Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. 1 StR 579/11

1. Strafsenat | REWIS RS 2011, 371

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Gegenstand

(Besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung: Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß")


Leitsatz

Zur Wertgrenze des Merkmals "in großem Ausmaß" des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO beim "Griff in die Kasse des Staates".

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Der Erörterung bedarf lediglich Folgendes:

1. Die Verfahrensrüge einer Verletzung des § 189 [X.], mit der geltend gemacht wird, der Dolmetscher für die [X.] eines Mitangeklagten,     [X.], sei nicht gemäß § 189 Abs. 1 [X.] vereidigt worden und habe sich auch nicht auf seine - zuvor schon erfolgte - allgemeine Beeidigung als Dolmetscher berufen, hat keinen Erfolg.

a) Allerdings zeigt die Revision zutreffend auf, dass das [X.] - vor dessen Berichtigung - weder einen Hinweis darauf enthalten hat, dass dieser Dolmetscher dahin beeidigt worden ist, treu und gewissenhaft zu übertragen, noch, dass er sich auf seine allgemeine Beeidigung als Dolmetscher berufen hat. Durch das Fehlen eines derartigen Hinweises wird der Verstoß gegen § 189 [X.] unwiderleglich bewiesen, denn bei der Vereidigung eines Dolmetschers gemäß § 189 Abs. 1 [X.] handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit i.[X.]. § 274 StPO (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Juni 1987 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 189 Beeidigung 1).

b) Die Verfahrensrüge dringt aber nicht durch, weil der Senat ausschließen kann, dass das angefochtene Urteil auf diesem Verstoß beruht (aa). Zudem wurde das [X.] ordnungsgemäß dahin berichtigt, dass sich der Dolmetscher    [X.] auf seine allgemeine Vereidigung als Dolmetscher für die [X.] berufen hat (bb).

aa) Der Senat schließt aus, dass das Urteil auf einer Nichtberufung des Dolmetschers    [X.]beruht, der für einen Mitangeklagten hinzugezogen worden war.

Angesichts der Vereidigung der übrigen Dolmetscher in der Hauptverhandlung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Dolmetscher    [X.] sein eigener allgemein geleisteter Eid aus dem Blick geraten sein könnte. Auch sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er deswegen nicht treu und gewissenhaft übertragen hat, weil nicht nach außen dokumentiert ist, dass er sich seine allgemeine Beeidigung gerade im Einzelfall vergegenwärtigt hat. Vielmehr ist fernliegend, dass ein allgemein vereidigter Dolmetscher, der jahrelang bei Gericht übersetzt und sich immer wieder auf [X.] berufen hat, sich seiner Verpflichtung im Einzelfall nicht bewusst war und er deshalb unrichtig übersetzt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Juli 2005 - 1 [X.], [X.], 705).

Es ist deshalb in Fällen wie hier, in denen keine Anzeichen dafür sprechen, dass der Dolmetscher sich seiner besonderen Verantwortung im konkreten Fall nicht bewusst war, auszuschließen, dass das Urteil auf dem [X.] beruht (vgl. [X.], Beschluss vom 28. November 1997 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 189 Beeidigung 3). Im vorliegenden Fall kommt noch hinzu, dass in der Hauptverhandlung für einen anderen Mitangeklagten noch ein weiterer vereidigter Dolmetscher für die [X.] tätig war, der jedenfalls die für ihn wahrnehmbare Dolmetschertätigkeit des Dolmetschers       [X.] auf ihre Richtigkeit hin prüfen konnte. Im Übrigen schließt der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem geltend gemachten [X.] auch deswegen aus, weil der Angeklagte ein umfangreiches Geständnis abgelegt hat und seine Angaben von zahlreichen Zeugen bestätigt worden sind (UA S. 29).

bb) Die Verfahrensrüge hat auch deshalb keinen Erfolg, weil das [X.] im Hinblick auf die Verfahrensrüge zulässig berichtigt und dabei das für eine Protokollberichtigung zu beachtende Verfahren einge-halten worden ist (vgl. dazu [X.], Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 23. April 2007 - [X.], [X.]St 51, 298; [X.], Beschluss vom 15. Januar 2009 - 2 BvR 2044/07, [X.]E 122, 248). Das [X.] ist wirksam dahin berichtigt worden, dass sich der Dolmetscher    [X.]  auf [X.] berufen hat. Der ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge ist damit die Tatsachengrundlage entzogen, der geltend gemachte [X.] liegt nicht vor.

Im Hinblick auf den substantiierten Widerspruch des [X.] hat der Senat die Gründe der Berichtigungsentscheidung im Rahmen der Verfahrensrüge überprüft (vgl. dazu [X.]St 51, 298, 317). Die Gründe tragen die Berichtigung; der Senat hat auch sonst keine Zweifel daran, dass die Berichtigung zu Recht erfolgt ist. Bei der Überprüfung hat der Senat neben dem Umstand, dass sich der [X.] und die Protokollführerin sicher waren, der Dolmetscher      [X.]  habe sich auf den von ihm geleisteten Eid berufen, insbesondere berücksichtigt, dass die von den weiteren [X.], dem Sitzungsstaatsanwalt und dem betroffenen Dolmetscher eingeholten dienstlichen Stellungnahmen die Berichtigung ebenfalls tragen. Der [X.] hatte sogar noch die konkrete Erinnerung daran, überrascht gewesen zu sein, dass von den beiden in dem Verfahren als Dolmetscher eingesetzten Brüdern [X.] , die beide seit vielen Jahren als Dolmetscher beim [X.] tätig waren, nur der Dolmetscher      [X.] allgemein vereidigt war. Der Senat hat bei seiner Überprüfung der vorgenommenen Protokollberichtigung auch berücksichtigt, dass die beiden Instanzverteidiger angegeben hatten, keine Erinnerung mehr an den tatsächlichen Verfahrensablauf zu haben.

Die Auffassung der Revision, es sei selbst angesichts der von der Protokollführerin gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen ausgeschlossen, dass diese eine eigene sichere Erinnerung an den Vorgang haben könnte, teilt der Senat nicht.

2. Die näher ausgeführte Sachrüge hat aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben. Dies gilt auch für die Strafzumessung.

Der Erörterung bedarf allerdings die Annahme des [X.], es sehe die Grenze für die Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] „entsprechend der ständigen Rechtsprechung des [X.] bei 100.000 Euro“ ([X.]). Dies lässt besorgen, das [X.] sei der Auffassung, die Schwelle zur Hinterziehung „in großem Ausmaß“ sei stets erst bei einer Verkürzung von 100.000 Euro überschritten. Dies ist indes nicht zutreffend.

Im Fall 1 der Urteilsgründe stellt das [X.] zudem darauf ab, dass das aufgrund der unrichtigen Angaben des Angeklagten in der Umsatzsteuerjahreserklärung 2009 errechnete [X.] nur teilweise ausgezahlt, überwiegend aber mit anderen „Steuerschulden der [X.]GmbH, insbesondere Lohnsteuer, verrechnet“ wurde ([X.]). Das [X.] war offenbar der - unzutreffenden - Auffassung, es mache für die Frage, ob eine Hinterziehung „in großem Ausmaß“ vorliege, einen Unterschied, ob ein durch die Tat erlangtes (scheinbares) Steuerguthaben ausgezahlt oder aber mit anderweitigen Steuerschulden verrechnet werde.

Bei der Bestimmung des gesetzlichen Merkmals „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung gilt Folgendes:

a) Wie bereits im Grundsatzurteil des Senats vom 2. Dezember 2008 (1 [X.], [X.]St 53, 71, 81) ausgeführt, bestimmt sich das Merkmal „in großem Ausmaß“ im Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] nach objektiven Maßstäben. Es liegt grundsätzlich dann vor, wenn der [X.] 50.000 Euro übersteigt. Die Betragsgrenze von 50.000 Euro kommt namentlich dann zur Anwendung, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt hat, etwa bei Steuererstattungen durch [X.], Kettengeschäfte oder durch Einschaltung von sog. Serviceunternehmen („Griff in die [X.]sse“). Ist diese Wertgrenze überschritten, dann ist das Merkmal erfüllt ([X.]St 53, 71, 85; vgl. auch [X.], Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 [X.], [X.], 643, 644; [X.], Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 81/11, [X.], 396).

b) Beschränkt sich das Verhalten des [X.] indes darauf, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen und führt das lediglich zu einer Gefährdung des Steueranspruchs, liegt die Wertgrenze zum „großen Ausmaß“ demgegenüber bei 100.000 Euro ([X.]St 53, 71, 85). Dasselbe gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige zwar eine Steuerhinterziehung durch [X.] (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) begeht, indem er eine unvollständige Steuererklärung abgibt, er dabei aber lediglich steuerpflichtige Einkünfte oder Umsätze verschweigt (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2011 - 1 StR 81/11, [X.], 396) und allein dadurch eine Gefährdung des Steueranspruchs herbeiführt.

c) Anders ist die Sachlage, wenn der Täter steuermindernde Umstände vortäuscht, indem er etwa tatsächlich nicht vorhandene Betriebsausgaben vortäuscht oder nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht. Denn in einem solchen Fall beschränkt sich das Verhalten des [X.] nicht darauf, den bestehenden Steueranspruch durch bloßes Verschweigen von Einkünften oder Umsätzen zu gefährden. Vielmehr unternimmt er einen „Griff in die [X.]sse“ des Staates, weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuerforderung führen soll. Es bleibt dann deshalb für das gesetzliche Merkmal „in großem Ausmaß“ bei der Wertgrenze von 50.000 Euro.

d) Trifft beides zusammen, das Verheimlichen von Einkünften bzw. Umsätzen einerseits und die Vortäuschung von Abzugsposten andererseits, etwa beim Verheimlichen von Umsätzen und gleichzeitigem Vortäuschen von [X.], ist das Merkmal „in großem Ausmaß“ i.[X.]. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] jedenfalls dann erfüllt, wenn der Täter vom Finanzamt ungerechtfertigte Zahlungen in Höhe von mindestens 50.000 Euro erlangt hat (vgl. [X.] [X.], 643, 644 Rn. 13). Dasselbe gilt aber auch, wenn ein aufgrund falscher Angaben scheinbar in dieser Höhe (50.000 Euro) bestehender Auszahlungsanspruch ganz oder teilweise mit anderweitigen Steuerverbindlichkeiten verrechnet worden ist. Die Verrechnung steht dann nämlich insoweit einer Auszahlung gleich. Hat dagegen die Vortäuschung von steuermindernden Umständen für sich allein noch nicht zu einer Steuerverkürzung von mindestens 50.000 Euro geführt, verbleibt es für die Tat insgesamt beim Schwellenwert von 100.000 Euro (vgl. [X.] [X.], 643, 644).

e) Ob die Schwelle des „großen Ausmaßes“ überschritten ist, ist für jede einzelne Tat im materiellen Sinne gesondert zu bestimmen. Dabei genügt derjenige Erfolg, der für die Vollendung der Steuerhinterziehung ausreicht. Bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung des Tatbestandes der Steuerhinterziehung ist - nichts anderes gilt für § 371 Abs. 2 Nr. 3 [X.] - das „Ausmaß“ des jeweiligen [X.] zu addieren, da in solchen Fällen eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 StGB vorliegt ([X.]St 53, 71, 85).

f) Eine nachträgliche „Schadenswiedergutmachung“ hat für die Frage, ob eine Steuerhinterziehung „in großem Ausmaß“ vorliegt oder nicht, keine Bedeutung. Die Höhe des auf Dauer beim Fiskus verbleibenden „[X.]“ ist ein Umstand, der erst bei der Prüfung, ob die Indizwirkung des [X.] im Einzelfall widerlegt ist, und im Übrigen als bloße Zumessungserwägung in die Strafzumessung einbezogen werden kann (vgl. im Übrigen zur Schadensverringerung mit Geldmitteln unklarer Herkunft [X.], Beschluss vom 5. Mai 2011 - 1 [X.], [X.], 643, 645 Rn. 17, und einer solchen aufgrund von Pfändungen [X.], Beschluss vom 11. Oktober 2010 - 1 [X.], insoweit nicht abgedruckt in [X.], 170).

Zutreffend hat das [X.] daher den Umstand, dass „der Steuerschaden aufgrund der Beschlagnahme erheblicher Vermögenswerte der [X.].   GmbH nachträglich vollständig kompensiert“ wurde ([X.]), bei der Frage, ob das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 [X.] erfüllt ist, außer Betracht gelassen, in die Gesamtwürdigung, ob die Indizwirkung des [X.] widerlegt sein könnte, aber einbezogen.

[X.]                                                      Wahl                                         [X.]

                               [X.]                                                [X.]

Meta

1 StR 579/11

15.12.2011

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 26. Mai 2011, Az: 56 KLs 1/11 - 302 Js 143/10, Urteil

§ 370 Abs 3 S 2 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.12.2011, Az. 1 StR 579/11 (REWIS RS 2011, 371)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 371

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