Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2023, Az. StB 45 + 46/23, StB 45/23, StB 46/23

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5470

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Tenor

Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des [X.] vom 28. März 2023 (1 [X.] 547/23 und 1 [X.] 548/23) werden verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtsmittel zu tragen.

Gründe

I.

1

Der [X.] führt gegen den Beschuldigten und weitere Personen ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einer Vereinigung, die spätestens im August 2018 in und um [X.]     gegründet worden und auf die Begehung linksextremer Gewaltstraftaten ausgerichtet gewesen sein soll; soweit es den Beschuldigten betrifft, wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2 StGB. Auf seine Anträge hat der Ermittlungsrichter des [X.] mit Beschlüssen vom 28. März 2023 zum einen die Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten zum Zwecke der Sicherstellung im Einzelnen näher bezeichneter Tat- und sonstiger Beweismittel (1 [X.] 547/23) und zum anderen die Entnahme einer Blutprobe beim Beschuldigten nebst deren molekulargenetischer Untersuchung und Abgleichung (1 [X.] 548/23) angeordnet. Beide Beschlüsse sind am 6. Juli 2023 vollzogen worden. Bei der Durchsuchung ist eine Vielzahl von Gegenständen beschlagnahmt oder zur Durchsicht vorläufig sichergestellt worden.

2

Unter dem 10. Juli 2023 hat der Betroffene gegen beide Maßnahmen Beschwerde eingelegt, die er nicht begründet hat. Der Ermittlungsrichter des [X.] hat den Beschwerden mit Vermerk vom 11. Juli 2023 (1 [X.] 1085/23) nicht abgeholfen.

II.

3

1. Die Beschwerde gegen den Beschluss zur Entnahme einer Blutprobe gemäß § 81a StPO und weiterer Maßnahmen gemäß §§ 81e, 81g StPO (1 [X.] 548/23) ist bereits unzulässig. Sie ist gegen eine Verfügung des Ermittlungsrichters des [X.] gerichtet, gegen die das Rechtsmittel nur in den in § 304 Abs. 5 StPO vorgesehenen Ausnahmefällen statthaft ist. Die angefochtene Anordnung der Entnahme einer Blutprobe des Beschuldigten zur Feststellung seines [X.] und Geschlechts sowie des Abgleichs des so gewonnenen Musters mit Vergleichsmaterial in künftigen Strafverfahren gemäß § 81a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 StPO, §§ 81e, 81f, 81g Abs. 1 bis 3 und 5 Satz 1 StPO ist hiervon nicht erfasst (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juni 2020 - StB 16/20, juris Rn. 3 ff. mwN).

4

2. Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss bleibt in der Sache ohne Erfolg.

5

a) Sie ist zwar gemäß § 304 Abs. 5 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil ihr Ziel noch nicht prozessual überholt ist. Angesichts der nicht abgeschlossenen Durchsicht der vorläufig sichergestellten elektronischen Speichermedien dauert die Durchsuchungsmaßnahme weiterhin an. Für eine Umdeutung in einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme besteht daher kein Raum (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. November 2021 - StB 6/21 u.a., NJW 2022, 795 Rn. 5 mwN, vom 13. Juni 2023 - StB 29/23, juris Rn. 4).

6

b) Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung gegen den Beschuldigten (§§ 102, 105 StPO) waren gegeben.

7

aa) Gegen den Beschuldigten lag ein die Durchsuchung nach § 102 StPO rechtfertigender Anfangsverdacht vor, eine kriminelle Vereinigung, die auf die Begehung von Gewaltstraftaten gerichtet ist, unterstützt zu haben.

8

(1) Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen durchzuführenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkt gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, [X.], 1443; [X.], Beschlüsse vom 18. Dezember 2008 - StB 26/08, [X.]R StPO § 102 Tatverdacht 2; vom 12. August 2015 - StB 8/15, [X.], 370).

9

(2) Gemessen hieran lagen sachlich zureichende Gründe für die Anordnung einer Durchsuchung der Person, der Wohnung und etwaiger weiterer Nebengelasse des Beschuldigten vor. Es bestand der Anfangsverdacht, dass der Beschuldigte zumindest zwischen Januar und Juni 2022 eine spätestens seit August 2018 in und um [X.]    bestehende kriminelle Vereinigung unterstützte, die sich zum Ziel gesetzt hatte, körperliche Übergriffe auf (vermeintliche) Angehörige der rechten Szene zu begehen. Hierzu im Einzelnen:

(a) Vier mutmaßliche Mitglieder der genannten Vereinigung sind zu Gesamtfreiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Gegenstand der Verurteilungen war neben der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung jeweils auch die unterschiedlich geartete Beteiligung an mehreren mit erheblichen Körperverletzungen verbundenen gewalttätigen Überfällen auf verschiedene Geschädigte. Im Vorfeld der einzelnen Überfälle fanden Ausspähungsbemühungen statt, bei denen die handelnden Personen [X.] zu ihrer Tarnung verwendeten.

(b) Der Beschuldigte stand im Verdacht, die kriminelle Vereinigung dadurch unterstützt zu haben, dass er für die Ausspäheinsätze geeignete und bestimmte [X.] wie verschiedenartige Firmenbekleidung beschaffte, zur Verfügung stellte und in seiner Wohnung verwahrte. Solche bekleidungsstücke waren bereits am 15. Juni 2022 anlässlich einer gemäß § 103 StPO angeordneten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten in der Wohnung einer Mitbeschuldigten aufgefunden worden (vgl. Beschlüsse des Ermittlungsrichters des [X.] vom 7. Juni 2022 - 1 [X.] 129/22, vom 15. Juni 2022 - 1 [X.] 168/22; Senat, Beschluss vom 20. Juli 2022 - StB 29/22). An den dort sichergestellten Bekleidungsgegenständen waren tatrelevante DNA-Spuren nachweisbar.

(c) Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit weiteren mutmaßlichen Vereinigungsmitgliedern in freundschaftlicher Verbindung stand und deren ideologische Überzeugung teilte.

(d) Zu den Einzelheiten der den Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten begründenden Umstände wird auf die detaillierten Ausführungen in dem Durchsuchungsbeschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 28. März 2023 (1 [X.] 547/23) verwiesen.

bb) Weiterhin war es trotz der bereits am 15. Juni 2022 erfolgten Durchsuchung des Zimmers des jetzigen Beschuldigten und Sicherstellung der [X.] zu erwarten, dass die neuerliche Durchsuchung zum Auffinden (weiterer) beweiserheblicher Gegenstände und Daten führen werde. Während die vormalige Durchsuchung gegen die Mitbeschuldigte gerichtet war (Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 7. Juni 2022 - 1 [X.] 129/22), zielte die aktuelle Durchsuchung auf den Beschuldigten selbst, so dass nunmehr auch eindeutig ihm zuzuordnende Beweisgegenstände der Sicherstellung unterlagen.

cc) Die Zuständigkeit des [X.]s und damit auch diejenige des Ermittlungsrichters des [X.] war gegeben. Gegen die Annahme der besonderen Bedeutung im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GVG in Verbindung mit § 74a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 GVG ist mit Blick auf die konkreten Umstände des Tatgeschehens nichts zu erinnern.

dd) Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit war gewahrt. Die Durchsuchungsanordnung gegenüber dem Beschuldigten war geeignet und erforderlich, zur weiteren Aufklärung seiner Beteiligung an dem Tatgeschehen beizutragen. Die Anordnung der Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung und Schwere der aufzuklärenden Straftat.

[X.]

Meta

StB 45 + 46/23, StB 45/23, StB 46/23

10.08.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StB

vorgehend BGH, 28. März 2023, Az: 1 BGs 547/23

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2023, Az. StB 45 + 46/23, StB 45/23, StB 46/23 (REWIS RS 2023, 5470)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5470

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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