Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2012, Az. IX ZB 174/10

9. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8383

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kostenfestsetzung: Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des vom Insolvenzverwalter beauftragen Anwalts zur Führung eines Rechtsstreits vor einem auswärtigen Gericht


Leitsatz

Beauftragt ein Insolvenzverwalter einen Anwalt der eigenen Kanzlei mit der Führung eines Rechtsstreits vor einem auswärtigen Gericht, sind die Reisekosten des beauftragten Anwalts vom Prozessgegner nicht zu erstatten (Fortführung BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006, IX ZB 44/04, ZIP 2006, 832).

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 12. Juli 2010 wird auf Kosten des [X.] zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 272,40 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Rechtsanwalt in [X.] und machte als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Aktiengesellschaft aus [X.] beim [X.] gegen die Beklagte eine Forderung in Höhe von 1.859,54 € aus Insolvenzanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 [X.] geltend. Die Schuldnerin hatte nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im dritten Monat vor Eingang des [X.] zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf eine titulierte Forderung der Beklagten eine Zahlung an den Gerichtsvollzieher geleistet, die der Kläger zurückverlangt.

2

Der Kläger wurde in dem Rechtsstreit von einer Rechtsanwältin aus seiner Kanzlei vertreten. Diese nahm den Gerichtstermin in [X.] wahr. Das Gericht gab der Klage mit rechtskräftigem Urteil vom 17. Juli 2009 statt.

3

Das Amtsgericht hat es im Kostenfestsetzungsverfahren abgelehnt, Fahrtkosten in Höhe von 212,40 € sowie 60 € Abwesenheitsgeld der Klägervertreterin gegen die Beklagte festzusetzen. Der Kläger sei als Rechtsanwalt in der Lage gewesen, einen Anwalt aus [X.] zu beauftragen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Festsetzungsbegehren weiter.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht meint, der Kläger sei in der Lage gewesen, einen Anwalt am Ort des [X.] zu beauftragen. Die Sache sei tatsächlich und rechtlich einfach gewesen. Auch in [X.] gebe es auf Insolvenzrecht spezialisierte Anwälte.

6

Die Rechtsbeschwerde meint demgegenüber, ein Anwalt am auswärtigen Gerichtsort müsse nur beauftragt werden, wenn ein eingehendes [X.] nicht erforderlich sei, wie bei einem Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung. Zwar sei der Kläger ohne weiteres in der Lage, auswärtige Rechtsanwälte ausreichend zu instruieren. Der hierdurch verursachte zusätzliche Arbeitsaufwand könne aber nur durch Einstellung zusätzlichen qualifizierten Personals aufgefangen werden. Es sei notwendig, dass er in mehr als 150 Fällen jährlich einen Rechtsanwalt der eigenen Sozietät beauftrage, weil diese über die notwendigen Kenntnisse im Insolvenzrecht verfügten und sich an die von ihm gewünschte Art der Bearbeitung hielten. Es bestehe für ihn keine Obliegenheit, weitere Mitarbeiter einzustellen, vielmehr habe der Prozessgegner die Mehrkosten zu tragen.

7

2. Die Ausführungen des [X.] sind zutreffend. Weitere Kosten sind nicht festzusetzen. Die geltend gemachten Reisekosten sowie das Abwesenheitsgeld sind nicht erstattungsfähig, weil sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig waren (§ 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO).

8

a) Die Zuziehung eines in der Nähe des Wohn- oder [X.] ansässigen Rechtsanwalts durch eine an einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte [X.] stellt allerdings im Regelfall eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dar. Eine [X.], die einen Rechtsstreit zu führen beabsichtigt oder selbst verklagt ist und ihre Belange in angemessener Weise wahrgenommen wissen will, wird in aller Regel einen Rechtsanwalt in der Nähe ihres Wohn- oder [X.] aufsuchen, um dessen Rat in Anspruch zu nehmen und ihn gegebenenfalls mit der Prozessvertretung zu beauftragen. Sie wird dies wegen der räumlichen Nähe und der Annahme tun, dass zunächst ein persönliches mündliches Gespräch erforderlich ist. Diese Erwartung ist berechtigt, denn für eine sachgemäße gerichtliche oder außergerichtliche Beratung und Vertretung ist der Rechtsanwalt zunächst auf die Tatsacheninformation der [X.] angewiesen, die in aller Regel in einem persönlichen mündlichen Gespräch erfolgt ([X.], Beschluss vom 16. Oktober 2002 - [X.], NJW 2003, 898, 900; vom 13. Juli 2004 - [X.], NJW 2004, 3187; vom 13. Juni 2006 - [X.], [X.], 1416 Rn. 4 f; vom 13. Dezember 2007 - [X.], [X.], 422 Rn. 7 je mwN).

9

b) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt, sofern schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes [X.] für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird. Dies kann einmal anzunehmen sein, wenn es sich bei der [X.] um ein Unternehmen handelt, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt ([X.], Beschluss vom 18. Dezember 2003 - [X.], NJW-RR 2004, 856 f; vom 4. Juli 2005 - [X.], NJW-RR 2005, 1591, 1592; vom 13. Dezember 2007, aaO Rn. 8 mwN). Ein eingehendes persönliches [X.] kann zum anderen entbehrlich sei, wenn die Sache vom Kläger selbst oder von Mitarbeitern bearbeitet wird, die in der Lage sind, einen am Gerichtsort seine Kanzlei unterhaltenden Prozessbevollmächtigten umfassend über das [X.] in Kenntnis zu setzen. Dies kann anzunehmen sein, wenn es sich um rechtskundiges Personal handelt und der Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten aufweist ([X.], Beschluss vom 9. September 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 1724, 1725; vom 25. März 2004 - [X.], NJW-RR 2004, 857 f; vom 13. Dezember 2007, aaO).

Der [X.] hat deshalb angenommen, dass die Beauftragung eines am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Hauptbevollmächtigten zur Führung eines Rechtsstreits vor einem auswärtigen Gericht in aller Regel keine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. ZPO darstellt ([X.], Beschluss vom 13. Juli 2004, aaO S. 3188; vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 6; vgl. für einen Steuerberater auch [X.], Beschluss vom 13. Dezember 2007, aaO Rn. 8 f).

Ein als Rechtsanwalt zugelassener Insolvenzverwalter ist ohne weiteres imstande, einen am Prozessgericht tätigen Rechtsanwalt sachgerecht über den Gegenstand des jeweiligen Verfahrens zu unterrichten ([X.], Beschluss vom 13. Juli 2004, aaO; vom 4. Juli 2005 - [X.], [X.], 183, 184; vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 6, 8; vom 13. Dezember 2007, aaO Rn. 9). Dies gilt jedenfalls für den hier vorliegenden Rechtsstreit, der nach den Feststellungen des [X.] nicht umfangreich und schwierig gewesen ist. Unter diesen Umständen war ein eingehendes persönliches [X.] weder zur Ermittlung des Sachverhalts noch zur Rechtsberatung erforderlich. Im [X.] an eine schriftliche Informationserteilung hätten Beratung und Abstimmung des prozessualen Vorgehens schriftlich, fernmündlich oder mit Hilfe anderer moderner Kommunikationsmittel erfolgen können. Das wird vom [X.] auch ausdrücklich bestätigt. Die Beauftragung des am Sitz des Insolvenzverwalters ansässigen Prozessbevollmächtigten stellt demnach keine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO dar ([X.], Beschluss vom 13. Juni 2006, aaO Rn. 8; vom 13. Dezember 2007, aaO Rn. 9).

c) Aus der Entscheidung des [X.]s vom 28. Juni 2006 ([X.], [X.], 3008 mwN) ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die Organisationsstruktur des Büros des Klägers nichts anderes. Der [X.] hat dort angenommen, dass ein Krankenversicherer, die über qualifiziertes Personal verfügt, um auswärtige Rechtsanwälte ausreichend informieren zu können, bei jährlich anfallenden 120 bis 150 Gerichtsverfahren berechtigt ist, stets denselben Hauptprozessbevollmächtigten zu beauftragen, dem er alle Fälle, in denen es nach endgültiger Leistungsablehnung zum Rechtsstreit kommt, dadurch zur weiteren weitgehend eigenständigen Bearbeitung überlässt. Aus diesem Grunde seien dort weder [X.]e noch schriftliche Instruktionen erforderlich. Der Krankenversicherer sei nicht verpflichtet, eine andere Organisationsform zu wählen.

Diese Rechtsprechung ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Situation bei einem Krankenversicherer unterscheidet sich grundlegend von derjenigen bei einem Insolvenzverwalter. Die im Laufe eines Insolvenzverfahrens möglicherweise nötig werdenden Prozesse sind in rechtlicher Hinsicht äußerst vielfältig, selbst innerhalb des Bereichs der Insolvenzanfechtung. Es handelt sich, anders als bei einem Krankenversicherer, nicht um stets dieselbe Struktur der zu führenden Prozesse. Der Verwalter kann auftretende Fragen nicht einem Anwaltsbüro zur selbständigen Beurteilung und Erledigung überlassen. Er muss gemäß seinen Verpflichtungen als Insolvenzverwalter vielmehr selbständig die Zweckmäßigkeit des weiteren Vorgehens in jedem Einzelfall selbst prüfen. Wenn er die Prozessführung einem anderen Anwalt überträgt, muss er ihn entsprechend unterrichten sowie die erforderlichen Unterlagen individuell zusammenstellen und zur Verfügung stellen. Das kann gegenüber einem auswärtigen, in Insolvenzsachen erfahrenen Anwalt in gleicher Weise geschehen.

[X.]                                                    Vill

                         Lohmann                                                   Fischer

Meta

IX ZB 174/10

08.03.2012

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Landshut, 12. Juli 2010, Az: 33 T 1814/10

§ 91 Abs 1 S 1 ZPO, § 91 Abs 2 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 08.03.2012, Az. IX ZB 174/10 (REWIS RS 2012, 8383)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8383

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 174/10 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 44/04 (Bundesgerichtshof)


II ZB 23/16 (Bundesgerichtshof)

Rechtsanwaltsvergütung: Notwendigkeit der Reisekosten eines nicht im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts für die Verfolgung …


II ZB 14/04 (Bundesgerichtshof)


17 W 148/07 (Oberlandesgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

VIII ZB 9/23

II ZB 23/16

9 W 8/12 - 1

IX ZB 174/10

11 W 1194/19

11 W 1542/19

11 W 2293/15

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.