Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 124/22

1. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6624

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des [X.] - 1. Zivilkammer - vom 21. November 2022 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des [X.] vom 25. August 2022 abgeändert.

Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Ausführung des [X.] zum Aktenzeichen 4 [X.] 628/22 nicht mit der Begründung zu verweigern, er erfülle nicht die Voraussetzungen der §§ 130a, 130d, 753 Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5 ZPO; § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Satz 1 und 2 JBeitrG.

Die Schuldnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1

A. Das für die Gläubigerin, die [X.], handelnde [X.] betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung wegen eines Ordnungsgelds mit Nebenforderungen.

2

Das [X.] beantragte im Juni 2022 die Abnahme der Vermögensauskunft und bei unentschuldigtem Fernbleiben des gesetzlichen Vertreters der Schuldnerin den Erlass eines Haftbefehls. Der Antrag ist qualifiziert elektronisch signiert, trägt den Nachnamen der Bearbeiterin, jedoch weder ein Dienstsiegel noch eine Unterschrift. Er wurde über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) des [X.] an das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Amtsgerichts zur Weiterleitung an den zuständigen Gerichtsvollzieher übermittelt.

3

Der Gerichtsvollzieher bat um Übersendung eines [X.] auf dem Postweg.

4

Das Amtsgericht hat die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist vor dem [X.] erfolglos geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren [X.] weiter.

5

B. Das Beschwerdegericht hat angenommen, aufgrund des Fehlens eines (elektronischen) [X.] liege kein formell ausreichender [X.] vor. Dieses Erfordernis sei nach der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht überholt. Bei Einhaltung der hierfür geltenden Vorschriften (insbesondere § 130a Abs. 3 ZPO) werde fingiert, dass das eingereichte Dokument dem prozessualen Schriftlichkeitsgebot genüge. Über die Schriftform hinausgehende Formerfordernisse würden durch die elektronische Übermittlung hingegen nicht berührt. Das Dienstsiegel gebe über die Unterschriftsleistung hinaus die Gewähr, dass die für die Wirksamkeit der Erklärung maßgebenden Vorschriften eingehalten seien.

6

C. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

7

I. Ordnungsgelder (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 Fall 1 [X.]), die beim [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] beim [X.], [X.], [X.], [X.] oder dem mit der Führung des [X.] im Sinn des § 8b des Handelsgesetzbuchs Beliehenen entstehen, werden gemäß § 2 Abs. 2 [X.] vom [X.] vollstreckt. Die Abnahme der Vermögensauskunft beantragt die Vollstreckungsbehörde gemäß § 7 Satz 1 [X.] bei dem zuständigen Gerichtsvollzieher; dieser Antrag ersetzt gemäß § 7 Satz 2 [X.] den vollstreckbaren Schuldtitel. Gleiches gilt für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Dezember 2014 - [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 15]).

8

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.], § 753 Abs. 4 Satz 1 und 2 ZPO können schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien als elektronisches Dokument beim Gerichtsvollzieher eingereicht werden. Für das elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, auf dieser Grundlage erlassene Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bestimmt, dass das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Zu den sicheren Übermittlungswegen gehört nach § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZPO der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde und der elektronischen Poststelle des Gerichts. Gemäß § 753 Abs. 5 ZPO in Verbindung mit § 130d Satz 1 ZPO sind Behörden verpflichtet, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.

9

II. Das [X.] ist im Streitfall befugt, die Anträge auf Abnahme der Vermögensauskunft (§ 802c Abs. 1 Satz 1 ZPO) und auf Erlass eines Haftbefehls (§ 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO) wegen des von der Schuldnerin [X.] zu stellen. [X.] ist dessen ungeachtet die [X.] als Gläubigerin der [X.] Forderung. Soweit § 6 Abs. 2 Satz 1 [X.] bestimmt, dass an die Stelle des Gläubigers die Vollstreckungsbehörde tritt, betrifft dies die Vertretungsbefugnis und nicht die Gläubigerstellung (vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 14] mwN).

III. Der [X.] des Gläubigers genügt entgegen der Auffassung des [X.] den Formanforderungen im elektronischen Rechtsverkehr.

1. Wie der [X.] nach dem Beschluss des [X.] entschieden hat, entspricht der [X.] nach § 7 Satz 1 und 2 [X.] den im elektronischen Rechtsverkehr geltenden Formanforderungen, wenn er entweder von der ihn verantwortenden Person qualifiziert elektronisch signiert worden ist oder von der ihn verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO). Weitere Formerfordernisse bestehen nicht. Insbesondere können die nach der [X.]srechtsprechung geltenden Anforderungen an einen in Papierform eingereichten [X.] (vgl. [X.], [X.] 2015, 146 [juris Rn. 16]) auf einen elektronisch eingereichten [X.] nicht übertragen werden. Der [X.] muss daher weder zusätzlich in Papierform eingereicht noch mit einem Dienstsiegel versehen werden (vgl. [X.], [X.], 1271 [juris Rn. 15, 22, 27 und 32]).

2. Im Streitfall sind die Formanforderungen eingehalten. Das Beschwerdegericht hat festgestellt, dass der [X.] qualifiziert elektronisch signiert ist (§ 130a Abs. 3 Satz 1 Fall 1 ZPO).

D. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO).

E. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Schuldnerin hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Kenntnis von der Sache erlangt (zu diesem Erfordernis vgl. [X.], Beschluss vom 6. April 2023 - [X.]/22, juris Rn. 23 mwN).

 

Koch     

  

Feddersen     

  

Pohl

  

Schmaltz     

  

Odörfer     

  

Meta

I ZB 124/22

27.07.2023

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Deggendorf, 21. November 2022, Az: 12 T 115/22

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.07.2023, Az. I ZB 124/22 (REWIS RS 2023, 6624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6624

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Zwangsvollstreckung: Vollstreckung einer Gerichtskostenforderung im elektronischen Übermittlungsweg


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I ZB 115/22

I ZB 84/22

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