Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 4 AZR 286/22

4. Senat | REWIS RS 2023, 10491

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Gegenstand

Auslegung einer Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag - unzulässige Altersdiskriminierung


Tenor

1. Die Revision der Klägerin und die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 8. Juni 2022 - 12 Sa 925/21 - werden zurückgewiesen.

2. Die Klägerin und der Kläger haben die Kosten der Revision je zur Hälfte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die dynamische Anwendung der Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie [X.] auf ihre jeweiligen Arbeitsverhältnisse.

2

Der Kläger war seit 1988, die Klägerin war seit 1991 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, zunächst jeweils in einem Probearbeitsverhältnis, beschäftigt. In den Arbeitsverträgen vom 24. Mai 1988 und vom 19. Febr[X.]r 1991 ist für die [X.] nach Ablauf der Probezeit Folgendes vereinbart:

        

„Wird das Arbeitsverhältnis über diesen [X.]punkt hinaus verlängert, gelten die in der Eisen-, Metall- und Elektro-Industrie geltenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung.“

3

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war zunächst tarifgebundenes Mitglied in der [X.] e.V. Mit Ablauf des 31. Dezember 2013 wechselte sie in eine Mitgliedschaft ohne [X.].

4

Der Geschäftsführer der Rechtsvorgängerin der Beklagten wandte sich im Hinblick auf Tarifentgelterhöhungen mit Schreiben vom 23. März 2015 an die Beschäftigten, das [X.]. folgenden Inhalt hat:

        

„Wie Sie wissen hat das [X.] im Febr[X.]r 2015 das verhandelte Ergebnis aus Baden-Württemberg übernommen, woraus sich ab 01.04.2015 eine Entgelterhöhung und eine Sonderzahlung im März 2015 ergeben.

        

Leider gibt das verhandelte Ergebnis nicht die wirtschaftliche Realität unseres Betriebes wieder. Die Erhöhung stellt für uns eine enorme und kaum verkraftbare Belastung dar.

        

…       

        

Aus den zuvor aufgezeigten Gründen sind wir nicht in der Lage den Tarifabschluss umzusetzen und schlagen Ihnen eine Erhöhung Ihres Entgeltes von 1,5% ab 01.04.2015 sowie die Sonderzahlung von [X.] 150,00 im März vor.

        

Wir sind in der Vergangenheit stets unseren Verpflichtungen nachgekommen und bitten Sie nun um Ihre Unterstützung bei der Durchführung der notwendigen Maßnahmen zum Erhalt des Unternehmens.

        

Sicherlich haben Sie die Möglichkeit auf Ihr Recht zu bestehen und dieses eventuell auch durchzusetzen, aber bedenken Sie bitte dabei, dass Sie mit der Annahme unseres Vorschlages zum Erhalt des Standortes [X.] und damit zur Sicherung Ihres eigenen Arbeitsplatzes und den Ihrer Kollegen beitragen und so am Gesamterfolg teilhaben.“

5

Weder die Klägerin noch der Kläger erklärten ihr Einverständnis mit der gegenüber dem Tarifabschluss geringeren Entgelterhöhung. Die im zwischen dem [X.] ([X.]) und der [X.] geschlossenen Abkommen über die [X.] in der Metall- und Elektroindustrie [X.] vom 14. Febr[X.]r 2018 ([X.] 2018) vorgesehene Tarifentgelterhöhung wurde nicht an die Klägerin und den Kläger weitergegeben. Am 1. Juli 2020 wurde über das Vermögen der Rechtsvorgängerin der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. In der Folgezeit gingen [X.]. die Arbeitsverhältnisse der Klägerin und des [X.] im Wege des Betriebsübergangs auf die nicht tarifgebundene Beklagte über.

6

Mit ihren Klagen begehren die Klägerin und der Kläger die Zahlung von [X.] zwischen der ihnen gezahlten und einer ihnen nach dem [X.] 2018 zustehenden Vergütung im [X.]raum Oktober 2020 bis März 2021. Sie haben die Auffassung vertreten, ihre Arbeitsverträge enthielten eine dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie [X.] und nicht lediglich eine sog. Gleichstellungsabrede iSd. früheren Rechtsprechung des [X.]. Dies habe der Personalleiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Rahmen der Gespräche beim jeweiligen Vertragsschluss auf Nachfrage bestätigt. Ferner habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Schreiben vom 23. März 2015 zur Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen nach dem Ende der [X.] und dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Absenkung des [X.] zu erkennen gegeben, dass eine „feste“, also zeitlich dynamische Bezugnahme und keine Gleichstellungsabrede vereinbart worden sei. Selbst wenn ursprünglich eine solche vorgelegen haben sollte, könne die Vereinbarung daher heute nicht mehr in diesem Sinn verstanden werden. Soweit das [X.] für vor dem 1. Jan[X.]r 2002 geschlossene Arbeitsverträge dem Arbeitgeber Vertrauensschutz in die frühere Rechtsprechung gewähre, führe dieser zu einer unzulässigen faktischen Altersdiskriminierung.

7

Die Klägerin hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie 660,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2021 zu zahlen.

8

Der Kläger hat zuletzt - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 930,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. April 2021 zu zahlen.

9

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, in den beiden Arbeitsverträgen sei jeweils eine sog. Gleichstellungsabrede vereinbart worden. Mangels eigener [X.] oder einer solchen ihrer Rechtsvorgängerin sei sie daher nicht zur Weitergabe der Tarifentgelterhöhungen aus dem [X.] 2018 verpflichtet.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen, das [X.] die hiergegen gerichteten Berufungen zurückgewiesen. Mit der vom [X.] hinsichtlich der beiden Zahlungsanträge zugelassenen Revision verfolgen die Klägerin und der Kläger ihre Zahlungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässigen Revisionen sind ohne Erfolg. Das [X.] hat die Berufungen der Klägerin und des [X.] zutreffend zurückgewiesen. Die Klagen sind unbegründet.

I. Die Revisionen der Klägerin und des [X.] sind auf arbeitsvertragliche Ansprüche beschränkt. Etwaige Ansprüche auf Grundlage des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes oder nach § 7 Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB sind nicht Gegenstand der Revision. Dies hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und des [X.] in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt.

II. Die Klägerin und der Kläger haben keinen Anspruch auf Zahlung der begehrten Vergütung aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. dem [X.] 2018.

1. Die in den Arbeitsverträgen enthaltenen Verweisungen auf die Tarifverträge der „Eisen-, Metall- und Elektro-Industrie ... in der jeweils gültigen Fassung“ sind - wie das [X.] zutreffend angenommen hat - iSd. früheren Rechtsprechung des Senats als sog. [X.] auszulegen.

a) Die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen aus 1988 und 1991 sind [X.], deren Bestimmungen nach den Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen auszulegen sind. Die Auslegung von typischen Vertragsklauseln ist der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich ([X.] 11. April 2018 - 4 [X.] - Rn. 30, [X.]E 162, 293; 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 21).

b) Nach der früheren Rechtsprechung des Senats galt die [X.], dass es einem an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge gebundenen Arbeitgeber nur darum ging, durch die Bezugnahme die nicht organisierten Arbeitnehmer mit den organisierten hinsichtlich der Geltung des in Bezug genommenen Tarifwerks gleichzustellen. Der Senat nahm dabei an, mit einer solchen von einem tarifgebundenen Arbeitgeber gestellten Vertragsklausel solle lediglich die möglicherweise fehlende Gebundenheit des Arbeitnehmers an die im Arbeitsvertrag genannten Tarifverträge ersetzt werden, um jedenfalls zu einer vertraglichen Anwendung des einschlägigen Tarifvertrags auf das betreffende Arbeitsverhältnis zu kommen. Daraus hatte der Senat die Konsequenz gezogen, auch ohne weitere Anhaltspunkte im Vertragstext oder in den Begleitumständen bei Vertragsschluss seien bei [X.] des Arbeitgebers an die in Bezug genommenen Tarifverträge [X.] in aller Regel als sog. [X.] auszulegen. Die Verweisung auf einen Tarifvertrag oder ein Tarifwerk in der jeweils geltenden Fassung wurde deshalb einschränkend dahin ausgelegt, die auf diese Weise zum Ausdruck gebrachte Dynamik solle nur so weit reichen, wie dies bei einem tarifgebundenen Arbeitnehmer der Fall wäre, also dann enden, wenn der Arbeitgeber wegen Wegfalls der eigenen [X.] nicht mehr normativ an künftige Tarifentwicklungen gebunden war. Ab diesem Zeitpunkt seien die in Bezug genommenen Tarifverträge nur noch statisch anzuwenden ([X.] 27. März 2018 - 4 [X.] - Rn. 22; 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 30, jeweils mwN).

Diese Rechtsprechung hat der Senat für vertragliche [X.], die nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind, aufgegeben. Er wendet die [X.] aus Gründen des Vertrauensschutzes jedoch weiterhin auf [X.] an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform am 1. Januar 2002 vereinbart worden sind ([X.] 27. März 2018 - 4 [X.] - Rn. 23; 7. Dezember 2016 - 4 [X.] - Rn. 31, jeweils mwN).

c) Die Arbeitsverträge sind vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden. Zum jeweiligen Abschlusszeitpunkt war die Rechtsvorgängerin der [X.] kraft Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband an die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie in [X.] gebunden. Die Bezugnahme ist ersichtlich auf die in [X.] geltenden Tarifverträge gerichtet. Anhaltspunkte dafür, die Arbeitsvertragsparteien hätten einen von seinem räumlichen Geltungsbereich nicht einschlägigen Tarifvertrag in Bezug nehmen wollen, sind nicht ersichtlich.

d) Dem Vertragstext lassen sich keine Anhaltspunkte für ein von der [X.] abweichendes Verständnis iSe. zeitlich dynamischen Bezugnahme entnehmen. Hinsichtlich etwaiger Begleit- und Folgeumstände, die ein anderes Auslegungsergebnis rechtfertigen könnten, sind die Klägerin und der Kläger beweisfällig geblieben. Auch das Verhalten nach Vertragsschluss lässt keinen Schluss auf ein abweichendes Verständnis der Klausel zu.

aa) Die [X.] kann nicht angewendet werden, wenn Umstände vorliegen, die eine abweichende Auslegung der [X.] gebieten. Eine vor dem 1. Januar 2002 vereinbarte dynamische Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem vom tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag ist als „feste“ dynamische Bezugnahme in dem Sinne auszulegen, dass die dynamische Anwendbarkeit der Tarifverträge auch nach Beendigung der [X.] des Arbeitgebers erfolgen soll, wenn das in der Vereinbarung seinen Ausdruck gefunden hat oder sonstige Umstände dafür sprechen ([X.] 13. September 2006 - 4 [X.] - Rn. 13; 26. September 2001 - 4 [X.] 1 c aa der Gründe, [X.]E 99, 120). Die Darlegungs- und Beweislast für einen von der Regel abweichenden Erklärungsinhalt liegt bei demjenigen, der sich hierauf beruft ([X.] in [X.] Eckpfeiler (2022) Rn. [X.]; vgl. zur gesetzlichen [X.] des § 2350 BGB [X.] 17. Oktober 2007 - IV ZR 266/06 - Rn. 14).

bb) Allein die Behauptung der Klägerin und des [X.], sie hätten bei Vertragsabschluss eine zeitlich dynamische Bezugnahme vereinbaren wollen, kann eine Abweichung von der [X.] nicht begründen. Entgegen deren Auffassung berücksichtigt die Regel keinen „inneren Vorbehalt“ einer der beiden Vertragsparteien, sodass auch ein solcher der anderen Vertragspartei ohne Bedeutung wäre. Der [X.] wurde vielmehr im Wege der Auslegung das Verständnis beigemessen, welches der Erklärung typischerweise und für alle Seiten erkennbar bei Vereinbarungen dieser Art zugrunde gelegt wird.

cc) Es kann dahinstehen, ob sich den durch die Klägerin und den Kläger behaupteten Gesprächen zwischen ihnen und dem damaligen Personalleiter der Rechtsvorgängerin der [X.] bei Abschluss der Arbeitsverträge ausreichende Anhaltspunkte entnehmen lassen, die eine Abweichung von der [X.] ermöglichen würden. Beide sind - nachdem die Beklagte, die an den Gesprächen nicht beteiligt war, deren Inhalt zulässigerweise iSd. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestritten hatte - beweisfällig geblieben. Sie haben für ihre Behauptungen keinen Beweis angeboten. Eine [X.]vernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO war bereits im Hinblick auf die Subsidiarität dieses Beweismittels ausgeschlossen.

(1) Die Zulässigkeit einer [X.]vernehmung von Amts wegen hängt davon ab, dass zuvor alle angebotenen Beweismittel, also auch die nach § 445 ZPO oder § 447 ZPO beantragte und nur mit Einverständnis des jeweiligen Gegners mögliche [X.]vernehmung, ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Der beweisbelasteten [X.] obliegt es, zunächst einen ihr zumutbaren Beweis anzutreten. Ist ihr ein solcher möglich, befindet sie sich nicht in Beweisnot, sondern ist beweisfällig, wenn sie den ihr möglichen Beweis nicht anbietet ([X.] 12. Dezember 2019 - III [X.] - Rn. 21 mwN).

(2) Die Klägerin und der Kläger haben ihre eigene Vernehmung nach § 447 ZPO, die einer [X.]vernehmung von Amts wegen grundsätzlich vorgeht, nicht angeboten. Dies hätte zwar nur mit Zustimmung der [X.] durchgeführt werden können, es hätte aber in jedem Fall des Angebots der Klägerin und des [X.] sowie der Verweigerung der [X.] bedurft, um eine [X.]vernehmung von Amts wegen überhaupt in Betracht ziehen zu können.

dd) Entgegen der Auffassung der Klägerin und des [X.] ergeben sich aus dem Verhalten der Rechtsvorgängerin der [X.] nach Vertragsabschluss ebenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung der [X.] als zeitdynamisch.

(1) Die Vertragspraxis kann zur Auslegung einer [X.] herangezogen werden, wenn sie Rückschlüsse auf den zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden [X.] der [X.]en zulässt. Sie kann den zum Ausdruck gebrachten objektiven Gehalt der wechselseitigen Vertragserklärungen nicht mehr beeinflussen, wohl aber Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen enthalten ([X.] 13. Mai 2020 - 4 [X.] - Rn. 20; 27. März 2018 - 4 [X.] - Rn. 25).

(2) Weder dem Schreiben der Rechtsvorgängerin der [X.] vom 23. März 2015 noch einer etwaigen Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen nach Ende der [X.] oder dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung lassen sich hinreichende Anhaltspunkte für ein Verständnis der konkreten [X.] im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung entnehmen. Keinem der behaupteten Ereignisse lässt sich mit hinreichender Klarheit entnehmen, die Rechtsvorgängerin der [X.] sei gerade im Hinblick auf die Verträge der Klägerin und des [X.] von der Vereinbarung einer zeitdynamischen Bezugnahme ausgegangen. Im Schreiben vom 23. März 2015 ist lediglich von möglichen Ansprüchen die Rede. Die Weitergabe von Tarifentgelterhöhungen - sollte sie erfolgt sein - kann andere Hintergründe gehabt haben. Der weiterhin angeführte Abschluss einer Betriebsvereinbarung lässt keinen Schluss auf den Inhalt eines einzelnen Arbeitsvertrags zu. Die durch die Klägerin und den Kläger behaupteten Verhaltensweisen der Rechtsvorgängerin der [X.] ereigneten sich zudem mehrere Jahre nach Vertragsschluss und könnten nur bei Vorliegen besonderer Umstände Rückschlüsse auf das Verständnis bei Vertragsschluss zulassen. An einem solchen Vortrag fehlt es ihrerseits.

e) Den [X.] ist kein anderes Verständnis zugrunde zu legen, weil die Gewährung von Vertrauensschutz für vor dem 1. Januar 2002 geschlossene Verträge zu einer unzulässigen Diskriminierung der Klägerin und des [X.] wegen des Alters führen würde. Der Vertrauensschutz knüpft einzig an das Datum des Vertragsschlusses an und steht daher mit dem Alter der Vertragschließenden nicht in Zusammenhang.

aa) Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das in Art. 21 der [X.] ([X.]) als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts verankert ist, wird im Bereich von Beschäftigung und Beruf durch die Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/[X.]) konkretisiert ([X.] 19. April 2016 - [X.]/14 - [Dansk Industri] Rn. 22 f.). Nach deren Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 darf es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen des Alters geben. Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters liegt nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Richtlinie 2000/78/[X.] vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines bestimmten Alters gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich ([X.] 20. Oktober 2022 - [X.]/21 - [Curtea [X.] ua.] Rn. 49; 14. Februar 2019 - [X.]/18 - [[X.] und [X.]] Rn. 19).

bb) Gemäß Art. 288 Abs. 3 A[X.] obliegt es den Mitgliedstaaten und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten den nationalen Gerichten, die im Unionsrecht vorgesehenen Ziele zu verwirklichen. Dabei sind sie gemäß Art. 4 Abs. 3 [X.] verpflichtet, alle ihnen zur Verfügung stehenden geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung dieser Verpflichtung zu treffen. Die nationalen Gerichte haben den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und dabei die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen ([X.] 10. Dezember 2014 - 2 BvR 1549/07 - Rn. 30). Die nationalen Gerichte trifft damit die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung ([X.] 5. März 2020 - [X.]/18 - Rn. 41; 13. Dezember 2018 - C-385/17 - [[X.]] Rn. 50; 19. April 2016 - [X.]/14 - [Dansk Industri] Rn. 31). Diese betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Richtlinie, um die es geht, erlassen wurde ([X.] 4. Juli 2006 - [X.]/04 - [[X.] ua.] Rn. 108). Die nationalen Gerichte sind damit nicht nur - soweit möglich - zur unionsrechtskonformen Auslegung nationaler Gesetze verpflichtet, sondern auch dazu, die Rechtsprechung selbst unionsrechtskonform zu gestalten. Mithin haben sie eine Rechtsprechung, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbaren wäre, ggf. abzuändern (vgl. zur Verpflichtung, Rechtsprechung zu ändern [X.] 5. März 2020 - [X.]/18 - Rn. 43; 6. November 2018 - [X.]/16 ua. [X.]. 68).

cc) Nach diesen Grundsätzen führt die Gewährung von Vertrauensschutz bei der Auslegung von [X.] nicht zu einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters. Eine unmittelbare Diskriminierung scheidet offensichtlich aus; ebenso wenig liegt eine mittelbare vor.

Selbst wenn typischerweise ältere Arbeitnehmer von der - ggf. für sie nachteiligen - Gewährung von Vertrauensschutz betroffen wären und damit anders behandelt würden als jüngere Arbeitnehmer, die nach dem 1. Januar 2002 einen Arbeitsvertrag mit gleichlautender Klausel geschlossen haben, läge darin keine mittelbare Diskriminierung. Das einzig relevante Kriterium für die Anwendung der früheren Rechtsprechung ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags, und zwar unabhängig vom Alter des Arbeitnehmers zu diesem Zeitpunkt. Dabei handelt es sich um ein objektives und neutrales Element, welches nichts mit einer Berücksichtigung des Alters des Arbeitnehmers zu tun hat und daher eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters auch nicht begründen kann (vgl. [X.] 20. April 2023 - [X.]/21 - [Landespolizeidirektion [X.] und Finanzamt [X.]] Rn. 90; 20. Oktober 2022 - [X.]/21 - [Curtea [X.] ua.] Rn. 56; 14. Februar 2019 - [X.]/18 - [[X.] und [X.]] Rn. 25). Soweit der Senat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2015 (- 4 [X.] - Rn. 36 ff., [X.]E 153, 348) in dem [X.] des Eintrittsdatums bei einem anderen Konzernunternehmen eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters erkannt hat, steht dies nicht im Widerspruch zur vorliegenden Entscheidung. In der damaligen Fallgestaltung hatten die Tarifvertragsparteien einen lange in der Vergangenheit liegenden Stichtag gewählt, um eine bestimmte Gruppe von - denklogisch älteren - Arbeitnehmern von einer Übergangsversorgung auszuschließen. Dies ist mit der vorliegenden Anknüpfung an das Datum des Abschlusses des Arbeitsvertrags nicht vergleichbar.

dd) Der Durchführung eines [X.] nach Art. 267 A[X.] bedarf es nicht.

(1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass diese Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt ([X.] 9. September 2015 - [X.] und [X.]/14 - [van [X.]] Rn. 55 ff.; 9. September 2015 - [X.]/14 - [[X.] ua.] Rn. 38 ff.; grundlegend [X.] 6. Oktober 1982 - [X.]/81 - [[X.]] Rn. 21; sh. auch [X.] 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 ua. - Rn. 315, [X.]E 151, 202; 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 - Rn. 24 mwN). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die strittigen Fragen der jeweiligen Verfahren vollkommen identisch sind ([X.] 6. Oktober 1982 - [X.]/81 - [[X.]] Rn. 14). Das Fachgericht muss sich hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Es hat etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] auszuwerten und seine Entscheidung daran zu orientieren. Auf dieser Grundlage muss es sich unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig - „acte clair“ - oder durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel zulässt - „acte éclairé“ - ([X.] 30. Juli 2019 - 2 BvR 1685/14 ua. - aaO; 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 - Rn. 29; 15. Dezember 2016 - 2 BvR 221/11 - Rn. 37; [X.] 29. September 2020 - 9 [X.] (A) - Rn. 41, [X.]E 172, 337; 23. Januar 2019 - 4 [X.] - Rn. 36, [X.]E 165, 100). Hinsichtlich der Voraussetzungen eines acte clair oder acte éclairé kommt dem letztinstanzlichen Hauptsachegericht ein Beurteilungsrahmen zu ([X.] 9. Mai 2018 - 2 BvR 37/18 - Rn. 29; 15. Dezember 2016 - 2 BvR 221/11 - Rn. 36 f. mwN; 15. Januar 2015 - 1 BvR 499/12 - Rn. 8 f. mwN).

(2) Die Frage, ob in der Anknüpfung an das Einstellungsdatum für die Anwendbarkeit einer Regelung eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters liegen kann, ist durch die Ausführungen des Gerichtshofs der [X.] in den Rechtssachen Landespolizeidirektion [X.] und Finanzamt [X.] ([X.] 20. April 2023 - [X.]/21 - Rn. 90), Curtea [X.] ua. ([X.] 20. Oktober 2022 - [X.]/21 - Rn. 56) und [X.] und [X.] ([X.] 14. Februar 2019 - [X.]/18 - Rn. 25) geklärt (Rn. 32).

2. Mit Ende der [X.] der Rechtsvorgängerin der [X.] endete die dynamische Bezugnahme auf die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie [X.]s. Die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Tarifverträge sind seither statisch anzuwenden, später geschlossene Tarifverträge wie das streitgegenständliche [X.] 2018 sind von der [X.] nicht mehr erfasst, da auch die Beklagte selbst nicht tarifgebunden ist. Die Klägerin und der Kläger können daher keine Ansprüche aus diesem herleiten.

3. Mangels Hauptforderung scheidet ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO. Die jeweils eingeklagten Beträge sind nicht so unterschiedlich, dass eine Kostenverteilung nach § 100 Abs. 2 ZPO vorzunehmen wäre.

        

    Treber    

        

    M. Rennpferdt    

        

    Klug    

        

        

        

    J. Ratayczak    

        

    T. Wolff    

                 

Meta

4 AZR 286/22

13.12.2023

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Wuppertal, 6. August 2021, Az: 4 Ca 732/21, Urteil

§ 611a BGB, Art 288 Abs 3 AEUV, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 EGRL 78/2000, Art 21 EUGrdRCh, Art 4 EU, Art 267 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 4 AZR 286/22 (REWIS RS 2023, 10491)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10491

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