Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.09.2020, Az. 8 CN 4/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 4146

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Gegenstand

Keine Pflicht zur förmlichen Anhörung kreisangehöriger Gemeinden vor Festlegung des Kreisumlagesatzes durch die Aufsichtsbehörde


Tenor

Das Urteil des [X.] vom 23. März 2018 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Antragstellerinnen, die zum Gebiet des Antragsgegners gehören, wenden sich gegen dessen Haushaltssatzung für das [X.].

2

Nachdem es dem Kreistag des Antragsgegners nicht gelungen war, für das [X.] eine Haushaltssatzung zu erlassen, beschloss der beigeladene [X.] im Wege der Ersatzvornahme die mit dem Normenkontrollantrag angegriffene Satzung, die rückwirkend zum 1. Januar 2012 in [X.] trat. § 4 der Satzung enthielt die Festsetzung eines [X.] von 36 853 700 € und eines Umlagesatzes von 49,513 %.

3

Das Oberverwaltungsgericht hat die Satzung für unwirksam erklärt. Sie erfülle die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, die bei der Festsetzung der Kreisumlage auf Grundlage des § 28 Abs. 1 des [X.] ([X.]) zu berücksichtigen seien. Der Beigeladene habe die konkrete Bedarfssituation der kreisangehörigen Gemeinden nicht ordnungsgemäß ermittelt und den gleichrangigen Finanzbedarf der kreisangehörigen Gemeinden und des [X.] nicht vor der Festlegung des [X.] gegeneinander abgewogen. Weder der Beigeladene noch der Antragsgegner hätten vor der Entscheidung über die Haushaltssatzung Stellungnahmen der kreisangehörigen Gemeinden eingeholt. Bei seiner Entscheidung über die Haushaltssatzung habe der Beigeladene lediglich auf die ihm von der Kommunalaufsicht übermittelten Haushaltsdaten auf der Basis der Haushalte 2011 und teilweise 2012 zurückgegriffen. Zudem stehe die ausweislich des Vermerks vom 15. Mai 2012 der Festsetzung des [X.] zugrundeliegende Annahme die Kreisumlage sei alleine durch die Erdrosselungsgrenze des § 28 Abs. 4 [X.] nach oben beschränkt im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Festsetzung der Kreisumlage.

4

Zur Begründung seiner vom Senat wegen nachträglicher Divergenz zugelassenen Revision trägt der Antragsgegner vor, Art. 28 Abs. 2 GG lasse sich keine Verpflichtung entnehmen, die umlagepflichtigen Gemeinden vor der Entscheidung über die Höhe der Kreisumlage förmlich anzuhören. Im Übrigen habe das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht nicht die aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden materiellen Voraussetzungen für die Erhebung der streitgegenständlichen Kreisumlage geprüft.

5

Der Beigeladene hat sich dieser Begründung angeschlossen.

6

Der Antragsgegner und der Beigeladene beantragen sinngemäß,

das Urteil des [X.] vom 23. März 2018 zu ändern und den Antrag zurückzuweisen.

7

Die Antragstellerinnen beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

8

Das angegriffene Urteil sei jedenfalls im Ereignis richtig. Der Beigeladene habe die betroffenen finanziellen Belange nicht ordnungsgemäß gegeneinander abgewogen.

9

Der Beteiligte hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

Mit Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht.

Das Urteil verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, Landkreise seien vor der Festlegung des [X.] zu einer förmlichen Anhörung der kreisangehörigen Gemeinden verpflichtet (1.). Das Urteil beruht auf diesem [X.] (2.) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (3.). Mangels ausreichender Feststellungen muss die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden (4.).

1. Das Oberverwaltungsgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerinnen verletzt wird, wenn der Landkreis bei der Erhebung einer Kreisumlage seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den finanziellen Belangen der kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt. Ein solches Vorgehen stünde mit dem Grundsatz des Gleichrangs der finanziellen Interessen der kommunalen Gebietskörperschaften nicht im Einklang. Dieser verpflichtet den Landkreis, bei der Erhebung einer Kreisumlage nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form offenzulegen, um eine - gegebenenfalls gerichtliche - Überprüfung zu ermöglichen ([X.], Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 C 6.18 - [X.] 415.1 [X.] Rn. 13). Wird die Umlage nicht vom Landkreis selbst, sondern von der Kommunalaufsichtsbehörde festgesetzt, hat sie die Einhaltung dieser Pflichten zu gewährleisten (vgl. [X.], Urteil vom 16. Juni 2015 - 10 C 13.14 - [X.]E 152, 188 Rn. 42).

Nicht mit Bundesrecht vereinbar ist hingegen die weitere Annahme des [X.], Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG sei die Art und Weise zu entnehmen, in der die Landkreise oder deren Aufsichtsbehörden den Finanzbedarf der kreisangehörigen Gemeinden zu ermitteln haben. Die Verpflichtung des [X.] zur Ermittlung und Offenlegung des finanziellen Bedarfs seiner kreisangehörigen Gemeinden folgt aus der Institutsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung, die der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf ([X.], Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 C 1.12 - [X.]E 145, 378 Rn. 13). Es obliegt daher dem jeweiligen Landesgesetzgeber, dass Verfahren der Erhebung von [X.] zu regeln. Soweit derartige Regelungen fehlen, sind die Landkreise zur Gestaltung ihrer Verfahrensweise befugt und tragen die Verantwortung dafür, hierbei ein Verfahren zu beobachten, welches sicherstellt, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt werden ([X.], Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 C 6.18 - [X.] 415.1 [X.] Rn. 14). Aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG folgt kein verfassungsunmittelbares Recht einer Gemeinde, im Verfahren zur Festsetzung des [X.] durch den Landkreis förmlich angehört zu werden ([X.], Urteil vom 29. Mai 2019 a.a.[X.] Rn. 15 ff.).

Diese verfassungsrechtlichen Aussagen gelten in gleicher Weise für Festsetzungen durch den Landkreis wie für Festsetzungen im Wege der Ersatzvornahme durch die Kommunalaufsichtsbehörde. Auch bei solchen Festsetzungen ist aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 GG daher kein Anspruch der Gemeinde auf Anhörung abzuleiten (vgl. [X.], Urteil vom 26. Mai 2020 - 8 C 20.19 - ZKF 2020, 188 = juris Rn. 15).

2. Das angegriffene Urteil beruht auf dem festgestellten [X.]. Es leitet die vermeintliche Verpflichtung der Landkreise, vor der Festlegung des Umlagesatzes Stellungnahmen der kreisangehörigen Gemeinden einzuholen, und eine entsprechende Verpflichtung der Kommunalaufsichtsbehörde bei Festsetzungen im Wege der Ersatzvornahme aus Art. 28 Abs. 2 GG und nicht auch selbständig tragend aus Art. 91 und 93 der [X.] ab (vgl. bereits [X.], Beschluss vom 27. September 2019 - 8 [X.] 1.19 - juris Rn. 4 ff.).

Das Urteil beruht auch nicht auf einer mit Bundesrecht zu vereinbarenden, selbständig tragenden Alternativbegründung. Soweit das Oberverwaltungsgericht meint, der Finanzbedarf der kreisangehörigen Gemeinden sei nicht in einer Abwägungsentscheidung zur Festlegung des [X.] berücksichtigt worden, hat es dies ausschließlich aus dem Unterbleiben einer seiner Ansicht nach in jedem Falle gebotenen Anhörung der Gemeinden abgeleitet. Auch seine Kritik an dem materiell-rechtlichen Maßstab in dem Vermerk des Beigeladenen vom 15. Mai 2012 stellt keine das Urteil selbständig tragende Erwägung, sondern lediglich ein obiter dictum dar. Ob die angegriffene Haushaltssatzung den materiell-rechtlichen Anforderungen aus Art. 28 Abs. 2 GG genügt, hat das Oberverwaltungsgericht nicht geprüft.

3. Das angegriffene Urteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat insbesondere nicht festgestellt, die angegriffene Erhebung der Kreisumlage habe dazu geführt, dass die finanzielle Mindestausstattung der kreisangehörigen Gemeinden unterschritten wäre oder dass der Landkreis seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den Belangen der kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt hätte.

4. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt. Hierzu bedarf es einer Kontrolle der angegriffenen Haushaltssatzung an den aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden materiellen Maßstäben. Hierbei wird insbesondere zu prüfen sein, ob der Beigeladene die Finanzsituation der kreisangehörigen Gemeinden bei der Festsetzung des Umlagesatzes hinreichend berücksichtigt und daher im Ergebnis seine finanziellen Belange nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber den ihm zugehörigen Gemeinden durchgesetzt hat. Zudem wird das Vorbringen der Antragstellerinnen zu erwägen sein, die Höhe der Kreisumlage führe dazu, dass ihre verfassungsrechtlich gebotene Mindestausstattung unterschritten werde.

Meta

8 CN 4/19

15.09.2020

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: CN

vorgehend Thüringer Oberverwaltungsgericht, 23. März 2018, Az: 3 N 311/13, Urteil

Art 28 Abs 2 GG, § 28 FinAusglG TH 2013

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.09.2020, Az. 8 CN 4/19 (REWIS RS 2020, 4146)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4146

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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