Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2017, Az. V R 7/16

5. Senat | REWIS RS 2017, 11255

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Gegenstand

Organisatorische Eingliederung durch Beherrschungsvertrag


Leitsatz

Unterstellt eine juristische Person gemäß oder entsprechend § 291 AktG die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen, so führen die auf diesem Beherrschungsvertrag beruhenden umfassenden Weisungsrechte anders als die sich aus der Stellung als Mehrheitsgesellschafter gemäß § 46 Nr. 6 GmbHG ergebenden Weisungsrechte zur organisatorischen Eingliederung .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 23. Juli 2015  6 K 1352/14 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig sind die Voraussetzungen der organisatorischen Eingliederung bei einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand u.a. die Übernahme, die Fortführung und der Verkauf von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen ist. Die Klägerin ist zu 100 % an der [X.] beteiligt.

3

Mit notariellem Vertrag vom 29. Oktober 2007 schloss die Klägerin als herrschendes Unternehmen mit der [X.] in Gründung ([X.]) einen [X.], der am 4. Dezember 2007 im Handelsregister eingetragen wurde. Danach unterstellte die [X.] [X.] die Leitung ihrer Gesellschaft der Klägerin. Nach §§ 1 und 2 des Vertrages ist die Klägerin berechtigt, der Geschäftsführung der [X.] [X.] sowohl hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft als auch allgemein oder auf Einzelfälle bezogene Weisungen zu erteilen. Die [X.] [X.] verpflichtete sich, den Weisungen zu folgen. Gemäß § 5 Abs. 2 des Vertrages sollte der Vertrag hinsichtlich des Weisungsrechts mit Eintragung im Handelsregister wirksam werden.

4

Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war S, Geschäftsführer der [X.] waren [X.] und K.

5

Im Rahmen sowohl bei der Klägerin als auch bei der [X.] durchgeführter Außenprüfungen ging der Prüfer davon aus, dass zwischen der Klägerin und der [X.] seit dem Streitjahr (2007) eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bestehe. Die [X.] habe umsatzsteuerpflichtige Erlöse auf ein nicht mit Umsatzsteuer belastetes Ertragskonto umgebucht (19.950 €), im Jahr 2007 ausgestellte Ausgangsrechnungen in Höhe von insgesamt 123.831,39 € nicht verbucht (Umsatzsteuer 23.527,96 €) und Anzahlungen in Höhe von 15.541,70 € (Umsatzsteuer 2.952,92 €) nicht erfasst. Der Prüfer berücksichtigte dabei zumindest einen zeitlich vor der Eintragung des Beherrschungsvertrages im Handelsregister liegenden Geschäftsvorfall, nämlich die Inrechnungstellung an S vom 8. November 2007 über 16.000 € [X.] 3.040 € Umsatzsteuer. Am 1. Januar 2011 wurde über das Vermögen der [X.] das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter wurde L bestellt.

6

Infolgedessen hob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) den Umsatzsteuerbescheid 2007 gegenüber der [X.] auf und änderte den Umsatzsteuerbescheid 2007 gegenüber der Klägerin, in dem es die Umsätze der [X.] nach den Feststellungen der Betriebsprüfung bei der Klägerin erfasste.

7

Einspruch und Klage der Klägerin hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts ([X.]) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2016, 844 veröffentlicht. Die streitgegenständlichen Umsätze seien zu Recht 2007 bei der Klägerin erfasst worden, weil sie umsatzsteuerrechtlich Organträger der [X.] gewesen sei. Die organisatorische Eingliederung der [X.] ergebe sich aus dem [X.], aufgrund dessen die Geschäftsführung der Klägerin befugt gewesen sei, der Geschäftsführung der [X.] Weisungen zu erteilen.

8

Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts sowie Verfahrensmängel geltend. Das [X.] habe zu Unrecht eine organisatorische Eingliederung bejaht. Es fehle an der erforderlichen Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen. Der [X.] könne diese nicht ersetzen. Im Übrigen habe sie, die Klägerin, der [X.] tatsächlich auch keine Weisungen erteilt.

9

Die Klägerin rügt darüber hinaus Verfahrensfehler.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 2015 aufzuheben, da keine umsatzsteuerrechtliche Organschaft vorliegt und die streitgegenständlichen Umsätze des Jahres 2007 ihr nicht zuzurechnen sind.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die [X.] sei in die Klägerin durch den [X.] auch organisatorisch eingegliedert gewesen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des [X.] und zur Zurückverweisung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zwar zu Recht aus dem [X.] auf die organisatorische Eingliederung der [X.] geschlossen, es hat aber zu Unrecht Umsatzsteuer aus Rechnungen der [X.], die diese vor Wirksamwerden des [X.]es am 4. Dezember 2007 begeben hat, bei der Klägerin erfasst. Die Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um beurteilen zu können, welche Geschäftsvorfälle im Einzelnen von der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft umfasst werden.

1. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und --hier allein streitig-- organisatorisch in das Unternehmen des [X.] eingegliedert ist (Organschaft). [X.] Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 11 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem --MwStSystRL-- (dazu eingehend Urteile des [X.] --BFH-- vom 2. Dezember 2015 V R 15/14, [X.], 158, [X.], 553, und vom 2. Dezember 2015 V R 25/13, [X.], 534, [X.], 547).

a) Eine juristische Person ist organisatorisch in das Unternehmen des [X.] eingegliedert, wenn der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (BFH-Urteile in [X.], 158, [X.], 553, Rz 42; vom 8. August 2013 V R 18/13, [X.], 433, [X.], 543, Rz 25; vom 7. Juli 2011 V R 53/10, [X.], 548, [X.], 218, Rz 20; [X.] vom 11. Dezember 2013 XI R 17/11, [X.], 79, [X.], 417, Rz 62, und [X.], [X.], 94, [X.], 428, Rz 67).

aa) Da sich die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger finanziell belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher bestimmbar sein (BFH-Urteile in [X.], 158, [X.], 543, Rz 19; vom 22. April 2010 V R 9/09, [X.], 433, [X.], 597, Rz 24). Deshalb erfordert die organisatorische Eingliederung im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft (BFH-Urteile in [X.], 158, [X.], 543, Rz 43; vom 3. April 2008 V R 76/05, [X.], 443, [X.], 905, Rz 39).

bb) Unterstellt aber die juristische Person gemäß § 291 des Aktiengesetzes ([X.]) in direkter (bei Aktiengesellschaften) oder analoger Anwendung im GmbH-Recht (vgl. Beschluss des [X.] --BGH-- vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88, [X.], 324, Rz 19; [X.]/[X.], GmbHG, 11. Aufl., [X.]. § 13 Rz 170; [X.] in [X.] Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2015, [X.]. § 13 Rz 648; [X.] in [X.][X.], GmbHG, 8. Aufl. 2015, [X.]. § 13 Rz 17) die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen als dem Organträger, begründet der [X.] die organisatorische Eingliederung (einhellige Auffassung im Schrifttum und in der Finanzverwaltung; vgl. [X.] in [X.]/Wäger, § 44 Rz 423; Grube, Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht 2015, 202, 205; [X.], Der Betrieb 2016, 608, 612 f.; Korn in [X.], UStG, 15. Aufl., § 2 Rz 133; [X.]/[X.], [X.], 896; [X.] in [X.]/Söhn/[X.], § 2 UStG Rz 83; [X.][X.] in Weymüller, § 2 Rz 310.11; [X.], [X.], 253, 256; Reiß in Reiß/[X.]/[X.], UStG § 2 Rz 112.2; [X.] in [X.]/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 450; Stadie, UStG, 3. Aufl., § 2 Rz 298; [X.]. in [X.], Umsatzsteuergesetz, § 2 Rz 893; Treiber in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 2 Rz 230 f.; Wäger in Festschrift für [X.] [X.]1206 f.; [X.] 2.8 Abs. 10 Satz 4).

(1) Zwar berechtigt auch die mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Stellung als Mehrheitsgesellschafter gemäß § 46 Nr. 6 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung des beherrschten Unternehmens und in Vollzug dieses Rechts zur Erteilung von Weisungen zwecks Ausführung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung (z.B. [X.] in [X.] Kommentar zum GmbHG, a.a.[X.], [X.]. § 13 Rz 198). Dieses Weisungsrecht erfüllt aber nach ständiger Rechtsprechung nicht das selbständige Tatbestandsmerkmal der organisatorischen Eingliederung (vgl. zuletzt BFH-Urteil in [X.], 158, [X.], 543, Rz 43, m.w.N.; a.[X.], [X.] 2016, 822, 839; zu einem Sonderfall vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 30/14, [X.], 467, [X.], 597).

(2) Etwas anderes gilt demgegenüber für die weitergehenden Rechte aus einem [X.]; sie führen zur organisatorischen Eingliederung, weil sich das Weisungsrecht nach § 308 [X.] nicht nur auf die Überwachung beschränkt, sondern darüber hinaus auf die Leitung der Gesellschaft (vgl. § 76 Abs. 1 [X.]) bezieht. Im Gegensatz zum Weisungsrecht des Mehrheitsgesellschafters, das nur die Möglichkeit eröffnet, einzelne laufende Angelegenheiten an sich zu ziehen, umfasst das Weisungsrecht aus § 308 [X.] die Geschäftsführung, die organschaftliche Vertretung sowie Maßnahmen im Innenverhältnis der Gesellschaft unter Einschluss der Rechnungslegung (vgl. [X.]nbucher in [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl. 2015, § 308 Rz 21; [X.] in [X.] Kommentar zum [X.], 4. Aufl. 2015, § 308 Rz 87; [X.]/[X.], [X.], 12. Aufl. 2016, § 308 Rz 12). Dem Geschäftsführer der abhängigen GmbH können damit direkt Weisungen erteilt werden, ohne dass der Weg über die Gesellschafterversammlung beschritten werden müsste. Der [X.] gewährleistet folglich von Rechts wegen den Vorrang des [X.] vor dem Interesse der Organgesellschaft und rechtfertigt die Eingliederung (vgl. zum Gesellschaftsrecht [X.]/[X.] in: [X.]/[X.], GmbH-Gesetz Kommentar, 19. Aufl. 2016, [X.]. zu § 13, Rz 46, m.w.N., und zum Umsatzsteuerrecht Wäger in der Festschrift für [X.], [X.] 2009, [X.]1207).

cc) Die organisatorische Eingliederung mittels eines [X.]es setzt dessen Wirksamkeit voraus. Da ein [X.] den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändert (BGH-Beschluss vom 24. Oktober 1988 II ZB 7/88, [X.], 324), wird ein zwischen zwei GmbHs abgeschlossener [X.] erst mit der Eintragung im Handelsregister wirksam; der Eintragung kommt konstitutive Wirkung zu (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2008 I R 66/07, [X.], 162, BStBl II 2009, 972, Rz 12; [X.] in [X.] [X.], a.a.[X.], [X.]. § 13 Rz 32; [X.] in [X.] Kommentar zum GmbHG, a.a.[X.], [X.]. § 13 Rz 666; [X.]/ [X.], a.a.[X.], [X.]. § 13 Rz 140, 152).

b) Im Streitfall war die Klägerin aufgrund des [X.] Organträgerin der [X.]. Da dieser Vertrag erst mit der Eintragung in das Handelsregister am 4. Dezember 2007 wirksam wurde, ist die [X.] ab diesem Zeitpunkt organisatorisch in die Klägerin eingegliedert. Dem entspricht der notarielle [X.], denn nach § 5 Abs. 2 dieses Vertrages wurde der [X.] hinsichtlich des Weisungsrechts mit Eintragung im Handelsregister wirksam.

2. Nach diesen Maßstäben ist das [X.] zutreffend von einer Organschaft zwischen der Klägerin und der [X.] aufgrund des [X.]es ausgegangen. Es hat aber nicht berücksichtigt, dass die Organschaft erst mit Wirksamwerden dieses Vertrages am 4. Dezember 2007 begann und damit die zuvor verwirklichten Besteuerungsgrundlagen nicht umfasst. Deshalb ist die Vorentscheidung aufzuheben.

Die Sache ist aber nicht spruchreif. Der [X.] kann mangels ausreichender Feststellungen des [X.] nicht beurteilen, welche Besteuerungsgrundlagen nach dem Wirksamwerden des [X.]es mit dem 4. Dezember 2007 verwirklicht werden. Deshalb geht die Sache an die Vorinstanz zurück, um ihr Gelegenheit zu geben, die entsprechenden Feststellungen in einer neuen Verhandlung und Entscheidung nachzuholen.

Auf die geltend gemachten Verfahrensfehler kommt es deshalb nicht an.

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 7/16

10.05.2017

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 23. Juli 2015, Az: 6 K 1352/14, Urteil

§ 2 Abs 2 Nr 2 S 1 UStG, Art 11 EGRL 112/2006, § 76 AktG, § 291 AktG, § 308 AktG, § 46 Nr 6 GmbHG, § 60 Abs 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 96 Abs 1 FGO, Art 103 Abs 1 GG, UStG VZ 2007

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.05.2017, Az. V R 7/16 (REWIS RS 2017, 11255)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11255

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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16a U 200/19

26 U 64/18

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