dezember 2021 - [X.], [X.], 773 [juris Rn. 25]).

8

b) Die vom Berufungsgericht als Frage von grundsätzlicher Bedeutung angesehene Rechtsfrage, ob die gesetzliche Neuregelung des [X.] durch den Glücksspielstaatsvertrag 2021, insbesondere die Beibehaltung des ausnahmslosen Verbots von ([X.] bei gleichzeitiger Zulassung von Online-Casinospielen, virtuellen Automatenspielen und Online-Poker, eine Neubewertung der verfassungs- und unionsrechtlichen Kohärenz gebiete, ist nicht entscheidungserheblich. Fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit, kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Januar 2003 - [X.], [X.]Z 153, 254 [juris Rn. 5]; Beschluss vom 19. Februar 2013 - [X.], juris Rn. 4; Beschluss vom 6. Dezember 2017 - [X.], NJW-RR 2018, 476 [juris Rn. 12]; Beschluss vom 25. September 2019 - [X.], NJW-RR 2020, 94 [juris Rn. 8]; [X.], [X.], 773 [juris Rn. 26]).

9

Selbst wenn die beanstandete Neuregelung im Glücksspielstaatsvertrag zum Verbot von [X.] unionsrechtswidrig sein sollte, wären die [X.] nicht davon befreit gewesen, sich um eine Erlaubnis für die von ihnen angebotenen Glücksspiele zu bemühen. Das haben sie nicht getan. Das Verhalten der [X.] ist unter der Geltung des Glücksspielstaatsvertrags 2021 daher jedenfalls unlauter, weil sie die [X.] ohne Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 GlüStV 2021 angeboten und beworben haben.

aa) Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des [X.] (Urteil vom 28. April 2022 - 20 U 227/20, unveröffentlicht; siehe dazu [X.], Beschluss vom 26. Januar 2023 - [X.]) mit Recht angenommen, auch ein inkohärentes und damit unionsrechtswidriges Verbot von [X.] führe nicht dazu, dass diese gänzlich ohne Erlaubnis angeboten werden dürften. Der (umfassende) Erlaubnisvorbehalt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 bleibt bei einer (unterstellten) Unionsrechtswidrigkeit des Verbots von [X.] bestehen (vgl. BVerwG, ZfWG 2015, 227 [juris Rn. 30]; [X.], ZfWG 2017, 404 [juris Rn. 43]; [X.], Urteil vom 10. Mai 2019 - 6 U 196/18, juris Rn. 87; [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 23 ZB 17.2446, juris Rn. 35 bis 38; zum Erlaubnisvorbehalt bei der verwaltungsakzessorischen Strafvorschrift des § 284 Abs. 1 StGB vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2020 - 3 StR 327/19, NJW 2020, 2282 [juris Rn. 15 bis 17]).

Das Unionsrecht fordert selbst bei (unterstellter) Unionsrechtswidrigkeit des Verbots von [X.] weder eine Duldung noch eine voraussetzungslose Genehmigung der Veranstaltung und Vermittlung solcher Wetten, sondern lediglich die Prüfung sowie Bescheidung hierauf gerichteter [X.] unter Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und Transparenz anhand objektiver, nichtdiskriminierender und im Voraus bekannter Maßstäbe (vgl. [X.], Urteil vom 24. Januar 2013 - [X.]/11 und [X.]/11, [X.], 524 [juris Rn. 46 f.] - Stanleybet International u.a.; Urteil vom 4. Februar 2016 - [X.]/14, [X.]. 2016, 365 [juris Rn. 54 f.] - [X.]).

bb) Die [X.] waren auch nicht deshalb davon befreit, ein Erlaubnisverfahren anzustrengen, weil das von ihnen angebotene Glücksspiel gemäß § 4 Abs. 4 Satz 2 GlüStV 2021 nicht erlaubnisfähig ist. Die zuständige Behörde wäre im Rahmen eines solchen [X.] zur Einhaltung des Unionsrechts verpflichtet, was bei einer unterstellten Unionsrechtswidrigkeit des [X.] bedeutete, dass eine Erlaubnis nicht aus diesem Grund abgelehnt werden dürfte. Gegen eine (unionsrechtswidrige) Versagung der Erlaubnis durch die Behörde stünde den [X.] der Verwaltungsrechtsweg offen (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG; vgl. [X.], ZfWG 2022, 478 [juris Rn. 59 f.]).

cc) Der Umstand, dass die Beklagte zu 1 nach ihrem Vortrag im Besitz einer Glücksspielerlaubnis von [X.] war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] kann es angesichts des weiten Wertungsspielraums der Mitgliedstaaten hinsichtlich der von ihnen angestrebten Ziele und des von ihnen gewünschten Verbraucherschutzniveaus sowie in Ermangelung jeglicher Harmonisierung auf dem Gebiet der Glücksspiele beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts keine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der von den verschiedenen Mitgliedstaaten erteilten Erlaubnisse geben. Demzufolge bleibt jeder Mitgliedstaat berechtigt, die Möglichkeit, den Verbrauchern in seinem Hoheitsgebiet Glücksspiele anzubieten, für alle daran interessierten Veranstalter vom Besitz einer von seinen zuständigen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen, ohne dass der Umstand, dass ein bestimmter Veranstalter bereits über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Erlaubnis verfügt, dem entgegenstehen kann ([X.], Urteil vom 12. September 2013 - [X.]/11 und [X.], ZfWG 2013, 391 [juris Rn. 40 f.] - [X.] u.a., mwN). Da eine allgemeine gegenseitige Pflicht der Mitgliedstaaten der [X.] zur Anerkennung von Erlaubnissen, die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten erteilt wurden, nicht besteht, bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten in jedem Fall die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung überlassen (BVerwG, ZfWG 2015, 227 [juris Rn. 26]).

dd) Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus der Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] in der Rechtssache "[X.]" ([X.]. 2016, 365) keine abweichende Beurteilung.

Das Verfahren betraf im [X.] die unionsrechtlichen Anforderungen an den Übergang vom staatlichen [X.] zum ordnungsrechtlichen Konzessionsmodell nach dem Glücksspielstaatsvertrag 2012. Das Urteil behandelt im Wesentlichen die Konsequenzen, die Verwaltung und Justiz eines Mitgliedstaats aus der Feststellung, dass Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts über das Verbot privater Glücksspielangebote mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, ziehen müssen, bis ein solcher Verstoß gegen das Unionsrecht durch eine Rechtsreform abgestellt wird (vgl. [X.], [X.]. 2016, 365 [juris Rn. 51] - [X.]; vgl. auch [X.]/[X.], ZfWG 2016, 78). Es ging im dortigen Verfahren mithin von vornherein nicht um eine mit dem Streitfall vergleichbare Konstellation.

Im Übrigen ergibt sich aus der Entscheidung in der Rechtssache "[X.]" lediglich, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Aus dem Urteil folgt dagegen nicht, dass ein Mitgliedstaat bei einer derartigen Verletzung des Unionsrechts verpflichtet wäre, die fragliche Tätigkeit zu dulden oder zu genehmigen. Er ist lediglich gehalten, über Anträge auf Erlaubnis der fraglichen Tätigkeit auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien zu entscheiden. Einen bestimmten Inhalt dieser Entscheidungen gibt ihm das Unionsrecht nicht vor (vgl. BVerwG, ZfWG 2019, 36 [juris Rn. 14]).

2. Nach dem Vorstehenden hat die Revision auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Berufung der [X.] mit Recht zurückgewiesen. Das Verhalten der [X.] ist jedenfalls unlauter, weil sie die [X.] ohne Erlaubnis gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 GlüStV 2021 angeboten und beworben haben.

Koch     

      

Löffler     

      

Schwonke

      

Feddersen     

      

Schmaltz     

      

Meta

I ZR 148/22

26.01.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 18. August 2022, Az: 5 U 46/20

§ 3a UWG, § 284 StGB, § 4 Abs 1 S 1 GlüStVtr HA 2021, § 4 Abs 1 S 2 GlüStVtr HA 2021

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.01.2023, Az. I ZR 148/22 (REWIS RS 2023, 6168)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6168

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