Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2010, Az. II B 178/09

2. Senat | REWIS RS 2010, 7091

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Gegenstand

Bindende Wirkung der Weitergeltungsanforderungen des BVerfG bei verfassungswidrigen Gesetzen -  Nichtzulassungsbeschwerde: Anforderungen an Begründung


Leitsatz

1. NV: Hat das BVerfG die befristete weitere Anwendung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift zugelassen, ist dies für die Fachgerichte verbindlich .

2. NV: Um die grundsätzliche Bedeutung einer vom BFH bereits entschiedenen Rechtsfrage darzulegen, muss ausgeführt werden, welche neuen und gewichtigen Argumente in der Rechtsprechung und/oder Literatur gegen die Rechtsauffassung des BFH vorgebracht werden .

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt in [X.] eine Spielhalle mit Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit, für die sie gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1 des [X.]ischen [X.]gesetzes ([X.]) in der jeweils geltenden Fassung [X.] von monatlich 600 DM je Gerät für die [X.] ab Januar 1995 und von monatlich 300 € je Gerät für die [X.] ab Januar 2002 anmeldete. Die Einsprüche und die auf den [X.]raum ab Januar 1997 beschränkten Klagen, mit denen die Klägerin die Verfassungswidrigkeit des [X.] geltend gemacht hatte, blieben erfolglos. Das Finanzgericht verwies zur Begründung seiner Entscheidung auf den Beschluss des [X.] ([X.]) vom 4. Februar 2009  1 [X.] ([X.]E 123, 1), durch den das [X.] zwar § 4 Abs. 1 [X.] wegen der Unvereinbarkeit des verwendeten Stückzahlmaßstabs mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt, aber im Tenor weiter ausgeführt hatte, die Vorschrift bleibe für den [X.]raum bis zum Außerkrafttreten des [X.] am 1. Oktober 2005 weiter anwendbar.

2

Die Klägerin bringt zur Begründung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision vor, die Rechtsfrage, ob die vom [X.] getroffene Weitergeltungsregelung wirksam ist, habe grundsätzliche Bedeutung. Zudem sei die Frage der kalkulatorischen Abwälzbarkeit bei Vergnügungsteuern auf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit nach wie vor offen und bedürfe einer grundsätzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

3

II. [X.] ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Danach müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.

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1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) verlangt von --vorliegend nicht gegebener-- Offenkundigkeit abgesehen substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich [X.] ist und deren Beurteilung zweifelhaft oder umstritten ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen ([X.]-Beschlüsse vom 19. Juli 2007 [X.]/06, [X.]/NV 2007, 2067; vom 14. September 2007 [X.], [X.]/NV 2008, 25; vom 30. Januar 2008 [X.], [X.]/NV 2008, 611; vom 27. Oktober 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 204, und vom 17. November 2009 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 452). Es sind Ausführungen erforderlich, aus denen sich ergibt, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist ([X.]-Beschlüsse vom 30. August 2001 [X.], 80/01, [X.]E 196, 30, [X.] 2001, 837; vom 18. April 2005 [X.]/04, [X.]/NV 2005, 1310; vom 24. Januar 2008 [X.]/07, [X.]/NV 2008, 605; vom 14. September 2009 [X.]/08, [X.]/NV 2010, 34, und in [X.]/NV 2010, 204). Hat der [X.] die vom Beschwerdeführer herausgestellte Rechtsfrage bereits entschieden, muss in der Beschwerdebegründung eingehend dargelegt werden, weshalb trotzdem weiterhin Klärungsbedarf bestehe. Insbesondere ist darzustellen, welche neuen und gewichtigen, vom [X.] noch nicht geprüften Argumente in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und/oder in der Literatur gegen die Rechtsauffassung des [X.] vorgebracht worden seien ([X.]-Beschluss vom 29. Oktober 2009 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 205, m.w.N.).

5

2. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

6

a) Soweit die Klägerin die Frage, ob die vom [X.] ausgesprochene Zulassung der befristeten weiteren Anwendung einer von ihm für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift bindende Wirkung für die Fachgerichte entfaltet, als klärungsbedürftig ansieht, fehlt es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der ständigen Rechtsprechung des [X.], nach der derartige [X.] für die Gerichte nach § 31 des Gesetzes über das [X.] ([X.]G) verbindlich sind ([X.]-Urteile vom 30. Juli 1997 II R 9/95, [X.]E 183, 235, [X.] 1997, 635; vom 24. Juni 1998 II R 104/97, [X.]/NV 1998, 1276, und vom 24. Mai 2000 II R 25/99, [X.]E 191, 240, [X.] 2000, 378; [X.]-Beschlüsse vom 18. Juni 1997 [X.]/97, [X.]E 182, 379, [X.] 1997, 515; vom 15. Oktober 1997 [X.]/97, [X.]/NV 1998, 502; vom 29. Oktober 1997 [X.]/97, [X.]/NV 1998, 361; vom 19. Mai 1998 [X.], [X.]/NV 1998, 1275; vom 8. Mai 2003 IV R 95/99, [X.]/NV 2003, 1054, und vom 23. Februar 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 1297), und zwar unabhängig davon, ob das [X.] zu derartigen [X.] befugt ist ([X.]-Beschluss vom 30. Juli 1997 [X.]/97, [X.]/NV 1998, 351). Für die Überprüfung einer Entscheidung des [X.] zur vorläufigen Weitergeltung einer für verfassungswidrig erklärten gesetzlichen Vorschrift durch die Fachgerichte gibt es keine verfahrensrechtliche Handhabe. Vor allem ist es dem Fachgericht materiell-rechtlich nicht möglich, hinsichtlich einer vom [X.] als Verfassungsorgan getroffenen Abwägung --hier: Bestimmung eines das Gemeinwohl schonenden Übergangs von der verfassungswidrigen zu einer verfassungsgemäßen Rechtslage-- eine "übergeordnete Rechtsnorm" (§ 80 Abs. 2 Satz 1 [X.]G) als Prüfungsmaßstab zu finden. Das Dogma der Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze gilt nicht uneingeschränkt und ausnahmslos. Das [X.] kann in seine die Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes bestimmende Ermessensentscheidung unter dem systematischen Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung abwägungsfähige Rechtsgüter einbeziehen. Diese Ermessensentscheidung ist kompetenzrechtlich dem [X.] als Verfassungsorgan vorbehalten und einer justizförmigen Erörterung und Prüfung durch die Fachgerichte entzogen ([X.]-Urteil vom 21. Juli 2004 [X.], [X.]/NV 2005, 513).

7

Der [X.] ([X.]) ist ebenfalls der Ansicht, dass vom [X.] getroffene Weitergeltungsanordnungen wirksam und für die Fachgerichte verbindlich seien. Selbst eine Bestrafung wegen Steuerhinterziehung sei für die vom [X.] bestimmte Übergangszeit trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit des zugrunde liegenden Steuergesetzes möglich ([X.]-Beschluss vom 7. November 2001  5 [X.], [X.]St 47, 138, [X.] 2002, 259).

8

Die Klägerin macht in der Beschwerdebegründung nicht geltend, dass die Frage der auf § 31 [X.]G beruhenden bindenden Wirkung der vom [X.] getroffenen Weitergeltungsanordnungen in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung oder in der Literatur anders beurteilt werde. Dass die Klägerin unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des [X.] zur Änderung des Gesetzes über das [X.] vom 21. Dezember 1970 ([X.] 1970, 1765) die Wirksamkeit der [X.] anders als die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung verneint, genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. Die Bundesregierung hatte zur Lösung des Problems, dass sich verfassungsgerichtliche [X.] dahin auswirken können, dass Regelungen, die für die [X.] unabdingbar notwendig sind, als in der Vergangenheit nicht gültig zu behandeln sind, vorgeschlagen, durch eine Änderung des § 79 Abs. 1 [X.]G dem [X.] die Befugnis zu geben, aus schwerwiegenden Gründen des öffentlichen Wohles zu bestimmen, dass ein für nichtig erklärtes Gesetz erst zu einem vom Gericht festzusetzenden Zeitpunkt als außer [X.] getreten gilt. Der Rechtsausschuss des [X.] hatte diesen Vorschlag abgelehnt und zur Begründung zum einen auf rechtliche Bedenken und zum anderen darauf hingewiesen, dass das [X.] in solchen Fällen bisher jeweils praktikable Lösungen gefunden habe. Das [X.] habe verfassungsrechtlich beanstandete Rechtsvorschriften nicht für nichtig erklärt, sondern jeweils eine Verpflichtung des Gesetzgebers festgestellt, innerhalb eines bestimmten Zeitraums tätig zu werden und verfassungsrechtliche Mängel zu beseitigen ([X.]/1471, S. 5 f.). Warum sich aus diesen Ausführungen des Rechtsausschusses dessen Meinung ergeben soll, von ihm ausdrücklich als praktikable Lösung angesehene Regelungen, mit denen das [X.] die vorläufige weitere Anwendung eines zwar für verfassungswidrig, nicht aber für nichtig erklärten Gesetzes zulässt, seien unwirksam und entfalteten deshalb keine Bindungswirkung nach § 31 [X.]G, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Sowohl der Gesetzgeber als auch die Verwaltung gehen im Übrigen in ständiger Praxis von der Wirksamkeit und bindenden Wirkung derartiger Regelungen aus. Auch dies hat die Klägerin nicht berücksichtigt.

9

b) Die Klägerin hat in der Beschwerdebegründung auch nicht substantiiert dargelegt, warum es möglich und erforderlich sein soll, die Frage der kalkulatorischen Abwälzbarkeit bei Vergnügungsteuern auf Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit in einem Revisionsverfahren zu klären. Das [X.] hat im Beschluss in [X.]E 123, 1 unter [X.] entschieden, dass § 4 Abs. 1 SpStG wegen der Unzulässigkeit des [X.] verfassungswidrig sei, nicht aber zusätzlich deshalb, weil die Steuer nicht auf die Spieler abwälzbar wäre. Die Abwälzbarkeit sei nämlich aus näher dargelegten Gründen gegeben (ebenso bereits [X.]-Urteil vom 29. März 2006 [X.]/04, [X.]/NV 2006, 1354).

Meta

II B 178/09

28.04.2010

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG Hamburg, 9. Oktober 2009, Az: 2 K 207/09, Urteil

§ 31 BVerfGG, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2010, Az. II B 178/09 (REWIS RS 2010, 7091)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7091

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