Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.05.2014, Az. X ZR 25/13

X. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5652

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X [X.]
vom
13.
Mai 2014
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Sitzgelenk
ZPO 516 Abs. 1
Eine Berufung kann nur zurückgenommen werden, solange das Berufungsver-fahren noch nicht beendet ist.

[X.] §
110; ZPO §
269 Abs.
1
a)
Eine Patentnichtigkeitsklage kann auch in der Berufungsinstanz ohne Einwil-ligung des Beklagten zurückgenommen werden (Bestätigung von [X.], [X.] vom 22.
Juni 1993 -
X
ZR
25/86, [X.], 895 -
Hartschaumplat-ten).
b)
Eine Klagerücknahme durch die [X.] bedarf auch dann nicht der Zu-stimmung eines auf Seiten des [X.] am Rechtsstreit beteiligten Streithel-fers, wenn dieser gemäß §
69 ZPO als Streitgenosse anzusehen ist (Bestäti-gung von [X.], Beschluss vom 22.
Dezember 1964 -
Ia
ZR 237/63, [X.] 1965, 297
f. -
Nebenintervention).
[X.], Beschluss vom 13. Mai 2014 -
X [X.] -
[X.]

-
2
-
Der X.
Zivilsenat des [X.] hat am 13.
Mai 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr.
Meier-Beck, die Richter [X.], Dr.
Grabinski und Dr.
Bacher sowie die Richterin Dr.
Kober-Dehm
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin und der [X.] je zur Hälfte auferlegt. Der Antrag, die Klägerin des Rechtsmit-tels der Berufung für verlustig
zu erklären, wird zurückgewiesen.

-
3
-
Gründe:
I.
Die Klägerin und ihre Streithelferin haben die teilweise Nichtigerklä-rung eines [X.] Patents wegen fehlender Patentfähigkeit begehrt. Die Klage ist in erster Instanz erfolglos geblieben. Die Klägerin hat Berufung einge-legt und ihr Rechtsmittel begründet. Die Streithelferin hat eine zusätzliche Ent-gegenhaltung vorgelegt und geltend gemacht, der Gegenstand des [X.] sei auch durch den Inhalt dieser Veröffentlichung nahegelegt.
Mit Schriftsatz vom 18.
Dezember 2013 hat die Klägerin mitgeteilt, die [X.]en hätten sich vergleichsweise geeinigt, und erklärt, vor diesem Hinter-grund nehme sie die Klage zurück. Mit Schriftsatz vom 24.
Januar 2014 hat sie mitgeteilt, diese Erklärung beruhe auf einem [X.]. In dem [X.] sei vorgesehen, dass sie die Berufung zurücknehme. Dies sei mit dem Schriftsatz vom 18.
Dezember 2013 gemeint gewesen, was nunmehr richtig-gestellt werde. Vorsorglich hat die Klägerin erklärt, sie erkenne das Urteil des Patentgerichts an.
Die Beklagte beantragt, einen Beschluss gemäß §
516 ZPO zu erlassen. Hilfsweise beantragt sie eine Kostenentscheidung gemäß §
269 Abs.
4 ZPO.
II.
Das Begehren der Beklagten hat nur mit dem Hilfsantrag Erfolg.
1.
Der Antrag, die Klägerin gemäß §
110 Abs.
8 [X.] und §
516 ZPO des Rechtsmittels der Berufung für verlustig zu erklären und ihr die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen, ist unbegründet. Zwar kann dem Schriftsatz der Klägerin vom 24.
Januar 2014 eine Rücknahme der Berufung entnommen werden. Diese ist jedoch unwirksam, weil der Rechtsstreit bereits durch die Klagerücknahme im Schriftsatz vom 18.
Dezember 2013 beendet wurde.
1
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4
-
a)
Nach §
516 Abs.
1 ZPO, der gemäß §
110 Abs.
8 [X.] im [X.] entsprechend gilt, kann
der Berufungskläger sein [X.] bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Wenn es nicht zur Verkündung eines Berufungsurteils kommt, bleibt die Rücknahme der Beru-fung zulässig, solange das Berufungsverfahren noch nicht beendet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 30.
Juni 2011 -
III
ZB
24/11, [X.]Z 190, 197 = NJW 2011, 2662 Rn.
14).
b)
Im Streitfall hat bereits die Rücknahme der Klage im Schriftsatz vom 18.
Dezember 2013 zur Beendigung des Rechtsstreits und damit des [X.] geführt.
aa)
Dieser Schriftsatz enthält seinem Wortlaut nach eine Rücknahme der Klage. Diese Prozesshandlung ist auch dann wirksam, wenn sie auf einem Sek-retariatsversehen beruht und die Klägerin in Wahrheit nicht die Klage, sondern die Berufung zurücknehmen wollte.
Zwar darf die Auslegung einer Prozesshandlung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften. Vielmehr ist der wirkliche Wille der [X.] zu erfor-schen und davon auszugehen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Deshalb kann eine Prozesshandlung berichtigt wer-den, wenn es sich um einen offensichtlichen Irrtum handelt ([X.], Urteil vom 1.
August 2013 -
VII
ZR
268/11, NJW 2014, 155 Rn.
30 mwN).
Voraussetzung für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung oder Berichtigung ist aber, dass der abweichende Wille aus dem Schriftsatz oder sonstigen zu dessen Ausle-gung heranzuziehenden Umständen hervorgeht
und sowohl für den Gegner als auch für das Gericht offensichtlich ist ([X.], Beschluss vom 26.
September 2007 -
XII
ZB
80/07, NJW-RR 2008, 85 Rn.
20).
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-
Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar in ihrem Schriftsatz vom 18.
Dezember 2013 auf einen außergerichtlichen [X.]
Bezug genommen und erklärt, sie nehme die Klage "vor diesem Hinter-grund" zurück. Sie hat den Text des Vergleichs aber nicht vorgelegt und damals auch nicht mitgeteilt, dass sie sich darin zur Rücknahme der Berufung verpflich-tet hat. Angesichts dessen gab es für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht die Klage, sondern das Rechtsmittel zurücknehme [X.].
bb)
Ein Widerruf oder eine Anfechtung der wirksam erklärten Klagerück-nahme ist nicht möglich.
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] sind die für Willenserklärungen geltenden Vorschriften über Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit wegen [X.] auf Prozesshandlungen weder unmittelbar noch ent-sprechend anwendbar. Prozesshandlungen können nur ausnahmsweise [X.] werden, wenn ein Restitutionsgrund im Sinne von §
580 ZPO vorliegt oder wenn das Gesetz den Widerruf ausdrücklich gestattet, wie z.B. §
290 ZPO für das Geständnis ([X.], Beschluss vom 14.
Mai 2013 -
II
ZR
262/08, [X.], 2686 Rn.
7 mwN). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall ebenfalls nicht er-füllt.
[X.])
Entgegen der Auffassung der Beklagten
bedurfte die [X.] nicht ihrer Zustimmung. §
269 Abs.
1 ZPO ist im Patentnichtigkeitsverfahren nicht anwendbar.
Wie auch die Beklagte nicht verkennt, entspricht es der ständigen Recht-sprechung des [X.], dass eine Patentnichtigkeitsklage in jeder Lage des Verfahrens ohne Einwilligung des Beklagten zurückgenommen wer-den kann. Als maßgeblich hierfür hat der Senat angesehen, dass das Interesse
des [X.] an einer Sicherung vor weiteren Angriffen zurücktre-10
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ten muss, weil dem [X.] nicht angesonnen werden kann, gegen seinen Willen als Anwalt der öffentlichen Belange aufzutreten,
und weil [X.] der Laufzeit des Patents
eine auf denselben Klagegrund gestützte Nichtig-keitsklage ohnehin jederzeit auch von anderen Personen erhoben werden kann ([X.], Beschluss vom 22.
Juni 1993 -
X
ZR
25/86, [X.], 895 -
Hart-schaumplatten).
Die von der Beklagten dagegen angeführten Argumente führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
(1)
Zwar mag ein Patentinhaber im Einzelfall ein Interesse daran haben, dass gerade eine bestimmte [X.] daran gehindert ist, das Patent erneut mit einer auf denselben Klagegrund gestützten Nichtigkeitsklage anzugreifen. Ob eine solche Interessenlage besteht, ist indes eine Frage des Einzelfalls. Die Frage, ob eine Klagerücknahme der Zustimmung des Gegners bedarf, kann jedoch nicht von Umständen abhängen, deren Ermittlung und Bewertung im Einzelfall mit großen Unsicherheiten verbunden sein kann.
Unabhängig davon bietet die Abweisung der von einer bestimmten [X.] erhobenen Nichtigkeitsklage ohnehin keinen zuverlässigen Schutz gegen eine nachfolgende Nichtigkeitsklage eines Unternehmens, das mit der
ersten Nich-tigkeitsklägerin zwar rechtlich oder wirtschaftlich verbunden ist, aber dennoch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt und deshalb nicht als bloßer Stroh-mann angesehen werden kann.
(2)
Vor diesem Hintergrund ist auch für eine Klagerücknahme in der Be-rufungsinstanz keine abweichende Beurteilung geboten.
Die von der Beklagten angeführte Möglichkeit, die Berufung zurückzu-nehmen, stellt ohnehin nur dann eine Alternative zur Klagerücknahme dar, wenn die Klage in erster Instanz abgewiesen wurde. Auch in dieser Konstella-15
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tion erscheint es angesichts der geringen Vorteile, die dem Beklagten
entste-hen, wenn die erstinstanzliche Entscheidung rechtskräftig wird, nicht gerechtfer-tigt, dem Kläger eine Rücknahme der Klage zu verwehren.
Im Streitfall
entstehen der Beklagten insoweit ohnehin keine Nachteile. Wenn sich die Klägerin wirksam verpflichtet hat, die Berufung zurückzunehmen, ist sie auch dann an einer erneuten Klage gehindert, wenn sie stattdessen die Rücknahme der Klage erklärt hat. Die Klägerin ist aufgrund der übernommenen Verpflichtung gehalten, die Beklagte so zu stellen, als sei das erstinstanzliche Urteil durch Berufungsrücknahme rechtskräftig geworden. Damit ist es ihr ver-wehrt, das Streitpatent erneut aus demselben Klagegrund anzugreifen.
Das von der Beklagten angeführte Interesse, eine rechtskräftig gewordene Klageabweisung gegenüber anderen potentiellen [X.]n als "Ab-schreckungsmittel"
einzusetzen, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit ein solches Interesse recht-lich schützenswert ist. Jedenfalls hat der Umstand, dass die von einer anderen [X.] erhobene Nichtigkeitsklage in erster Instanz erfolglos geblieben ist, auch dann gewisse Signalwirkung, wenn das Urteil später durch Klagerücknahme seine Wirkung verloren hat. Der Umstand, dass das Urteil rechtskräftig gewor-den ist, vermag diese Signalwirkung jedenfalls dann nicht in wesentlichem Um-fang zu steigern, wenn die Rechtskraft auf einer Berufungsrücknahme beruht.
(3)
Angesichts all dessen führt auch die von der Beklagten aufgezeigte Gefahr, dass der Nichtigkeitsbeklagte bei Rücknahme der Klage einen begrün-deten Anspruch auf Verzinsung der zu erstattenden Prozesskosten verlieren könnte, nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein auf der Grundlage einer erst-instanzlichen Kostenentscheidung gestellter Antrag auf Kostenfestsetzung oder ein bereits ergangener Kostenfestsetzungsbeschluss unwirksam werden, wenn 20
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8
-
die Kostengrundentscheidung wegen Klagerücknahme gemäß §
269 Abs.
3 Satz
1 ZPO wirkungslos wird oder ob
-
ebenso wie bei einer teilweisen Abände-rung der Kostengrundentscheidung in der Berufungsinstanz (dazu [X.], [X.] vom 20.
Dezember 2005 -
X
ZB
7/05, [X.], 1140 Rn.
3)
-
derjeni-ge Teil der erstinstanzlichen Kosten, die eine [X.] nach beiden Kostengrund-entscheidungen
zu tragen hat, weiterhin vom Zeitpunkt des Eingangs des [X.] an zu verzinsen ist. Selbst wenn dem [X.] durch eine Rücknahme der Klage insoweit ein Nachteil entstünde, fiele dieser vor dem Hintergrund der aufgezeigten Interessenlage nicht derart stark ins Gewicht, dass er eine Fortsetzung des Rechtsstreits ge-gen den Willen des [X.] rechtfertigen könnte.
Im Streitfall entstehen der Beklagten zudem auch insoweit keine konkre-ten Nachteile. Die Verpflichtung der Klägerin, die Berufung zurückzunehmen, umfasst die Pflicht, die Beklagte auch hinsichtlich der Prozesskosten so zu [X.], wie diese im Falle einer Berufungsrücknahme stünde.
[X.])
Die Klagerücknahme bedurfte nicht der Zustimmung der Streithelfe-rin.
Im Patentnichtigkeitsverfahren ist ein Streithelfer des [X.] zwar ent-sprechend §
69 ZPO als Streitgenosse anzusehen ([X.], Urteil vom 16.
Okto-ber 2007 -
X
ZR
226/02, [X.] 2008, 60 Rn.
44 -
Sammelhefter II). Auch ein Streithelfer, dem diese Stellung zukommt, kann einer Rücknahme der Klage durch die [X.] aber nicht widersprechen. Er ist auch nicht befugt, den Rechtsstreit nach der Klagerücknahme alleine fortzuführen ([X.], Beschluss vom 22.
Dezember 1964 -
Ia
ZR
237/63, [X.] 1965, 297
f. -
Nebeninterventi-on; ebenso für den Fall der Rücknahme der von der [X.] eingelegten Berufung [X.], Beschluss vom 16.
Dezember 2010 -
Xa
ZR
110/08, [X.] 2011, 359 Rn.
4 -
Magnetowiderstandssensor).
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2.
Auf den Hilfsantrag der Beklagten ist
gemäß §
269 Abs.
4 Satz
1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Diese sind gemäß §
269 Abs.
3 Satz
2, §
101 Abs.
2 und §
100 Abs.
1 ZPO der Klägerin und der Streithelferin, die sich auch am Berufungsverfahren beteiligt hat, zu gleichen Teilen
aufzuerlegen.
Meier-Beck
[X.]
Grabinski

Bacher
Kober-Dehm
Vorinstanze:
[X.], Entscheidung vom 04.12.2012 -
4 Ni 21/11 -

27

Meta

X ZR 25/13

13.05.2014

Bundesgerichtshof X. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.05.2014, Az. X ZR 25/13 (REWIS RS 2014, 5652)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5652

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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15 W 16/21 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


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X ZR 25/13

4 Ni 21/11

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