Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.12.2014, Az. 2 StR 170/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 520

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 170/14
vom
10. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen

wegen Diebstahls

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2
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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 10. Dezember 2014, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
[X.] am [X.]
Zeng,

Staatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Pflichtverteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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1.
Die Revision
der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2013 wird verworfen.
2.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Ausla-gen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit freige-sprochen. Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die [X.] der Unterbringung des Ange-klagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkt. Das -
vom [X.] nicht vertretene -
Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I.
Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der 36 Jahre alte Angeklagte leidet seit etwa 1996 an einer mittlerwei-le chronisch gewordenen schweren Psychose aus den schizophrenen Formen-1
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kreis gemäß [X.] 20.0. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein paranoides Wahnerleben und Störungen der Impulskontrolle.
a) Als Folge seines [X.] bedrohte er im Januar 2001 einen Mitbewohner im [X.] mit dem Messer und trat im Februar
2001 einer Frau in der Straßenbahn gegen den Oberschenkel. Am 3. November 2010 wurde er wegen Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheits-strafe von zwei
Jahren und neun
Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte im [X.] 2009 einer Frau unvermittelt eine Plastiktüte über den Kopf stülpte, ihr mit einer Hand den Mund zuhielt und mit der anderen die Schulter umklammerte. Nach einem Gerangel, bei dem beide einen Abhang hinunter stürzten, gelang es dem Angeklagten, wie von vornherein beabsichtigt, der Geschädigten die Tasche zu entreißen. Zwar konnte die gutachterlich [X.] keine Anhaltspunkte für eine akute schizophrene Episode zur Tatzeit feststellen. Aufgrund der bestehenden schizophrenen Grunderkrankung des Angeklagten konnte sie aber auch nicht ausschließen, dass seine [X.], das "Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln", infolge seiner Erkrankung zur Tatzeit erheblich vermindert war.
Nach der Entlassung aus der Strafhaft im Dezember 2012 war der Ange-klagte obdach-
und mittellos. Am 8. sowie am 11. Februar 2013 entwendete er in einem Ladengeschäft einige geringwertige Lebensmittel. Von Mitarbeitern darauf angesprochen gab er an, bezahlt zu haben bzw. seine Firma habe [X.] bezahlt. Er ließ sich durchsuchen und gab die Waren zurück, reagierte aber im Übrigen laut und aggressiv.
b) Zu den [X.] hat die [X.] folgende Feststellungen ge-troffen:

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Am 26. Februar 2013 betrat der Angeklagte ein Schuhgeschäft und gab an, er wolle ein für ihn hinterlegtes und bereits bezahltes Paar Schuhe abholen. Nachdem er daraufhin gewiesen wurde, dass für ihn nichts hinterlegt worden sei, sah er sich in dem Geschäft um. Er ließ sich schließlich ein Paar Schuhe zur [X.] aushändigen, entfernte das [X.] und zog sie an. Ei-nem Mitarbeiter des [X.], der ihn bat, die Schuhe wieder auszu-ziehen, begegnete der Angeklagte laut und aggressiv. Als der Mitarbeiter ver-suchte, ihm Handschellen anzulegen, kam es zu einem Gerangel, bei dem [X.] verletzt wurde. Die hinzugerufenen Polizeibeamten beschimpfte der An-geklagte lautstark (Fall 1).
Am 5. März 2013 hatte der Angeklagte die Wahrnehmung, eine ihm un-bekannte Frau A.

habe ihm gegenüber erklärt, sie sei die Eigentümerin einer Filiale der Firma K.

in M.

und er könne sich dort nehmen, was er wolle. Der Angeklagte begab sich daraufhin in die Filiale und nahm ein Paar Sportschuhe an sich. Er verließ das Geschäft, ohne die Schuhe zu [X.]. Gegenüber der Kassiererin gab er an, die Schuhe seien ihm von der Filial-leiterin geschenkt worden (Fall 2).
Am 6. März 2013 betrat er die Filiale erneut und steckte verschiedene Waren im Gesamtwert von rund 50 Euro in eine von ihm mitgeführte Plastiktüte. Nachdem er den Kassenbereich durchschritten hatte, sprach ihn ein Mitarbeiter an. Der Angeklagte wies wiederum daraufhin hin, dass es sich um Geschenke der Filialleiterin handele. Im Rahmen der folgenden polizeilichen Maßnahmen reagierte der Angeklagte zeitweise aggressiv und schrie die Beamten an (Fall 3).
2. Das [X.] hat die Taten als Diebstahl (Fälle 2 und 3) bzw. ver-suchten Diebstahl (Fall 1) gewertet. Es hat angenommen, der Angeklagte habe 7
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bei Tatbegehung jeweils im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) gehan-delt, da seine Einsichtsfähigkeit infolge seiner Erkrankung aufgehoben gewesen sei.
3. Eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Kran-kenhaus (§ 63 StGB) hat das [X.] abgelehnt. Gestützt auf das Gutach-ten des psychiatrischen Sachverständigen ist das Gericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Angeklagten eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheb-licher rechtswidriger Taten nicht bestehe.
Zwar seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere [X.] wie die festgestellten zu erwarten. Diese seien jedoch nicht als erheblich im Sinne des § 63 StGB einzustufen.
Für darüber hinaus gehende erhebliche Taten, insbesondere Gewaltta-ten, könne dagegen die erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden.
Zwar sei der Angeklagte krankheitsbedingt im Jahr 2001 mit Gewalttaten in Er-scheinung getreten. Seit nunmehr über zwölf Jahren seien aber keine weiteren vergleichbaren Übergriffe erfolgt. In Hinblick auf den [X.] sei nicht festzustellen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten für die -
auch normalpsychologisch erklärbare -
Tat (mit-)ursächlich geworden wäre. Zudem sei die Fähigkeit des Angeklagten zu derart komplexen Tathand-lungen inzwischen krankheitsbedingt sehr eingeschränkt und Anhaltspunkte für eine Gefahrensteigerung durch eine Verschärfung der Gedankenwelt bei dem Angeklagten seien nicht ersichtlich. Zwar habe der Angeklagte in den letzten Jahren lange Zeit in eng strukturierten und gesicherten Verhältnissen gelebt. Der Angeklagte sei aber auch außerhalb solcher geschützter Verhältnisse und unter psychotischem Erleben -
selbst in sehr konfliktbeladenen Situationen
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lediglich verbal aggressiv geworden bzw. habe laut geschrien. Zu zielgerichte-ten Tätlichkeiten gegen eine Person sei es nicht gekommen.
II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
1. Die Staatsanwaltschaft hat den Freispruch des Angeklagten von dem Revisionsangriff ausgenommen. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist im vorliegenden Fall zulässig (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juni 2008 -
4 [X.]/08,
juris Rn.
14 mwN; [X.]/[X.], StPO,
57. Aufl.,
§ 318 Rn. 24).
2. Die Erwägungen, mit denen das [X.] eine die Unterbringung nach §
63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB ist eine außerordentlich belastende [X.], die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei fest-steht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höhe-ren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwen-dige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Per-sönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von
ihm begangenen Anlass-tat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 5.
Juni 2013 -
2 StR 94/13; [X.], Beschluss vom 29. April 2014 -
3 [X.], jeweils mwN). An 14
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die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnis-mäßigkeitsgrundsatzes (§
62 StGB) um einen Grenzfall handelt ([X.], [X.] vom 26. September 2012 -
4 StR 348/12,
juris
Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 -
4 [X.], [X.],
337, 338; [X.], Beschluss vom 8.
November 2006 -
2 StR 465/06, [X.], 73, 74).
b) Diese Grundsätze hat das [X.] bei seiner Entscheidung [X.].
Der [X.] braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landge-richts zu folgen ist, der Tritt gegen den Oberschenkel im Jahre 2001 sei für sich genommen nicht als Tat zumindest mittlerer Kriminalität zu bewerten (UA S.
48). Denn das [X.] ist mit [X.] Erwägungen davon aus-gegangen, dass bei dem Angeklagten keine Wahrscheinlichkeit höheren [X.] für die künftige Begehung vergleichbarer Gewaltdelikte besteht.
Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine [X.] Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahr-scheinlichkeit künftiger solcher Straftaten (vgl. [X.],
Beschluss vom 11. März 2009 -
2 StR 42/09, [X.], 198, 199; Urteil vom 17. November 1999
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2 StR 453/99, [X.]R StGB § 63 Gefährlichkeit 27; [X.], Beschluss vom 4.
Juli 2012
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4 [X.], [X.], 337, 338). Da der Angeklagte [X.] auch in sehr problematischen Verhältnissen wie etwa in Obdachlosen-heimen oder in Notschlafstellen gelebt und auch in konfliktbeladenen Situatio-nen
(wie nach Entdecken seiner [X.]) keine Person gezielt körper-lich angegriffen hat, ist es nicht zu beanstanden, dass das Gericht unter Abwä-gung aller Umstände davon ausgegangen ist, dass krankheitsbedingte tätliche Übergriffe seitens des Angeklagten künftig lediglich "möglich"
seien. Damit feh-18
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len Feststellungen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades, denn eine lediglich latente Gefahr reicht für die Annahme einer Wahrscheinlich-keit (höheren Grades) nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 19.
Dezember 2012
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4
StR 417/12, [X.], 145, 147; Beschluss vom 11.
Januar 2011
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5
StR 547/10; [X.], Urteil vom 2. März 2011 -
2 [X.], NStZ-RR 2011, 240, 241).
Soweit das [X.] die von dem Angeklagten mit einer Wahrschein-lichkeit höheren Grades zu erwartenden Eigentumsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Fischer [X.] Eschelbach

[X.]

Zeng
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Meta

2 StR 170/14

10.12.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.12.2014, Az. 2 StR 170/14 (REWIS RS 2014, 520)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 520

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