Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2006, Az. IX ZB 29/04

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2006, 5669

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]BESCHLUSS [X.] vom 12. Januar 2006 in dem Verbraucherinsolvenzverfahren Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja [X.] § 290 Abs. 1 Nr. 2 a) Eine teilweise auf Schätzungen des Schuldners beruhende Einkommensteu-ererklärung ist nur dann "unrichtig" im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.], wenn die Unrichtigkeit von in ihr enthaltenen Angaben feststeht. b) Ein bestandskräftiger, teilweise auf Schätzungen des Finanzamts beruhen-der Steuerbescheid beweist für sich genommen nicht die Unrichtigkeit der Steuererklärung des Steuerpflichtigen. [X.], [X.]uss vom 12. Januar 2006 - [X.] - [X.]AG [X.] - 2 -
Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.] am 12. Januar 2006 beschlossen: Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der [X.]uss der 6. Zivilkammer des [X.] vom 20. Januar 2004 und der [X.]uss des Amtsgerichts [X.] vom 22. Sep-tember 2003 aufgehoben. Der Antrag des Beteiligten zu 1. auf Versagung der [X.] wird zurückgewiesen. Der Beteiligte zu 1. trägt die Kosten aller Rechtsmittelverfahren nach einem Wert von 4.000 Euro. Gründe: [X.] Am 9. April 2001 ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet worden. Im Schlusstermin am 25. März 2002 hat der [X.] zu 1. die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] beantragt. Der Antrag, der nicht begründet worden war, ist zunächst als unzulässig verworfen worden; dieser [X.]uss ist jedoch auf die sofortige [X.] - 3 - [X.] des Beteiligten zu 1. aufgehoben worden. Mit [X.]uss vom 22. September 2003 hat das Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung sodann versagt, weil der Schuldner in den letzten drei Jahren vor Eröffnung des [X.] in insgesamt fünf Fällen unrichtige Steuererklärungen abgege-ben habe, um Steuern zu verkürzen. Die sofortige Be[X.] des Schuldners gegen diesen [X.]uss ist zurückgewiesen worden. Mit seiner Rechtsbe-[X.] verfolgt der Schuldner weiterhin seinen Antrag auf Zurückweisung des [X.] des Beteiligten zu 1.. I[X.] Die Rechtsbe[X.] ist gemäß § 289 Abs. 2 Satz 1, § 7 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und zur Abweisung des Antrags des Beteiligten zu 1. auf Versagung der Rest-schuldbefreiung. 2 1. Das [X.] hat ausgeführt: Dass die Angaben des Kläger in den fraglichen Erklärungen zu dem von ihm erzielten Umsatz oder Gewinn unrichtig gewesen seien, habe sich nicht feststellen lassen, weil der Beteiligte zu 1. in-soweit kein konkretes Zahlenmaterial vorgelegt habe. Der Schuldner habe [X.] im Jahr 1998 eine unrichtige Einkommensteuererklärung für das [X.] abgegeben, indem er versichert habe, seine Angaben nach bestem Wis-sen und Gewissen gemacht zu haben. Dadurch habe er den Eindruck erweckt, der von ihm angegebene Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit (Betrieb einer Gaststätte) sei auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen Buchführung ermit-telt worden. Dies sei unrichtig gewesen. Wegen der desolaten Kassenführung - Fehlen von [X.] bzw. Tagesendsummenbons - habe die [X.] - 4 - bene Zahl letztlich auf einer Schätzung beruht. Der Schuldner habe so eine [X.] einer höheren Schätzung vermeiden wollen. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. 4 a) Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] ist die Restschuldbefreiung zu versa-gen, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröff-nung des Insolvenzverfahrens schriftlich unrichtige oder unvollständige Anga-ben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Der Tatbestand erfasst damit auch unrichtige oder unvollständige Steuererklärungen gegenüber dem Finanzamt; denn die Steuererklärungen sind (zunächst) Grundlage der Steuerfestsetzung. 5 b) Unrichtige oder unvollständige Angaben des Schuldners über den im [X.] und in den folgenden Jahren erzielten Umsatz und Gewinn hat das [X.] - anders als zuvor das Insolvenzgericht - nicht feststellen können. Entgegen der Ansicht des Beteiligten zu 1. folgt die Unrichtigkeit oder Unvoll-ständigkeit der Angaben des Schuldners für das [X.] auch nicht aus dem Steuerbescheid, durch den nach Abschluss der Betriebsprüfung die [X.], die der Schuldner für das [X.] zu zahlen hatte, neu berechnet und festgesetzt worden ist. 6 aa) Die [X.] eines Verwaltungsaktes besagt, dass außer den Behörden sowie den Verfahrensbeteiligten alle anderen Behörden sowie grundsätzlich alle Gerichte die Tatsache, dass der Verwaltungsakt erlassen wurde, als maßgebend akzeptieren müssen. Sie haben die durch den Verwal-tungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zugrunde zu legen. 7 - 5 - Auf bloße Vorfragen erstreckt sich die [X.] jedoch nicht ([X.] 158, 19, 22). Die [X.] eines Steuerbescheides erfasst dement-sprechend nicht die Tatsachen, welche die Grundlage der Besteuerung bilden. Eine Bindung der ordentlichen Gerichte besteht insoweit nicht. [X.]) Das gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als das Finanzamt diese Tatsachen nur im Wege der Schätzung (§ [X.]) ermitteln konnte. Schon im Steuerfestsetzungsverfahren ist eine Schätzung unzulässig, wenn die anzu-wendende steuerrechtliche Norm tatbestandlich eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerverkürzung voraussetzt; denn insoweit gilt der strafrechtliche Grundsatz "in dubio pro reo" ([X.]NV 2002, 749 zu § 169 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] trifft den antragstellenden Gläubiger die Feststellungslast. Das Gesetz geht vom redlichen Schuldner als Regelfall aus. Die Restschuldbefreiung darf deshalb nur dann nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] versagt werden, wenn zur vollen Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Schuldner unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat ([X.] 156, 139, 147; [X.], [X.]. v. 21. Juli 2005 - [X.] ZB 80/04, [X.], 1858, 1859). Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen ist nach § 162 Abs. 2 [X.] zulässig, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichen-den Aufklärungen zu geben vermag, er seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 [X.] verletzt, er Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder die Bücher wegen sachlicher Mängel der Besteuerung nicht zugrunde gelegt werden können. Sie setzt also keine von vornherein "unrichtigen" Angaben voraus. Hat das Finanzamt [X.] gemäß § [X.] abweichend von den Angaben des Steuerpflichti-gen geschätzt, folgt daraus allein also nicht, dass dessen Angaben im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] unrichtig waren. 8 - 6 -
c) Die Unterzeichnung der Steuererklärung und die damit verbundene Versicherung nach § 150 Abs. 2 [X.] stellt keine unrichtige Angabe im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] dar. 9 aa) Der Schuldner hat gegenüber dem Finanzamt nicht erklärt, "dass der für das [X.] angegebene Gewinn auf einer ordnungsgemäßen Buchfüh-rung hinsichtlich der tatsächlich getätigten Umsätze ... beruht". Die schriftliche Versicherung nach § 150 Abs. 2 [X.] geht dahin, dass die Angaben in der Steu-ererklärung wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden seien. Schon aus dem Wortlaut der Norm, die in den amtlichen [X.] zur Einkommensteuer lediglich wiederholt worden ist, wird deutlich, dass sich die Versicherung nur auf die in der Steuererklärung enthaltenen An-gaben bezieht. In der Steuererklärung anzugeben ist der Gewinn, nicht jedoch, ob der Gewinn auf der Grundlage einer ordnungsgemäßen und vollständigen Belegsammlung über die Betriebseinnahmen und -ausgaben ermittelt worden ist. 10 [X.]) Die Entstehungsgeschichte des § 290 Abs. 1 [X.] sowie Sinn und Zweck dieser Norm verbieten eine zu weitgehende Interpretation von schriftli-chen Erklärungen des Schuldners. Der Gesetzgeber hat die Rechtsfolge "Ver-sagung der Restschuldbefreiung" ausdrücklich deshalb von unrichtigen schriftli-chen Angaben abhängig gemacht, um [X.] vorzubeugen (Begründung zu § 239 [X.], BT-Drucks. 12/2443, [X.]). Andere als die in § 290 Abs. 1 [X.] aufgeführten Versagungsgründe rechtfertigen eine Versa-gung der Restschuldbefreiung nicht. § 290 Abs. 1 [X.] umschreibt die [X.], die eine Versagung rechtfertigen, abschließend. Andere [X.] bleiben sanktionslos, selbst wenn sie ebenfalls als unredlich anzu-sehen sind ([X.], [X.]. v. 22. Mai 2003 - [X.] ZB 456/02, [X.], 1382, 11 - 7 - 1383). Schuldner und Insolvenzgläubiger sollen von vornherein wissen, unter welchen Bedingungen das Privileg der Restschuldbefreiung erteilt oder versagt werden kann (Begründung zu § 239 [X.], BT-Drucks. 12/2443, [X.]). Der Zweck, Rechtssicherheit zu schaffen, schließt es aus, schriftlichen Erklärungen des Schuldners über ihren Wortlaut und eindeutigen Inhalt hinausgehende Be-deutungen beizumessen und auf dieser Grundlage im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] zum Nachteil des Schuldners zu berücksichtigen. d) Aus den genannten Gründen war die fragliche Steuererklärung des Schuldners schließlich auch nicht im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] [X.]. Der Schuldner war steuerrechtlich nicht verpflichtet, in seiner [X.]erklärung auf die fehlenden [X.] bzw. Tagesendsummen-bons hinzuweisen; ein entsprechender Hinweis hätte überdies seine wirtschaft-lichen Verhältnisse - auf die § 290 Abs. 1 Nr. 2 [X.] abstellt - nur mittelbar be-troffen. 12 3. Unrichtige oder unvollständige Angaben des Schuldners über den von ihm erzielten Umsatz und Gewinn hat das [X.] in keinem der vom [X.] angenommenen fünf Fälle feststellen können. Da die Aufhebung der angefochtenen [X.]üsse nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine eigene Sachentschei-dung zu treffen (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Der Antrag des Beteiligten zu 1. auf 13 - 8 - Versagung der Restschuldbefreiung ist abzuweisen, weil sich die tatsächlichen Voraussetzungen des von ihm behaupteten [X.] nicht haben feststellen lassen (vgl. [X.] 156, 139, 147). [X.] [X.] [X.]

[X.] [X.]
Vorinstanzen: AG [X.], Entscheidung vom 22.09.2003 - 6 [X.] 2/01 - [X.], Entscheidung vom 20.01.2004 - 6 T 1244/03 -

Meta

IX ZB 29/04

12.01.2006

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.01.2006, Az. IX ZB 29/04 (REWIS RS 2006, 5669)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 5669

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 197/07 (Bundesgerichtshof)


2 W 249/00 (Oberlandesgericht Köln)


IX ZB 456/02 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 199/09 (Bundesgerichtshof)

Restschuldbefreiung: Versagung wegen Steuerhinterziehungen


IX ZB 1/21 (Bundesgerichtshof)

Versagung der Restschuldbefreiung: Unrichtige schriftliche Angaben des Schuldners in einem Vergleichsvorschlag


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.