Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.09.2021, Az. 8 C 29/20

8. Senat | REWIS RS 2021, 2363

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Gegenstand

Ermittlungspflicht des Kreises bei der Erhebung der Kreisumlage


Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des [X.] vom 17. März 2020 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Kommune des beklagten [X.], wendet sich gegen die Festsetzung der Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2017.

2

Der Kreistag beschloss im Dezember 2015 die [X.], den Haushaltsplan und das [X.] für die Haushaltsjahre 2016 und 2017. Bereits im Oktober 2015 hatte er die Erhöhung des [X.] auf 47,060 % für beide Haushaltsjahre beschlossen und die kreisangehörigen Gemeinden darüber informiert. In ihrer Beschlussvorlage zu den [X.] teilte die Kreisverwaltung mit, die Erhöhung des [X.] stelle die bisherige absolute Höhe der Kreisumlage für den Kreis sicher. Eine weitere Erhöhung komme mit Rücksicht auf die Gemeinden nicht in Betracht. Nachdem das Landesverwaltungsamt die [X.] beanstandet hatte, machte der Beklagte lediglich die Haushaltssatzung für das [X.] bekannt und schlug dem Kreistag im Rahmen eines zu beschließenden Nachtragshaushaltes für 2016 eine Erhöhung des [X.] auf 49,264 % vor. Dem Beschlussentwurf waren Übersichten zur Haushaltssituation der kreisangehörigen Gemeinden beigefügt. Der Kreistag lehnte jedoch den Erlass einer Nachtragshaushaltssatzung für 2016 und eine Erhöhung des [X.] im April 2016 ab.

3

Am 7. Dezember 2016 beschloss der Kreistag die Haushaltssatzung für das [X.] mit einem gegenüber 2016 unveränderten Kreisumlagesatz. Mit Bescheid vom 7. April 2017 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin eine Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2017 in Höhe von 2 377 062 € fest.

4

Das Verwaltungsgericht hat den Festsetzungsbescheid aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die Festsetzung des [X.] in der Haushaltssatzung 2017 sei unwirksam. Der Beklagte habe die aus dem Grundsatz des finanziellen Gleichrangs kommunaler Finanzbedarfe gemäß Art. 28 Abs. 2 GG abzuleitenden verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht beachtet und die Finanzsituation seiner Gemeinden nicht hinreichend ermittelt. Zwar genüge es, auf beim Kreis, bei der Kommunalaufsichtsbehörde oder dem [X.] bereits vorhandene Informationen zurückzugreifen. Der ermittelte Finanzbedarf der Gemeinden müsse den Mitgliedern des Kreistages jedoch vor deren Beschlussfassung über die Haushaltssatzung in geeigneter Weise (z.B. tabellarisch) aufbereitet zur Verfügung stehen. Daran fehle es hier. Es könne offenbleiben, ob der Beklagte zur Feststellung des Finanzbedarfs der Gemeinden für das Haushaltsjahr 2017 auf die Informationen für das [X.] habe zurückgreifen dürfen. Denn aus den Verwaltungsvorgängen ergebe sich nicht, dass die dem Kreistag wegen der Aufstellung eines Nachtragshaushalts für 2016 im April 2016 vorgelegten Unterlagen Gegenstand der Beschlussvorlage zum 7. Dezember 2016 und damit der Willensbildung des Kreistages hinsichtlich der Haushaltssatzung für 2017 gewesen seien. Eine rein verwaltungsinterne Ermittlung und Bewertung des Finanzbedarfs der Gemeinden reiche nicht aus, sondern begründe einen Verfahrensfehler, der zur Unwirksamkeit des festgesetzten [X.] führe.

5

Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Revision hat der Beklagte im Wesentlichen vorgetragen, aus Art. 28 Abs. 2 GG ließen sich keine Vorgaben zur Zuordnung von [X.] innerhalb des [X.] ableiten. Die Verfassungsnorm lege nicht fest, welche Unterlagen dem Kreistag zu welchem Zeitpunkt vorliegen müssten. Hier seien den Kreistagsmitgliedern die Informationen zum Haushaltsjahr 2016, die auch für eine Entscheidung über den Kreisumlagesatz für das [X.] ausreichten, im April 2016 vorgelegt worden und im Dezember desselben Jahres noch präsent gewesen. Im Übrigen habe der Kreistag den Kreisumlagesatz für das [X.] am 9. Dezember 2020 auf der Grundlage des zwischenzeitlich geschaffenen § 100 Abs. 1 Satz 5 des Kommunalverfassungsgesetzes des [X.] (KVG LSA) vorsorglich in gleicher Höhe erneut beschlossen.

6

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des [X.] vom 17. März 2020 und das Urteil des [X.] vom 9. September 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie und der Vertreter des [X.] beim [X.] verteidigen das Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Das Berufungsurteil steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Seine Annahme, der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, kann wegen der inzwischen erlassenen, revisionsrechtlich zu berücksichtigenden rückwirkenden Änderung der Haushaltssatzung des Beklagten für das [X.] nicht mehr allein auf Mängel der ursprünglichen Satzung gestützt werden (1.). Aus anderen Gründen kann sich das Urteil gemäß § 144 Abs. 4 VwGO nur als richtig erweisen, wenn der angegriffene Bescheid seine Rechtsgrundlage weder in der geänderten Satzung findet noch - bei deren Unwirksamkeit - in der ursprünglichen Haushaltssatzung. Die erste Voraussetzung ist revisionsgerichtlich nicht abschließend zu beurteilen, weil die Wirksamkeit der Satzungsänderung von Auslegungsfragen des irrevisiblen Landesrechts abhängt, deren Klärung dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist (2.). Der [X.] kann auch nicht unabhängig davon in der Sache selbst entscheiden. Das wäre nur möglich, wenn der angegriffene Bescheid bei Unwirksamkeit der Satzungsänderung - jedenfalls - durch die ursprüngliche Satzung getragen würde. Diese verstößt jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gegen Art. 28 Abs. 2 [X.] (3.). Das zwingt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, das die Wirksamkeit der geänderten Satzung zu klären haben wird.

1. Das Berufungsurteil hat als Rechtsgrundlage für den angegriffenen [X.]umlagebescheid die landesgesetzlichen Regelungen der § 99 Abs. 3 des Kommunalverfassungsgesetzes ([X.] LSA) und § 19 des [X.] ([X.] LSA) des [X.] in Verbindung mit § 5 der Haushaltssatzung des Beklagten für das Haushaltsjahr 2017 vom 7. Dezember 2016 herangezogen. Es konnte die erst am 9. Dezember 2020 vom [X.]tag beschlossene und am 17. Dezember 2020 bekanntgemachte Änderungssatzung für das Haushaltsjahr 2017 noch nicht berücksichtigen, welche den [X.]umlagesatz in § 5 der Haushaltssatzung erneut in gleicher Höhe wie die ursprüngliche Satzung festsetzt. Das Revisionsgericht hat eine Änderung des Landesrechts nach Erlass des Berufungsurteils zu beachten, wenn das Berufungsgericht bei einer Entscheidung im Zeitpunkt der Revisionsverhandlung auf die entsprechenden Regelungen abzustellen hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1990 - 1 [X.] 30.86 - [X.] 402.41 [X.] Nr. 47 S. 21) und von der Anwendung des geänderten irrevisiblen Rechts die richtige Anwendung des revisiblen Rechts abhängt (vgl. Neumann/[X.], in: [X.]/[X.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 137 Rn. 24 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Die Änderungssatzung misst sich Rückwirkung für das Haushaltsjahr bei und ist deshalb als Rechtsgrundlage für den angefochtenen [X.]umlagebescheid vorrangig in den Blick zu nehmen sowie an den einschlägigen landes- und bundesrechtlichen Maßstäben zu messen.

2. Ob das Berufungsurteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil der angegriffene Bescheid sich auch nach dem jetzt anzuwendenden Recht als rechtswidrig erweist, kann der [X.] nicht abschließend beurteilen. Dafür bedarf es einer Auslegung irrevisiblen Landesrechts, die dem Oberverwaltungsgericht vorbehalten ist (vgl. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 563 Abs. 4 ZPO sowie tatsächlicher Feststellungen, die im Revisionsverfahren nicht getroffen werden können (§ 137 Abs. 2 VwGO).

Allerdings lässt der mit Wirkung zum 10. November 2020 eingefügte § 100 Abs. 1 Satz 5 [X.] LSA die rückwirkende Änderung oder den rückwirkenden Erlass einer Haushaltssatzung zur Behebung von Fehlern nunmehr auch nach Ablauf des Haushaltsjahres zu. Die Wirksamkeit des erneuten Beschlusses des [X.] ist nicht schon bundesrechtlich ausgeschlossen.

Eine dem Oberverwaltungsgericht vorbehaltene Klärung der Auslegungsfragen, die sich bei der Anwendung der neuen [X.] und des geänderten, ebenfalls irrevisiblen Kommunalverfassungsgesetzes stellen, erübrigt sich nicht etwa, weil die neue Satzung schon wegen des bundesverfassungsrechtlichen [X.] unwirksam wäre. Dieses findet im rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze. Seine Anwendung setzt einen belastenden Eingriff in ein vom Berechtigten auf der Grundlage der Rechtsordnung erworbenes Recht voraus. Es schützt das Vertrauen in eine dem Normadressaten zugewiesene, individuell verliehene Rechtsposition (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 2020 - 8 [X.] 21.19 - NWVBl 2021, 462 Rn. 13 m.w.N.). Eine solche Rechtsposition kommt der Klägerin nach Art. 28 Abs. 2 [X.] gegenüber der Heranziehung zur [X.]umlage als Mittel des kommunalen Finanzausgleichs nicht zu. Aus der Garantie kommunaler Selbstverwaltung lässt sich kein Recht der Gemeinde herleiten, von einer Heranziehung zur [X.]umlage dauerhaft verschont zu bleiben. Art. 28 Abs. 2 [X.] gewährleistet eine aufgabenangemessene Finanzausstattung der Kommunen, die sich nach Maßgabe des [X.] und Finanzausgleichsrechts aus dem Zusammenwirken von Einnahmen, Zuweisungen und Umlagen ergibt. Er trifft jedoch keine zusätzliche und eigenständige Regelung zur Verteilung öffentlicher Mittel (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 [X.] 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 12 f.).

3. Sollte sich die neu erlassene [X.] über den [X.]umlagesatz für das [X.] als unwirksam erweisen, wird der angegriffene Bescheid auch nicht durch § 5 der am 7. Dezember 2016 erlassenen ursprünglichen Satzung getragen. Dieser sollte zwar erkennbar für den Fall der Unwirksamkeit des neuen [X.] subsidiär fortgelten. Das Berufungsgericht hat jedoch zutreffend angenommen, dass die ursprüngliche [X.] über den [X.]umlagesatz wegen eines Verstoßes gegen Art. 28 Abs. 2 [X.] unwirksam ist. Der Beklagte ist bei ihrem Erlass seiner aus Art. 28 Abs. 2 [X.] folgenden verfahrensrechtlichen Pflicht zur Ermittlung des Finanzbedarfs der kreisangehörigen Gemeinden nicht hinreichend nachgekommen, weil dem [X.]tag nach den für den [X.] bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) keine Informationen über den Finanzbedarf der umlagepflichtigen Gemeinden vorlagen.

In Übereinstimmung mit revisiblem Recht nimmt das Berufungsgericht an, das Selbstverwaltungsrecht der Klägerin gemäß Art. 28 Abs. 2 [X.] werde nicht nur verletzt, wenn die Erhebung einer [X.]umlage dazu führt, dass ihre finanzielle Mindestausstattung unterschritten wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 [X.] 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 18 ff.), sondern auch dann, wenn der Landkreis bei der Erhebung der [X.]umlage seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den finanziellen Belangen seiner kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt und damit den Grundsatz des Gleichrangs des Finanzbedarfs der kommunalen Gebietskörperschaften verletzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 [X.] 1.12 - a.a.[X.] Rn. 13 ff.). Die Wahrung dieses Grundsatzes verpflichtet den Landkreis bei der Erhebung einer [X.]umlage, nicht nur seinen eigenen Finanzbedarf, sondern auch denjenigen der umlagepflichtigen Gemeinden zu ermitteln und seine Entscheidungen in geeigneter Form - etwa im Wege einer Begründung der Ansätze seiner Haushaltssatzung - offenzulegen, um den Gemeinden und gegebenenfalls den Gerichten eine Überprüfung zu ermöglichen (BVerwG, Urteile vom 30. Januar 2013 - 8 [X.] 1.12 - a.a.[X.] Rn. 14, vom 16. Juni 2015 - 10 [X.] 13.14 - BVerwGE 152, 188 Rn. 41 und vom 29. Mai 2019 - 10 [X.] 6.18 - [X.] 415.1 [X.] Rn. 13). In welcher Art und Weise die Landkreise den Finanzbedarf ihrer Gemeinden zu ermitteln und offenzulegen haben, ist Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 [X.] allerdings nicht zu entnehmen, weil die Institutsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung bedarf (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 - 8 [X.] 1.12 - a.a.[X.] Rn. 13). Es obliegt daher dem jeweiligen Landesgesetzgeber, das Verfahren der Erhebung von [X.] zu regeln. Soweit derartige Regelungen fehlen, haben die Landkreise die Befugnis zur Gestaltung ihrer Verfahrensweise. Sie tragen damit die Verantwortung dafür, hierbei ein Verfahren zu beobachten, welches sicherstellt, dass die verfassungsrechtlichen Anforderungen gewahrt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 [X.] 6.18 - a.a.[X.] Rn. 14). Art. 28 Abs. 2 [X.] gestattet insbesondere keinen vollständigen Verzicht auf eine inhaltliche Würdigung der finanziellen Belange der Gemeinden (BVerwG, Beschluss vom 16. September 2020 - 8 [X.] - ZKF 2021, 89 <91>).

Mit diesen Vorgaben steht das Berufungsurteil in Einklang. Seine Annahme, die maßgeblichen Daten über den Finanzbedarf der Gemeinden müssten dem [X.]tag als dem landesrechtlich für die Festsetzung der [X.]umlage zuständigen Organ in geeigneter Weise zur Verfügung stehen, weil dabei andernfalls die Beachtung und Überprüfung des gemeindlichen Bedarfs nicht möglich sei, konkretisiert die aus Art. 28 Abs. 2 [X.] abzuleitende Ermittlungspflicht des Beklagten in bundesrechtlich nicht zu beanstandender Weise.

Durch welches Organ und auf welche Weise die für die Bewertung des Finanzbedarfs der Gemeinden erforderlichen Informationen innerhalb des [X.] zusammengestellt werden, bestimmt sich nach landesrechtlichen Regelungen und unterliegt, sofern solche Regelungen fehlen, der Befugnis des [X.], das Verfahren im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen auszugestalten. Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass die [X.]verwaltung den gemeindlichen Finanzbedarf ermitteln und dazu auf vorhandene Daten zurückgreifen darf. Eine verfassungsrechtliche Pflicht, die Gemeinden anzuhören, besteht dabei nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2019 - 10 [X.] 6.18 - [X.] 415.1 [X.] Rn. 14 ff.). Die von ihr ermittelten Informationen über den gemeindlichen Finanzbedarf müssen dem [X.]tag als dem für den Erlass der Haushaltssatzung zuständigen Organ (§ 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 [X.] LSA) bei der Beschlussfassung über den [X.]umlagesatz vorliegen, damit er der Pflicht des [X.] nachkommen kann, diesen Finanzbedarf gemäß Art. 28 Abs. 2 [X.] gleichrangig mit dem eigenen zu berücksichtigen. Dazu muss dem [X.]tag zumindest ein bezifferter Bedarfsansatz für jede kreisangehörige Gemeinde vorliegen. Wegen der ebenfalls aus Art. 28 Abs. 2 [X.] abzuleitenden Pflicht, die Entscheidung über die Umlagefestsetzung als Ergebnis der Gewichtung der finanziellen Belange offenzulegen, müssen die der Beschlussfassung zugrunde gelegten Bedarfsansätze in der Beschlussvorlage oder, falls die Festsetzung davon abweicht, in anderer geeigneter Weise dokumentiert werden. Dies dient neben der gerichtlichen Kontrolle insbesondere auch der Überprüfung durch die betroffenen Gemeinden, ob der [X.] bei der Festsetzung des [X.]umlagesatzes durch den [X.]tag die verfassungsrechtliche Vorgabe beachtet hat, seinen Finanzbedarf nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber demjenigen der Gemeinden zu bevorzugen.

Ebenfalls zutreffend geht das Berufungsurteil davon aus, dass die Beachtung der aus Art. 28 Abs. 2 [X.] folgenden Ermittlungs- und Offenlegungspflicht des [X.] eine verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Festsetzung des [X.]umlagesatzes darstellt, deren Verletzung von [X.] wegen zur Unwirksamkeit der [X.] führt. Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze in bundesrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewandt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen lagen dem [X.]tag bei seiner ursprünglichen Beschlussfassung über die Haushaltssatzung für das [X.] am 7. Dezember 2016 keine Informationen über den gemeindlichen Finanzbedarf vor.

Soweit das Berufungsgericht offengelassen hat, ob der Rückgriff auf Daten über den gemeindlichen Finanzbedarf für ein vorheriges Haushaltsjahr für die verfassungsrechtlich gebotene Ermittlung des [X.] ausreichen könne, weist der [X.] ergänzend darauf hin, dass dem [X.]tag für das von seinem Satzungsbeschluss betroffene Haushaltsjahr aktuelle Informationen und nicht lediglich Daten zum Finanzbedarf des Vorjahres vorliegen müssen.

4. Der [X.] kann im Hinblick auf die vom Oberverwaltungsgericht vorzunehmende Auslegung irrevisiblen Landesrechts und mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen zur Wahrung der Ermittlungspflicht des Beklagten beim Erlass der Satzung vom 9. Dezember 2020 sowie zu deren materiell-rechtlicher Rechtmäßigkeit nicht in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Sollte sich die am 9. Dezember 2020 erlassene [X.] über den [X.]umlagesatz als wirksam erweisen, bleibt zu prüfen, ob der Anspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin wegen abgabenrechtlicher Verjährung erloschen ist. Dies hängt von der Auslegung der irrevisiblen landesrechtlichen Vorschrift des § 27 Finanzausgleichsgesetz des [X.] - [X.] LSA - in der Fassung vom 28. März 2017 (GVBl. LSA 2017 S. 60, 61) ab, die dem Oberverwaltungsgericht obliegt. Das gilt auch für die in § 27 Abs. 3 [X.] LSA angeordnete entsprechende Geltung der §§ 230 bis 232 der Abgabenordnung ([X.]), welche [X.] des Rechtsanwendungsbefehls der landesrechtlichen Verweisungsnorm in das Landesrecht inkorporiert werden und insoweit dessen nicht revisiblen Rechtscharakter teilen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 2019 - 9 B 13.19 - [X.] 346 LandesVerwVollstrR Nr. 6 Rn. 6 m.w.N.).

Das angefochtene Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Der [X.] weist darauf hin, dass die Pflicht gemäß Art. 28 Abs. 2 [X.], den Finanzbedarf der Gemeinden gleichrangig mit dem des [X.] zu berücksichtigen, eine Ermittlung des Finanzbedarfs für das jeweilige Haushaltsjahr verlangt und nur erfüllt werden kann, wenn diese Bedarfsansätze dem für die Umlagenfestsetzung zuständigen Organ bei der Beschlussfassung vorliegen. Dagegen ist keine Abwägung erforderlich, wie sie aus dem Planungsrecht geläufig ist und dort den Maßgaben der Abwägungsfehlerlehre unterliegt. Stattdessen ist nach Art. 28 Abs. 2 [X.] in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Umlagenfestsetzung das Recht der betroffenen Gemeinden auf eine finanzielle Mindestausstattung wahrt und darüber hinaus Finanzinteressen des [X.] nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber denen der Gemeinden bevorzugt.

Meta

8 C 29/20

27.09.2021

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 17. März 2020, Az: 4 L 184/18, Urteil

§ 231 Abs 1 S 1 Nr 8 AO 1977, Art 28 Abs 2 GG, § 100 Abs 1 S 5 KomVerfG ST 2014, § 103 Abs 1 KomVerfG ST 2014, § 27 FinAusglG ST 2017

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.09.2021, Az. 8 C 29/20 (REWIS RS 2021, 2363)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2363

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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