Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2015, Az. 5 StR 78/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 6554

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
5 StR 78/15

vom
18. August 2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags u.a.

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Der 5.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 18. Au-gust
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] Dr. Sander

als Vorsitzender,

[X.]in Dr. [X.],
[X.],
[X.] [X.],
[X.] Bellay

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt M.

als Verteidiger,

Rechtsanwalt A.

als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläge-rin wird das Urteil des [X.] vom 11. Septem-ber
2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurge-richtskammer des [X.]s zurückverwiesen.

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Von Rechts wegen
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von den Vorwürfen des Totschlags sowie des Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe freigesprochen und ihm Entschädigung für Strafverfolgungsmaß-nahmen zugesprochen. Gegen den Freispruch
richten sich die Revision der Staatsanwaltschaft

welche der [X.] vertritt

und diejenige der Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg.
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I.
1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:
Am Abend des 14. Januar 2014 gegen 20:35 Uhr wurde das [X.], der türkisch-stämmige

[X.]

, von [X.] in seiner Wohnung aufgesucht. Noch im Eingangsbereich (Windfang) der von einem Laubengang abgehenden Wohnung kam es zu ei-nem lautstarken Streitgespräch. Im Laufe der Auseinandersetzung schoss der Unbekannte mit einer halbautomatischen Selbstladepistole aus kurzer Entfer-nung in [X.]

s Oberschenkel. Hierdurch fiel [X.]

, der sich mit einem Griff nach der Waffe vergeblich bemühte, deren Lauf von sich abzulenken, zu Boden. Daraufhin schoss der Täter ihm noch zweimal in den Rumpf. [X.] holte er aus der Küche ein Messer mit 17 cm Klingenlänge und fügte da-mit dem zur Gegenwehr nicht mehr fähigen [X.] insgesamt sieben [X.] zu, bevor er den [X.] unter Mitnahme der Schusswaffe verließ. [X.]

verstarb wenig später infolge der Schuss-
und Stichverlet-zungen.
Bei dem [X.] handelte es sich um den allein und zurückgezogen [X.] 55-jährigen Betreiber eines Cafés. Ihn hatte der Angeklagte, der [X.] ist, Ende der 90er [X.] nach einer Arbeitsstelle kennengelernt. In der Folgezeit arbeiteten sowohl der Angeklagte als auch dessen Ehefrau für [X.]

in dessen Geschäftsbetrieb. Während der Angeklagte 2010 seine Tätigkeit für [X.]

aufgrund einer schweren Er-krankung und einer hierdurch eingetretenen Behinderung beenden musste und Erwerbsunfähigkeitsrente bezieht, war seine Ehefrau weiterhin bei [X.]

angestellt und an dem zuletzt von ihm betriebenen Café auch finanziell beteiligt. Im Laufe der Jahre hatte sich ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwi-2
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schen ihr und dem deutlich älteren [X.]

entwickelt, der auch eine Zeitlang ihre Mutter und Schwester bei sich hatte wohnen lassen. [X.]

hatte auf seinem Computer zahlreiche Bilder von der Ehefrau des Angeklagten und ins-besondere von ihrer am 19. Dezember 2005 ehelich geborenen Tochter ge-speichert. Am Tag nach deren achten Geburtstag schrieb er am 20. Dezem-ber
2013 an eine nicht identifizierte Adressatin eine [X.], in der er wünschte. Im Januar 2009 hatte er der Tochter
mit einem in der [X.] vor ei-nem Notar errichteten Testament sein gesamtes, auch mehrere Immobilien von seine Ehefrau davon vor dem Tod [X.]

s Kenntnis hatten, konnte nicht festgestellt werden. Ebenfalls ungeklärt blieb, ob die Ehefrau des Angeklagten eine intime Beziehung zu [X.]

hatte und dieser der leibliche Vater ihrer Tochter war oder ob der Angeklagte eine etwaige Liebesbeziehung zwischen seiner Ehefrau und [X.]

auch nur vermutete. Die Ehefrau des Angeklag-ten hatte [X.]

noch am Morgen des [X.] in dessen Wohnung [X.]. Zu Anlass und Dauer dieses Besuchs konnten keine Feststellungen ge-troffen werden.
Am Leichnam des [X.]s fanden sich
am Handrücken und an zwei Fingern der rechten Hand DNA-Spuren, die mit dem [X.] des Angeklag-ten übereinstimmten. Weiter wurden an diversen Kleidungsstücken des Ange-klagten und am Schalthebel seines Kraftfahrzeugs [X.]en nachge-wiesen. Die Anhaftungen an diesen am 30. Januar 2014 sichergestellten Ge-genständen entsprachen in ihrer Zusammensetzung den Schussrückständen, die bei einer Schussabgabe mit Patronen der beiden bei der Tat verwendeten Arten von Patronenmunition des Kalibers 9 mm [X.] freigesetzt werden. Eine vom Angeklagten bei einer Vernehmung im Ermittlungsverfahren aufgestellte 5
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Alibibehauptung, sich zur Tatzeit für 20 bis 30 Minuten in einem Geschäft nahe seiner Wohnung aufgehalten zu haben, fand keine Bestätigung; sein Aufent-haltsort
zur Tatzeit blieb ungeklärt.
2. Das [X.] hat sich von der [X.]chaft des Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, nicht überzeugen können. Hinsichtlich der DNA-Spuren des Angeklagten hat das [X.] im An-schluss an das Gutachten eines Sachverständigen keine Aussage darüber zu treffen vermocht, ob sie im Wege einer Primär-
oder einer Sekundärübertra-gung an den Leichnam gelangt seien. In diesem Zusammenhang sei zu be-rücksichtigen, dass sich die Ehefrau des Angeklagten am Morgen des [X.] in der Wohnung des späteren [X.]s aufgehalten habe. Zwar sei bei [X.] eher an eine Übertragung nach dem letzten Händewa-schen zu denken, eine letztlich sichere Aussage über die mögliche zeitliche Dauer derartiger Anhaftungen könne aber nicht getroffen werden.
Auch die [X.]en an den Kleidungsstücken und am Fahrzeug des Angeklagten seien nicht geeignet, eine Überzeugung von dessen Täter-schaft zu begründen. Gegen die Annahme, dass die [X.]en beim Tatgeschehen auf die Kleidungsstücke gelangt seien, spräche, dass bei keinem Kleidungsstück Anhaftungen festgestellt wurden, die den Schussrückständen der beiden bei der Tat verwendeten [X.] entsprächen. Dies sei aber wegen der sich bei Schüssen in einem geschlossenen Raum regelmäßig [X.] Schmauchwolke, die zwangsläufig zu Kontaminationen der Umgebung führe, im Falle einer [X.]chaft des Angeklagten zu erwarten gewesen. Bei den [X.]en an dem beim Autofahren ständig beanspruchten [X.] des Fahrzeugs sei die Annahme, sie würden von dem mehr als zwei [X.] zurückliegenden Tatgeschehen herrühren, nicht begründet. Angesichts 6
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des Zeitraums, der zwischen der Tatbegehung und dem Nachweis von [X.]en an den Kleidungsstücken und dem Fahrzeug des Angeklag-ten liege, und wegen der grundsätzlich möglichen Übertragung von [X.] sei die Annahme, dass die Anhaftungen auf ein anderes Ereignis zurückzuführen seien, jedenfalls nicht fernliegend.
II.
1. Die Revisionen der
Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg, da die Beweiswürdigung des [X.]s (§ 261 StPO) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht standhält.
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten
freispricht, weil es Zweifel an seiner Täter-schaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatge-richts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechts-fehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich wider-sprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene [X.] gestellt worden sind. Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den [X.] noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsäch-lichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Urteil vom 3. Ju-ni
2015

5 StR 55/15 mwN).
b) Nach diesen Maßstäben hält die durch die [X.] vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
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aa) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festge-stellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung [X.] hat. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
Das [X.] hat sich insbesondere mit den gewichtigen objektiven Indizien der am Leichnam des Opfers gesicherten DNA-Spuren des Angeklag-ten und der an dessen Kleidung und am Schalthebel seines Fahrzeugs festge-stellten [X.]en lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung getroffen, dass hiermit eine Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten nicht zu begründen sei. Diese Vorgehensweise in Verbindung mit der eher formelhaften Erwähnung einer Gesamtbetrachtung, im Rahmen derer die vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden ([X.]), lässt besorgen, dass das [X.] den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der [X.]chaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermit-teln können (st. Rspr., vgl. etwa [X.], Urteile vom 26. Mai 1999

3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 20, und vom 7. November 2012

5 [X.]), und dass es hierdurch zugleich überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
bb) Das [X.] hat der [X.] auf dem Schalthebel des Fahrzeugs des Angeklagten den Beweiswert als Indiz, das den Angeklagten unmittelbar mit der Tat in Verbindung bringt, rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich 11
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theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Es durfte mangels in diese Richtung deutender objektiver Anhaltspunkte zugunsten des

in der [X.] schweigenden

Angeklagten als alternative Erklärung für die Entste-hung dieser Spur nicht unterstellen, die Anhaftungen könnten jüngeren Datums sein (also von einem erst nach der Tat erfolgten Schusswaffengebrauch mit derselben Munitionsart stammen) oder eine dritte Person habe sie auf den Schalthebel übertragen.
[X.]) Zutreffend beanstandet die Revision der Nebenklägerin zudem, dass die Darlegungen unzureichend sind, mit denen das sachverständig beratene [X.] seine Annahme begründet hat, bei einer Verursachung der [X.]en auf den diversen Kleidungsstücken des Angeklagten durch das Tatgeschehen wäre zu erwarten gewesen, dass sich Anhaftungen feststel-len ließen, die den Schussrückständen beider bei der Tat verwendeten Muniti-onsarten entsprächen. Die zugrundeliegende Erwägung, dass sich bei [X.] in einem geschlossenen Raum regelmäßig eine sich über mehrere Minuten haltende Schmauchwolke bilde, die zwangsläufig die Umgebung mit den jewei-ligen Schussrückständen kontaminiere, wird hinsichtlich der Räumlichkeit des [X.]es nicht näher belegt. Die Urteilsgründe erwähnen diesbezüglich nicht, ob die zu einem nur 2 x 2,5 m großen Windfang führende und nach innen öffnende Wohnungseingangstür noch vor oder während der Auseinandersetzung [X.] wurde und wo im Bereich des Wohnungseingangs der Täter den ers-
oweit bleibt die Beweiswür-digung lückenhaft. Weiterhin lässt sie Ausführungen des Sachverständigen zur Flüchtigkeit von Schmauchanhaftungen an der Kleidung vermissen, die erst im Abstand von über zwei Wochen nach der Tat sichergestellt worden ist.
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dd) Unvollständig ist die Beweiswürdigung des [X.]s ferner, so-weit es die Wahrscheinlichkeit einer Primärübertragung der DNA-Spuren des Angeklagten bei dem festgestellten Abwehrversuch des [X.]s mit dessen Griff nach der Waffe deshalb verneint hat, weil das [X.]-Spurenbild ergeben habe, dass der Täter bei der Tatbegehung Handschuhe getragen habe. Diese Erwägung lässt die naheliegende Möglichkeit außer Betracht, dass das Tatop-fer bei seiner Abwehr auch mit unbedeckten Körperteilen des [X.] wie etwa dessen Unterarmen oder Gesicht in Berührung gekommen sein könnte.
2. Das Urteil beruht auch auf den Beweiswürdigungsmängeln; der Senat kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei einer [X.] Be-weiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be-
und ent-lastenden Indizien die Überzeugung von der [X.]chaft des Angeklagten ge-wonnen hätte. Die Entlastungserwägungen des [X.]s zur eingeschränk-ten körperlichen Leistungsfähigkeit des stark gehbehinderten Angeklagten und der zur Erlangung des vom Täter aus der Küche geholten [X.] erforder-den Freispruch ungeachtet der aufgezeigten Mängel allein tragen könnten. [X.] hat die Revision der
Staatsanwaltschaft zu Recht darauf hingewiesen,
([X.]) und damit eine zum Ein-
und Aussteigen notwendige Beweglichkeit besitze. Dass die Tatausführung eine weitergehende körperliche Wendigkeit erfordert hätte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, zumal ein mögli-ches Sich-Abstützen auf dem Weg zur Küche bei der vom [X.] zugrun-15
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de gelegten Annahme, dass der Täter Handschuhe getragen habe, keine Spu-ren hinterlassen musste.
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.

[X.]

[X.]

[X.] Bellay

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Meta

5 StR 78/15

18.08.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.08.2015, Az. 5 StR 78/15 (REWIS RS 2015, 6554)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 6554

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