Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.05.2018, Az. 9 AS 2/18

9. Senat | REWIS RS 2018, 9271

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Gegenstand

Rechtswegbestimmung - Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung des Verweisungsbeschlusses - Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung


Tenor

Das [X.] ist zuständig.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung der [X.], die Klägerin für einen bereits verstrichenen Zeitraum von der Sozialversicherung abzumelden, sowie über Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der von der [X.] als [X.] zur Sozialversicherung abgeführten Leistungen.

2

Die Klägerin war bei der [X.] in den Monaten Dezember 2016 bis Februar 2017 beschäftigt. Die [X.]eklagte zahlte an sie für die Monate Dezember 2016 und Januar 2017 jeweils eine Vergütung von knapp unter 900,00 Euro brutto. Dabei nahm sie das [X.]estehen eines sozialversicherungspflichtigen [X.]eschäftigungsverhältnisses an und führte [X.] zur Sozialversicherung ab.

3

Mit ihrer am 28. August 2017 beim [X.] erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis habe insgesamt nicht der Sozialversicherungspflicht unterlegen, sodass sie einen Anspruch auf vollständige Auszahlung ihrer Vergütung habe.

4

Die Klägerin hat beantragt,

        

die [X.]eklagte zu verurteilen, die Anzeige zur Sozialversicherungspflicht gegenüber der Einzugsstelle zurückzuziehen und ihren Lohn in voller Höhe an sie auszuzahlen.

5

Nach Anhörung der Parteien hat das [X.] mit [X.]eschluss vom 25. Januar 2018 (- S 10 R 8056/17 -) den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Der [X.]eschluss ist rechtskräftig.

6

Das [X.] hat nach Anhörung der Parteien durch [X.]eschluss vom 5. April 2018 eine Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und diesen dem [X.] zur [X.]estimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur [X.]egründung hat es ausgeführt, der Verweisungsbeschluss sei objektiv willkürlich und daher nicht bindend.

7

II. Das [X.] hat im Streitfall das zuständige Gericht zu bestimmen.

8

1. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die [X.]estimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist. Dies ist der Fall, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die [X.]indungswirkung eines rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des [X.], der zuerst angegangen wird ([X.] 10. Oktober 2017 - 9 [X.]/17 - Rn. 5 mwN).

9

2. Mit [X.]eschluss vom 25. Januar 2018 hat das [X.] den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Dieses hat die Übernahme des Rechtsstreits mit [X.]eschluss vom 5. April 2018 abgelehnt und den Rechtsstreit dem [X.] zur [X.]estimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

III. Zuständiges Gericht ist das [X.]. Die Verweisung des Rechtsstreits durch das Sozialgericht an das [X.] ist für dieses nicht bindend (vgl. allgemein zum Entfall der [X.]indungswirkung [X.] 10. Oktober 2017 - 9 [X.]/17 - Rn. 9). Der Verweisungsbeschluss ist wegen einer krassen Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar. Die Verweisung des Rechtsstreits an das [X.] führte zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dem zufolge niemand [X.] entzogen werden darf.

1. Das [X.] hat zwingendes Verfahrensrecht verletzt, weil es den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht mit einer [X.]egründung versehen hat. Die Gründe des [X.]eschlusses beschränken sich auf den pauschalen Hinweis, es handele sich um die Klage einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis. Damit erfüllt das [X.] nicht im Ansatz die Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße [X.]egründung. Hierzu muss mindestens die herangezogene Rechtsnorm bezeichnet und angegeben werden, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen ein Tatbestandsmerkmal der genannten Norm vorliegt bzw. nicht vorliegt (vgl. [X.]SG 18. Juli 2012 - [X.] 12 SF 5/12 S - Rn. 7; 8. Februar 2007 - [X.] 9b [X.] 5/05 R - Rn. 13). Auch wenn die fehlende [X.]egründung des [X.]eschlusses nicht zur Nichtigkeit dieser Entscheidung führt, liegt doch bereits in dieser groben Missachtung der nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden [X.]egründungspflicht nach § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG regelmäßig eine krasse Rechtsverletzung, welche die Durchbrechung der gesetzlichen [X.]indungswirkung ausnahmsweise rechtfertigt. Die [X.]eschlussgründe geben Aufschluss über die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf denen der Verweisungsbeschluss beruht. Sie sind damit notwendiger Ausgangspunkt für die [X.]eantwortung der Frage, ob sich das verweisende Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn dem Akteninhalt mit ausreichender Sicherheit und für die [X.]eteiligten erkennbar entnommen werden kann, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht ([X.] 16. Juni 2015 - 10 [X.]/15 - Rn. 6 mwN).

2. Danach ist der Verweisungsbeschluss des [X.] offensichtlich unhaltbar. Aus der Angabe, bei der Klage handele es sich um eine solche einer Arbeitnehmerin gegen ihre frühere Arbeitgeberin aus dem Arbeitsverhältnis, erschließt sich die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen nicht einmal im Ansatz. Auch aus dem Akteninhalt ergeben sich keine hinreichenden Erkenntnisse darüber, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Der Akteninhalt gibt keinerlei Aufschluss darüber, ob das [X.] überhaupt erwogen hat, ob zwischen den Parteien eine [X.] Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG besteht oder es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit iSv. § 51 Abs. 1 SGG handelt, und welche sachlichen und rechtlichen [X.]eweggründe das Sozialgericht zu seiner [X.]eschlussfassung veranlasst haben.

IV. Das für die weitere Sachbehandlung zuständige Gericht ist das [X.]. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus § 51 SGG. Zwischen den Parteien besteht keine [X.] Streitigkeit iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG.

1. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 [X.]uchst. a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Ob es sich um eine [X.] oder eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, bestimmt sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird (GmS-OG[X.] 10. April 1986 - GmS-OG[X.] 1/85 - zu III 1 der Gründe, [X.]GHZ 97, 312; [X.] 19. August 2008 - 5 AZ[X.] 75/08 - Rn. 6). Maßgeblich ist, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des bürgerlichen Rechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird ([X.] 5. Oktober 2005 - 5 AZ[X.] 27/05 - zu [X.] I der Gründe mwN, [X.]E 116, 131).

2. Mit ihrer Klage möchte die Klägerin in erster Linie die [X.]erechtigung des Abzugs von Sozialversicherungsbeiträgen überprüfen lassen. Dies ergibt sich eindeutig aus der [X.]egründung ihrer Klage vom 28. August 2017 und ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 19. September 2017. Darin reklamiert sie die Sozialversicherungsfreiheit für ihr Arbeitsverhältnis und moniert die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien der Sozialversicherungspflicht unterlag, kann allein unter Heranziehung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beantwortet werden. Während die [X.]eschäftigung iSv. § 7 SG[X.] IV regelmäßig zur Versicherungspflicht in der Sozialversicherung führt, sind Personen, die einer nur geringfügigen [X.]eschäftigung iSv. § 8 Abs. 1 SG[X.] IV nachgehen, in der Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung gewöhnlich versicherungsfrei (§ 7 SG[X.] V, § 5 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] VI, § 27 Abs. 2 Satz 1 SG[X.] III). Diese öffentlich-rechtlichen [X.]estimmungen geben dem Streit über die Sozialversicherungspflicht der Klägerin das Gepräge. Die Gerichte für Arbeitssachen sind indes nicht befugt, die [X.]erechtigung der Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen (vgl. ausf. [X.] 30. April 2008 - 5 [X.] - Rn. 18 ff., [X.]E 126, 325). Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten [X.]eträge nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand. Andernfalls tritt die Erfüllungswirkung ein (vgl. [X.] 21. Dezember 2016 - 5 [X.] - Rn. 20, [X.]E 157, 336; 30. April 2008 - 5 [X.] - Rn. 21, aaO). Vorliegend steht zwischen den Parteien gerade nicht im Streit, ob die [X.]eklagte Sozialversicherungsbeiträge abgeführt hat, sondern die allein nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilende Frage, ob sie hierzu verpflichtet war.

3. Auch das (Nicht-)[X.]estehen einer Meldepflicht zur Sozialversicherung ergibt sich aus Rechtsnormen des öffentlichen Rechts. Der Arbeitgeber hat nach § 28a SG[X.] IV iVm. der gemäß § 28c SG[X.] IV erlassenen Datenerfassungs- und -übermittlungsverordnung ([X.]) für jeden kraft Gesetzes in der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung oder nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherten [X.]eschäftigten (§§ 5 ff. SG[X.] V, §§ 1 ff. SG[X.] VI, §§ 20 ff. SG[X.] XI und §§ 24 ff. SG[X.] III) der Einzugsstelle Meldung zu erstatten. Er hat der Einzugsstelle ua. [X.]eginn und Ende der versicherungspflichtigen [X.]eschäftigung (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SG[X.] IV) sowie die Unterbrechung der Entgeltzahlung (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 SG[X.] IV) mitzuteilen. Der Inhalt der Meldungen bestimmt sich im Wesentlichen nach § 28a Abs. 3 SG[X.] IV. Die [X.] regelt maßgeblich das formelle Meldeverfahren, wie Fristen, Änderung, [X.]erichtigung und Stornierung der Meldung und konkretisiert den Inhalt der Meldungen. Die Versicherungsträger können die Meldepflichten, soweit diese privaten Personen oder Institutionen obliegen und im Streit stehen, durch Verwaltungsakt feststellen und nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz des [X.] oder des jeweiligen [X.] vollstrecken ([X.] 5. Oktober 2005 - 5 AZ[X.] 27/05 - Rn. 15, [X.]E 116, 131). Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der [X.] steht nicht entgegen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften eine auf § 242 [X.]G[X.] beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers begründen können ([X.] 5. Oktober 2005 - 5 AZ[X.] 27/05 - Rn. 17, aaO).

        

    [X.]rühler    

        

    Weber    

        

    Zimmermann    

        

        

        

             

        

             

                 

Meta

9 AS 2/18

14.05.2018

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend ArbG Regensburg, 5. April 2018, Az: 7 Ca 582/18, Beschluss

§ 2 Abs 1 Nr 3 ArbGG, § 51 Abs 1 SGG, § 17a Abs 4 S 2 GVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.05.2018, Az. 9 AS 2/18 (REWIS RS 2018, 9271)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9271


Verfahrensgang

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Az. 9 AS 2/18

Bundesarbeitsgericht, 9 AS 2/18, 14.05.2018.


Az. 7 Ca 582/18

ArbG Regensburg, 7 Ca 582/18, 05.04.2018.


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