Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 2 StR 431/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5362

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 431/14
vom
16. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
u.a.

-
2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 16.
September
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.]in
am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
[X.] am Bundesgerichtshof
Zeng,

Bundesanwältin
beim Bundesgerichtshof

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Rechtsanwältin

als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
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-
1.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklä-gerin wird das Urteil des [X.] vom 9.
Oktober 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten
vom Vorwurf des schweren sexu-ellen Missbrauchs von Kindern
in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, freigesprochen. Hiergegen richten
sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten
Revisionen
der Staatsanwalt-schaft
und der
Nebenklägerin. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
1. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, die am 17. April 1993 geborene Nebenklägerin
F.

M.

, die Tochter seiner damaligen Lebensgefähr-tin, im [X.] des Jahres 2002 in der gemeinsam mit der Nebenklägerin, de-ren
jüngerer Halbschwester, ihrer Mutter sowie der Zeugin

F.

bewohnten Wohnung
entkleidet zu haben und mit den Fingern in ihre Scheide eingedrungen zu sein;
anschließend sei er mit seinem erigierten Glied in die 1
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-
Scheide der Nebenklägerin eingedrungen und habe [X.] voll-zogen. Der Samenerguss sei nach dem Geschlechtsverkehr in ein [X.] erfolgt. Bis kurz nach
dem 13. Geburtstag der Nebenklägerin im Jahr 2006
hätten sich
mindestens 19 weitere
vergleichbare
Taten ereignet, wobei
der Angeklagte im dritten Fall nicht den Vaginal-, sondern den Analverkehr
mit der Nebenklägerin ausgeübt habe.
2. Das [X.] hat
die Anklagevorwürfe 2 und 4 bis 18 gemäß §
154 Abs.
2 StPO vorläufig eingestellt; im Übrigen
hat es
den die Tat bestreitenden Angeklagten in Anwendung des Zweifelssatzes aus tatsächlichen Gründen frei-gesprochen, weil es sich nicht von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Neben-klägerin zu überzeugen vermochte.
Es
hat im Wesentlichen festgestellt, der Angeklagte
habe nach dem [X.] mit der Mutter der Nebenklägerin regelmäßig in ein [X.] ejakuliert. Nachdem sich die Mutter der Nebenklägerin im Jahr 2000 einer Unterleibsoperation hatte unterziehen müssen, war
es zu keinem
[X.] mehr zwischen ihr und dem Angeklagten
gekommen; dieser hatte
in der Folgezeit wechselnde Sexualpartnerinnen sowie einen einmaligen sexuellen Kontakt zur Zeugin

F.

. Am 4.
November 2009
trennten sich der
Angeklagte
und die
Mutter der Nebenklägerin
aufgrund vorangegange-ner Auseinandersetzungen. An diesem Tag verließ der Angeklagte die [X.] Wohnung und fuhr mit dem Auto in Richtung [X.].

. Als die Halb-schwester der Nebenklägerin
bemerkte, dass diese
-
anders als sie selbst
-
we-gen
der Trennung nicht weinte, machte sie ihr
Vorwürfe. Die Nebenklägerin entgegnete, dass diese
nicht wisse, was passiert sei und sie den Angeklagten hasse. Ihrer Mutter teilte sie
kurz darauf
mit, dass sie "keine Jungfrau mehr sei"
und "dies der Angeklagte gewesen sei". Der Angeklagte, von der Mutter der Nebenklägerin telefonisch
mit dem Vorwurf konfrontiert, kehrte
umgehend in die 3
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-
gemeinsame Wohnung zurück. Dort zeigte er sich im Beisein der Nebenkläge-rin von den Vorwürfen "erschüttert"
und bot der Familie Geld an, damit
man die gegen ihn erhobenen Vorwürfe fallen lasse. Im weiteren Verlauf kniete sich der Angeklagte vor die Zeugin K.

M.

bzw. schlug mit dem Kopf gegen den Türrahmen und äußerte dabei sinngemäß: "Ich weiß nicht, wie das passieren konnte".
II.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, die sich mit
der Sachrüge jeweils
gegen die Beweiswürdigung richten, sind begründet.
Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die
Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdi-gen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob dem Tatrichter
bei der Beweiswürdigung
Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. [X.]surteil vom 29. April 2015 -
2 StR 14/15).
In einem Fall, in dem -
wie hier
-
Aussage gegen Aussage steht, müssen die [X.] zudem erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen und in einer [X.] gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur [X.]sbeschluss vom 29.
April 2015 -
2 [X.], [X.], 286, 287).
Gemessen an diesen Grundsätzen hält die Beweiswürdigung des Land-gerichts revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
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6
-
Den
Urteilsgründen lässt sich ein
Motiv
für eine Falschbelastung, aus dem sich durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Ne-benklägerin ergeben könnten (vgl. [X.], Urteil vom 30.
Juli 1999 -
1 [X.], [X.]St 45, 164, 175), nicht entnehmen. Das [X.] hat zwar
aus-geführt, die Nebenklägerin habe versucht, im Vorfeld und im Laufe des Strafver-fahrens "ihre den Angeklagten belastenden Aussagen durch das Liefern [X.], jedoch nicht der Wahrheit entsprechender bzw. im Hinblick auf ihren Wahrheitsgehalt zweifelhafter Details als glaubhafter erscheinen zu lassen"
(UA S.
48). Dies erklärt jedoch nicht, warum
die Nebenklägerin
den Angeklagten am 4.
November 2009 in einer Spontanreaktion gegenüber ihrer Mutter zu Unrecht des schweren sexuellen Missbrauchs beschuldigt haben sollte. Dazu, ob
und aus welchem Grund die Nebenklägerin bereits zu diesem Zeitpunkt ein
Motiv für eine Falschbelastung des Angeklagten gehabt haben könnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
Darüber hinaus ist die Beweiswürdigung auch deshalb lückenhaft, weil
das [X.] das
Verhalten des Angeklagten
am 4. November 2009
nach dessen Rückkehr in die Wohnung
unzureichend gewürdigt
hat.
Die Annahme des [X.], aus dessen
Verhalten lasse sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit ableiten, dass der Angeklagte "die ihm zur Last gelegten Taten ein-geräumt bzw. gestanden haben könnte", da es auch möglich sei, dass der An-geklagte "letztlich zu allen Mitteln gegriffen haben könnte, um die gegen ihn erhobenen -
tatsächlich aber nicht der Wahrheit entsprechenden
-
Vorwürfe abzuwehren bzw. im Keim zu ersticken"
(UA S. 52 f.), unterstellt
eine entspre-chende Verhaltensmotivation lediglich, ohne sie zu belegen. Dem Angeklagten günstige Umstände dürfen aber nur zugrunde gelegt werden, wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte vorliegen
(vgl. [X.], Urteil vom 11.
April 2002 -
4 StR 585/01, [X.], 243; [X.]surteil vom 20. Mai 2009 -
2 StR 576/08, [X.], 630, 631). Es erschließt sich indes
nicht,
dass die Äußerung des 8
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Angeklagten, er wisse
nicht, "wie das passieren konnte", geeignet war, die ge-gen ihn
erhobenen Vorwürfe abzuwehren. Anhaltspunkte dafür, dass diese spontan und unmittelbar nach der Konfrontation mit den Vorwürfen erfolgte Äu-ßerung
nicht als Eingeständnis der Tatbegehung
zu verstehen war, sondern möglicherweise nur als Reaktion auf eine
Falschbelastung
durch die Nebenklä-gerin, zeigen
die Urteilsgründe
nicht
auf. Eine solche Erklärung liegt angesichts des Zusammenhangs, in dem die Äußerung des Angeklagten erfolgt war,
und mit Blick auf das nach der Rückkehr gezeigte Verhalten des Angeklagten
auch nicht ohne Weiteres nahe. Insoweit wäre es erforderlich gewesen, in den [X.] detailliert darzulegen, welche Angaben die
Nebenklägerin, deren
Halbschwester und ihre
Mutter zu dem Verhalten des Angeklagten nach dessen Rückkehr gemacht haben.
Schließlich
ist die Erwägung des [X.], aus dem Verhalten des Angeklagten könnten selbst dann
"keinerlei Rückschlüsse auf Anzahl, Zeit-punkt, Modalität [und] Intensität etwaiger Vorfälle"
gezogen werden, "wenn man davon ausginge, dass es tatsächlich im Vorfeld des 4. November 2009 zu se-xuellen Übergriffen [...] zum Nachteil der [Nebenklägerin] gekommen"
wäre (UA
S. 53), nicht tragfähig. Sofern
das Verhalten des Angeklagten und dessen Äußerungen
am 4. November 2009 als grundsätzliches
Eingeständnis der [X.] zu werten wäre, ist es für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der An-gaben der Nebenklägerin ohne Bedeutung, dass der Angeklagte die Taten nicht näher konkretisiert hat.
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Das Urteil beruht auch auf den vorgenannten
Beweiswürdigungsmän-geln; der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei einer rechts-fehlerfreien Beweiswürdigung die Überzeugung von der Täterschaft des Ange-klagten gewonnen hätte.
Fischer [X.] [X.]

[X.] Zeng

11

Meta

2 StR 431/14

16.09.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 2 StR 431/14 (REWIS RS 2015, 5362)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5362

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2 StR 398/14

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