Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2017, Az. XII ZB 187/17

12. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 6254

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Gegenstand

Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts: Anforderungen an das einzuholende ärztliche Zeugnis


Leitsatz

Bei der Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts muss das nach § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG einzuholende ärztliche Zeugnis den Anforderungen des § 281 FamFG entsprechen. Das erfordert gemäß § 281 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 2 FamFG eine persönliche Untersuchung oder Befragung des Betroffenen vor der Ausstellung des Zeugnisses.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 17. März 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

[X.]: 5.000 €

Gründe

I.

1

Für die 43jährige Betroffene ist seit 2004 eine Betreuung mit den Aufgabenkreisen der Vermögenssorge und Geltendmachung von gesetzlichen Ansprüchen sowie der Gesundheitssorge eingerichtet, weil sie ihre Angelegenheiten wegen einer intellektuellen Minderbegabung und einer geistig-seelisch retardierten Entwicklung nicht selbst erledigen kann. Ende 2014 beantragte die Betroffene die Aufhebung der Betreuung, woraufhin das Amtsgericht am 20. Januar 2015 einen [X.] vornahm sowie einen Einwilligungsvorbehalt für den Abschluss von Darlehensverträgen mit Überprüfungsfrist zum 15. September 2016 anordnete, nachdem die Betroffene aus Kontoüberziehungen und infolge von Kreditaufnahmen insgesamt 19.909,36 € schuldete. Auf die Beschwerde der Betroffenen ließ das Amtsgericht mit [X.] vom 4. Februar 2015 den Aufgabenkreis Gesundheitssorge entfallen. Nachdem bekannt wurde, dass über das Vermögen der Betroffenen ein Insolvenzverfahren eingeleitet worden war, erweiterte das Amtsgericht mit Beschluss vom 3. März 2016 den Aufgabenkreis um den Empfang und das Öffnen der Post und den Einwilligungsvorbehalt auf die gesamte Vermögenssorge.

2

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 hat das Amtsgericht die Betreuung auf der Grundlage der persönlichen Anhörung und eines ärztlichen Zeugnisses verlängert und wieder auf den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge erweitert. Das [X.] hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen; hiergegen richtet sich ihre Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die Betreuung sei hinsichtlich der Vermögenssorge weiterhin erforderlich, da die Betroffene leicht beeinflussbar sei und die wirtschaftlichen Folgen ihres Handelns nicht überblicke. Obwohl sie ihre bereits eingegangenen [X.] nicht zurückführen könne, habe sie noch weitere Kredite aufnehmen wollen. Auch für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge sei die Betreuung erneut erforderlich, nachdem die Betroffene einen von der Betreuerin gestellten Antrag auf Pflegeleistungen eigenmächtig zurückgenommen und sich ihrer Hausärztin seit über anderthalb Jahren nicht vorgestellt habe, obgleich sie auf die regelmäßige Einnahme von Antidepressiva angewiesen sei.

5

Krankheitsbedingt sei die Betroffene nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Das sei im Gutachten vom 15. Januar 2015 bereits anhand der erheblichen kognitiven Defizite und kindlichen Beeinflussbarkeit der Betroffenen festgestellt worden.

6

Dem Vorschlag der Betroffenen, ihren anwaltlichen Verfahrensbevollmächtigten zum Betreuer zu bestellen, sei nicht zu entsprechen. Ihr Wunsch nach einem solchen [X.] liege nicht darin begründet, dass das Vertrauensverhältnis zu der bisherigen Betreuerin nachhaltig gestört sei, sondern beruhe darauf, dass sie sich von einem [X.] einen größeren finanziellen Freiraum erhoffe. Dem Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen fehle auch die Eignung als Betreuer.

7

2. Die angegriffene Entscheidung hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

8

a) Das [X.] hätte seiner Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung – unabhängig von der gleichzeitigen Erweiterung der Betreuung – nicht das ärztliche Zeugnis vom 20. Juli 2016 zugrunde legen dürfen, weil nicht erkennbar ist, dass die Ärztin die Betroffene vor der Ausstellung des Zeugnisses persönlich untersucht oder befragt hat.

9

Zwar enthält § 295 Abs. 1 Satz 2 FamFG eine Erleichterung bei der Verlängerung der Betreuung oder des [X.] und lässt anstelle eines erneuten Gutachtens ein ärztliches Zeugnis ausreichen. Dieses muss jedoch inhaltlich den Anforderungen des § 281 Abs. 2 iVm § 280 Abs. 2 FamFG entsprechen ([X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 295 Rn. 9; [X.]/[X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 295 Rn. 3; MünchKommFamFG/[X.] 2. Aufl. § 295 Rn. 2; [X.]/[X.] FamFG 19. Aufl. § 295 Rn. 2; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] FamFG 2. Aufl. § 295 Rn. 3; vgl. auch [X.], 494, 496 zu § 69 i Abs. 6 Satz 2 [X.]). Hiernach hat der Sachverständige den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Ein ohne die erforderliche persönliche Untersuchung erstattetes Sachverständigengutachten ist grundsätzlich nicht verwertbar ([X.]sbeschluss vom 20. August 2014 – [X.] – [X.], 1917 Rn. 10 mwN). Dieser Grundsatz besteht unabhängig davon, ob aus ärztlicher Sicht bereits auf der Grundlage anderer Erkenntnisse der sichere Schluss auf eine erkrankungsbedingte Betreuungsbedürftigkeit gezogen werden könnte ([X.]sbeschluss vom 21. Juni 2017 – [X.] – juris Rn. 7). Dasselbe gilt für ein ärztliches Zeugnis nach § 281 FamFG.

Das vorliegende Zeugnis lässt schon nicht erkennen, von welcher der im Briefkopf aufgeführten Ärztinnen es ausgestellt ist. Auch ergibt sich weder aus dem Zeugnis selbst noch aus sonstigen Feststellungen, dass es auf einer vorher durchgeführten Untersuchung oder Befragung der Betroffenen beruht.

b) Unabhängig davon hätte das [X.] nicht ohne eine förmliche Beweisaufnahme über die Erweiterung des [X.] entscheiden dürfen. Gemäß § 293 Abs. 1 Satz 1 FamFG gelten für die Erweiterung des [X.] des Betreuers und die Erweiterung des [X.] der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen die Vorschriften über die Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Deshalb hätte der Erweiterung des [X.] auf die Gesundheitssorge eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme vorangehen müssen (§ 280 Abs. 1 FamFG).

Der Einholung eines Gutachtens bedarf es gemäß § 293 Abs. 2 FamFG nur dann nicht, wenn ein früheres Gutachten nicht länger als sechs Monate zurückliegt oder die beabsichtigte Erweiterung nach Absatz 1 nicht wesentlich ist. Beide Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Das zuletzt am 15. Januar 2015 erstatte Gutachten lag im Zeitpunkt der Entscheidung länger als sechs Monate zurück und die Erweiterung des zuvor auf die Vermögenssorge beschränkten [X.] nunmehr auch auf die Gesundheitssorge als ein Aspekt der Personensorge ist nicht unwesentlich (vgl. [X.]/[X.] FamFG 19. Aufl. § 293 Rn. 7; [X.]/[X.]/[X.]/[X.] FamFG 2. Aufl. § 293 Rn. 7; [X.]/Weinreich/Rausch FamFG 5. Aufl. § 293 Rn. 7; [X.]/[X.]/[X.] FamFG 3. Aufl. § 293 Rn. 5; vgl. auch [X.], 153 zu § 69 i Abs. 1 Satz 2, 3 [X.]).

Weitere Verfahrenserleichterungen sieht das Gesetz nicht vor, auch nicht für den Fall, dass der erweiterte Aufgabenkreis vor geraumer Zeit schon einmal Gegenstand der Betreuung war.

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Für das weitere Verfahren weist der [X.] darauf hin, dass die gegen die [X.] erhobenen Angriffe der Rechtsbeschwerde unbegründet sind. Wie das [X.] zutreffend erkannt hat, richtet sich, wenn im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Verlängerung einer bereits bestehenden Betreuung über einen [X.] zu befinden ist, die Auswahl der Person des Betreuers nach der für die Neubestellung eines Betreuers maßgeblichen Vorschrift des § 1897 BGB (vgl. [X.]sbeschluss vom 17. September 2014 – [X.] 220/14 – [X.], 1998 Rn. 20 mwN).

Schlägt der zu Betreuende im Rahmen der Anordnung der Betreuung eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB). Die Vorschrift räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Es ist die Person zum Betreuer zu bestellen, die der Betreute wünscht. Der Wille des Betreuten kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person dem Wohl des Betreuten zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will ([X.]sbeschluss vom 17. September 2014 – [X.] 220/14 – [X.], 1998 Rn. 21 mwN). Solche Umstände sind hier durch das [X.] hinreichend festgestellt.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Dose     

      

[X.]     

      

        

      

Botur     

      

Krüger     

      

Meta

XII ZB 187/17

23.08.2017

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Verden, 17. März 2017, Az: 1 T 11/17

§ 280 Abs 2 FamFG, § 281 Abs 2 FamFG, § 293 FamFG, § 295 Abs 1 S 2 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.08.2017, Az. XII ZB 187/17 (REWIS RS 2017, 6254)

Papier­fundstellen: MDR 2017, 1306 REWIS RS 2017, 6254

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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