Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. II ZR 71/11

2. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4907

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

GmbH-Gründung: Handelndenhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft; Geschäftsführerhaftung bei wahrheitswidriger Versicherung zur Verfügungsmöglichkeit über Stammkapital


Leitsatz

1. Bei einer wirtschaftlichen Neugründung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft kommt eine Haftung der handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen worden sind und dem nicht alle Gesellschafter zugestimmt haben .

2. Versichert der Geschäftsführer bei der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung der Wahrheit zuwider, dass sich das Stammkapital endgültig in seiner freien Verfügung befindet, haftet er analog § 9a Abs. 1 GmbHG .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des [X.] vom 10. Dezember 2009 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 31. März 2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden der Klägerin auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus § 11 Abs. 2 GmbHG auf Zahlung von 1.295,91 € für die Bezahlung von Reifenlieferungen und -montagen in Anspruch.

2

Der Beklagte ist Geschäftsführer der [X.], die am 25. Oktober 2006 in das Handelsregister eingetragen wurde. Der einzige Geschäftsanteil an der [X.] war bereits zuvor am 10. Oktober 2006 an [X.]    übertragen worden. In die darüber errichtete notarielle Urkunde wurde der Beschluss der unter Verzicht auf Formen und Fristen zusammengetretenen [X.]erversammlung aufgenommen, den Unternehmensgegenstand in „gewerblichen [X.] und -fernverkehr, Umzüge, Frachtvermittlungen“ und die Firma der [X.] in „A.    Transporte & Co. GmbH" zu ändern, den [X.]ssitz nach M.        zu verlegen, die Geschäftsführerin abzuberufen und den Beklagten zum neuen Geschäftsführer zu bestellen. Der Beklagte meldete diese Änderungen mit Schreiben vom selben Tag, bei Gericht eingegangen am 25. Oktober 2006, zur Eintragung in das Handelsregister an und erklärte dabei, das Stammkapital sei vorhanden und befinde sich in der endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführung. Eine Eintragung der Vertragsänderungen und des neuen Geschäftsführers in das Handelsregister unterblieb, weil der Kostenvorschuss nicht eingezahlt und eine Genehmigung nach dem Güterkraftverkehrsgesetz nicht vorgelegt wurde.

3

Gemäß Rechnungen vom 28. März bis 30. April 2007 erbrachte die Klägerin in der Folgezeit Leistungen für die [X.], deren Bezahlung Gegenstand der Klage ist. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat ihr stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision ist erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Der Beklagte ist aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Zahlung der [X.] verpflichtet.

5

I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Beklagte hafte analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die unter seiner Verantwortung begründeten Verbindlichkeiten der GmbH. Diese Vorschrift sei auf den Fall der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH - durch Verwendung einer sogenannten Vorratsgesellschaft oder durch Aktivierung eines leeren „GmbH-Mantels“ - entsprechend anwendbar. Dabei komme es weder darauf an, ob die Geschäftsführer die Neugründung dem Registergericht angezeigt hätten, noch ob die Gesellschafter mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit durch die Geschäftsführer vor Eintragung der die Neugründung begleitenden Änderungen des Gesellschaftsvertrages im Handelsregister einverstanden gewesen seien. Erst wenn die Eintragung im Handelsregister erfolgt sei, ende die persönliche Haftung des Geschäftsführers. Die entgegenstehende Rechtsprechung des [X.] ([X.], Urteil vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318) entbehre einer tragfähigen dogmatischen Grundlage.

6

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.

7

1. Es fehlt bereits an einer wirtschaftlichen Neugründung im Sinne der Rechtsprechung des [X.]s. Die Gesellschaft, deren Gegenstand zunächst in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens bestand, war zwar nach der Feststellung des Berufungsgerichts als sogenannte Vorratsgesellschaft gegründet worden. Die Änderung des [X.], des Namens und des Sitzes ebenso wie der Wechsel der Gesellschafter und der Geschäftsführer - mithin die Ausstattung der Gesellschaft mit einem werbenden Unternehmen - waren aber schon vor der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister beschlossen und - soweit dafür nicht die Eintragung im Handelsregister erforderlich war - auch vollzogen worden.

8

2. Im Übrigen kommt im Falle einer wirtschaftlichen Neugründung durch Verwendung einer Vorratsgesellschaft - ebenso wie durch Aktivierung eines leeren „GmbH-Mantels“ - eine Handelndenhaftung in entsprechender Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG nur dann in Betracht, wenn die Geschäfte vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung aufgenommen werden, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben ([X.], Beschluss vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318, 327). Auch diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

9

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s stellt die Verwendung einer "auf Vorrat" gegründeten und im Handelsregister eingetragenen GmbH wirtschaftlich eine Neugründung dar. Darauf sind die der Gewährleistung der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden. Die Geschäftsführer haben analog § 8 Abs. 2 GmbHG zu versichern, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass sich der Gegenstand der Leistungen - weiterhin oder jedenfalls wieder - endgültig in ihrer freien Verfügung befindet ([X.], Beschluss vom 9. Dezember 2002 - II ZB 12/02, [X.]Z 153, 158, 160 ff.; Beschluss vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318, 321 ff., ebenso zur Aktiengesellschaft schon [X.], Beschluss vom 16. März 1992 - [X.], [X.]Z 117, 323, 330 ff.).

Zur Gewährleistung der realen Kapitalaufbringung als zentrales, die Haftungsbegrenzung auf das Gesellschaftsvermögen rechtfertigendes Element kommt neben der registergerichtlichen [X.] auf der materiell-rechtlichen Haftungsebene das - auf eine Innenhaftung beschränkte - Modell der Unterbilanzhaftung ([X.], Urteil vom 27. Januar 1997 - [X.], [X.]Z 134, 333 ff.; Urteil vom 16. Januar 2006 - [X.], [X.]Z 165, 391 ff.) zur Anwendung. Maßgeblicher Stichtag für diese Haftung der Gesellschafter ist bei der wirtschaftlichen Neugründung die - mit der Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit ihr einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende - Offenlegung gegenüber dem Handelsregister. Da die [X.] der wirtschaftlichen Neugründung nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister entsteht, ist damit dem Gebot der Gläubigersicherung hinreichend genügt. Auf die nachfolgende Eintragung der Vertragsänderungen - die in Ausnahmefällen, etwa bei der Aktivierung einer leeren GmbH-Hülle durch dieselben Gesellschafter, auch ganz fehlen können - kommt es nicht an ([X.], Beschluss vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318, 326 f.).

b) Eine (Außen)Haftung der handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG hat der [X.] nur für solche Fälle in Betracht gezogen, in denen vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen worden sind, ohne dass dem alle Gesellschafter zugestimmt haben ([X.], Beschluss vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318, 327).

Nach § 11 Abs. 2 GmbHG haftet persönlich, wer vor Eintragung der Gesellschaft in deren Namen handelt und dadurch Verbindlichkeiten begründet. Die Bedeutung dieser Norm hat mit der Aufgabe des Vorbelastungsverbots und der Anerkennung einer Unterbilanz- und Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter ([X.], Urteil vom 9. März 1981 - [X.], [X.]Z 80, 129 ff.; Urteil vom 27. Januar 1997 - [X.], [X.]Z 134, 333 ff.; Urteil vom 16. Januar 2006 - [X.], [X.]Z 165, 391 ff.) abgenommen. Sie dient im Wesentlichen nur noch dazu, in Fällen, in denen für eine Geschäftstätigkeit vor Eintragung der Gesellschaft auch nach den neueren Rechtsgrundsätzen weder die Gesellschafter noch die [X.] - etwa weil die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht überschritten haben -, den Gläubigern einen Schuldner zu verschaffen ([X.], Urteil vom 7. Mai 1984 - [X.], [X.]Z 91, 148, 152; Urteil vom 14. Juni 2004 - [X.], [X.], 1409, 1410 zum vergleichbaren § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG; [X.] in [X.]/[X.]/Winter, GmbHG, § 11 Rn. 123 ff.; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], GmbHG, 19. Aufl., § 11 Rn. 53).

Eine entsprechende Anwendung des § 11 Abs. 2 GmbHG im Falle der wirtschaftlichen Neugründung einer Gesellschaft ist daher auf den Zeitpunkt zu beziehen, auf den es auch für die Haftung der Gesellschafter ankommt ([X.], Beschluss vom 7. Juli 2003 - [X.], [X.]Z 155, 318, 327). Das ist nach dem zuvor Gesagten der Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung - oder allenfalls der Zeitpunkt der nach außen in Erscheinung getretenen wirtschaftlichen Neugründung, wie der [X.] für „Altfälle“ angenommen hat ([X.], Beschluss vom 26. November 2007 - [X.], [X.], 217, 218) - jedenfalls aber nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, der Zeitpunkt der Eintragung der mit der Neugründung gegebenenfalls verbundenen anmeldepflichtigen Änderungen des Gesellschaftsvertrages (ebenso [X.] in [X.]/[X.]/Winter, GmbHG, § 3 Rn. 170; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], GmbHG, 19. Aufl., § 3 Rn. 13; [X.] in [X.][X.], GmbHG, 17. Aufl., § 3 Rn. 12; [X.] in Festschrift für [X.], 2011, [X.], 21 m.w.N.). Denn in Fällen, in denen das Stammkapital der Gesellschaft bei der Offenlegung der Neugründung ganz oder teilweise aufgebraucht ist, greift grundsätzlich die Unterbilanzhaftung der Gesellschafter ein, so dass es der zusätzlichen Haftung der Handelnden analog § 11 Abs. 2 GmbHG nicht mehr bedarf (vgl. [X.], [X.], 572, 576). Ob sich die Eintragung der mit der Neugründung verbundenen Satzungsänderungen verzögert oder ob sie - wie hier - ganz unterbleibt, ist für die Haftung ohne Bedeutung. Stellt das Registergericht bei einer - späteren - Prüfung fest, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Angaben der Geschäftsführer nach § 8 Abs. 2 GmbH falsch waren, haften diese in entsprechender Anwendung des § 9a Abs. 1 GmbHG ([X.] in [X.][X.], GmbHG, 17. Aufl., § 3 Rn. 19). Davon zu unterscheiden ist die Haftung bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung (siehe dazu KG, [X.], 582; [X.], [X.], 579; [X.], [X.] 2003, 2050, 2052; Bärwaldt/[X.], GmbHR 2004, 350, 353; [X.], [X.], 857, 860 f.; Wahl/[X.], [X.] 2010, 611 ff.), um die es im vorliegenden Fall nicht geht.

c) Danach scheidet eine Haftung des Beklagten für die im Zuge der nach Offenlegung der - vermeintlichen - wirtschaftlichen Neugründung begründeten [X.] analog § 11 Abs. 2 GmbHG aus. Der Beklagte hat die Geschäftstätigkeit - durch den [X.] der Alleingesellschafterin - erst nach der Offenlegung zugelassen.

3. Auch eine Haftung aus § 9a Abs. 1 GmbHG kommt nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat jedenfalls nicht festgestellt - und es spricht auch nichts dafür -, dass zum Zeitpunkt der Offenlegung am 25. Oktober 2006 der erforderliche Teil des Stammkapitals nicht endgültig zur freien Verfügung des Geschäftsführers stand. Die GmbH wurde an demselben Tag - noch unter ihrem alten Namen [X.] - in das Handelsregister eingetragen. Die registergerichtliche Prüfung hatte also offenbar keine Zweifel ergeben.

Bergmann                                           Strohn                                        Caliebe

                            [X.]

Meta

II ZR 71/11

12.07.2011

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Stendal, 10. Dezember 2009, Az: 22 S 44/09, Urteil

§ 9a Abs 1 GmbHG, § 11 Abs 2 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.07.2011, Az. II ZR 71/11 (REWIS RS 2011, 4907)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4907

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II ZR 71/11 (Bundesgerichtshof)


II ZR 56/10 (Bundesgerichtshof)

Wirtschaftliche Neugründung einer GmbH: Haftung der Gesellschafter bei fehlender Offenlegung gegenüber dem Registergericht


II ZR 56/10 (Bundesgerichtshof)


II ZB 4/02 (Bundesgerichtshof)


II ZR 53/12 (Bundesgerichtshof)

Vorbelastungshaftung der GmbH-Gesellschafter: Anwendung der Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung in der Liquidationsphase


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.