Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.03.2012, Az. 2 StR 565/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8468

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 565/11
vom
7.
März 2012
in der Strafsache
gegen

wegen Verdachts der sexuellen
Nötigung

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Sitzung vom 7.
März 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Dr.
[X.]
als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Dr.
[X.],
Prof. Dr.
[X.],
Dr.
Eschelbach

und die [X.]in am [X.]
Dr.
[X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

und
Staatsanwältin

als Vertreterinnen
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Rechtsanwalt

als Vertreter der Nebenklägerin

,

der Angeklagte

in Person,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
-
3
-

für Recht erkannt:

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin
gegen das Urteil
des [X.] vom 2.
März 2011
werden verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten hierdurch und durch die Revision der Neben-klägerin entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staats-kasse auferlegt.
Die Nebenklägerin hat die Kosten ihrer Revision zu tragen.
Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen haben die Staatskasse und die Nebenklägerin je zur Hälfte zu
tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf der sexuellen Nöti-gung freigesprochen. Hiergegen richten sich die Revisionen
der Staatsanwalt-schaft und der Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
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4
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I.
1.
Nach der Anklage wurde dem Angeklagten, der Bewerber um ein Mandat als [X.] des Deutschen Bundestages war,
vorgeworfen, er habe am 6.
April 2009 die Nebenklägerin, seine damalige Wahlkampfhelferin, sexuell genötigt. Diese sei gegen 14.15
Uhr
in sein Haus gekommen. Nach 90
Minuten gemeinsamer Arbeit sei eine Auseinandersetzung entstanden, wo-rauf die Nebenklägerin das Haus verlassen wollte. Als sie ihre Tasche holte, habe der Angeklagte ihr in die Hose gegriffen. Darauf sei es zu einem Gerangel gekommen, in dessen Verlauf der Angeklagte die Nebenklägerin mit seinem rechten Unterarm an ihrem Brustbein so an die Wand gedrückt habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Seine Frage, ob sie mit ihm schlafen wolle, habe die Nebenklägerin mit dem Hinweis verneint, "ihre Tage"
zu haben, wo-rauf er Oralverkehr verlangt habe. Nach Ablehnung dieses Ansinnens habe der Angeklagte begonnen, die Nebenklägerin zu küssen. Er habe sie unter dem Pullover sowie am Hals angefasst. Aus Angst vor Gewalt habe sie seinen
Hosengürtel geöffnet, um ihre Bereitschaft vorzutäuschen,
bei ihm Oralverkehr auszuüben. Dann habe sie ihn weggestoßen und sei geflohen.
2.
Das [X.] hat festgestellt, dass die Nebenklägerin den Ange-klagten bewusst zu Unrecht belastet habe. Der Angeklagte und die verheiratete Nebenklägerin, die ihre erste juristische Staatsprüfung bestanden hatte und halbtags wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Lehrstuhl war, hatten von Mai bis Oktober 2008 eine intime Beziehung gehabt, bis die Lebensgefährtin des Angeklagten davon erfahren hatte. Diese hatte sich nach kurzer Trennung [X.] dem Angeklagten angenähert, aber verlangt, dass die Nebenklägerin nicht mehr für ihn tätig werden dürfe. Gleichwohl setzte der Angeklagte die [X.] mit der Nebenklägerin fort. Diese erhoffte sich für den Fall seiner Wahl zum Bundestagsabgeordneten eine Stellung als wissenschaftliche Mitar-2
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beiterin. Für ihre bisherige Arbeit forderte sie 42.000
Euro und verlangte am 6.
April 2009 die Unterzeichnung eines entsprechenden schriftlichen Schuldan-erkenntnisses, was der Angeklagte ablehnte. Ende April 2009 stellte dieser den Zeugen S.

als seinen künftigen Mitarbeiter vor, wodurch sich die Hoffnung der Nebenklägerin auf diese Position zerschlug. Auch gegenüber ihrem [X.], der nichts von der zeitweiligen Intimbeziehung gewusst und ebenso wie die Nebenklägerin selbst eine Bezahlung ihrer Tätigkeit als Wahlkampfhelferin erwartet hatte, geriet sie in Erklärungsnot. Daraufhin entschloss sie sich, den Angeklagten zu Unrecht einer Sexualstraftat zu bezichtigen. Sie informierte die Parteiverantwortlichen über den Vorwurf, worauf der Angeklagte seine Kandida-tur zurückzog. Am folgenden Tag erstattete
sie Strafanzeige.
Die [X.] hat den Angaben der Nebenklägerin nicht geglaubt. [X.] Überzeugung von deren Unrichtigkeit folgerte sie aus der Detailarmut der Zeugenaussage zum eigentlichen Tatgeschehen, aus einer Inkonstanz gegen-über früheren Angaben, aus der unzutreffenden Behauptung einer posttrauma-tischen Belastungsstörung, aus dem Einsatz vorgetäuschten Weinens bei [X.] und aus der Herstellung einer Informationskette zu Parteiverant-wortlichen mit nachteiligen Folgen für den Angeklagten. Zudem habe die Ne-benklägerin ein Motiv für eine Rachehandlung gehabt. Schließlich entspreche das von ihr behauptete Verhalten bei dem sexuellen Übergriff nicht der früheren Vorgehensweise des Angeklagten gegenüber anderen Frauen, denen er sich zwar sexuell genähert, deren Ablehnung er aber stets akzeptiert habe.

II.
Die Revisionen bleiben ohne Erfolg.
1.
Die Formalrügen, das [X.] habe einen Beweisantrag auf Ein-4
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holung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zu Unrecht abgelehnt, sind aus den Gründen der Zuschrift des [X.] vom 2.
Dezember 2011 unbegründet.
2.
Auch die Sachbeschwerden zeigen keinen Rechtsfehler auf.
a)
Das [X.] hat sich rechtsfehlerfrei die Überzeugung gebildet, die Nebenklägerin habe den Angeklagten zu Unrecht belastet. Dies ist nur in einer Gesamtschau aller Umstände möglich. Die Urteilsgründe lassen nicht be-sorgen, dass die [X.] die erforderliche Gesamtwürdigung ([X.], Urteil vom 10.
August 2011 -
1 [X.], [X.], 110, 111) versäumt hat.
b)
Die Rechtsprechung stellt besondere Anforderungen an die Beweis-würdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage"
steht (vgl. [X.], Urteil vom 29.
Juli 1998 -
1 [X.], [X.]St 44, 153, 158 f.). Erforder-lich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine mög-lichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage ([X.], Beschluss vom 21.
April 2005 -
4 [X.]/05),
eine Bewertung des
fest-stellbaren Aussagemotivs (vgl. [X.], Urteil vom 10.
April 2003 -
4 [X.]), sowie eine Prüfung von [X.], Detailliertheit und Plausibilität der Angaben. Dem wird das
angefochtene Urteil gerecht. Erörterungslücken hinsichtlich [X.] Aspekte, Unklarheiten
oder Widersprüche liegen nicht vor. [X.] ist nur Folgendes:
aa)
Zwar wäre die Annahme fehlender "Detailliertheit"
der Zeugenaussa-ge zum eigentlichen Tatgeschehen für sich genommen zweifelhaft. Das Land-gericht hat aber erläutert, dass das Kerngeschehen im Verhältnis zu den [X.] und dem [X.] innerhalb der breiten Sachdarstellung der Nebenklägerin, die das [X.] -
unnötigerweise in sämtlichen Einzelhei-ten
-
im [X.] mitgeteilt hat, geringen Raum eingenommen hat. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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bb)
Es ist auch nicht zu besorgen, dass das [X.] frühere sexuelle Übergriffe des Angeklagten gegenüber anderen Frauen nicht ausreichend [X.] hat. Diese sind im Urteil erwähnt. Einer breiteren Darstellung be-durfte es von Rechts wegen nicht (§
267 Abs.
5 Satz
1 StPO). Das [X.] hat bedacht, dass sich der Angeklagte bei früheren Vorfällen anders verhalten hat, als es ihm nun vorgeworfen wird; so hat er keine Gewalt angewendet und den seinen sexuellen Handlungen entgegenstehenden Willen der Frauen stets respektiert, sobald dieser geäußert wurde.
cc)
Es
war nicht erforderlich, weitergehende Feststellungen zum Vorle-ben und zur Persönlichkeit des Angeklagten zu treffen. Es ist nicht ersichtlich, dass hieraus ein aussagekräftiges Indiz für die Richtigkeit des strafrechtlichen Vorwurfs zu gewinnen gewesen wäre.
[X.])
Auch soweit die [X.] darauf hingewiesen hat, dass die Ne-benklägerin ein Rachemotiv für eine Falschbelastung des Angeklagten gehabt habe, liegt kein Rechtsfehler vor. Die Existenz eines solchen Motivs besagt zwar für sich genommen noch nicht, dass die Nebenklägerin aus diesem [X.] heraus tatsächlich einen unwahren Vorwurf erhoben hat. In der Zusammenschau mit weiteren Umständen, wie dem auffälligen Verhalten der Nebenklägerin nach dem 6.
April 2009, die anfangs noch unbeeinträchtigt [X.] mit dem Angeklagten zusammengearbeitet hatte, später aber angeblich schwer traumatisiert war, gewinnt das Vorhandensein eines Falschbelastungs-motivs jedoch
an Beweisbedeutung.

III.
Da sowohl die Revision der Staatsanwaltschaft als auch das Rechtsmittel der Nebenklägerin erfolglos geblieben ist, hat die Nebenklägerin außer der Re-visionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen im Revisionsverfahren 11
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zu tragen. Die durch die Rechtsmittel verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§
473 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. Senat, Urteil vom 9.
März 2011 -
2 StR 467/10; [X.], Urteil vom 28.
Oktober 2010 -
4 [X.]/10).

[X.]

[X.]

[X.]

Eschelbach

[X.]

Meta

2 StR 565/11

07.03.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.03.2012, Az. 2 StR 565/11 (REWIS RS 2012, 8468)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8468

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1 StR 114/11

4 StR 285/10

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