Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.01.2024, Az. 9 AZB 23/23

9. Senat | REWIS RS 2024, 172

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Gegenstand

Rechtsweg - Corona-Sonderleistung für Pflegefachkräfte in Krankenhäusern


Leitsatz

Für Rechtsstreitigkeiten über Corona-Sonderleistungen für Pflegefachkräfte in Krankenhäusern nach § 26e Abs. 2 Satz 1 KHG ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 27. September 2023 - 4 Ta 182/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. [X.] wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Rechtswegs und in der Hauptsache über die Zahlung einer Sonderleistung nach § 26e Krankenhausfinanzierungsgesetz ([X.]).

2

Die Klägerin steht seit dem 1. Oktober 2013 als Gesundheits- und Krankenpflegerin in einem Arbeitsverhältnis mit der [X.], die ein Klinikum betreibt. Zuletzt war die Klägerin auf einer interdisziplinären Intensivstation eingesetzt. Ab dem 24. Mai 2021 unterlag sie einem [X.]eschäftigungsverbot. [X.]is zum 19. Juni 2022 befand sie sich in Elternzeit.

3

Die [X.]eklagte erhielt vom [X.] nach § 26e [X.] eine Zahlung aus [X.]esmitteln für die Auszahlung von Sonderleistungen an Pflegefachkräfte aufgrund besonderer [X.]elastungen durch die [X.]. Sie zahlte an einen Teil der bei ihr beschäftigten Pflegekräfte für das [X.] eine Sonderleistung aus. Die Klägerin erhielt keine Zahlung. Sie begehrt mit ihrer Klage die Auszahlung einer Sonderleistung in Höhe von 2.000,00 Euro brutto. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für eine Sonderleistung erfüllt.

4

Das Arbeitsgericht hat auf Rüge der [X.] die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs verneint und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Auf die dagegen gerichtete [X.]eschwerde der Klägerin hat das [X.] den [X.]eschluss des Arbeitsgerichts teilweise unter Zurückweisung der weitergehenden [X.]eschwerde abgeändert. Es hat den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das [X.] verwiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die [X.]eklagte die Verweisung des Rechtsstreits an das [X.].

5

II. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen nach § 78 ArbGG, §§ 574 ff. ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat den Rechtsstreit auf die sofortige [X.]eschwerde der Klägerin gegen den [X.]eschluss des Arbeitsgerichts zu Recht an das [X.] verwiesen. Es hat zu Recht angenommen, nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO sei der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Die Klägerin nehme die [X.]eklagte auf die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten in Anspruch, welche sich aus § 26e [X.] ergäben. Der Rechtsstreit betreffe keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Es handele sich nicht um eine Auseinandersetzung, die die versicherungs- oder leistungsrechtlichen [X.]eziehungen der Krankenkassen zu ihren Mitgliedern oder zu den Leistungserbringern zum Gegenstand habe.

6

1. Dies hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Für den Rechtsstreit ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet, denn er ist öffentlich-rechtlicher Natur und nicht verfassungsrechtlicher Art. Die Streitigkeit ist auch nicht durch [X.]esgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen.

7

a) Die Klägerin nimmt die [X.]eklagte mit der von ihr erhobenen Zahlungsklage auf die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Pflicht in Anspruch, die der [X.] gemäß § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] auferlegt ist. Der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt und die aus ihm hergeleitete Rechtsfolge wird durch Rechtssätze des öffentlichen Rechts geprägt, die die Auslegung und Anwendung der öffentlich-rechtlichen [X.]estimmung betreffen (vgl. zur [X.] nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SG[X.] XI ausf. [X.] 1. März 2022 - 9 [X.] - Rn. 14 ff.).

8

b) Die öffentlich-rechtliche Natur des Anspruchs aus § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der zur Auszahlung der Sonderleistung verpflichtete Arbeitgeber und der Arbeitnehmer als Leistungsempfänger gleichrangig und nicht in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung gegenüberstehen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann nicht nur vorliegen, wenn die [X.]eteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen, sondern auch dann, wenn sie sich in einem Gleichordnungsverhältnis befinden (vgl. [X.] 1. März 2022 - 9 [X.] - Rn. 15; 1. August 2017 - 9 [X.] - Rn. 9, [X.]E 160, 22; 22. November 2016 - 9 [X.] - Rn. 9 mwN). Unerheblich ist, dass der Anspruch der Pflegekraft nach § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] an das [X.]estehen eines Arbeitsverhältnisses anknüpft. Dies ändert nichts daran, dass es bei der Zahlung der Sonderleistung um die Erfüllung einer öffentlich-rechtlich auferlegten Pflicht geht. Der Arbeitgeber fungiert zudem allein als in Dienst genommene Zahlstelle (vgl. [X.] 1. März 2022 - 9 [X.] - Rn. 16).

9

c) Der Annahme einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung des Arbeitgebers steht auch nicht entgegen, dass die in § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] geregelte Auszahlungspflicht auf § 242 [X.]G[X.] beruhende Nebenpflichten des Arbeitgebers begründen können (etwa Anzeige- und Meldepflichten). Diese arbeitsrechtlichen Nebenpflichten werden inhaltlich durch Regelungen des [X.] ausgestaltet und nicht durch arbeitsrechtliche Vorschriften (vgl. zur [X.] nach § 150a Abs. 1 Satz 1 SG[X.] XI ausf. [X.] 1. März 2022 - 9 [X.] - Rn. 14 ff.).

d) Der Leistungsanspruch aus § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] ist nicht verfassungsrechtlicher Art. Er hat seine Grundlage im einfach-gesetzlichen Recht.

e) Die abdrängende Sonderzuweisung an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG greift nicht.

aa) Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ua. über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, die ihre Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung haben, auch soweit Dritte betroffen werden. Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung sind Streitigkeiten, die entweder die versicherungs- oder leistungsrechtlichen [X.]eziehungen der Krankenkassen zu ihren Mitgliedern und zu den Leistungserbringern auf der Grundlage des [X.] oder auch die [X.]eziehungen der Leistungserbringer untereinander betreffen ([X.]SG 19. Juni 2023 - [X.] 6 [X.] - Rn. 15). Entscheidend ist, ob das Rechtsverhältnis dem speziellen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt, die Streitigkeit also ihre materiell-rechtliche Grundlage im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung hat und die maßgeblichen Normen dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind ([X.]SG 25. März 2021 - [X.] 1 [X.] - Rn. 9; 28. September 2010 - [X.] 1 SF 1/10 R - Rn. 16).

bb) Davon ausgehend ist keine Streitigkeit gegeben, die den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist.

(1) Die Streitigkeit hat ihre materiell-rechtliche Grundlage nicht im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Anspruchsnorm, auf die die Klägerin ihre Forderung stützt, ist im [X.] geregelt, dessen Regelungen sich auf die Finanzierung der Krankenhäuser beziehen. Zweck des Gesetzes ist ausweislich § 1 Abs. 1 [X.] die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, um eine qualitativ hochwertige, patienten- und bedarfsgerechte Versorgung der [X.]evölkerung zu gewährleisten und zu sozial tragbaren Pflegesätzen beizutragen. § 26e [X.] regelt die Unterstützung in Form von [X.]esmitteln für Krankenhäuser, die im Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Dezember 2021 besonders belastet waren durch die vollstationäre [X.]ehandlung von mit dem [X.]oronavirus SARS-[X.]oV-2 infizierten Patienten. In diesem [X.] ist die von der Klägerin herangezogene Anspruchsnorm des § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] zu betrachten.

(2) § 26e Abs. 2 Satz 1 [X.] ist auch der Sache nach nicht dem gesetzlichen Krankenversicherungsrecht zuzuordnen. Es geht um die Auszahlung von durch [X.]esmittel zur Verfügung gestellten Finanzmitteln durch Krankenhäuser an dort angestellte Pflegekräfte. Die Auszahlung der Prämie knüpft nicht an den Versicherungsstatus der anspruchsberechtigten Arbeitnehmer an. Sie hat keinen [X.]ezug zu den versicherungs- oder leistungsrechtlichen [X.]eziehungen zwischen Versicherten und Krankenkassen.

(3) Eine überwiegend sozialrechtliche Prägung des Streitgegenstands ergibt sich auch nicht daraus, dass der Spitzenverband [X.] der Krankenkassen ([X.]) mit der Entgegennahme und der Weiterleitung der Prämienbeiträge an die prämienberechtigten Krankenhäuser und der Aufstellung über die ausgezahlten Mittel sowie ggf. der Rückführung von [X.] an die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds betraut ist (§ 26e Abs. 7 und 8 [X.]). Gleiches gilt für die organisatorische Einbindung des [X.] ([X.]), zu deren Gründern und Gesellschaftern der [X.] gehört, bei der [X.]ereitstellung von Daten und Steuerung der [X.] (§ 26e Abs. 4 bis 6 [X.]). Der [X.] wird ebenso wie das [X.] lediglich als Verwaltungsträger außerhalb seines originären Auftrags in Form von administrativen Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen, um die Auszahlung der Sonderzahlung an die anspruchsberechtigten Pflegekräfte zu gewährleisten. Der [X.] ist - ähnlich wie auch der Arbeitgeber - lediglich ein Durchlaufposten für die aus [X.]esmitteln bereitgestellten Gelder (vgl. [X.] 22. August 2023 - 13 Ta 163/23 - Rn. 20).

cc) Der getroffenen Einordnung steht nicht entgegen, dass der [X.] um eine [X.]orona-Sonderzahlung zwischen zugelassenen Pflegeeinrichtungen und ihren Arbeitnehmern die Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bejaht hat ([X.] 1. März 2022 - 9 [X.] -). Die Zuweisung dieser Streitigkeiten an die Sozialgerichte hat ihren wesentlichen Grund darin, dass Rechtsgrundlage der Sonderleistung für Pflegekräfte in zugelassenen Pflegeeinrichtungen § 150a Abs. 1 SG[X.] XI ist, der dem Recht der Pflegeversicherung zuzuordnen ist ([X.] 1. März 2022 - 9 [X.] - Rn. 21 f.). Darin liegt der maßgebliche Unterschied zum vorliegenden Fall, bei dem es um einen Anspruch nach § 26e [X.] geht. Die Rechtsgrundlagen der Sonderleistungen sind in Rechtsmaterien, die verschiedenen Rechtswegzuständigkeiten unterfallen, zu verorten. Das hat eine unterschiedliche Zuordnung zur Folge (so auch [X.] 50/2023 Anm. 8 unter [X.]; [X.] in [X.]/[X.]. § 51 Rn. 128 f.). Zutreffend ist zwar der Hinweis der [X.], dass beide Leistungen denselben gesetzgeberischen Zweck verfolgen, namentlich die Anerkennung besonderer Leistungen von Pflegekräften während der [X.]oronavirus [X.] ([X.]T-Drs. 20/1331 S. 1). Ungeachtet weiterer Unterschiede in der Ausgestaltung der Regelungen ist aber entscheidend, dass der Gesetzgeber die Anspruchsnorm für Pflegekräfte in Pflegeeinrichtungen in das SG[X.] XI und diejenige für Pflegekräfte in Krankenhäusern in das [X.] eingefügt und damit in einen unterschiedlichen [X.] gestellt hat.

dd) Der Zuordnung steht auch nicht der Grundsatz des Sachzusammenhangs entgegen, der unbefriedigende Rechtswegaufspaltungen vermeiden soll (vgl. zu diesem Grundsatz [X.]SG 19. Juni 2023 - [X.] 6 [X.] - Rn. 14; 5. Mai 2021 - [X.] 6 [X.] - Rn. 31). Der erkennbare Wille des Gesetzgebers, die Rechtsmaterie einer anderen Gerichtsbarkeit als der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuzuweisen, lässt sich im Hinblick auf den Sonderleistungsanspruch von Pflegekräften im Krankenhaus - anders als bei dem Anspruch von Pflegekräften in Pflegeeinrichtungen - weder dem formellen noch dem materiellen Recht entnehmen. Die Annahme oder Ausweitung einer Sonderzuweisung an die Sozialgerichte kraft bloßer Sachnähe zum Sozialrecht scheidet aus (vgl. [X.]SG 19. Juni 2023 - [X.] 6 [X.] - aaO).

2. Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts [X.]raunschweig ergibt sich aus § 52 Nr. 5 VwGO.

3. Die [X.]eklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Kiel    

        

    Zimmermann    

        

    [X.]    

        

        

        

             

        

             

                 

Meta

9 AZB 23/23

12.01.2024

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Braunschweig, 20. Juni 2023, Az: 8 Ca 155/23, Beschluss

§ 26e Abs 2 S 1 KHG, § 40 Abs 1 S 1 VwGO, § 51 Abs 1 Nr 2 SGG, § 150 Abs 1 SGB 11

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 12.01.2024, Az. 9 AZB 23/23 (REWIS RS 2024, 172)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 172

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