Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2015, Az. 4 StR 327/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 4321

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 327/15

vom
7. Oktober
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 7.
Oktober
2015
gemäß §
349
Abs.
4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 26.
Februar 2015 mit den Feststellun-gen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des [X.] zu-rückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei tatein-heitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von 14
Jahren verurteilt. Seine auf zwei
Verfahrensrügen
und die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen stattete der Angeklagte am 24.
Dezember 2013 nach 16.30
Uhr dem späteren [X.] Dr.

G.

, zu der er eine
freundschaftliche Beziehung unterhielt,
einen Besuch in deren Wohnung ab. 1
2
-
3
-
Dr.

G.

öffnete die Tür, umarmte ihn zur Begrüßung und bat ihn
in das [X.]. Der Angeklagte überreichte ihr eine am Morgen ge-kaufte Weinflasche als Geschenk, die auf den Esszimmertisch gestellt wurde. Anschließend trank er aus einem ihm angebotenen Glas mit Wasser. Ob zu diesem Zeitpunkt auch das zweite [X.], der pensionierte Beamte

S.

, bereits anwesend war oder erst später dazu kam, vermochte das
[X.] nicht festzustellen. Anhaltspunkte dafür, dass es eine körperliche Auseinandersetzung zwischen den anwesenden Personen gab, liegen nicht vor. Im Verlaufe seines Besuches stach der Angeklagte vor 21.35
Uhr insge-samt [X.] auf die Körper von Dr.

G.

und

S.

mit einem oder mehreren Messern ein, wobei er ihren Tod zumindest
billigend in Kauf nahm. Dr.

G.

und

S.

verstarben
an den ihnen zugefügten Messerstichen. Außerdem versetzte der Angeklagte dem
Hund der [X.] sechs im Ergebnis tödliche Messerstiche. Das genaue Vorgehen des Angeklagten vor und zu Beginn der Tat, die Modalitäten der [X.], die Herkunft der [X.] und der Zeitpunkt des [X.] mussten offen bleiben. Auch vermochte das [X.] weder den Anlass der Tat, noch ein Tatmotiv festzustellen. Der Angeklagte begab sich nach der Tatausführung zurück in seine Wohnung. Die Leichen der [X.] wurden am
Mittag des 25.
Dezember 2013 von der Zeugin G.

(der Tochter des Tat-
opfers Dr.

G.

) und dem Zeugen Sch.

entdeckt, die das Tat-
anwesen aufsuchten und die unverschlossene, keine Einbruchspuren aufwei-sende Terrassentür aufdrückten (UA
11).
Der Angeklagte hat eingeräumt, Dr.

G.

am 24.
Dezember
2013 besucht und ihr eine Flasche Wein als Geschenk überreicht zu haben. Auch habe er aus dem ihm angebotenen Glas mit Wasser getrunken. Die [X.] hat er in Abrede gestellt.
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-
4
-
Zur [X.]chaft hat das Schwurgericht im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

der Angeklagte kannte beide [X.] und das Haus aufgrund zahlrei-cher vorheriger Besuche;

am Nachmittag und Abend des 24.
Dezember 2013 erwarteten die [X.] keine Besucher mehr und hatten keine Verabredung;

der Angeklagte hat die [X.] am 24.
Dezember 2013 besucht;

am Fingernagel des rechten [X.] von Dr.

G.

fanden sich [X.] des Angeklagten und allein ihm zuzu-ordnende Y-chromosomale Merkmale;

an beiden hinteren Hundekrallen fanden sich unvollständige [X.] und seine Y-chromosomalen Merkma-le, für deren Vorhandensein es keine plausible Erklärung gebe;

a-

das Trinkglas, die Weinflasche und die Wasserflasche mit den Spuren des Angeklagten standen noch auf dem Esstisch

spräche für einen zeitlichen Zusammenhang
zwischen Besuch und Tötung (UA
30);

Aufbruchspuren, die Anlass dafür geben würden, dass ein unbekann-ter Dritter in das Haus unberechtigt eingedrungen sei und die [X.]
-
5
-
digten getötet habe, waren am Folgetag beim Eintreffen der Polizei

r-schafft haben könnte, gäbe es keine Anhaltspunkte (UA
32); ob etwas aus dem Haus weggenommen wurde, sei nicht feststellbar; lebensnah sei aber, dass ein Dieb oder Räuber zumindest die offen liegenden Wertgegenstände mitgenommen hätte;

der Umstand, dass ein Motiv des Angeklagten für die Tat nicht [X.] werden konnte, stehe der Annahme der [X.]chaft nicht entge-gen (UA 39);

soweit der psychiatrische Sachverständige
B.

ausgeführt hat, dass
der Angeklagte nur ein geringes Aggressionspotential habe, führe dies nicht zwingend zu dem Schluss, dass er die Tat nicht begangen habe, zumal keine Feststellungen zu den näheren [X.] und insbe-sondere zum Anlass der Tat getroffen werden konnten (UA
40).
II.
Die Revision hat mit der
Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung [X.] durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§
261 StPO). Allein ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld
oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisi-onsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler 5
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6
-
unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Be-weiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen [X.] oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Zudem muss das Urteil er-kennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein (vgl. [X.], Urteil vom 5.
Dezember 2013

4
StR
371/13, Rn.
8 zitiert nach juris mwN). Werden diese Grundsätze beachtet, kann der Tatrichter die Überzeugung von der [X.]chaft eines Angeklagten auch dann rechtsfehlerfrei gewinnen, wenn die Tat als sol-che kaum verständlich und das Motiv des [X.] nicht feststellbar ist (vgl. [X.], Urteil vom 31.
Juli 1996

1
StR
247/96, [X.], 42, 43).
2.
Nach diesen Maßstäben hält die durch die [X.] vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
a)
Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil sie eine nach der Beweislage und den Umständen des Einzelfalls wesentliche Feststellung nicht erörtert (vgl. [X.], Urteil vom 5.
Dezember 2013

4
StR
371/13, Rn.
13; Urteil vom 22.
Mai 2007

1
StR
582/06, Rn.
24; jeweils zitiert
nach juris).
Das [X.] hat seine Überzeugung von der [X.]chaft des Ange-klagten unter anderem auf den Umstand gestützt, dass beim Eintreffen der Po-lizei am Folgetag keine Aufbruchspuren vorhanden gewesen seien und es [X.] Anhaltspunkte dafür geb
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8
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-
7
-
könnte. Es bestünde deshalb kein Anlass für die Annahme, dass ein unbekann-ter Dritter in das Haus eingedrungen sein könnte und die Geschädigten getötet habe. Bei dieser Sachlage hätte es näherer Erörterung bedurft, dass die Zeugin
G.

und der Zeuge Sch.

, als sie
am 25.
Dezember 2013 das Tat-
anwesen aufsuchten, die Terrassentür unverschlossen vorfanden und

offen-kundig von außen

aufzudrücken vermochten. Sollte die Terrassentür auch vor der Tat unverschlossen gewesen sein, käme dem Fehlen von Einbruchspuren Auf-Kipp-Bedeutung mehr zu. Eine Erörterung dieses Umstands hat sich auch nicht des-halb erübrigt, weil das [X.] unter Bezugnahme auf die Angaben des Zeugen St.

ausgeführt hat, dass die Getöteten ihre Haustür immer ab-
schlossen und nur Verwandte oder Bekannte einließen (UA
32).
b)
Die Urteilsgründe lassen auch besorgen, dass das [X.] die Beweisergebnisse nur für sich genommen gewertet und nicht in eine umfas-sende Gesamtwürdigung einbezogen hat. Die Strafkammer legt in den [X.] die den Angeklagten belastenden Indizien einzeln dar und behandelt danach die für ihn sprechenden Gesichtspunkte. Eine Gesamtschau aller
be-
und entlastenden Umstände findet nicht statt; sie war trotz der gewichtigen, für eine [X.]chaft des Angeklagten sprechenden Umstände auch nicht ent-behrlich. Stattdessen werden die entlastenden Gesichtspunkte (kein Tatmotiv feststellbar, nur geringes Aggressionspotential) lediglich isoliert bewertet und -
10
-
8
-

).
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Mutzbauer
Roggenbuck
Franke

Bender
Quentin
11

Meta

4 StR 327/15

07.10.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.10.2015, Az. 4 StR 327/15 (REWIS RS 2015, 4321)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4321

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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