Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. XII ZB 250/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 5384

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.]/15

vom

16. September 2015

in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 37 Abs. 2, § 321 Abs. 1 Satz 2, § 329 Abs. 2 Satz 1
a)
Der Gutachter in einer Unterbringungssache muss schon
vor der Untersu-chung des Betroffenen zum Sachverständigen bestellt worden sein (im [X.] an Senatsbeschluss vom 7.
August 2013
XII
ZB
691/12

FamRZ 2013, 1725).
b)
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als [X.] setzt gemäß §
37 Abs.
2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat (im [X.] an Senatsbeschluss vom 29.
Januar 2014
XII
ZB
330/13
FamRZ 2014, 649).
BGH, Beschluss vom 16. September 2015 -
XII [X.]/15 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 16. September 2015
durch den Vorsitzenden Richter Dose und [X.], Dr.
Günter, Dr.
Nedden-Boeger und Dr.
Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 28.
April 2015 und der Beschluss der 4.
Zivilkammer des [X.] vom 30.
April 2015 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§
25 Abs.
2 GNotKG).
Die außergerichtlichen Kosten der Betroffenen werden der Staats-kasse auferlegt (§
337 Abs.
1 FamFG in entsprechender Anwen-dung).

Gründe:
I.
Die 79jährige Betroffene leidet an einer schizomanischen Störung bei teilweise
ausgeprägtem paranoiden Wahn-
und Beziehungserleben mit assozia-tiver Lockerung und Affektlabilität,
wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Seit September 2010
steht sie unter rechtlicher Betreuung.
1
-
3
-
Auf Antrag des Betreuers hat das Amtsgericht am 17.
März 2015 die Un-terbringung der Betroffenen zwecks Heilbehandlung bis längstens zum 28.
April 2015 genehmigt. Durch Beschluss vom 28.
April 2015 hat es die weitere Unter-bringung bis längstens zum 19.
Mai 2015 genehmigt.
Dagegen hat der Verfahrenspfleger
Beschwerde eingelegt, die das
Land-gericht zurückgewiesen
hat. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.
Die zulässige
Rechtsbeschwerde ist begründet.
1. Der Rechtsbeschwerdeantrag
richtet sich ausdrücklich auf
die Fest-stellung der Rechtswidrigkeit des amtsgerichtlichen und
des landgerichtlichen Beschlusses. Die Rechtsbeschwerde hat zwar daneben auch beantragt, den landgerichtlichen Beschluss aufzuheben. Weil das Verfahren indes durch Zeit-ablauf erledigt ist und hier eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommt, ist eine zusätzliche Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses ausgeschlossen (vgl. Senatsbeschluss vom 29.
Januar 2014

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FamRZ 2014, 649
Rn.
6 mwN).
2. Die Statthaftigkeit
der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der

hier vorliegenden

Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
2 FamFG (Senatsbeschluss vom 29.
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FamRZ 2014, 649 Rn.
7 mwN). Nachdem es sich bei der angefochtenen Ent-scheidung nicht um eine einstweilige Anordnung handelt, steht §
70 Abs.
4 FamFG
der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde nicht entgegen.
2
3
4
5
6
-
4
-
3. Die Entscheidungen von Amts-
und [X.] haben die Betroffene in ihren Rechten verletzt, was nach der in der [X.] ent-sprechend anwendbaren Vorschrift des §
62 Abs.
1 FamFG (Senatsbeschluss vom 29.
Januar 2014

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FamRZ 2014, 649 Rn.
8 mwN) festzu-stellen ist.
a) Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Die Unterbringung sei gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB zulässig. Die Betroffene erlebe aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ein antriebsgesteigertes, denk-gestörtes maniformes Syndrom mit derzeit starker Tendenz zur unmittelbaren Selbstschädigung.
Nach den eingeholten Sachverständigengutachten sei eine stationäre Behandlung zur Neueinstellung der von der Betroffenen benötigten Neuroleptika dringend notwendig. Unbehandelt sei davon auszugehen, dass sich der aktuelle Zustand weiter chronifiziere und dann mit einem zunehmenden Residualsyndrom zu rechnen sei, was die Lebensqualität der Betroffenen er-heblich einschränken würde. Es bestehe bei ihr keine Krankheitseinsicht und keine Behandlungsbereitschaft. Die Unterbringung zwecks Heilbehandlung sei verhältnismäßig, um eine erneute Exazerbation bei der Betroffenen zu vermei-den.
b) Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des [X.] halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie sind

wie die Rechtsbe-schwerde im Ergebnis zu Recht rügt

verfahrensfehlerhaft ergangen.
Gemäß §
329 Abs.
2 Satz
1 FamFG gelten für die Verlängerung der [X.] oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme die Vorschriften für die erstmalige Anordnung oder Genehmigung entsprechend. Das bedeutet, dass sämtliche Verfahrensgarantien für die Erstentscheidung uneingeschränkt auch im [X.] gelten, insbesondere die zwingende Anhörung 7
8
9
10
-
5
-
des Betroffenen gemäß §
319 FamFG sowie die Einholung eines Sachverstän-digengutachtens zum (Fort-)Bestehen der Unterbringungsvoraussetzungen gemäß §
321 FamFG ([X.]/[X.] FamFG 18.
Aufl. §
329 Rn.
10; [X.]/Weinreich/Dodegge FamFG 4.
Aufl. §
329 Rn.
8).
aa) §
321 Abs.
1 FamFG ordnet im Hinblick auf die mit der Unterbringung einhergehenden erheblichen Eingriffe in die Freiheitsrechte des Betroffenen zwingend die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Dadurch soll eine sorgfältige Sachverhaltsaufklärung zur Feststellung der medizinischen Vo-raussetzungen einer Unterbringung sichergestellt werden (Senatsbeschluss vom 29.
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FamRZ 2014, 649 Rn.
14 mwN).
Gemäß
§
321 Abs.
1 Satz
2 FamFG hat der Sachverständige den Be-troffenen vor Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu [X.], wobei er vor der Untersuchung des Betroffenen bereits zum Sachver-ständigen bestellt sein und ihm den Zweck der Untersuchung eröffnet haben muss, damit der Betroffene sein Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sinnvoll ausüben kann (Senatsbeschluss vom 7.
August 2013

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FamRZ 2013, 1725
Rn.
8 mwN).
Dem wird das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten nicht gerecht. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass weder aus den gerichtlichen Feststellungen noch aus der Akte ersichtlich wird, dass
der
Betroffenen die Bestellung ihrer
behandelnden Ärztin zur gerichtlichen Sachverständigen vor Beginn der Begutachtung bekannt gegeben worden ist. Darüber hinaus kann dem mündlich erstatteten Gutachten nicht entnommen werden, dass die Sachverständige die
Betroffene überhaupt auf ihre Funktion als solche hingewiesen und dass sie die
Betroffene zum Zwecke der [X.] gesondert untersucht hat.
Denn die Bestellung zur Sachverstän-11
12
13
-
6
-
digen ist erst im Anhörungstermin unmittelbar vor der Abgabe der [X.] Stellungnahmen erfolgt.
bb) Weiterhin
rügt die Rechtsbeschwerde zutreffend, dass das Sachver-ständigengutachten der
Betroffenen nicht bekannt gegeben worden ist.
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß §
37 Abs.
2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen [X.] (§
275 FamFG) zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des §
288 Abs.
1 FamFG abgesehen werden (Senatsbeschluss vom 29.
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FamRZ 2014, 649 Rn.
16 mwN).
Auch diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht ge-recht. Das Gutachten ist mündlich in Abwesenheit der Betroffenen erstattet worden. Aus der Gerichtsakte lässt sich nicht ersehen, dass sein Inhalt der Be-troffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist, so dass diese zu den getroffenen Indikationen und möglichen Behandlungsalternativen keine Nach-fragen stellen konnte und keine Möglichkeit hatte, durch die Erhebung von [X.] und Vorhalte an die Sachverständige eine andere Einschätzung der Sachverständigen zu erreichen. Ebenso wenig enthält das Sachverständigen-gutachten einen Hinweis darauf, dass die Betroffene durch dessen [X.] an sie Gesundheitsnachteile entsprechend §
288 Abs.
1 FamFG zu befürch-ten hätte.
c) Die Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in ihrem Freiheits-grundrecht aus Art.
2 Abs.
2 Satz
2 GG verletzt worden
(vgl. Senatsbeschluss 14
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-
7
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vom 29.
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FamRZ 2014, 649 Rn.
22
ff.).
Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen.

Dose

Schilling

Günter

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.04.2015 -
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XVII 390/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 30.04.2015 -
4 [X.] -

Meta

XII ZB 250/15

16.09.2015

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. XII ZB 250/15 (REWIS RS 2015, 5384)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5384

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Wird zitiert von

XII ZB 397/15

Zitiert

XII ZB 250/15

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