3. Senat | REWIS RS 2011, 4715
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Beschwerde gegen Verfahrensaussetzung
1. NV: Eine Verfahrensaussetzung kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat.
2. NV: Die Aussetzung eines finanzgerichtlichen Verfahrens, in dem es darum geht, ob Lebenspartner die Eintragung einer für Verheiratete vorgesehenen Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte 2010 beanspruchen können, ist im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen Verfassungsbeschwerden 2 BvR 909/06 und 2 BvR 288/07 ermessensgerecht.
[X.] Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Sie beantragten bei der Beklagten und Beschwerdegegnerin (die Stadt X --Stadt--) die Änderung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte 2010. Der Kläger zu 1. begehrte die Eintragung der [X.] statt der [X.], der Kläger zu 2. die Eintragung der Lohnsteuerklasse V an Stelle der [X.]. Die Stadt lehnte dies durch Verwaltungsakt vom 21. April 2010 ab. Die Rechtsbehelfe der Kläger hatten keinen Erfolg.
Im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren, in dem beide Kläger Klage erhoben hatten, setzte das Finanzgericht ([X.]) durch Beschluss vom 22. November 2010 das Verfahren entsprechend § 74 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) bis zur Entscheidung des [X.] ([X.]) über die Verfahren 2 BvR 909/06 und 2 [X.]/07 aus.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Beschwerde, zu deren Begründung sie vortragen, die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung nach § 74 [X.]O hätten nicht vorgelegen, weil die entscheidungserhebliche Vorfrage vom [X.] im Beschluss vom 21. Juli 2010 1 [X.], 1 BvR 2464/07 ([X.]E 126, 400) bereits entschieden worden sei und deshalb Bindungswirkung nach § 31 des Gesetzes über das [X.] ([X.]G) bestehe. Diese Bindungswirkung könne von einem Fachgericht nicht unterlaufen werden.
II. [X.] ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 132 [X.]O). Das [X.] hat ermessensfehlerfrei das Verfahren entsprechend § 74 [X.]O ausgesetzt.
1. Nach § 74 [X.]O kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung über die Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend § 74 [X.]O ist eine Ermessensentscheidung (Urteil des [X.] --BFH-- vom 18. Juli 1990 [X.], [X.], 409, [X.] 1990, 986). Eine Verfahrensaussetzung kann geboten sein, wenn vor dem [X.] bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim [X.] anhängigen Verfahrens hat (z.B. [X.]sbeschlüsse vom 7. Februar 1992 [X.], 25/91, [X.], 418, [X.] 1992, 408; vom 18. September 1992 [X.], [X.], 110, [X.] 1993, 123; vom 10. Februar 1995 [X.]/94, [X.], 435, [X.] 1995, 415).
2. Ermessensfehlerfrei hat das [X.] die Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung bejaht. Beim [X.] sind die [X.] ([X.] 2 BvR 909/06 und 2 [X.]/07 anhängig, die [X.] gegen die [X.]surteile vom 26. Januar 2006 [X.] ([X.], 236, [X.] 2006, 515) und vom 19. Oktober 2006 [X.]/06 ([X.] 2007, 663) betreffen. In diesen beiden Entscheidungen hatte der [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, dass eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten zwischen getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung mit Splittingtarif wählen können, sondern einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagen sind und die Einkommensteuer nach der [X.] zu berechnen ist. Nach den Feststellungen des [X.] liegen hierzu zahlreiche Parallelverfahren vor. Ein besonderes berechtigtes Interesse an einer vorzeitigen Entscheidung des [X.] trotz der beim [X.] anhängigen Verfahren wurde von den Klägern nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.
3. Die Ermessensentscheidung des [X.], das Verfahren auszusetzen, ist entgegen der Rechtsansicht der Kläger nicht deshalb fehlerhaft, weil der zur Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz ergangene Beschluss des [X.] in [X.]E 126, 400 möglicherweise Gesichtspunkte enthält, die auch für ein Verfahren, in dem es um die Ungleichbehandlung von Ehen und Lebenspartnerschaften im Einkommensteuerrecht geht, von Bedeutung sein können. Eine Bindung des [X.] an tragende Entscheidungsgründe des [X.]-Beschlusses in [X.]E 126, 400 nach § 31 [X.]G ist zu verneinen. Die Bindungswirkung ist auf das überprüfte Gesetz beschränkt (s. BFH-Urteil vom 11. August 1999 [X.], [X.], 413, [X.] 1999, 771).
4. [X.] beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 [X.]O. Es fällt eine Festgebühr von 50 € an (Nr. 6502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz --GKG--, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Meta
16.07.2011
Beschluss
vorgehend FG Düsseldorf, 22. November 2010, Az: 17 K 2136/10 L, Beschluss
Zitiervorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.07.2011, Az. III B 217/10 (REWIS RS 2011, 4715)
Papierfundstellen: REWIS RS 2011, 4715
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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