Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 227/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4767

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:280916BXIIZB227.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
[X.] 227/16

vom

28. September 2016

in der [X.]
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

FamFG §§ 26, 280, 293
Zur Verwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Betreuung, welches im [X.]punkt der erstinstanzlichen Entscheidung bereits rund ein Jahr zurückliegt.

[X.], Beschluss vom 28. September 2016 -
[X.] 227/16 -
LG Bielefeld

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 28. September 2016
durch [X.] und [X.] [X.], [X.], [X.] und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 23. Zivilkammer des [X.] vom 6. April 2016 wird [X.].
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
[X.]: 5

Gründe:
I.
Auf Anregung der Betreuungsbehörde hat das Amtsgericht ein Gutach-ten über die Notwendigkeit einer Betreuung für die 58jährige Betroffene einge-holt, welches am 9. Dezember 2014 erstattet und am 24. Januar 2015 ergänzt
worden ist. Nach Anhörung der Betroffenen und weiterer Beteiligter hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 7. Dezember 2015 eine Betreuung für die [X.] der Aufenthaltsbestimmung, Behördenangelegenheiten,
Empfangnahme und Öffnen von Post, Gesundheitsfürsorge, Vermögensange-legenheiten und Wohnungsangelegenheiten eingerichtet und die Beteiligte zu 1
als [X.] bestimmt. Das [X.] hat die Beschwerde der Be-troffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre
Rechtsbeschwerde.

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II.
Die Rechtsbeschwerde
ist nicht begründet.
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten leide die Betroffene an [X.] paranoiden Psychose
mit Verfolgungswahn, aufgrund derer
ihre Einsichts-
und Steuerungsfähigkeit aufgehoben und sie in den vom Amtsgericht angeord-neten [X.]n nicht in der Lage sei, ihren Willen frei zu bestimmen. Sie sei nicht in der Lage, interessengerechte Entscheidungen zu fällen, und bedürfe daher der Unterstützung im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung. Es seien die Behandlung ihrer Erkrankung

gegebenenfalls in einem stationären Rahmen

sicherzustellen, Schulden zu regulieren und die notwendigen [X.] zu regeln, um den Bezug von Leistungen der Grundsiche-rung weiter zu gewährleisten. Ebenso bedürfe es der Bearbeitung der Post durch die Betreuerin, da diese bei der Betroffenen meist unbearbeitet liegen geblieben sei. Auch hinsichtlich der Wohnsituation bedürfe die Betroffene
der
Unterstützung, da sie zur Verwahrlosung neige und deshalb erst vor kurzem
ihre Wohnung verloren habe.

2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das eingeholte Sachverstän-digengutachten habe
schon deshalb nicht (mehr) verwertet werden dürfen, weil seine Erstattung im [X.]punkt der erstinstanzlichen
Entscheidung bereits annä-hernd ein Jahr zurücklag und auf einer körperlichen Untersuchung beruht, die mehr als ein Jahr vor dieser
Entscheidung stattgefunden hat.
Gemäß § 26 FamFG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststel-lung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen 2
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durchzuführen. Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden (§ 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG).
Außerdem hat das Gericht den Betroffenen vor der Be-stellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören und sich
einen persönlichen Eindruck von dem [X.] zu verschaffen (§ 278 Abs. 1 Satz 1
und
2 FamFG).
Die Würdigung der so erhobenen Tatsachen und Beweise ist grundsätz-lich Sache des Tatrichters.
Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdi-gung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 18. März 2015

[X.] 370/14

FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN).
Zu den nur eingeschränkt überprüfbaren Fragen der Beweiswürdigung
gehört auch die Be-urteilung, ob eine schon länger zurückliegende Beweisaufnahme noch [X.] ist.
aa) Eine starre Frist,
binnen derer ein eingeholtes Sachverständigengut-achten noch verwertet werden kann, kennt das Gesetz nicht. Der zu verwerten-de
Beweis muss jedoch dazu geeignet sein, Feststellungen über eine im [X.]-punkt der Entscheidung bestehende Betreuungsbedürftigkeit zu treffen. Dazu ist eine bereits ein Jahr zurückliegende Beweisaufnahme nach § 280 FamFG nicht generell
ungeeignet. Sie kann eine noch hinreichende Tatsachengrundla-ge für die Entscheidung über die Einrichtung der Betreuung bieten, wenn ein Krankheitsbild festgestellt worden ist, das eine Besserung
langfristig nicht er-warten lässt, das Gutachten deshalb von einer voraussichtlich langfristigen Notwendigkeit
der Maßnahme ausgeht und in der [X.] nach der Begutachtung 7
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auch keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Veränderung der tatsächlichen Umstände erkennbar oder vorgebracht worden sind.
bb) Einschränkungen bei der Verwertbarkeit des Gutachtens ergeben sich auch nicht aus dem Rechtsgedanken des
§ 293
Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
Darin ist für den Fall einer Erweiterung des [X.]s des Betreuers und die Erweiterung des [X.] der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen gere-gelt, dass es einer persönlichen Anhörung nach § 278 Abs. 1 FamFG sowie der Einholung eines Gutachtens oder ärztlichen Zeugnisses (§§
280 und 281
FamFG) nur dann nicht bedarf, wenn diese Verfahrenshandlungen nicht länger als sechs Monate zurückliegen. Zu Unrecht zieht die Rechtsbeschwerde aus dieser Vorschrift den Schluss, dass auch bei der erstmaligen Einrichtung der Betreuung die persönliche Anhörung sowie die
Einholung des Gutachtens nicht länger als sechs Monate zurückliegen dürften.
§ 293 Abs. 2 Nr. 1 FamFG regelt das
Verfahren
in Fällen, in denen eine Betreuung bereits angeordnet worden ist und sich der Betreuungsbedarf nach-träglich erweitert. Dabei muss das Gericht aus der vorangegangenen Tatsa-chenerhebung hinreichende Kenntnisse zum Zustand des Betroffenen erhalten haben, die auch zur Grundlage der Erweiterungsentscheidung gemacht werden können (BT-Drucks. 13/7158 [X.]). Erweitert das Gericht im Nachhinein den Aufgabenkreis,
geht es selbst von einer veränderten Gesamtsituation aus. [X.] legt das Gesetz fest, dass einzelne veränderte Umstände
unter Rückgriff auf im Übrigen beizubehaltende
Erkenntnisse nur dann zu einer veränderten Entscheidung führen können, wenn die früheren Erkenntnisse nicht länger als sechs Monate zurückliegen und deshalb auch im Hinblick auf einen partiell
ver-änderten Sachstand noch eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bieten. Anders liegt es bei der erstmaligen Anordnung einer Betreuung, wenn sich
alle Tatsachenerhebungen

sei es zeitlich gestreckt

in ein
letztlich
geschlossenes 9
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Gesamtbild fügen, das die Anordnung einer Betreuung als erforderlich erschei-nen lässt.
b) Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Be-deutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose

[X.]

Nedden-Boeger

Botur

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 07.12.2015 -
5 XVII 599/14 C -

LG Bielefeld, Entscheidung vom 06.04.2016 -
23 [X.]/16 -

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Meta

XII ZB 227/16

28.09.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 227/16 (REWIS RS 2016, 4767)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4767

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 227/16

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