Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.10.2023, Az. V B 49/22 (AdV)

5. Senat | REWIS RS 2023, 7125

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Gegenstand

Aussetzungsverfahren: Verfassungs- und Unionsrechtsmäßigkeit von Säumniszuschlägen


Leitsatz

1. Bei summarischer Prüfung bestehen nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs vom 23.08.2022 - VII R 21/21 (BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304) und vom 15.11.2022 - VII R 55/20 (BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621) keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind.

2. Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich auch nicht aus den unionsrechtlichen Grundsätzen des Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzips.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des [X.] vom 06.05.2022 - 12 V 53/22 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des [X.] vom 06.05.2022 - 12 V 53/22 insoweit aufgehoben, als Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung gewährt wurde.

Der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung der [X.] über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2015 bis 2021 wird insgesamt abgelehnt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der in den [X.] zur Umsatzsteuer 2015 bis 2021 ausgewiesenen ([X.]) Säumniszuschläge.

2

Auf Antrag des Beschwerdeführers, Beschwerdegegners und Antragstellers (Antragsteller) erließ der Beschwerdegegner, Beschwerdeführer und Antragsgegner (Finanzamt --[X.]--) am [X.] (§ 218 Abs. 2 der Abgabenordnung --AO--) über die zur Umsatzsteuer 2015 bis 2021 [X.] Säumniszuschläge.

3

Der Antragsteller legte gegen diese [X.] fristgerecht Einspruch ein und beantragte gleichzeitig deren Aussetzung der Vollziehung (AdV). Das [X.] lehnte sowohl die Aussetzung als auch --soweit Säumniszuschläge bereits beglichen waren-- die Aufhebung der Vollziehung mit Bescheid vom 04.01.2022 ab und teilte dem Antragsteller mit, dass die jeweiligen Einsprüche wegen des beim [X.] ([X.]) anhängigen Revisionsverfahrens [X.] ruhten.

4

Hierauf beantragte der Antragsteller am 06.01.2022 beim Finanzgericht ([X.]) die Aussetzung und Aufhebung der Vollziehung der [X.] in voller Höhe und verwies zur Begründung auf den [X.]-Beschluss vom [X.] - VII B 69/21 (AdV) (nicht veröffentlicht --n.v.--) sowie die Spruchpraxis des [X.]. Darüber hinaus sei die Erhebung der Säumniszuschläge auch aus europarechtlichen Gründen rechtswidrig.

5

Das [X.] änderte den Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2018 mit Bescheid vom 27.04.2022, so dass zuletzt in den [X.] verwirkte Säumniszuschläge in Höhe von 115,50 € (2015), 117 € (2016), 47 € (2017), 80,50 € (2018), 142 € (2019), 35,50 € (2020) und 55 € (2021) ausgewiesen wurden.

6

Das [X.] gab dem Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 06.05.2022 wegen ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel hinsichtlich der nach dem 31.12.2018 [X.] Säumniszuschläge in Höhe von 3,50 € (Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2017), von 36,50 € (Abrechnungsbescheid über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2018) und in jeweils voller Höhe ([X.] über Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 2019 bis 2021) statt und lehnte den Antrag im Übrigen (hinsichtlich der vor dem 31.12.2018 [X.] Säumniszuschläge) ab.

7

Gegen den Beschluss haben sowohl der Antragsteller als auch das [X.] die vom [X.] zugelassene Beschwerde eingelegt. Beiden Beschwerden hat das [X.] nicht abgeholfen.

8

Der Antragsteller ergänzt sein bisheriges Vorbringen dahingehend, dass die zu prüfenden Rechtsfragen ungeklärt und unionsrechtlich sowie verfassungsrechtlich zweifelhaft seien. Eine Klärung könne im Aussetzungsverfahren nicht vorgenommen werden. Nach der [X.]-Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass Säumniszuschläge einen Zinsanteil enthielten und dass die Entscheidung des [X.] zur Vollverzinsung hinsichtlich des Zinsanteils auf die Säumniszuschläge ausstrahle. Darüber hinaus verstoße die Höhe der Säumniszuschläge von 12 % per annum gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

9

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des [X.] insoweit aufzuheben, als darin AdV versagt wird, und AdV in voller Höhe zu gewähren.

Das [X.] beantragt sinngemäß,
den Beschluss des [X.] insoweit aufzuheben, als das [X.] AdV gewährt hat, und den [X.] insgesamt abzulehnen.

§ [X.] sei verfassungsgemäß. Der Vorschrift lasse sich kein fester, typisierter Zinssatz entnehmen. Sie sei --auch unionsrechtlich-- verhältnismäßig, da beispielsweise das Entstehen von Säumniszuschlägen vom Verhalten des Steuerpflichtigen abhinge und eine Einzelfallprüfung im Erlassverfahren erfolgen könne.

Entscheidungsgründe

[X.]

Die Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss des [X.] ist begründet, die des Antragstellers dagegen unbegründet. Der Beschluss des [X.] ist insoweit aufzuheben, als es dem Antragsteller AdV gewährt hat und der Antrag ist insgesamt abzulehnen. Nach den [X.] vom 23.08.2022 - [X.] R 21/21 ([X.], 1, [X.] 2023, 304) und vom 15.11.2022 - [X.] R 55/20 ([X.], 403, [X.] 2023, 621) bestehen keine ernstlichen Zweifel mehr im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind.

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 30.03.2021 - V B 63/20 (AdV), [X.], 1212 und vom 08.04.2009 - I B 223/08, [X.], 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. [X.] vom 07.09.2011 - I B 157/10, [X.], 215, [X.] 2012, 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen ([X.] in [X.], 215, [X.] 2012, 590, Rz 12). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (vgl. [X.] vom 04.07.2019 - [X.]I B 128/18, [X.], 1060, Rz 12) oder sich aus einem möglichen Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergeben (vgl. [X.] vom 12.12.2013 - XI B 88/13, [X.], 550, Rz 15).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der insgesamt verwirkten Säumniszuschläge.

a) Der [X.] hat zwar im Hinblick auf den Beschluss des [X.]. [X.]s des [X.] vom [X.] - [X.] B 69/21 (AdV) (n.v.) seinerseits für [X.] nach dem 31.12.2018 AdV gewährt ([X.] vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), [X.]E 276, 535).

b) Der [X.]. [X.] des [X.] hat aber nunmehr in zwei Hauptsacheverfahren verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge nach § 240 AO verneint ([X.]-Urteile vom 23.08.2022 - [X.] R 21/21, [X.], 1, [X.] 2023, 304 und vom 15.11.2022 - [X.] R 55/20, [X.], 403, [X.] 2023, 621).

Er begründet dies insbesondere damit, dass die Abschöpfung von [X.] nicht Haupt-, sondern nur [X.] sei ([X.]-Urteile in [X.], 403, [X.] 2023, 621, Rz 23 und in [X.], 1, [X.] 2023, 304, Rz 32 f.), und sich beim Säumniszuschlag kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Ein derartiger Anteil ergebe sich auch nicht aus der bisherigen Rechtsprechung des [X.], die im Rahmen der Ermessensentscheidung über einen Billigkeitserlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit dem [X.] der Säumniszuschläge einen Anteil von 50 % zugemessen habe. Aus einer Aufteilung des [X.] im Rahmen der Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme könne nicht generell ein fester Zinsanteil hergeleitet werden. Aus dieser Rechtsprechung folge auch nicht, dass der Säumniszuschlag anteilig als Zins anzusehen sei. Vielmehr wurde in dem Fall, in dem auf Antrag eine Stundung der Steuer möglich oder geboten gewesen wäre, ein Teilerlass als ermessensgerecht angesehen, da dadurch der [X.] der Gegenleistung berücksichtigt werde ([X.]-Urteil vom 26.04.1988 - [X.] R 127/85, [X.]/NV 1989, 71, unter [X.]). Dabei seien als Maßstab für den Teilerlass die Stundungs- oder Aussetzungszinsen herangezogen worden, um eine Gleichbehandlung von vergleichbaren Sachverhalten dergestalt sicherzustellen, dass der säumige Schuldner jedenfalls in der Höhe durch Säumniszuschläge belastet bleibe, in der im Falle der Aussetzung oder Stundung Zinsen angefallen wären ([X.]-Urteil vom 29.08.1991 - V R 78/86, [X.]E 165, 178, [X.] 1991, 906, unter B.[X.]2.b). Der hälftige Erlass beruhe somit nicht auf der Annahme, der Zinscharakter der Säumniszuschläge sei mit einem bestimmbaren Anteil in einer konkreten Höhe anzusetzen. [X.] sich § 240 AO ein fester und typisierender Zinssatz nicht entnehmen und komme der Norm für die nicht rechtzeitige Leistung der geschuldeten Steuern lediglich als [X.] auch eine Zinsfunktion zu, fehle es jedenfalls an einer festen Größe eines Zinssatzes, die auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden könne. Somit scheide eine anteilige Behandlung des [X.] als Zins aus. Auf dieser Grundlage könne sich eine Verfassungswidrigkeit nur aus der Höhe von einem Prozent für jeden angefangenen Monat der Säumnis ergeben. Diese Höhe sei allerdings bereits zur Erzwingung der rechtzeitigen Zahlung der fälligen Steuer und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich unbedenklich. [X.] im Einzelfall könne durch einen (Teil-)Erlass nach § 227 AO begegnet werden ([X.]-Urteile in [X.], 1, [X.] 2023, 304, Rz 50 bis 54 und in [X.], 403, [X.] 2023, 621, Rz 40 bis 44).

c) Dieser Auffassung schließt sich der [X.] auch für den Streitfall an, in dem es --anders als bei den beiden Urteilen des [X.]. [X.]s in [X.], 1, [X.] 2023, 304 und in [X.], 403, [X.] 2023, 621-- auch um Säumniszuschläge für [X.] nach dem 31.12.2018 geht. Denn die vorstehende Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit durch den [X.]. [X.] des [X.] beansprucht Gültigkeit auch für diese [X.]. Im Hinblick hierauf hält der [X.] an seiner bisherigen Beurteilung in dem Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV) ([X.]E 276, 535) nicht mehr fest.

Hieran ändert sich nichts aufgrund des (nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten) [X.]es vom 22.09.2023 - [X.]I B 64/22 (AdV), Leitsatz. Zwar hat sich der [X.]I. [X.] des [X.] hier dem [X.]sbeschluss in [X.]E 276, 535 angeschlossen, an dem aus den vorstehend genannten Gründen nicht festzuhalten ist. Aus der Aufgabe dieser [X.]srechtsprechung folgt indes keine unzulässige Abweichung, wie der [X.]I. [X.] des [X.] in seinem Beschluss vom 22.09.2023 - [X.]I B 64/22 (AdV), Rz 23 zutreffend entschieden hat.

3. AdV kommt im summarischen Verfahren auch nicht im Hinblick auf unionsrechtliche Zweifel in Betracht.

Der [X.] hat bereits in seinem Beschluss in [X.]E 276, 535 (Leitsatz 2 sowie Rz 33 ff.) entschieden, dass aus unionsrechtlichen Grundsätzen (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) keine weitergehenden Zweifel an der gesetzlichen Höhe der Säumniszuschläge bestehen. Verstöße gegen das Äquivalenz-, Effizienz- und Neutralitätsprinzip sind nicht ersichtlich und ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip scheidet jedenfalls unter Berücksichtigung von § 227 AO aus. Zur weiteren Begründung verweist der [X.] auf die Ausführungen in seinem Beschluss in [X.]E 276, 535 (Rz 33 bis 39).

4. Anhaltspunkte dafür, dass die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

V B 49/22 (AdV)

16.10.2023

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 6. Mai 2022, Az: 12 V 53/22, Beschluss

§ 69 FGO, § 227 AO, § 240 AO, Art 3 Abs 1 GG, AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 16.10.2023, Az. V B 49/22 (AdV) (REWIS RS 2023, 7125)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7125

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