Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.09.2023, Az. B 5 R 21/23 BH

5. Senat | REWIS RS 2023, 7602

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Gegenstand

Sozialgerichtsverfahren - Antrag auf Prozesskostenhilfe ohne Angabe einer Wohnanschrift


Tenor

Der Antrag, dem Kläger für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. April 2023 Prozesskostenhilfe zu gewähren, wird abgelehnt.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 26. April 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

I. Der im Jahr 1977 geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Er erhält vom beklagten Rentenversicherungsträger seit November 2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 23.1.2014). Im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens forderte er (erneut) die Berücksichtigung von Beitragszeiten aufgrund von Beschäftigung im Zeitraum vom [X.] bis zum 31.3.2013. Das lehnte die Beklagte ab, weil der zur Rentenbewilligung führende Leistungsfall der vollen Erwerbsminderung bereits im Juli 2012 eingetreten sei und nachfolgend tatsächlich zurückgelegte Beitragszeiten erst bei einem späteren Leistungsfall (zB Erreichen der Regelaltersgrenze) berücksichtigt werden könnten (Bescheid vom 24.10.2017, Widerspruchsbescheid vom [X.]).

2

Das sozialgerichtliche Klageverfahren gegen die zuletzt genannten Bescheide hat der Kläger unter Angabe einer Postanschrift in [X.] und vertreten durch seine anwaltlichen Prozessbevollmächtigten geführt. Die Prozessvollmacht weist als Ort und Datum "[X.] 15.1.18" aus. Eine in "[X.]" am 9.2.2018 unterzeichnete Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht hat der Kläger dem [X.] per Telefax übermittelt. Der Beklagten hat der Kläger am [X.] per E-Mail unter dem Betreff "alte adresse lange nicht mehr gültig" mitgeteilt, dass er "derzeit keinen festen wohnsitz" habe. Das [X.] hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom [X.], den Prozessbevollmächtigten des [X.] zugestellt am [X.]). Der Kläger selbst hat mit nicht unterschriebenem Telefax vom [X.] beim L[X.] Berufung eingelegt. Dabei hat er keine Anschrift angegeben und vorgetragen, er sei ohne festen Wohnsitz und lebe weder in [X.] noch in [X.]; erreichbar sei er nur über seine E-Mail-Adresse. Das L[X.] hat mit dem Kläger sodann per E-Mail kommuniziert und die Berufung nach mündlicher Verhandlung als zulässig, aber in der Sache nicht begründet zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Im Urteil ist der Kläger nur mit seinem Namen und der E-Mail-Adresse bezeichnet. Die Entscheidung wurde ihm mit einfacher E-Mail übermittelt. Zudem hat das Berufungsgericht die öffentliche Zustellung des Urteils angeordnet. Die Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung wurde am [X.] an der Gerichtstafel des L[X.] ausgehängt.

3

Mit einfacher E-Mail an das B[X.] hat der Kläger am [X.] mitgeteilt, dass er "Revision" einlegen möchte und einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PK[X.]) stelle. Er lebe nicht in [X.] oder [X.], weil er aus [X.] geflüchtet sei; eine Kommunikation sei nur per E-Mail möglich. Der Berichterstatter hat den Kläger in der (ausdrücklich nur ausnahmsweise per E-Mail übermittelten) Eingangsbestätigung darauf hingewiesen, dass mit einfacher E-Mail weder ein Rechtsmittel wirksam eingelegt noch ein Antrag auf PK[X.] wirksam gestellt werden könne; die Angabe einer Postanschrift - gegebenenfalls auch im außereuropäischen Ausland - sei erforderlich. Daraufhin hat der Kläger ein von ihm am 6.2.2023 unterzeichnetes [X.], das mit einem Aktenzeichen des Landgerichts [X.] versehen war, als eingescannten Anhang zu einer einfachen E-Mail vom 25.5.2023 übermittelt. Auch in diesem Formular ist im Feld "Anschrift" vermerkt: "außerhalb [X.] kein fester Wohnsitz". In Abschnitt [X.] des Formulars werden Kosten für eine angemietete Wohnung von 50 qm Größe geltend gemacht. Mit einem als Computerfax übermittelten Schriftstück vom [X.] hat der Kläger erneut mitgeteilt, er habe keinen festen Wohnsitz und keine feste Anschrift.

4

II. 1. Der Antrag auf Bewilligung von PK[X.] für die Durchführung eines Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] - das ist das einzige im Gesetz vorgesehene Rechtsmittel gegen die Entscheidung des L[X.] (vgl § 160a Abs 1 Satz 1 und 2 [X.]G) - ist abzulehnen.

5

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm §§ 114 ff ZPO kann einem Beteiligten für ein Beschwerdeverfahren vor dem B[X.] nur dann PK[X.] bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Voraussetzung für die Bewilligung von PK[X.] ist außerdem, dass der Antrag auf PK[X.] wirksam gestellt (§ 117 Abs 1 ZPO) und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der hierfür vorgeschriebenen Form (§ 117 Abs 2 und 4 ZPO) eingereicht wird.

6

Die ausschließlich mit einfacher E-Mail bzw als nicht unterzeichnetes Computerfax ohne Angabe einer Wohnanschrift beim B[X.] eingereichten Anträge genügen dem Erfordernis eines wirksamen PK[X.]-Antrags nicht. Rechtsschutzgesuche an ein [X.] Gericht müssen im Regelfall dem Gericht die Wohnanschrift des Rechtsuchenden benennen. Die bloße Angabe einer E-Mail-Adresse oder einer Mobilfunk-Telefonnummer reicht grundsätzlich nicht aus (vgl B[X.] Beschluss vom 18.11.2003 - [X.] KR 1/02 S - [X.] 4-1500 § 90 [X.] RdNr 3 ff; s auch BF[X.] Beschluss vom 21.10.2020 - VII [X.]19/19 - juris RdNr 40; eingehend auch BVerwG Urteil vom 13.4.1999 - 1 C 24/97 - NJW 1999, 2608 = juris RdNr 27 ff). Zwar ist im Ausnahmefall mit Rücksicht auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (vgl Art 19 Abs 4 Satz 1 GG, s hierzu auch [X.] Beschluss vom [X.] - 1 BvR 2211/94 - NJW 1996, 1272 = juris RdNr 2) die fehlende Angabe einer Anschrift unschädlich, wenn der Rechtsschutzsuchende glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt, etwa weil er wohnsitzlos ist (vgl BVerwG aaO = juris RdNr 40; s auch B[X.] aaO RdNr 8). Der Senat ist aber nicht davon überzeugt, dass ein solcher Ausnahmefall hier vorliegt. Allerdings behauptet der Verfasser der dem B[X.] übermittelten E-Mails, er habe keinen festen Wohnsitz und keine feste Anschrift. Dazu im Widerspruch steht jedoch die Angabe in dem PK[X.]-Vordruck, der am 25.5.2023 als Anlage zu einer E-Mail übermittelt worden ist. Dort macht er als Wohnkosten für eine 50 qm große Ein-Zimmer-Wohnung, die er als Mieter bewohne, monatliche Mietkosten von 400 Euro geltend. Unter diesen Umständen sind die Angaben zu einer bestehenden [X.] bzw Obdachlosigkeit nicht glaubhaft.

7

Ungeachtet dessen erfüllen die lediglich mit einer einfachen E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur übersandten Eingaben die Anforderungen des § 65a [X.]G an eine formgerechte Übermittlung elektronischer Dokumente im sozialgerichtlichen Verfahren nicht (ebenfalls zu einem PK[X.]-Antrag vgl B[X.] Beschluss vom 27.5.2021 - B 5 R 9/21 B[X.] - juris RdNr 4 sowie B[X.] Beschluss vom [X.] - B 4 [X.]/22 B[X.] - juris RdNr 8, auch zur Veröffentlichung in [X.] 4 vorgesehen).

8

Die Bewilligung von PK[X.] muss daher bereits aus formalen Gründen abgelehnt werden (§ 73a Abs 1 [X.]G iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Begehren, Beitragszeiten, die nach Eintritt der vollen Erwerbsminderung zurückgelegt wurden, bereits bei der deswegen gewährten Erwerbsminderungsrente rentensteigernd zu berücksichtigen, aufgrund der Regelung in § 75 Abs 2 Satz 1 [X.] [X.]B VI auch in der Sache keinen Erfolg haben kann.

9

2. Auch die sinngemäß erhobene Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des L[X.] ist aus den unter 1. genannten Gründen durch Beschluss ohne Zuziehung [X.] als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 [X.]albsatz 2 iVm § 169 [X.]G). Überdies kann ein Rechtsschutzsuchender ein Rechtsmittel vor dem B[X.] nicht selbst führen, sondern muss sich durch zugelassene Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 73 Abs 4 [X.]G).

3. [X.] für das Beschwerdeverfahren beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 [X.]G.

                          

Düring

Körner

Gasser

Meta

B 5 R 21/23 BH

26.09.2023

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG München, 31. Januar 2022, Az: S 10 R 114/18, Gerichtsbescheid

§ 65a SGG, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 160a SGG, § 114 ZPO, §§ 114ff ZPO, § 117 ZPO, Art 19 Abs 4 S 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 26.09.2023, Az. B 5 R 21/23 BH (REWIS RS 2023, 7602)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7602

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