Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2010, Az. XII ZR 108/08

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 8368

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.]/08 Verkündet am: 17. März 2010 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: [X.] §§ 546, 313, 242 [X.], 138 Bc Zur Anwendbarkeit der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Änderung der vorgesehenen Mieterstruktur. [X.], Urteil vom 17. März 2010 - [X.]/08 - [X.] LG München I - 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2010 durch die Vorsitzende Richterin [X.], [X.] Dr. [X.], die Richterin [X.] und [X.] und [X.] für Recht erkannt: Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 17. Juni 2008 aufgehoben. Die Berufung der [X.]n gegen das Urteil der 28. Zivilkammer des [X.] vom 12. November 2007 wird [X.]. Die [X.] trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren. Von Rechts wegen
Tatbestand: Die Klägerin verlangt von der [X.]n Räumung und Herausgabe von [X.]. 1 Mit Vertrag vom 20. Februar 2005 vermietete die Klägerin an die [X.] im Erdgeschoss eines sechsgeschossigen im Bau befindlichen [X.] zum Betrieb eines Cafés für zehn Jahre mit einmaliger [X.] zu Gunsten der [X.]n. Nachdem sich die von der Klägerin geplante 2 - 3 - Vermarktung der ersten vier Obergeschosse als Büroraum nicht realisieren ließ, veranlasste sie im [X.] 2005 den Ausbau dieser Geschosse als Wohnraum. 3 Ab September 2006 geriet die [X.] mit der Zahlung der monatlich in Höhe von 3.114,30 • geschuldeten Miete in Rückstand. Sie zahlte im [X.] nur einen Teilbetrag von 1.000 • und in den Monaten Oktober bis [X.] keine Miete. Am 12. November 2006 schlossen die Parteien unter Hinweis auf die schwierige wirtschaftliche Situation der [X.]n eine [X.], mit der der Mietzins rückwirkend ab September 2006 für sechs Monate bis zum 28. Februar 2007 um monatlich 1.000 • inklusive Mehrwertsteuer redu-ziert wurde. Weiter stundete die Klägerin den von der [X.]n anerkannten Mietzinsrückstand von 4.269,21 • zinslos bis Ende Februar 2007. Bei Verzug der [X.]n mit der reduzierten Miete sollte dieser Rückstand innerhalb von fünf Werktagen zur vollen Zahlung fällig sein. Im Gegenzug ließ sich die Kläge-rin ein bis zum 28. Februar 2007 bestehendes ordentliches Kündigungsrecht mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten einräumen. Gestützt auf dieses Kündigungsrecht erklärte sie mit Anwaltsschreiben vom 29. Januar 2007 die ordentliche Kündigung des [X.]. Mit Schreiben vom 23. Juli 2007 und vom 15. Februar 2008 kündigte die Klägerin den Mietvertrag fristlos wegen Zahlungsverzugs. 4 Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] die Klage abgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landge-richtlichen Urteils. 5 - 4 - Entscheidungsgründe: 6 Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-teils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. [X.] 7 Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin habe keinen [X.] und Herausgabe des Mietobjekts. Die ordentliche Kündigung vom 29. Januar 2007 sei unwirksam, weil das am 12. November 2006 vereinbarte ordentliche Kündigungsrecht und dessen Ausübung in hohem Maße treuwidrig (§ 242 [X.]), wenn nicht gar sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 [X.]) seien. 8 Geschäftsgrundlage des [X.] sei die gewerbliche Nutzung der ersten vier Obergeschosse als Büroraum gewesen. Das ergebe sich daraus, dass eine solche Nutzung ursprünglich von der Klägerin geplant und in der Flä-chenzusammenstellung des Bauwerks, die gemäß § 15 Nr. 2 des [X.] als Anlage 3 dessen wesentlicher Bestandteil geworden sei, auch so [X.] gewesen sei. Für die Klägerin habe sich aus den Umständen des Vertrags-schlusses klar ergeben, dass die [X.] besonderen Wert auf die Lage des Cafés in einem Wohn- und Geschäftshaus gelegt habe. Dieser Umstand [X.] zwar keine Einstandspflicht der Klägerin nach Gewährleistungsrecht gemäß §§ 537 ff. [X.], auch liege kein Fehler der Mietsache vor. Zur Anwendung kä-men aber die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 [X.]. Zwar trage im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter der Mieter das [X.] bezüglich der Mietsache, zu dem vor allem die Chance ge-höre, mit dem Mietobjekt Gewinne zu erzielen. Diese Risikoverteilung gelte 9 - 5 - auch dann, wenn die Lage des Mietobjekts in einem bestimmten Umfeld maß-geblicher Grund für die übereinstimmende Erwartung des Mieters und des Vermieters gewesen sei, von dem Umfeld werde eine geschäftsbelebende Wir-kung ausgehen. Unter diese Rechtsprechung lasse sich der vorliegende Fall allerdings nicht subsumieren. Hier falle es in den Risikobereich der Klägerin, die geplante Vermarktung der ersten vier Obergeschosse als Gewerbeeinheiten zu realisieren. Dadurch, dass ihr dies nicht gelungen sei, sei eine wesentliche Ver-änderung der Geschäftsgrundlage eingetreten. Die [X.] habe deshalb eine Anpassung des [X.] verlangen können. Dies sei der juristisch nicht versierten und anwaltlich nicht vertretenen [X.]n nicht bewusst gewesen, wohl aber der Klägerin, die als eine am Markt langjährig tätige Bauunternehme-rin von dem Interessenkonflikt zwischen künftigen Wohnungseigentümern und Gaststättenbetreibern gewusst habe. Deshalb sei davon auszugehen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Vereinbarung des [X.] bereits den Vorsatz gehabt habe, es auszuüben. Dieses Verhalten widerspreche den Grundsätzen von [X.] und Glauben, insbesondere der Verpflichtung der Kläge-rin zu eigener Leistungstreue, weshalb ihr die Berufung auf das eingeräumte ordentliche Kündigungsrecht zu versagen sei. Vor dem Hintergrund der bewussten Ausnutzung der wirtschaftlichen Si-tuation der [X.]n und ihrer juristischen Unkenntnis sei die Einräumung und Ausübung des Kündigungsrechts darüberhinaus sittenwidrig, § 138 Abs. 1 [X.]. 10 Auch die außerordentlichen Kündigungen wegen Zahlungsverzuges vom 23. Juli 2007 und vom 15. Februar 2008 seien unwirksam. Die Klägerin habe schon nicht dargetan, für welche Zeiträume die [X.] Zahlungen in welcher Höhe schulde. Sie könne aber auch deshalb nach [X.] und Glauben nicht [X.] - 6 - los kündigen, weil sie sich selbst nicht vertragstreu verhalten habe, indem sie die von ihr geschuldete Mitwirkung an der Vertragsanpassung abgelehnt habe. I[X.] 12 Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Klägerin hat, wie das [X.] zu Recht entschieden hat, gemäß § 546 [X.] einen Anspruch auf Herausgabe und Räumung des Mietobjekts und Herausgabe der Schlüssel. Denn die Klägerin hat den Mietvertrag wirksam mit Schreiben vom 29. Januar 2007 gestützt auf das im Nachtrag vom 12. November 2006 vereinbarte Sonderkündigungsrecht ordentlich gekündigt. 1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstoßen die Vereinba-rung des [X.] und dessen Ausübung weder gegen § 242 [X.] noch gegen § 138 Abs. 1 [X.]. 13 a) Das Berufungsgericht ist bei der Bewertung des Verhaltens der Kläge-rin als treu- bzw. sittenwidrig zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zur Anpassung des [X.] ver-pflichtet gewesen sei. Eine solche Verpflichtung der Klägerin bestand nicht. 14 Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin der [X.] nicht zugesichert, dass die über den Mieträumen gelegenen vier [X.] als Büroraum genutzt werden würden; es handelte sich insoweit lediglich um eine gemeinsame Vorstellung der Parteien im Sinne einer [X.]. Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass für die Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage grundsätzlich kein Raum ist, soweit es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen. 15 - 7 - Zu Unrecht meint das Berufungsgericht allerdings, bei der gemeinsamen Vorstellung der Parteien, die vier Stockwerke über den Mieträumen würden als Büroraum genutzt, handele es sich um ein von der Klägerin übernommenes Risiko. 16 17 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trägt bei der Gewerbe-raummiete grundsätzlich der Mieter das [X.] bezüglich der [X.] (Senatsurteile vom 29. September 1999 - [X.] ZR 313/98 - [X.], 36, 40; vom 16. Februar 2000 - [X.] ZR 279/97 - NJW 2000, 1714, 1716; vom 19. Juli 2000 - [X.] ZR 176/98 - NJW-RR 2000, 1535, 1536; vom 26. Mai 2004 - [X.] ZR 149/02 - NJW-RR 2004, 1236 und vom 21. September 2005 - [X.] ZR 66/03 - NJW 2006, 899, 901). Dazu gehört vor allem das Risiko, mit dem Miet-objekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich die Gewinnerwartung des [X.] nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen [X.]. Danach fällt es in den Verantwortungsbereich des Mieters, als [X.] die Erfolgsaussichten eines Geschäfts in der gewählten Lage [X.]. Das umfasst auch das Risiko einer Veränderung der Mieterstruktur im [X.]. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung muss im vorliegenden Fall die Klägerin lediglich ihr eigenes Risiko für die Vermietbarkeit und beabsichtigte Vermarktung der anderen Mieteinheiten tragen. Nicht aber trägt sie ein eigenes unternehmerisches Risiko für die hierauf gestützte Gewinnerwartung der [X.]. Zwar können die Parteien die Risikoverteilung vertraglich ändern und vereinbaren, dass der Vermieter das Geschäftsrisiko des Mieters - ganz oder zum Teil - übernimmt. Für eine solche Vereinbarung liegen hier keine Anhalts-punkte vor. Weder aus einer unterstellten Zusage der Klägerin, noch aus der übereinstimmenden Vorstellung der Parteien, dass die über den Mieträumen gelegenen vier Stockwerke als Büroeinheiten genutzt werden, noch aus der 18 - 8 - Bezeichnung der Einheiten als "Büro" in der Gesamtflächenzusammenstellung, die dem Mietvertrag als Anlage beigefügt war, lässt sich herleiten, dass die Klä-gerin ein eigenes unternehmerisches Risiko für die auf die Vermietung der [X.] vier Stockwerke als Büroeinheiten gestützte Gewinnerwartung der [X.] übernehmen wollte. 19 b) Auch die weiteren von dem Berufungsgericht angeführten Umstände vermögen ein treu- oder [X.] Verhalten der Klägerin nicht zu [X.]. Weder die besonderen Interessen der Klägerin an einer vorzeitigen Been-digung des befristet abgeschlossenen [X.] noch die angenommene geschäftliche Unerfahrenheit der beklagten GmbH führen dazu, dass die Ver-einbarung des [X.] und dessen Ausübung treu- oder [X.] sind. Denn die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt zur fristlosen Kündi-gung des [X.] gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 a [X.] berechtigt, weil die [X.] sich mit mehr als zwei Monatsmieten in Verzug befand. Die [X.] hatte sich bis dahin auch weder auf eine Minderung noch auf etwaige [X.] berufen. Durch die Vereinbarung eines nur ordentlichen Kündigungs-rechts mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten war die [X.] sogar [X.] gestellt. Schon deshalb kann in dieser Vereinbarung kein treu- oder sitten-widriges Verhalten der Klägerin gesehen werden, auch dann nicht, wenn die [X.] geschäftlich unerfahren war. - 9 - 2. Da die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 29. Januar 2007 wirk-sam war, kommt es für den [X.] und Herausgabeanspruch nicht darauf an, ob die außerordentlichen Kündigungen vom 23. Juli 2007 und vom 15. Februar 2008 zu Recht erfolgt sind. 20 Hahne [X.] Vézina Dose [X.]: [X.], Entscheidung vom 12.11.2007 - 28 O 5163/07 - [X.], Entscheidung vom 17.06.2008 - 5 U 5669/07 -

Meta

XII ZR 108/08

17.03.2010

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2010, Az. XII ZR 108/08 (REWIS RS 2010, 8368)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8368

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XII ZR 108/08 (Bundesgerichtshof)

Gewerberaummiete: Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Änderung der vorgesehenen Mietstruktur


30 U 82/22 (Oberlandesgericht Hamm)


XII ZR 8/21 (Bundesgerichtshof)

Voraussetzungen für die Herabsetzung der Geschäftsmiete im Zeitraum der coronabedingten Geschäftsschließung: Vorliegen eines Mietmangels; Anpassung …


XII ZR 125/18 (Bundesgerichtshof)

Unangemessene Benachteiligung durch Kündigungsausschluss in Mietvertragsklausel


30 U 147/21 (Oberlandesgericht Hamm)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

XII ZR 108/08

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.