Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 26.07.2010, Az. 2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2010, 4453

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Art 3 Abs 1 GG gebietet keine Anwendung der Abgeordnetenpauschale des Art 3 Nr 12 EStG auf Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit - fehlendes Rechtsschutzinteresse bzgl der Höhe der Abgeordnetenpauschale


Gründe

1

Die [X.] werden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Sie haben keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. [X.] 90, 22 <25 f.>; 96, 245 <250>). Die Beschwerdeführer werden durch die gemäß § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes - [X.] - normierte Steuerbefreiung der nach den [X.]gesetzen des [X.] und der Länder gewährten [X.]pauschalen nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Der [X.]hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 12 [X.] auf die Beschwerdeführer anzuwenden. Nichtselbständig tätige Steuerpflichtige werden dadurch, dass § 3 Nr. 12 [X.] die Aufwandsentschädigung, die [X.]- und Landtagsabgeordnete monatlich als Pauschale erhalten, steuerfrei stellt, hinsichtlich der steuerlichen Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen nicht verfassungswidrig benachteiligt.

2

1. Die - gegebenenfalls - bestehende steuerliche Begünstigung der [X.] ist aufgrund der - auch verfassungsrechtlich geschützten - besonderen Stellung des [X.]mandats dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt:

3

a) Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. [X.] 116, 164 <180>; 122, 210 <230>; stRspr). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen ([X.] 110, 412 <431>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>). Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und [X.] unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an [X.] reichen (stRspr; vgl. [X.] 110, 274 <291>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 122, 210 <230>). Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (stRspr; vgl. [X.] 112, 164 <174>; 122, 210 <230>). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (stRspr; vgl. [X.] 105, 73 <111>; 107, 27 <45 f.>; 112, 268 <279>; 122, 210 <230>).

4

b) Nach diesen Grundsätzen verstößt die Besteuerung der Beschwerdeführer nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG:

5

aa) Die Beschwerdeführer beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 [X.]. Für berufsbedingte Aufwendungen stehen ihnen nach § 9a Satz 1 Nr. 1 [X.] der [X.] und bei entsprechendem Nachweis ein höherer Werbungskostenabzug hinsichtlich der tatsächlich entstandenen Aufwendungen nach § 9 [X.] zu. Dies entspricht dem der Einkommensteuer zugrunde liegenden Nettoprinzip, nach dem nur das "Nettoeinkommen" - die Erwerbseinnahmen abzüglich der Erwerbsaufwendungen und der existenzsichernden Aufwendungen - besteuert wird. Die - pauschale - steuerliche Berücksichtigung berufsbedingter Aufwendungen nach § 9a [X.] ist vom [X.] als verfassungsgemäß angesehen worden (vgl. [X.] 96, 1).

6

bb) Die von der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger, weisungsgebundener Arbeit abweichende einkommensteuerliche Berücksichtigung von "beruflich" bedingten Aufwendungen eines parlamentarischen Mandatsträgers ist dem Grunde nach durch die besondere Stellung der [X.] hinreichend sachlich begründet.

7

Abgeordnete "schulden" in Abgrenzung zu Arbeitnehmern rechtlich keine Dienste, sondern nehmen in Freiheit ihr Mandat wahr (vgl. [X.] 76, 256 <341> betreffend den Vergleich mit Beamten). Der Abgeordnete entscheidet grundsätzlich frei und in ausschließlicher Verantwortlichkeit gegenüber dem Wähler über die Art und Weise der Wahrnehmung seines Mandats (vgl. [X.] 118, 277 <336 f.>); dies betrifft auch die Frage, welche Kosten er dabei auf sich nimmt. Die pauschale Erstattung dieser Aufwendungen soll [X.] vermeiden, die beim Einzelnachweis mandatsbedingter Aufwendungen dadurch aufträten, dass die Aufgaben eines [X.] aufgrund der Besonderheiten des [X.]status nicht in abschließender Form bestimmt werden könnten (vgl. "Zweites Gutachten zur Neuregelung der Diäten der Mitglieder des [X.]" des [X.]beim Präsidium des Deutschen [X.], BTDrucks 7/5531, [X.], 44). Sie wird nach § 12 des [X.]gesetzes - [X.]- des [X.] beziehungsweise § 6 [X.] des [X.] zweckgebunden ausschließlich für mandatsbedingte Aufwendungen gewährt. Ihr Charakter entspricht weniger einer Werbungskostenpauschale als eher einem pauschalierten Auslagenersatz für Kosten, deren tatsächlicher Anfall vermutet wird.

8

Wie der [X.]finanzhof in den mit den [X.] angegriffenen Entscheidungen zu Recht ausführt, dient auch die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung der Vereinfachung und der Vermeidung von [X.], da die Besteuerung der Kostenpauschale und die Geltendmachung der mandatsbezogenen Aufwendungen als Werbungskosten entfallen (vgl. v. [X.], in: Kirchhof/[X.]/[X.], [X.], [X.], § 3 Rn. [X.]). Da auch nicht offensichtlich ist, dass die [X.]entschädigung bereits im [X.] nicht tatsächlich entstandenen Aufwand ausgleicht (vgl. [X.] 99, 280 <290 ff.>), ist danach eine abweichende steuerliche Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung eines [X.] gegenüber den Erwerbsaufwendungen bei nichtselbständiger Arbeit dem Grunde nach sachlich gerechtfertigt.

9

2. Soweit sich die [X.] gegen die Höhe der [X.]entschädigung richten, fehlt es bereits am erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Der [X.]finanzhof hat die Entscheidungserforderlichkeit der Frage, ob die Steuerbefreiung der [X.]entschädigung der Höhe nach verfassungsmäßig ist, zutreffend verneint, denn insoweit könnten die Beschwerdeführer auch im Fall der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entschädigungsregelung mangels Entscheidungserheblichkeit im Ausgangsverfahren ihre Rechtsposition nicht verbessern.

Soweit im Steuerrecht Steuerbefreiungen, Steuerentlastungen oder sonstige steuerliche Begünstigungen nur bestimmten Personen oder Gruppen gewährt werden, stellt sich häufig die Frage, ob eine solche Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Liegt ein Gleichheitsverstoß vor, ist in der Regel eine bloße Erklärung der Verfassungswidrigkeit geboten, weil der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Auch um der Gefahr zu begegnen, dass die Gerichte und letztlich das [X.] durch ihre Einschätzung in den Bereich der Gesetzgebung übergreifen, ist daher jedenfalls in den Fällen, in denen die Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm geltend gemacht wird, die nur bestimmte Personen oder Gruppen begünstigt, für die Entscheidungserheblichkeit darauf abzustellen, ob es ausgeschlossen ist, dass der Gesetzgeber eine für den Steuerpflichtigen günstige Regelung verabschiedet. Die Entscheidungserheblichkeit fehlt, wenn der Gesetzgeber an der Schaffung einer für den Kläger günstigeren Regelung aus Rechtsgründen oder aus offenkundigen sachlichen Gründen gehindert ist (vgl. [X.] 121, 108 <115 f.> m.w.N.). Dies ist aus den vom [X.]finanzhof genannten Gründen vorliegend der Fall. Wäre die [X.]pauschale der Höhe nach verfassungswidrig, könnte die in Bezug auf die [X.]pauschale gewährte Steuerfreiheit auch den Beschwerdeführern nicht gewährt werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08

26.07.2010

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BFH, 11. September 2008, Az: VI R 63/04, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 12 AbgG, § 6 AbgG BW, § 3 Nr 12 EStG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 26.07.2010, Az. 2 BvR 2227/08, 2 BvR 2228/08 (REWIS RS 2010, 4453)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4453

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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