Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.10.2022, Az. VI B 15/22 (AdV)

6. Senat | REWIS RS 2022, 6608

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Gegenstand

AdV-Verfahren: Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge


Leitsatz

1. Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (entgegen BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), und vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV)).

2. Aus unionsrechtlichen Grundsätzen (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) folgen ebenfalls keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (Anschluss an BFH-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), Rz 33 ff.).

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des [X.] vom 14.02.2022 - 8 V 2789/21 aufgehoben.

Der Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 vom 02.09.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des [X.] in voller Höhe auszusetzen, wird abgelehnt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten im Hinblick auf den Beschluss des [X.] ([X.]) zu § 233a der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. § 238 [X.] vom 08.07.2021 in den Verfahren 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17 betreffend die [X.] in fixer Höhe von 0,5 % pro Monat ([X.]E 158, 282, [X.], 4303) über die Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen.

2

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist eine GmbH. Gegenstand des Unternehmens ist ...

3

Die Lohnsteuer für Juli 2021 in Höhe von 2.805,54 € und die Umsatzsteuer für Juli 2021 in Höhe von 1.435,68 € entrichtete die Antragstellerin trotz Fälligkeit zum 10.08.2021 erst am 20.08.2021. Die durch die verspätete Zahlung nach § 240 [X.] entstandenen und für einen angefangenen Monat berechneten Säumniszuschläge in Höhe von 28 € zur Lohnsteuer und 14 € zur Umsatzsteuer beglich sie nicht.

4

Auf Antrag der Antragstellerin erließ der Antragsgegner und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) am 02.09.2021 einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 [X.], der die vorgenannten Säumniszuschläge zulasten der Antragstellerin auswies.

5

Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Im Hinblick auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zu § 233a [X.] bestünden ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.

6

Das [X.] stellte das Einspruchsverfahren im Hinblick auf das beim [X.] anhängige Verfahren [X.] R 55/20 ruhend. Den Antrag auf AdV lehnte es ab.

7

Hierauf beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht ([X.]) gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) AdV des angefochtenen Abrechnungsbescheids. Zur Begründung verwies sie u.a. auf den nicht veröffentlichten [X.]-Beschluss vom [X.] - [X.] B 69/21 (AdV) betreffend die AdV von Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für 2015, 2017 und 2018 sowie zur Einkommensteuervorauszahlung für das 1. Kalendervierteljahr 2020. Auch danach bestünden ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge.

8

Mit Beschluss vom 14.02.2022 - 8 V 2789/21 hat das [X.] die Vollziehung des Abrechnungsbescheids vom 02.09.2021 betreffend die Säumniszuschläge zur Lohn- und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, spätestens bis zu einer anderweitigen Beendigung des [X.] in voller Höhe ausgesetzt. Im Hinblick auf den [X.]-Beschluss in [X.]E 158, 282, [X.], 4303 und die teilweise darauf gründende Rechtsprechung des [X.]. Senats des [X.] betreffend ernstlicher verfassungsrechtlicher Zweifel an § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] ([X.]-Urteil vom 30.06.2020 - [X.] R 63/18, [X.]E 270, 7, [X.] 2021, 191, sowie [X.]-Beschlüsse vom 14.04.2020 - [X.] B 53/19, und vom [X.] - [X.] B 69/21 (AdV)) erscheine die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge wegen des darin enthaltenen [X.], soweit sie --wie hier-- nach dem 31.12.2018 entstanden seien, ernstlich zweifelhaft. Im Streitfall sei AdV in vollem Umfang zu gewähren, da die einheitliche Regelung in § 240 [X.] zur unteilbar gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder --wie vorliegend-- verfassungswidrig sein könne. Eine nur hälftige Aussetzung in Höhe eines gedachten [X.] komme daher nicht in Betracht.

9

Über den Einspruch der Antragstellerin hat das [X.] bislang noch nicht entschieden.

Gegen die AdV des Abrechnungsbescheids wendet sich das [X.] mit der vom [X.] zugelassenen Beschwerde, der das [X.] nicht abgeholfen hat.

Es beantragt sinngemäß,
den Beschluss des [X.] Münster vom 14.02.2022 - 8 V 2789/21 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Lohnsteuer und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 vom 02.09.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des [X.] in voller Höhe auszusetzen, abzulehnen.

Die Antragstellerin ist der Beschwerde unter Verweis auf den [X.]-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV) entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

[X.] Die nach § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des [X.] - 8 V 2789/21 ist aufzuheben und der Antrag der Antragstellerin, die Vollziehung des [X.] über Säumniszuschläge zur Lohn- und Umsatzsteuer für Juli 2021 vom 02.09.2021 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung, spätestens bis zur anderweitigen Beendigung des [X.] in voller Höhe auszusetzen, abzulehnen. Zum einen hat der beschließende Senat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der nach dem 31.12.2018 verwirkten Säumniszuschläge und folglich auch nicht an den streitbefangenen Säumniszuschlägen zur Lohn- und Umsatzsteuer für Juli 2021. Zum anderen fehlt es auch an dem jedenfalls im Streitfall erforderlichen (besonderen) [X.].

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.] vom 30.03.2021 - V B 63/20 (AdV), und vom 08.04.2009 - I B 223/08, [X.], 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt ([X.] vom 07.09.2011 - I B 157/10, [X.], 215, [X.], 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen ([X.] in [X.], 215, [X.], 590, Rz 12). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (s. [X.] vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, Rz 12) oder sich aus einem möglichen Verstoß des Steuergesetzes gegen eine unionsrechtliche Bestimmung ergeben (vgl. [X.] vom 12.12.2013 - XI B 88/13, Rz 15).

2. Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des [X.] entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag.

3. Der beschließende Senat hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.

a) Solche Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem [X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303.

aa) Ausgangspunkt der in der Entscheidung des [X.] vom 08.07.2021 als verfassungswidrig angesehenen Ungleichbehandlung war die in § 233a Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelte fünfzehnmonatige Karenzzeit, welche nach Ansicht des [X.] zu einer verfassungsrechtlich relevanten Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der Steuerpflichtigen führt (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 103); nämlich derjenigen Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit (zutreffend) festgesetzt wurde, gegenüber denjenigen, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wurde, mithin eine Ungleichbehandlung zinszahlungspflichtiger gegenüber nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 104). Dabei spielte die Frage, ob ein Zinssatz von monatlich 0,5 % den durch eine [X.] zulasten der Steuerpflichtigen auszugleichenden Vorteil der Höhe nach [X.] abbildet, erst in der anschließenden Rechtfertigungsprüfung nach strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen eine Rolle (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 109 ff.).

bb) Die nach § 233a [X.] geregelte [X.] soll stark typisierend objektive Zins- und [X.] erfassen, die dadurch entstehen, dass zwischen Entstehung des Steueranspruchs und seiner Fälligkeit nach Festsetzung ein Zeitraum von mehreren Jahren liegen kann (vgl. [X.][X.], [X.]. [01.07.2022], [X.] § 233a Rz 1). Nachzahlungszinsen sind dementsprechend --anders als etwa ein Verspätungszuschlag-- weder Sanktion noch Druckmittel (vgl. insoweit BTDrucks 8/1410, S. 4; BTDrucks 19/20836, S. 5), sondern ein Ausgleich für die Kapitalnutzung (vgl. BTDrucks 8/1410, S. 4; [X.] 324/18, S. 2). Die [X.] hat keine zusätzliche Lenkungsfunktion dahingehend, die Steuerpflichtigen dazu anzuhalten, ihre Steuererklärungen frühzeitig abzugeben oder etwaige Vorauszahlungen angemessen anzusetzen (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 126). Die Regelung wirkt sowohl zugunsten (im Fall der Steuererstattung) wie zuungunsten (im Fall der [X.]) der Steuerpflichtigen. Darauf, ob sie tatsächlich einen Zinsvorteil oder -nachteil durch die späte Steuerfestsetzung erzielt haben, kommt es nicht an. Auch die Gründe für die späte Steuerfestsetzung und insbesondere, ob die Steuerpflichtigen oder die Behörde hieran ein Verschulden trifft, sind für die Anwendung des § 233a [X.] unerheblich ([X.]-Beschluss in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 7).

cc) Säumniszuschläge sind demgegenüber ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 [X.] den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen (z.B. [X.] vom 02.03.2017 - II B 33/16, [X.], 27, [X.], 646, Rz 32, sowie [X.]-Urteile vom 19.12.2000 - VII R 63/99, [X.], 524, [X.] 2001, 217, unter [X.], und vom 30.03.2006 - V R 2/04, [X.], 23, [X.] 2006, 612, unter [X.]2., jeweils m.w.N.).

dd) Neben der den Säumniszuschlägen zukommenden Lenkungsfunktion unterscheiden sich diese von Nachzahlungszinsen insbesondere dadurch, dass der Steuerpflichtige --anders als bei der [X.]-- grundsätzlich die Wahl hat, ob er den Tatbestand der Säumnis verwirklicht und deshalb die Säumniszuschläge nach § 240 [X.] entstehen oder ob er die Steuerschuld bei Fälligkeit tilgt und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafft (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.] 158, 282, [X.], 4303, Rz 243, und vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22). Dem steht nicht entgegen, dass Säumniszuschläge kraft Gesetz entstehen, ohne dass es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt (z.B. [X.] in [X.], 27, [X.], 646, Rz 32, m.w.N.).

b) § 233a [X.] und § 240 [X.] regeln folglich unterschiedliche Sachverhalte. Aufgrund der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen kann die Entscheidung des [X.] in [X.] 158, 282, [X.], 4303 zur [X.] auf § 240 [X.] auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden. Ebenso wenig werden unter Berücksichtigung dieser Entscheidung --etwa im Wege eines "[X.] ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge begründet (vgl. [X.]-Beschluss vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22, Rz 26).

c) Vielmehr vermag der Senat angesichts der aufgezeigten Unterschiede zwischen Säumniszuschlägen gemäß § 240 [X.] und Zinsen nach § 233a [X.] keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge zu erkennen. Die in § 240 [X.] angelegte unterschiedliche Behandlung der beiden Vergleichsgruppen ist bereits durch die vom Steuerschuldner veranlasste Säumnis gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ist daher insoweit nicht zu beklagen.

d) Gleiches gilt im Hinblick auf die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge. Die dahingehende Typisierung obliegt der grundsätzlichen [X.] des Gesetzgebers. Sie ist erst dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die Höhe der Säumniszuschläge unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist. Einen solchen Rechtfertigungsmangel sieht der beschließende Senat --auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus-- nicht.

aa) Zum einen lässt sich § 240 [X.] nicht entnehmen, in welchem quantitativen Verhältnis die vom Gesetz verfolgten Zwecke (Druckmittel, zinsähnliche Funktion, Verwaltungsaufwand) zueinander stehen. Aus der Rechtsprechung des [X.] zum (Teil-)Erlass von Säumniszuschlägen aus Billigkeitsgründen folgt nichts anderes. Danach sind zwar Säumniszuschläge typisierend (nur) zur Hälfte wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn sie wegen Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners ihren Sinn als Druckmittel verloren haben (z.B. [X.]-Urteil vom 24.04.2014 - V R 52/13, [X.]E 245, 105, [X.] 2015, 106, Rz 14, m.w.N.). Ein Zinsanteil von 0,5 % lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten. Denn der verbleibende hälftige Anteil dient nicht nur dem Vorteilsausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern, sondern gilt daneben den durch die Säumnis entstehenden Verwaltungsmehraufwand ab. In welchem Verhältnis Zinsanteil und "Verwaltungsentgelt" zueinander stehen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist die Höhe des im Säumniszuschlag enthaltenen Zinses ungeklärt ([X.]-Beschluss vom 04.05.2022 - 2 BvL 1/22, Rz 24).

Dementsprechend kann der beschließende Senat den Zinsanteil wegen der multifunktionalen Zielsetzung der Säumniszuschläge nicht belastbar beziffern. Ein lediglich gedachter, nicht zu quantifizierender Zinsanteil vermag ernstliche Zweifel an deren gesetzlich festgelegter Höhe von 1 % je angefangenem Monat nicht zu begründen (ebenso Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen --[X.]--, Beschluss vom [X.], Rz 8). Da Säumniszuschläge im Hinblick auf ihre Höhe nur insgesamt als verfassungsgemäß oder -widrig beurteilt werden können --eine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt es nicht ([X.] vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, Rz 16, zu ernstlichen Zweifeln bei [X.], kommt auch eine teilweise AdV des angefochtenen [X.] nicht in Betracht.

bb) Zum anderen könnte selbst ein gedachter Zinsanteil an den Säumniszuschlägen von 0,5 % pro angefangenem Monat nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 Abs. 1 Satz 1 [X.] führen. Denn ein Säumniszuschlag von 1 % für jeden angefangenen Monat der Säumnis wäre nach Auffassung des Senats jedenfalls im Hinblick auf die im vorliegenden Streitfall verspätet entrichteten Steuern auch allein zur Erzwingung deren rechtzeitiger Zahlung und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands verhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus unbedenklich (ebenso [X.], Beschluss vom [X.], Rz 8).

(1) Für die nicht rechtzeitig abgeführte Lohnsteuer folgt dies aus dem Umstand, dass diese ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes der Arbeitnehmer ist. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes). Der Arbeitgeber --hier die [X.] zieht die Lohnsteuer gewissermaßen nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein. Für den Arbeitgeber ist die Lohnsteuer [X.], welches er daher nicht sach- und zweckwidrig selbst verwenden darf. Durch die verspätete Abführung der Lohnsteuer verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die ihm obliegende Verpflichtung, die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln bis zum Ablauf des [X.] zu entrichten (so bereits [X.]-Urteil vom 20.04.1982 - VII R 96/79, [X.]E 135, 416, [X.] 1982, 521, m.w.N.).

(2) Ähnliches gilt aber auch für die von der Antragstellerin nicht rechtzeitig abgeführte Umsatzsteuer. Denn diese ist darauf angelegt, dass der Unternehmer, so er steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen ausführt, die Umsatzsteuer gesondert berechnet (§ 14 des Umsatzsteuergesetzes) und sie über den Kaufpreis (in dem der [X.] und die Umsatzsteuer enthalten sind; vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 13.12.1972 - I R 7/70, [X.]E 107, 521, [X.] 1973, 217, unter 2.b, und vom 25.11.1969 - II R 22/69, [X.]E 97, 444, [X.] 1970, 386, unter I[X.]5.a) auf den Erwerber der Lieferung oder den Empfänger der Leistung abwälzt (vgl. z.B. [X.]-Urteile vom 21.02.2018 - II R 21/15, [X.]E 261, 62, Rz 67, m.w.N., und vom 15.07.2015 - II R 32/14, [X.]E 250, 427, [X.] 2015, 1031, Rz 29; [X.]-Beschluss vom 22.03.2022 - 1 BvR 2868/15 u.a., Rz 111; Urteil des Gerichtshofs der [X.] [X.] u.a. vom 07.08.2018 - [X.]/17, [X.]:C:2018:636, Rz 36 ff., m.w.N.).

Angesichts dessen teilt der Senat die Zweifel des V[X.] und V. Senats des [X.] an der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nicht.

4. Unbilligen Härten im Einzelfall im Hinblick auf die gesetzliche Höhe der Säumniszuschläge, z.B. bei Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners, die die Funktion von Säumniszuschlägen als Druckmittel entfallen lassen könnte, kann durch (Teil-)Erlass nach § 227 [X.] begegnet werden. Auch dieser Umstand streitet gegen die Verfassungswidrigkeit von § 240 [X.] (ebenso [X.], Beschluss vom [X.], Rz 8). Für Letzteres bestehen im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin trägt nicht vor, über kein Vermögen zu verfügen, aus dem sie die geschuldeten Steuern entrichten könnte.

5. Auch unionsrechtliche Grundsätze (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) führen --jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen [X.] nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer. Der Senat verweist zur Begründung auf den [X.] vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), [X.]E 276, 535, Rz 33 ff., dem er sich insoweit inhaltlich uneingeschränkt anschließt.

6. Schließlich wäre der Antragstellerin die begehrte AdV auch bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nicht zu gewähren. Denn hierfür fehlt es an dem im Streitfall erforderlichen besonderen [X.].

a) Nach der Rechtsprechung des [X.] (z.B. Beschlüsse vom 10.02.1984 - III B 40/83, [X.]E 140, 396, [X.] 1984, 454; vom 01.04.2010 - II B 168/09, [X.]E 228, 149, [X.] 2010, 558; vom 09.03.2012 - VII B 171/11, [X.]E 236, 206, [X.], 418, sowie vom 15.04.2014 - II B 71/13) ist bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit eines formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich ein besonderes berechtigtes Interesse an der AdV erforderlich.

b) Ob an dieser Rechtsprechung weiter festzuhalten ist, haben der beschließende Senat (Senatsbeschluss vom 25.08.2009 - VI B 69/09, [X.]E 226, 85, [X.] 2009, 826) wie auch andere Senate des [X.] (z.B. [X.] vom 02.08.2007 - IX B 92/07, [X.]/NV 2007, 2270, und vom 09.05.2012 - I B 18/12) zuletzt dahinstehen lassen. Auch das [X.] hat es in neuerer Zeit offengelassen, ob das Erfordernis eines besonderen [X.]s mit dem Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 24.10.2011 - 1 BvR 1848/11, 1 BvR 2162/11, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 372, Rz 4, und vom 06.05.2013 - 1 BvR 821/13, [X.] 2013, 639, Rz 7).

c) Dies bedarf im Streitfall aber keiner Entscheidung.

aa) Denn jedenfalls in dem vorliegenden Bagatellfall, in dem die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ausschließlich auf verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Gesetzesvorschrift beruhen, kommt AdV nach Auffassung des Senats (weiterhin) nur in Betracht, wenn ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt. Dies ist dem Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes geschuldet.

bb) Das danach für eine Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erforderliche besondere berechtigte [X.] hat der [X.] in verschiedenen Fallgruppen regelmäßig als erfüllt angesehen, insbesondere wenn der [X.] die vom Antragsteller als verfassungswidrig angesehene Vorschrift bereits dem [X.] gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat oder ein beim [X.] anhängiges Verfahren, das für die Beantwortung von Rechtsfragen vorgreiflich ist, im Hinblick auf mehrere beim [X.] anhängige Verfahren der konkreten Normenkontrolle ruht. Das berechtigte [X.] hat der [X.] auch in den Fällen bejaht, in denen der sofortige Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zu einem steuerlichen Eingriff mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen führt, etwa weil dem Antragsteller irreparable Nachteile drohen oder sein zu versteuerndes Einkommen abzüglich der darauf zu entrichtenden Einkommensteuer das sozialhilferechtlich garantierte [X.] unterschreitet (z.B. [X.] vom [X.] - VIII B 91/18, Rz 21, m.w.N.).

d) Auf dieser Grundlage kommt im Streitfall eine AdV des angefochtenen [X.] nicht in Betracht. Insbesondere kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass die Entrichtung der Säumniszuschläge zur Lohn- und zur Umsatzsteuer für Juli 2021 in Höhe von insgesamt 42 € für die Antragstellerin zu einer derart schwerwiegenden Belastung führt, dass ihr bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens irreparable Nachteile drohen. Anderes ist von der Antragstellerin weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich.

e) Dem Verlangen nach einem besonderen [X.] steht schließlich auch nicht entgegen, dass nach der Rechtsprechung des [X.] kein besonderes [X.] erforderlich ist, wenn es um die Vereinbarkeit einzelner [X.] mit dem Unionsrecht geht (vgl. [X.] vom 30.11.2000 - V B 187/00, [X.]/NV 2001, 657, sowie vom 12.12.2013 - XI B 88/13). AdV wegen ernstlicher unionsrechtlicher Zweifel an einer dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden Gesetzesvorschrift mag danach auch ohne ein besonderes [X.] zu gewähren sein, AdV wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Grundlage eines Verwaltungsakts in Fällen wie dem vorliegenden hingegen nicht.

7. [X.] beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Meta

VI B 15/22 (AdV)

28.10.2022

Bundesfinanzhof 6. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 14. Februar 2022, Az: 8 V 2789/21, Beschluss

§ 240 Abs 1 S 1 AO, § 238 AO, § 233a AO, § 227 AO, § 218 Abs 2 AO, § 69 Abs 2 S 2 FGO, § 38 Abs 2 EStG 2009, § 14 UStG 2005, Art 3 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.10.2022, Az. VI B 15/22 (AdV) (REWIS RS 2022, 6608)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6608

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen …


VI B 35/22 (AdV) (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen …


VI B 48/22 (AdV) (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen …


VI B 38/22 (AdV) (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen …


VI B 31/22 (AdV) (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit Beschluss des BFH vom 28.10.2022 VI B 15/22AdV) - AdV-Verfahren: Keine ernstlichen …


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