Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.07.2015, Az. 4 StR 293/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 7367

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 293/15

vom
29. Juli
2015
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 29.
Juli
2015
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 [X.] beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 23.
März 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zu
dem [X.] Tatgeschehen bleiben aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechts[X.], an eine andere als Schwurgericht zuständige Straf-kammer des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verwor-fen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen [X.] versuchter gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die
Unterbringung des Ange-klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit der Maßgabe angeordnet, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der [X.]
-
3
-
ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 [X.].
I.
1. Nach den Feststellungen zur Tat vom 29.
Oktober 2014 (Fall II.2 der Urteilsgründe) ergriff der alkoholisierte Angeklagte nach vorangegangenem Streit mit dem Zeugen K.

eine in [X.] im ersten Stock des [X.] liegende Axt und schlug damit
zweimal

außer sich vor Wut

in Richtung des Kopfes des Zeugen, dem es jedoch jeweils gelang, den Schlägen auszuweichen. Sodann entriss der Zeuge dem Angeklagten die Axt. Dieser schleuderte ein Glas nach dem
Zeugen, das indes ebenfalls das Ziel verfehlte. Mit einem Brotmesser in der Hand lief der
Angeklagte
hinter ihm her. Da er erkannte, dass er den Zeugen auf dessen Flucht durch das Treppenhaus nicht erreichen konnte, ließ er das Küchenmesser fallen und warf einen [X.] nach dem auf einem Podest stehenden Zeugen. Dieser konnte erneut ausweichen. Anschließend gelangten beide ins Freie. Der Angeklagte be-schimpfte den Zeugen;
zu weiteren handgreiflichen Auseinandersetzungen kam es jedoch nicht mehr, da kurz darauf die Polizei eintraf.
Eine dem Angeklagten ca. dreieinhalb Stunden nach der Tat [X.] ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,1

2. Nach den Feststellungen zu der Tat vom 30.
Dezember 2014 (Fall II.3
der Urteilsgründe) setzte der Angeklagte die Matratze in seinem Haftraum [X.] eines Feuerzeuges in Brand, wobei ihm klar war, dass das Feuer auf [X.] der Justizvollzugsanstalt übergreifen und es zu einem Vollbrand kommen konnte. Das nahm er in Kauf. Infolge der starken Rauchentwicklung in 2
3
4
-
4
-
Panik geraten schlug er mit der Hand mehrfach gegen die Zellentür. Dabei ging es ihm allein darum, sein Leben zu retten. Ob das Feuer nach seiner Rettung weiterbrennen oder gelöscht werden würde, war ihm gleichgültig. Der Ange-klagte wurde durch das Wachpersonal gerettet und der Brand sodann
gelöscht.
Auf der anschließenden Fahrt in einem Rettungswagen zum [X.] L.

bedrohte er den ihn begleitenden Mitarbeiter der Justizvollzugs-anstalt mit dem Tode.
3. Das [X.] hat die Tat vom 29.
Oktober 2014 als versuchte ge-fährliche Körperverletzung in den Varianten des §
224 Abs.
1 Nr.
2 und 5 StGB gewertet und dem Angeklagten infolge seiner Alkoholisierung eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit gemäß §
21 StGB zuerkannt.
Vom Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung gemäß §
306a Abs.
1 Nr.
1, §§
22, 23 Abs. 1
StGB in Tatmehrheit
mit Bedrohung gemäß §
241 StGB hat es ihn wegen Schuldunfähigkeit gemäß §
20 StGB freigesprochen und seine Unterbringung gemäß §
63 StGB angeordnet.
Aufgrund einer krank-haften seelischen Störung in Form der vom Sachverständigen festgestellten
u-gehen, dass die Handlungen des Angeklagten psychotisch motiviert gewesen seien.
II.
Das Urteil hält der materiell-rechtlichen
Überprüfung weitgehend nicht stand.
5
6
7
8
-
5
-
1. Der [X.] hat
in seiner Antragsschrift vom 2.
Juli 2015 u.a. Folgendes ausgeführt:

h-greifende Rechtsfehler ergeben.
I.
Bereits die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe die Tat am 30.
Dezember 2014 (Fall
II.
3., UA S.
7
f.) im Zustand der Schuldunfähigkeit im Sinne des §
20 StGB begangen, hält mit Blick auf die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §
63 StGB rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1.
Die Anordnung
dieser Maßregel kommt nur bei solchen Perso-nen in Betracht, deren Schuldunfähigkeit oder erheblich vermin-derte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§
20, 21 StGB hervorgerufen worden ist (st. Rspr., Senat, Urteil vom 6.
März 1986

4
StR
48/86, [X.]St 34, 29
ff.).
a)
Die Beweiswürdigung des [X.]s ist trotz eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfbarkeit (vgl. die Nachweise bei [X.]/[X.], [X.], 58.
Aufl., §
261 Rn.
3 und 38) hier lückenhaft. Der Tatrichter hat die Schuldfähigkeit des Angeklag-ten ohne Bindung an die Äußerungen des Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beurteilen. Schließt sich der Tatrichter dem Sachverständigen an, muss er sich grundsätzlich mit dem Gutachteninhalt auseinandersetzen ([X.], Urteil vom 15.
März 2006

2
StR
573/05

, juris Rn.
11) und die wesentlichen An-knüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen des [X.] auf eine für das Revisionsgericht nachprüfbare Weise (st.
Rspr., vgl. etwa Senat, Urteil vom 6.
März 1986

4
StR 48/86, [X.]St 34, 29
ff.) im Urteil mitteilen (st.
Rspr., siehe etwa [X.], Beschluss vom 9.
Mai 2007

5
StR
557/06

, juris Rn.
8; [X.], Urteil vom 19.
Februar 2008

5
StR
599/07

, juris Rn.
11; [X.], StGB, 62.
Aufl., §
20 Rn.
65 mwN). Der Umfang der tat-richterlichen Darlegungspflicht bestimmt sich nach den Umstän-den des Einzelfalls.
9
-
6
-
Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Beweiswürdigung des [X.]s durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die [X.] hat lediglich ausgeführt, dass bei dem n-

11),
davon auszugehen (sei), dass die Handlungen des Angeklagten

12). Anknüpfungstatsachen teilt das [X.] in diesem Kontext nicht mit. Den

[X.] gefassten

Urteilsgründen lassen sich weder hinreichend die gutachterliche Diagnose tragende Befunde, noch die Sym-ptome des [X.] oder deren Einwirkung auf den Ange-klagten in der konkreten Tatsituation entnehmen. Auch versäumt es das [X.] darzulegen, ob es von einer Unrechtsein-sichtsunfähigkeit oder einer Steuerungsunfähigkeit des Ange-klagten im Tatzeitpunkt ausgegangen und wie es zu seiner Überzeugungsbildung gelangt ist. Diese Erörterungen drängten sich allerdings umso mehr auf, als die allgemeine Diagnose einer schizophrenen Störung nicht ohne weiteres zur [X.] führt (Senat, Beschluss vom 17.
Juni 2014

4
StR
171/14, [X.], 305; [X.], aaO., Rn.
9a mwN) und sich das Verhalten des Angeklagten in dem Haftraum (UA S.
12) darstellt.
Der Senat ist durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, den Freispruch aufzuhe-ben. Denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungs-anstalt vom 16.
Juli 2007 (BGBl
I S.
1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß §
358 Abs.
2 Satz
2 [X.] möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen ([X.], Beschluss vom 24.
Oktober 2013

3
StR
349/13

, juris Rn.
8).
b)
Die beweiswürdigungsrechtlichen Lücken zur Frage der Schuld-fähigkeit liegen auch bei den Feststellungen zur Tat vom 29.
Oktober 2014 vor (Fall
II.
2., UA S.
4 bis 7). Das [X.] -
7
-
hat hier keine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nach §
20 StGB angenommen, sondern ist lediglich von einer verminderten Schuldfähigkeit infolge der Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt ausgegangen (UA S.
12). Vor dem Hintergrund der vom [X.] festgestellten schizophrenen Störung als
Grunderkrankung des Angeklagten durfte es sich jedoch nicht darauf beschränken, auszuführen
Angeklagte habe sich während der Tatausführung in einer
egend planvoll S.
11). Denn überwiegend planvolles Handeln, das an den realen Gegebenheiten orientiert ist, schließt einen akuten Schub der Schizophrenie ohne nähere Begründung nicht aus. Unter Be-rücksichtigung, dass die Fälle
II.
2. und 3. der Urteilsgründe nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können, wird damit auch im Fall
II.
2. eine mögliche Schuldunfähigkeit des Angeklag-ten nach §
20 StGB in den Blick zu nehmen sein.
2.
Daneben vermögen die Feststellungen die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch [X.] nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtferti-(§
63 StGB) nicht entnommen werden kann.
Das [X.] hat, dem Sachverständigen folgend, ausgeführt, dass bei dem Angeklagten eine infolge seiner schizophrenen Er-r-heblich eingeschränkte und womöglich sogar vollständig aufge-hobene Fähigkeit zu einer der Realität angepassten Impulskon-

dauerhaft

vorliegen würde (UA S.
14). Diese bloße Wiedergabe der [X.] reicht jedoch für die Begründung der Vorauss(§
63 StGB) nicht aus ([X.], Beschluss vom 24.
April 2012

5
StR 150/12, [X.], 239), zumal die Schwurgerichts-kammer hier nicht lediglich auf die allgemeine Disposition des Angeklagten zur erheblichen Verminderung der Impulskontrolle ohne weitergehende Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastungssituation im Haftraum rekurrieren durfte (vgl. dazu -
8
-
auch Senat, Beschluss vom 2.
Dezember 2004

4
StR
452/04 mwN., [X.]R StGB §
63 Zustand
39; Senat, Beschluss vom 10.
Januar 2008

4
StR
626/07, [X.], 140).
Darüber hinaus hat das [X.] nicht dargelegt, welche [X.] Taten seitens des Angeklagten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben, infolge seines Zustandes zu erwarten

III.
Die

rechtsfehlerfrei

getroffenen Feststellungen zum äußeren

Dem tritt der Senat bei.
2. Für die neue Verhandlung und
Entscheidung weist der Senat auf Fol-gendes hin:
Die Ausführungen
im angefochtenen Urteil zur Alkoholisierung des [X.] bei der Tat vom 29.
Oktober 2014 ([X.]) sind unklar; die aus der Blutprobe mittels Rückrechnung zu ermittelnde Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ist höher als vom [X.] angenommen.
Unklar bleibt auch, ob das [X.] bei der Bewertung der Tat vom 30.
Dezember 2014 von erwiesener Schuldunfähigkeit ausgegangen ist
oder ob es dies lediglich nicht ausschließen konnte (vgl. UA
12 und 14).
Bedenken begegnet auch die bisherige Behandlung der Rücktrittsfrage in beiden Fällen:
10
11
12
13
14
-
9
-

Bei der Tat vom 29.
Oktober 2014 handelt es sich entgegen der Auffas-sung des [X.]s (UA
10)
nicht um einen beendeten Versuch. Zur Beurtei-lung der Frage, ob ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, wird der neu zur Ent-scheidung berufene Tatrichter Feststellungen zu den Vorstellungen des [X.] zu treffen haben (vgl. [X.], Beschluss vom 9. April 2015

2 [X.], [X.], 291; [X.], StGB, 62.
Aufl., §
24 Rn.
7, 15
ff.
mwN). Hinsichtlich der Tat vom 30.
Dezember 2014 hat das [X.] nicht mitgeteilt, worauf seine Feststellung
beruht, es sei dem Angeklagten allein darum gegangen, sein Leben zu retten; ob das Feuer weiterbrennen oder ge-löscht werden würde, sei ihm gleichgültig gewesen.
[X.]Roggenbuck Cierniak

Mutzbauer Bender
15

Meta

4 StR 293/15

29.07.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.07.2015, Az. 4 StR 293/15 (REWIS RS 2015, 7367)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7367

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 293/15 (Bundesgerichtshof)

Revision des Angeklagten: Darstellung des Sachverständigengutachtens im Urteil zur Schuldunfähigkeit; Aufhebung des Freispruchs bei einer …


4 StR 294/15 (Bundesgerichtshof)


4 StR 275/13 (Bundesgerichtshof)


1 StR 341/11 (Bundesgerichtshof)


2 StR 170/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

4 StR 293/15

2 StR 402/14

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.