Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2014, Az. 2 StR 624/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4980

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

2 StR 624/12
vom
5. Juni
2014
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Mordes u.a.
-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung am
28.
Mai
2014, in der Sitzung vom 5. Juni 2014,
an denen
teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.],
[X.],

Bundesanwältin

in der Verhandlung,
Richterin am [X.]

bei der Verkündung

als Vertreterinnen
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger des Angeklagten S.

,

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger
der Angeklagten [X.].

,

Justizangestellte

in der Verhandlung,
Justizangestellte

bei der Verkündung

als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
Auf die
Revisionen der
Angeklagten wird das Urteil des [X.]s [X.] vom 10. Juli 2012
mit den Feststellungen aufge-hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als
Schwurgericht
zu-ständige Strafkammer des [X.]s
Köln
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hatte in einem ersten Urteil den
Angeklagten S.

wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheits-strafe, die Angeklagte [X.].

wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils und [X.]urückverweisung der Sache durch Urteil des Senats vom 25. Mai 2011

2 [X.]

hat das [X.] den Angeklagten S.

erneut wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe, die Angeklagte [X.].

wegen Raubs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten ver-urteilt. Hiergegen wenden
sich die Revisionen der
Angeklagten
mit [X.] und der Sachbeschwerde. Die
Rechtsmittel sind
begründet.
A.
I. Nach den Feststellungen des [X.]s
war die Angeklagte [X.].

, die in einem Bordell
in [X.] als Prostituierte arbeitete, mit dem Mitangeklagten S.

befreundet. Beide befanden sich in finanziellen Schwierigkeiten. Die 1
2
-
4
-
Angeklagte [X.].

wusste, dass

[X.]

, die ebenfalls
in dem Bor-dell tätig
war, größere Bargeldmengen
bei sich
aufbewahrte. Die Angeklagte [X.].

entwickelte den Gedanken, der Angeklagte
S.

könne

[X.]

als Kunde aufsuchen, sie
niederschlagen und das Geld wegnehmen. Der Angeklagte S.

fühlte sich für das frühere Abhandenkommen von [X.] der Angeklagten [X.].

verantwortlich, er war schwerkrank
und stand vor einer gescheiterten wirtschaftlichen Existenz. Vor diesem Hintergrund
war er bereit, mit Hilfe der Angeklagten [X.].

die
Idee des Raubüberfalls in die Tat umzusetzen.

[X.]

war zu dieser [X.] die einzige Prostituierte im dritten Stock des
Hauses
A des Bordells. Die Angeklagten wussten, dass sie
am Sonntag, dem 28.
Juni 2009, in ihre Heimat reisen und das Geld mitnehmen wollte. Daher wurde die [X.], dem 26.
Juni, auf Samstag, den
27.
Juni 2009, als Tatzeit ausgewählt. Der Angeklagte S.

begab sich ge-gen 01.46 Uhr
zum [X.] des [X.], das
zunächst nicht anwesend war, sondern die fällige
Miete bei den Wirtschaftern bezahlte und eine Kollegin auf-suchte. Der Angeklagte S.

wartete daher im [X.] im Erdgeschoss
des Bordells, bis ihm die Angeklagte [X.].

gegen 02.00 Uhr durch Kurznach-richt auf elektronischem Weg mitteilte, er könne nun hinaufgehen.
Der Angeklagte S.

ließ sich von dem Tatopfer
massieren, wobei sie ihn mit Babyöl einrieb. Als sie ihm bedeutete, dass die [X.] zu Ende sei,
ver-suchte er sie niederzuschlagen. Dabei fiel eine Flasche mit Olivenöl vom Fens-terbrett und zerbrach. Der Angeklagte S.

schlug die Geschädigte
ins Ge-sicht. Dann
stülpte er ihr
eine Plastiktüte über den Kopf, wickelte ein Stück [X.], das er vom Fenster losgerissen hatte,
darum
und drückte das auf dem Bett liegende Opfer mit seinem Körpergewicht nieder; es
erstickte.

3
4
-
5
-
Danach
entwendete der Angeklagte
S.

Bargeld aus dem Schrank der Geschädigten. Nach Verlassen des [X.]s informierte er die Angeklagte [X.].

und fuhr mit dem Taxi nachhause, wo er gegen 03.28 Uhr eintraf. [X.] entsorgte er sein Hemd und eine
Kappe, die er zum Schutz vor einem
Wiedererkennen
auf Videoaufnahmen der Überwachungskameras getragen hatte,
in einer Mülltonne.
II. Das [X.] hat den Angeklagten S.

wegen Mordes zur Er-möglichung einer anderen Tat und aus Habgier in Tateinheit mit Raub mit To-desfolge schuldig gesprochen, die Angeklagte [X.].

des
Raubs, weil hinsicht-lich
der Tötung ein Mittäterexzess vorgelegen habe.
Nachdem Anklageschrift und Eröffnungsbeschluss von einer Tatzeit am Nachmittag des 27. Juni 2009 ausgegangen waren, hat die Schwurgerichts-kammer angenommen, es sei von einer Tatzeit am
27.
Juni 2009 zwischen 02.00 und
03.00 Uhr auszugehen. Eine spätere Begehung der Tat durch den Angeklagten S.

hat es ausgeschlossen.
Ein Besuch des Angeklagten S.

in dem Bordell
zu jener [X.]
sei von diesem eingeräumt worden; für einen späteren Kontakt mit dem Opfer fehle ein Hinweis. Noch am Nachmittag des 27.
Juni 2009 hätten Müllbeutel an der Tür-klinke des [X.]s der Getöteten gehangen, die von der Reinigungskraft am Vormittag dort hingehängt worden seien, vom Opfer aber ins [X.] [X.] worden wären, wenn es noch gelebt hätte. Der Fernseher
sei bei der Entdeckung der Leiche am Nachmittag in Betrieb gewesen mit einem Pro-gramm, das für die Getötete, die nicht deutsch verstand,
nur in der Tatnacht, aber nicht am Vormittag von Interesse gewesen wäre. Keine der dem Opfer nahestehenden Kolleginnen hätte
sie am Samstag noch gesehen, obwohl nach ihr Ausschau gehalten worden sei. Auch die Reinigungskraft habe sie nicht mehr bemerkt. DNA-Spuren unter den Fingernägeln der Getöteten stammten 5
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6
-
nur von dem [X.]eugen [X.]

, der sie gegen Mitternacht aufgesucht hatte, aber als Täter ausscheide, und von dem Angeklagten S.

, der sie danach [X.] habe. Die Angeklagte [X.].

habe am Samstagmorgen der [X.]eugin

Cu.

berichtet,
ihr habe das Tatopfer
mitgeteilt, es
wolle an diesem
Morgen ausschlafen. Auch habe die Angeklagte [X.].

die [X.]eugin

Cu.

zu einem gemeinsamen Flohmarktbesuch aufgefordert und dabei versucht, mög-lichst lange dort zu verweilen. Dies deute darauf hin, dass die Angeklagte [X.].

vorher vom Tod des Opfers erfahren habe.
Soweit die persönlich glaubwürdigen [X.]euginnen U.

und A.

wiederholt auch unter [X.] angegeben hätten, sie hätten die Getötete noch ge-gen 14.00 Uhr
am 27.
Juni 2009 auf dem Weg zur Dusche im [X.] oder von dort in den dritten Stock gehen gesehen, habe
es sich um unbewusste [X.] gehandelt. Bei der [X.]eugin U.

sei der Erinnerungsfehler
durch falsche
[X.]uordnung eines alltäglichen Vorgangs zur ebenfalls wiederge-gebenen Beobachtung eines Mannes, der in den dritten Stock hinaufgegangen sei, entstanden. Dies sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass die [X.]eugin D.

davon berichtet habe, von [X.] in der [X.] verletzt worden zu sein. Bei der [X.]eugin A.

sei der [X.]uordnungsfeh-ler anschließend bei ergänzenden Rekonstruktionsversuchen entstanden. Der Fehler
werde durch fehlerhafte Beschreibung der Badeausstattung
belegt.
Der rechtsmedizinische
Sachverständige Dr. H.

habe die
To-deszeit anhand der [X.] auf einen [X.]raum zwischen 07.08 Uhr und 13.32 Uhr am 27. Juni 2009 eingegrenzt. Dies begründe jedoch
keine ab-so

der denkbaren
Fälle. Die [X.] basiere zudem auf der Annahme einer konstanten Raumtempe-ratur von 27,5 Grad [X.], wie sie vom Sachverständigen um 01.47 Uhr am 27.
Juni 2009 am [X.] gemessen worden sei. Die Entwicklung der Raumtem-peratur im Lauf des Tages
sei jedoch nicht konkret feststellbar; das Gericht sei 9
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von einem Absinken der Temperatur in den Abend-
und Nachtstunden über-zeugt.
Eine Tötung des Opfers durch die Angeklagte [X.].

scheide aus, weil keine DNA-Spuren von ihr am [X.] gefunden worden seien, ferner weil sie körperlich zur Tatbegehung nicht in der Lage gewesen wäre
und schließlich, weil sie am Vormittag des Samstag zusammen mit der [X.]eugin

Cu.

den Flohmarkt besucht habe. Hinweise darauf, dass sie kurzfristig einen Dritten zur Durchführung der Tat bewegt haben könnte, seien nicht ersichtlich.
Aus dem vom Angeklagten S.

eingeräumten [X.] eines Raub-überfalls, aus der
Tatsache eines Aufsuchens des Opfers zwischen 02.00
und 03.00 Uhr am 27. Juni 2009, daraus,
dass DNA-Spuren des Angeklagten unter den Fingernägeln der Toten
sowie
an einem Ende des Vorhangstoffs und
auf Papiertüchern auf dem
Boden des [X.] gefunden wurden, schließlich aus Maßnahmen des Angeklagten S.

zur Spurenbeseitigung sei auf des-sen
Täterschaft zu schließen.
B.
I. Die Revision des Angeklagten S.

ist mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde begründet.
1.
Das Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler, weil das [X.] ei-nen Beweisantrag
zu Unrecht gemäß §
244 Abs.
3 Satz 2 StPO zurückgewie-sen hat.
a) Die
Verteidigung des Angeklagten S.

hatte einen Antrag auf Ein-holung eines Sachverständigengutachtens
zum Beweis der
Tatsache
gestellt, dass die um 01.47
Uhr am 28.
Juni 2009 im [X.] gemessene Raumtem-peratur durch Wärmezufuhr aus einem überhitzten Nachbarraum, durch Kör-perwärme der bei der [X.]arbeit in dem kleinen [X.]
anwesenden Perso-11
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nen und durch Abstrahlungswärme elektrischer Geräte und Lichtquellen mitver-ursacht
worden
sei. Dies hätte der
Annahme des [X.]s
entgegenge-standen, bis zum [X.]punkt der Messung sei es zu einer erheblichen Absen-kung der Umgebungstemperatur gekommen, weshalb die Rückrechnung
der Todeszeit durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen auf einen [X.]raum zwischen 07.08 und 13.32 Uhr am 27.
Juni 2009 anhand einer konstanten Um-gebungstemperatur von 27,5
Grad [X.] nicht maßgebend sei. Der Sachver-ständige hat auch andere [X.]räume für den Todeseintritt als Ergebnis von Kon-trollrechnungen mit
abweichender
Temperaturkonstante mitgeteilt, die bei [X.] Temperatur einen späteren, bei höherer Temperatur einen früheren [X.]raum des Todeseintritts ergeben
hatten.
Das [X.] hat den Beweisantrag zurückgewiesen, weil es an An-knüpfungstatsachen für ein Gutachten fehle. Der Sache nach wurde damit das beantragte Beweismittel als völlig ungeeignet im Sinne von §
244 Abs.
3 Satz 2 StPO angesehen. Ergänzend hat das [X.]
darauf hingewiesen, dass weder die Körperwärme anwesender Personen noch elektrische Geräte zu [X.] merklichen Erhöhung der Raumtemperatur geführt haben dürfte; vielmehr sei nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass die Raumtemperatur o-teil ist die [X.]
unter Erör-terung der Gegebenheiten am [X.]
von einem Temperaturabfall gegenüber der Tagestemperatur ausgegangen.
b) Diese
Begründung der [X.]urückweisung des [X.] trägt nicht. [X.]war sind Einzelheiten der Temperaturentwicklung im [X.] nach mehre-ren Jahren nicht
mehr genau rekonstruierbar. Wohl aber wäre die Frage, ob im Einklang mit der Beweisbehauptung der Verteidigung von einer Mitverursa-chung
der Raumtemperatur durch die von der Verteidigung angeführten Um-stände
mit der Folge, dass bis zum Messzeitpunkt kein erheblicher Tempera-16
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-
9
-
turabfall zu verzeichnen war,
anhand der räumlichen Gegebenheiten
des [X.] unter dem Dach, der Wirkung der
Körpertemperatur der zahlreichen am engen [X.] anwesenden
Personen und der Abstrahlungswärme
elektrischer Geräte und Beleuchtungseinrichtungen, ferner von der Außentemperatur und den
Belüftungsmöglichkeiten mit [X.] zumindest genauer
zu
selbst getan hat.
Die Annahme, das angebotene Beweismittel sei ungeeignet, weil es an aussagekräftigen Anknüpfungstatsachen fehle, ist auch deshalb [X.], weil
das Gericht selbst Anknüpfungstatsachen für seine Annahme heran-gezogen hat, dass in den Abend-
und Nachtstunden bis zur Temperaturmes-sung eine Absenkung stattgefunden hat. Ist die Möglichkeit der Feststellung von
Anknüpfungstatsachen
nicht generell ausgeschlossen, kann ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht mit der Annahme völli-ger
Ungeeignetheit des Beweismittels zurückgewiesen
werden (vgl. Senat, Ur-teil vom 5.
Mai 1999

2 StR 58/99).
c) Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht. Die nach den Urteilsgründen entscheidungserhebliche Tatzeitfeststel-lung
des [X.]s widerspricht im [X.] der [X.]
durch den rechtsmedizinischen Sachverständigen. Das Urteil lässt nicht erkennen, dass die [X.] für das [X.] ohne jeden Beweiswert war; dann kann die Berechnungsgrundlage bei der Umgebungstemperatur nicht durch Ablehnung einer bauphysikalischen Nachprüfung der Gegebenheiten of-fen gelassen werden, sofern
das Tatgericht nicht im [X.]weifel zugunsten des [X.] von einer ihm günstigen Berechnungsweise
ausgehen will.
2.
Auch die Beweiswürdigung des [X.]s weist Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten S.

auf.
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-
10
-
a) Die [X.]
hat angenommen, die [X.]euginnen U.

und A.

hätten sich geirrt, als sie im Vorverfahren
gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten und im Hauptverfahren
unter [X.] jeweils ausge-sagt haben, sie hätten die Getötete noch gegen 14.00 Uhr am 27.
Juni 2009 gesehen. [X.]u diesen Indiztatsachen
sind
Darstellungsfehler zu verzeichnen, auf denen das Urteil beruhen kann.
aa) Das insoweit
nicht sachverständig beratene
[X.] hat hervor-gehoben, nach aussagepsychologischer Erkenntnis

könnten
Erwartungen
zum
Ablauf eines Ereignisses zu selektiver Wahrnehmung und Erinnerung füh-ren. Solche Erwartungen beruhten auf [X.] oder Skripten, in de-nen Ereignisse in ihren Grundzügen festgelegt seien und Leerstellen für bestimmte Arten von Personen, Objekten oder Handlungen verblieben, wo-bei die Auswahl von Inhalten, die zur Füllung dieser Leerstellen in Frage kom-men, vorgeprägt seien. Die [X.] gehe von einem fehlerhaf-ten
Auffüllen von Leerstellen aus. Dazu
hat sie unter anderem eine Inhaltsana-lyse der Angaben der [X.]euginnen vorgenommen. Gegen diese Überlegungen
bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
Auch eine aussagepsychologische Untersuchung, die das [X.] nicht herbeigeführt hat,

[X.] und Informationsquellenüberprüfung, nicht durch Aussageninhalts-analysen feststellen oder ausschließen
(vgl. [X.] in: [X.] [Hrsg.], Psycholo-gisch-psychiatrische Begutachtung in der Strafjustiz, 2012, S.
33, 49).
Real-kennzeichen oder Lügensignale sind in [X.] ebenso anzutref-fen
wie in anderen Erlebnisbeschreibungen. Eine Kontrolle der Suggestibilität der [X.]euginnen hat das [X.] nicht selbst durchführen können. Die zu-sätzlich erforderliche Überprüfung der Quellen für eine mögliche Erinnerungs-verfälschung hat es nicht lückenlos vorgenommen. Für die Annahme einer ob-jektiv falschen Aussage
gleich
zweier [X.]euginnen zu derselben Tatsache auf-21
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11
-
grund desselben Wahrnehmungs-
und [X.] hätten die [X.] auch miteinander und mit dem sonstigen Beweisbild, zu dem auch die Tatzeitbestimmung gehört, abgeglichen
werden müssen; daran fehlt es im angefochtenen Urteil. Im Ergebnis
hat das [X.] nicht die wesent-lich
geringere Wahrscheinlichkeit dafür berücksichtigt, dass zwei [X.]euginnen, die
unabhängig voneinander zeitnah nach dem fraglichen Ereignis vergleichbare
Beobachtungen beschrieben haben, jeweils
einem Erinnerungsfehler unterle-gen
sein könnten.
[X.]) Die gedächtnis-
und aussagepsychologischen Überlegungen des [X.]s sind auch für sich genommen lückenhaft.
(1) Der [X.]eugin U.

hat die [X.] einen doppelten Irrtum

zugerechnet, weil diese
einerseits zu Unrecht angenommen habe, am Nachmittag des 27.
Juni 2009 den vermeintlichen Täter gesehen zu haben, und andererseits zu jener [X.] auch das Opfer noch gesehen haben wolle. [X.]ur [X.] aufgrund von Gesprächen der [X.]eugin U.

mit der [X.]eugin D.

ist im Urteil angemerkt, bei der eine Woche [X.] erfolgten Verletzung der [X.]eugin D.

durch einen ähnlich aussehenden Mann habe es sich für die [X.]eugin U.

nur um ein [X.]. Die Verletzung im Gesicht der [X.]eugin D.

sei für die [X.]eugin U.

andererseits ohne weiteres zu sehen gewesen.
Bei diesen Erwägungen
hat das [X.] nicht erörtert, dass alle un-mittelbar nach der Entdeckung der Leiche vorgenommenen Rekonstruktions-versuche der [X.]euginnen im [X.]usammenhang mit dem Mord und der Tätersuche gestanden hatten. Daher waren die Verletzung der [X.]eugin D.

durch [X.], die Wahrnehmung eines
ähnlich ausse-henden
Mannes am 27.
Juni 2009 und die Wahrnehmung des [X.] in un-24
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-
12
-
mittelbarer zeitlicher Nähe hierzu nicht ohne weiteres als [X.].
Das [X.] hat ferner darauf verwiesen, die [X.]eugin U.

habe das Badetuch falsch beschrieben, mit dem das Opfer zur Dusche gegangen sei, und sie habe von einer Badehaube gesprochen, die später nicht im [X.] ge-funden werden konnte. Wäre die [X.]eugin aber nur einem Erinnerungsfehler hin-sichtlich des [X.] erlegen, so wäre die gegebenenfalls [X.] eigenständiger Erinnerungsfehler hinsichtlich der Details falsche [X.] der Badeausstattung ohne besondere Aussagekraft. Nur die
Getöte-te war zur fraglichen [X.] im dritten Stock des Bordells in einem Dachzimmer ohne Dusche tätig und nur sie pflegte zum Duschen in den [X.] zu gehen.
(2) Ähnlich unzureichend begründet ist die Annahme eines Erinnerungs-fehlers der [X.]eugin A.

. Diese
hatte berichtet, sie habe gegen 14.30 Uhr am 27.
Juni 2009 aus der Tür ihres [X.]s im zweiten Stock eine nur mit ei-nem Badetuch verhüllte
Frau auf dem Weg nach oben gehen gesehen. Dies
wurde von der [X.]eugin mit dem Erscheinen eines
Stammfreiers in zeitlichen [X.]u-sammenhang gebracht. Die Bedeutung dieses [X.]usammenhangs hat das [X.] nicht erörtert.
Den Inhalt der Aussage der [X.]eugin A.

hat die Schwurgerichts-kammer auch
damit in Frage gestellt, dass sie
das Gesicht der Frau nicht gese-hen habe und ihr Badetuch nicht habe beschreiben können. Darauf kam es aber nicht notwendig
an, weil
zu jener [X.] nur die Getötete im dritten Stock als Prostituierte tätig war und nur sie von dort in den [X.] zum Duschen zu gehen pflegte.
Die
Annahme eines
[X.]uordnungsfehlers
der [X.]eugin A.

hat das [X.] schließlich p-u-27
28
29
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-
13
-
gin A.

aber überhaupt in Gespräche über das unter den dort arbeiten-den [X.] erörterte Thema eingebunden gewesen und damit einer Informationsquelle für eine Erinnerungsfälschung ausgesetzt war, ist nicht fest-gestellt. Damit ist die Annahme des [X.]s, es habe sich um einen se-kundären Erinnerungsfehler auch bei der zweiten
[X.]eugin zur Alibifrage gehan-delt, nicht lückenlos belegt.
(3) Fehldeutungen bei der Wahrnehmung und Erinnerung von zunächst alltäglich wirkenden Ereignissen sind theoretisch immer möglich
(vgl. [X.]/[X.], [X.].
Die Sünden des Gedächtnisses, 2009, S.
78 ff.). Sie dürfen im Prozess aber nicht ohne weiteres -
im Ergebnis mit be-lastender Wirkung für einen
Angeklagten -
unterstellt werden. Die Annahme von beiderseitigen Erinnerungsfehlern bei den Entlastungszeuginnen ist aber vom [X.] letztlich unterstellt worden. Das wird aus der Behauptung deutlich, die Beschreibung der Verhüllung der beobachteten Frau mit einem Badetuch durch die [X.]eugin A.

lblanges trägerloses Sommer-kleid pas. Für eine solche Vergleichsbetrachtung
bestand
kein
nachvoll-ziehbarer
Anlass, denn die Annahme, eine fremde Frau in einem solchen Kleid sei zu jenem [X.]punkt in den dritten Stock hinaufgegangen, wo sich allein das [X.] der Getöteten befand, ist rein spekulativ und fern liegend.
b) Die Ausführungen zur Tatzeit und zur Bestimmung der Todeszeit be-gegnen gleichfalls rechtlichen Bedenken.
Das [X.] hat angenommen, die rechtsmedizinischen Feststellun-gen seien mit der Tatzeit in den frühen Nachti-

(UA S.
67 f.) und

91). Das ist nicht nachvoll-ziehbar; denn als Tatzeit ist der
[X.]raum zwischen 02.00 und 03.00 Uhr [X.] worden, die Rückrechnung anhand der [X.] hat dagegen 31
32
33
-
14
-
einen [X.]raum zwischen 07.08 und 13.32 Uhr als höchstwahrscheinliche To-deszeit ergeben.
Letzterem lag
allerdings
die Prämisse zugrunde, dass die um 01.47 Uhr am 28. Juni 2009 gemessene Umgebungstemperatur von
27,5 Grad [X.] konstant vorgelegen habe. Alternativberechnungen für eine höhere Umge-bungstemperatur haben einen früheren Tatzeitraum, solche mit geringerer Temperatur einen späteren [X.]raum ergeben. Auch dafür wurde aber jeweils eine konstante Temperatur vorausgesetzt, die nach Überzeugung
des Landge-richts in der Leichenliegezeit nicht bestanden hatte, ohne dass die Tempera-turentwicklung jedoch
rekonstruiert worden wäre. Würde eine inkonstante Um-gebungstemperatur angenommen, wäre nicht nur eine Absenkung in den Abend-
und Nachtstunden bis zur Messung durch den Sachverständigen, son-dern auch eine Erhöhung in den Nacht-
und Morgenstunden des 27. Juni 2009

bei einer nach der [X.] etwa ab 03.00 Uhr beginnenden Lei-chenliegezeit

zu berücksichtigen. Ersteres hat das [X.] vorausgesetzt, letzteres übergangen.
Im Ergebnis bleibt aber schon der
vom [X.] angenommene Be-weiswert der Überlegungen zur Temperatur unklar. Die
Todeszeiteingrenzung
mit Hilfe einer Rückrechnung der Verringerungen der [X.] ist ei-ne stets mit Fehlerquellen behaftete Schätzung
(vgl. [X.]/[X.], Methoden zur Bestimmung der Todeszeit an Leichen, 1988, S.
139 ff.), die vom Tatrichter im Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit nach dem [X.] zu Grunde zu legen ist, wenn er über andere zuverlässige Beweisanzeichen nicht verfügt, deren eingeschränkter
Beweiswert aber bei der Abwägung mit sonstigen [X.] gewürdigt werden kann
(vgl. für die Rückrechnung des [X.] zur Tatzeit als Hinweis auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit [X.], Urteil vom 22.
April 1998

3 StR 15/98, [X.], 3427, 3428). Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass dies auch mit 34
35
-
15
-
Blick auf die den Angeklagten potenziell entlastende Beweiswirkung geschehen ist.
2. Der Mangel der Beweiswürdigung zwingt
zugleich
zur Urteilsaufhe-bung zugunsten der Angeklagten [X.].

. Auf deren Verfahrensrüge kommt es deshalb nicht mehr an.
III.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch,
die Sache an ein ande-res [X.] zurückzuverweisen (§
354 Abs.
2 Satz
1 StPO).
Fischer [X.][X.]

Eschelbach

[X.]
36
37

Meta

2 StR 624/12

05.06.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.06.2014, Az. 2 StR 624/12 (REWIS RS 2014, 4980)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4980

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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