Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.02.2010, Az. X B 139/09

10. Senat | REWIS RS 2010, 9068

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Gegenstand

Privatgutachten als urkundlich belegter Parteivortrag - Prüfung und Würdigung von Gutachten durch das Gericht - Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung


Leitsatz

NV: Ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten ist im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln, das als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) übertrug seinen Kindern im Streitjahr 1995 ein 5.715 qm großes, gemischtgenutztes Betriebsgrundstück. Den [X.] ermittelte er mit 13.096 DM. Dabei legte er den (unstreitigen) Buchwert in Höhe von 3.224.104 DM sowie einen Entnahmewert in Höhe von 3.237.000 DM zugrunde, der sich aus einem vom Kläger in Auftrag gegebenen Privatgutachten ergab.

2

Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung schätzte der Bausachverständige des Finanzamts F den Entnahmewert auf 5.200.000 DM. Diesen Wert korrigierte er auf 4.800.000 DM, nachdem er das Privatgutachten in seine Berechnung einbezogen hatte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) änderte daraufhin den [X.] und setzte unter Berücksichtigung eines Entnahmewertes von 4.800.000 DM einen [X.] in Höhe von 1.575.896 DM an.

3

Im Einspruchsverfahren korrigierte das [X.] den Entnahmewert auf 4.360.000 DM. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht ([X.]) durch Beschluss vom 7. Januar 2004 Beweis durch Einholung eines Verkehrswertgutachtens des [X.] erhoben. Dieser hat einen Verkehrswert des entnommenen Betriebsgrundstücks in Höhe von 3.900.000 DM ermittelt. Durch Beschluss vom 19. März 2008, modifiziert durch Beschluss vom 2. Juni 2008, hat das [X.] erneut Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erhoben. Es hat den [X.]utachter [X.] beauftragt, den Teilwert des [X.]rundstücks zum 15. Dezember 1995 festzustellen. Dieser Sachverständige hat einen Wert von 3.600.000 DM ermittelt.

4

Im Schriftsatz vom 5. Dezember 2008 kam der Kläger zu dem Ergebnis, das [X.]utachten des Sachverständigen [X.] sei zwar nachvollziehbar, doch habe er bei der Ermittlung der nachhaltig erzielbaren Mieten nicht die Beeinträchtigung der Wohnungen und der Büros durch den laufenden LKW-Verkehr auf dem [X.]rundstück, die Belästigungen durch Lade- und Entladearbeiten, [X.] auf dem Hof und die dadurch unmögliche Nutzung des Hofs durch die Bewohner berücksichtigt. Zudem sei in die Bewertung nicht einbezogen worden, dass die Büros im Vorderhaus als Wohnungen konzipiert seien. Unter Berücksichtigung dieser Benachteiligungen sei von einem deutlich unter dem Mittelwert liegenden Mietzins auszugehen und der Wert des [X.]rundstücks werde dadurch erneut erheblich verringert. In seiner Stellungnahme zu diesen Einwänden hat der Sachverständige [X.] ausgeführt, im Rahmen der [X.] habe er aufgrund der [X.] einen Abschlag vom Bodenwert vorgenommen. Bei der [X.] seien für die Wohnungen und die zum [X.] als Büros genutzten [X.]ebäudebereiche der straßenseitigen [X.]rundstücksbebauung langfristig und nachhaltig zu erzielende Erträge angesetzt worden. Die Ertragsansätze seien aus [X.] bzw. dem [X.] abgeleitet worden. Dabei seien auch die von der [X.] und vom Hofbereich ausgehenden Immissionen berücksichtigt worden. Zusammenfassend kam der Sachverständige [X.] zu dem Ergebnis, dass auch nach nochmaliger Überprüfung seines [X.]utachtens an den [X.] festzuhalten sei. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausweislich der Niederschrift nicht die Einholung eines weiteren [X.]utachtens beantragt.

5

Das [X.]ericht folgte dem [X.]utachten des Sachverständigen [X.] und gab der Klage auf dieser [X.]rundlage teilweise statt. Die Revision ließ es nicht zu.

6

Mit der dagegen gerichteten Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel. Es liege ein [X.] vor. Da das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten ca. sechs Monate vor dem Entnahmezeitpunkt erstellt worden sei und der Beleihung des [X.]rundstücks durch eine Bank gedient habe, seien keine Zweifel an dem vom [X.] ermittelten Entnahmewert von 3.237.000 DM angebracht. Obwohl der Sachverständige [X.] nicht berücksichtigt habe, dass der Wert des [X.]rundstücks insgesamt durch die gewerbliche Nutzung gemindert sei, die Mieten zu hoch und der [X.] fehlerhaft nicht mit 7 % p.a. der Marktlage entsprechend angesetzt worden seien, habe das [X.] das [X.]utachten des Sachverständigen [X.] seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ausdrücklich von einer eigenen Wertermittlung abgesehen. Es habe sich mit den Abweichungen im [X.]utachten des Sachverständigen [X.] vom Privatgutachten des [X.] nicht weiter auseinandergesetzt, sondern das [X.]utachten des Sachverständigen [X.] floskelhaft gelobt. Zudem habe das [X.] den Anspruch des [X.] auf rechtliches [X.]ehör (Art. 103 Abs. 1 des [X.]rundgesetzes) verletzt. Beide [X.]utachter hätten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und ebenso wie der Kläger erwartet, dass ihnen das [X.] aufgeben werde, die in ihren [X.]utachten wiedergegebenen Annahmen und Schlussfolgerungen näher zu begründen. In dieser Weise habe sich das [X.] auch in der mündlichen Verhandlung geäußert. Stattdessen habe es die Beteiligten im [X.] an die mündliche Verhandlung mit dem angefochtenen Urteil überrascht, in dem das [X.]utachten des Sachverständigen [X.] vollkommen übernommen worden sei, ohne auch nur in einzelnen Teilpunkten die überzeugende Argumentation des Privatgutachtens zu verwerten.

7

Das [X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

8

II. [X.] ist nicht begründet. Ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) liegt nicht vor.

9

1. Das [X.] hat nicht gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, indem es davon abgesehen hat, seiner Entscheidung Teilaspekte des Privatgutachtens zugrunde zu legen.

a) Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das [X.]ericht sich seine Überzeugung auf der [X.]rundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts bildet und damit gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 [X.]O) verstößt. Der [X.] ist deshalb gehalten, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob und aus welchen [X.]ründen er dem [X.]utachten eines Sachverständigen folgt (Urteil des [X.] --[X.]-- vom 5. November 1981 [X.], [X.], 6, [X.] 1982, 258, m.w.N.).

Wie der [X.] im Urteil vom 26. Januar 1988 [X.] ([X.]/NV 1988, 788) entschieden hat, hat das [X.]ericht [X.]utachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen; Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel sind von Amts wegen --soweit möglich-- auszuräumen. Erforderlichenfalls ist der [X.]utachter zu einer Ergänzung seines schriftlichen [X.]utachtens zu veranlassen und in der mündlichen Verhandlung zu befragen.

b) Danach hat das [X.] im Streitfall seine Pflicht zur Sachaufklärung nicht dadurch verletzt, dass es den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen gefolgt ist. Es hat im Vorfeld der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen [X.] mit den Einwendungen des [X.] gegen verschiedene Passagen im [X.]utachten konfrontiert und zur Stellungnahme aufgefordert. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 13. Februar 2009 darauf hingewiesen, dass er bei der Bewertung des [X.]rundstücks die von der gewerblichen Nutzung ausgehenden Immissionen und innerhalb der Ertragswertermittlung für die Wohnungen und die als Büros genutzten [X.]ebäudebereiche langfristig und nachhaltig zu erzielenden Erträge berücksichtigt habe. Der [X.]utachter hat zudem angemerkt, dass ein [X.]utachten grundsätzlich ein in sich geschlossenes Verfahren darstelle, das durch objektspezifische Begründungen und Ansätze zu einem Endergebnis führe. Die isolierte Betrachtung einzelner Ansätze und Begründungen führe zu einer Verfälschung der Tatsachen bzw. des Endergebnisses. Das [X.] hat den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung geladen und den Beteiligten so [X.]elegenheit gegeben, mögliche Einwände gegen das [X.]utachten persönlich mit dem Sachverständigen zu diskutieren. Schließlich hat das [X.] auch hinreichend begründet, warum es dem [X.]utachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen [X.] gefolgt ist. Zudem ergeben sich aus den vom Kläger geltend gemachten Einwänden keine Mängel von solchem [X.]ewicht, dass sie das [X.]utachten als zur Sachverhaltsfeststellung nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen. Insbesondere ist das vom Kläger vorgelegte [X.]utachten nicht geeignet, einzelne Aspekte des [X.]utachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen in Frage zu stellen. Ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten ist im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln, das als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist ([X.]-Beschluss vom 3. Mai 2001 [X.]/00, [X.]/NV 2001, 1419). Es kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden.

c) Im [X.]runde genommen rügt der Kläger die seiner Ansicht nach fehlerhafte Auswertung und Würdigung des vom [X.]ericht angeforderten [X.]utachtens. Das aber ist keine Frage unzureichender Sachaufklärung ([X.]-Beschluss vom 19. Oktober 1998 XI B 29/98, [X.]/NV 1999, 607), sondern fehlerhafter Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das [X.]. Darauf kann ein Verfahrensmangel nicht gestützt werden. Denn die [X.]rundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des [X.] im Revisionsverfahren entzogen (vgl. [X.]-Beschluss vom 5. Mai 2004 [X.]/03, [X.]/NV 2004, 1533).

2. Einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches [X.]ehör (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 3 [X.]O) durch den Erlass einer Überraschungsentscheidung hat der Kläger nicht schlüssig gerügt. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn eine Entscheidung maßgeblich auf einen bis zuletzt nicht angesprochenen rechtlichen [X.]esichtspunkt gestützt wird (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 19. September 1990 [X.], [X.]E 162, 199, [X.] 1991, 100; vom 23. Mai 1996 IV R 87/93, [X.]E 180, 396, [X.] 1996, 523). Im Streitfall ergibt sich aus dem eigenen Vortrag des [X.] in der Beschwerdeschrift, dass er dem gerichtlich bestellten [X.]utachter in der mündlichen Verhandlung Fragen hätte stellen und so eine weitere Begründung des [X.]utachtens verlangen können.

3. Die zusätzliche Begründung vom 15. Februar 2010 ist als nachgereichter Schriftsatz verspätet. Die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nach § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 [X.]O) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind --abgesehen von bloßen Erläuterungen und [X.] nicht zu berücksichtigen. Der Vortrag, die Bestellung des [X.] als vereidigten Sachverständigen zur Ermittlung des [X.] sei zwischen dem Kläger und dem [X.] vereinbart worden, ist neu und widerspricht zudem dem Vorbringen, wie z.B. dem Schreiben des [X.] an den Sachverständigen [X.] vom 4. August 2008. Im Übrigen ist es weder rechts- noch sittenwidrig, wenn Finanzämter oder Finanzgerichte [X.] in Privatgutachten nicht folgen, sondern vielmehr die durch gerichtlich bestellte Sachverständige ermittelten Werte nach sorgfältiger und kritischer Würdigung übernehmen.

Meta

X B 139/09

23.02.2010

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 15. Juli 2009, Az: 8 K 6233/03 B, Urteil

§ 76 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 23.02.2010, Az. X B 139/09 (REWIS RS 2010, 9068)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9068

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