Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2011, Az. XII ZB 521/10

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 452

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vergütungsanspruch des Berufsbetreuers für einen inhaftierten, mittellosen Betreuten


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 10. September 2010 wird auf Kosten des Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.

[X.]: 1.782 €

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 1 wurde ab März 2005 zum Berufsbetreuer des mittellosen Betroffenen bestellt. Dieser befand sich von Dezember 2007 bis Januar 2011 in Strafhaft.

2

[X.]ür die [X.] von Dezember 2007 bis [X.]ebruar 2010 beantragte der Beteiligte zu 1 [X.]estsetzung seiner Vergütung. Bei der Berechnung seines [X.]aufwands ist er davon ausgegangen, dass der Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 [X.]). Das Amtsgericht hat die Vergütung unter Berücksichtigung des geringeren Stundenansatzes für einen Betreuten, der in einem Heim lebt, nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.] festgesetzt und hat den weitergehenden Antrag zurückgewiesen. Die hiergegen von dem Beteiligten zu 1 eingelegte Beschwerde hat das [X.] mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen.

3

Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 seinen [X.]estsetzungsantrag in vollem Umfang weiter.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 70 Abs. 1 [X.]am[X.]G) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

5

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Vergütung des Beteiligten zu 1 sei gemäß § 5 [X.] so festzusetzen wie für Betroffene, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hätten. Denn der Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt sei einem Heimaufenthalt gleichzustellen. Die Justizvollzugsanstalt erfülle die von § 5 Abs. 3 [X.] aufgestellten Voraussetzungen für den Heimbegriff. Der Betroffene habe dort wegen der Dauer der Inhaftierung seinen Lebensmittelpunkt und damit auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Darauf, ob dies seinem Willen entsprochen habe, komme es ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass er die bereits vor seiner Inhaftierung angemietete Wohnung nicht gekündigt und dort auch seine [X.]e verbracht habe.

6

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

7

Der Beteiligte zu 1 hat als Berufsbetreuer des mittellosen Betroffenen einen Anspruch auf Vergütung gegen die Staatskasse lediglich in der vom Amtsgericht festgesetzten Höhe, §§ 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Satz 2, 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.].

8

a) Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 [X.] beträgt der pauschal zu vergütende [X.]aufwand eines Betreuers bei einem mittellosen Betroffenen nach zwölfmonatiger [X.] nur zwei Stunden im Monat, wenn der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einer Einrichtung hat und nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 [X.] dreieinhalb Stunden, wenn dies nicht der [X.]all ist. Welche Voraussetzungen eine solche Einrichtung erfüllen muss, ist in § 5 Abs. 3 [X.] geregelt. Die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung der zu vergütenden Stunden nach dem Aufenthaltsort des Betreuten beruht auf einer vom [X.] in Auftrag gegebenen rechtstatsächlichen Untersuchung. Danach ist der Betreuungsaufwand für einen zu Hause lebenden Betreuten signifikant höher als für einen Betreuten, der in einer Einrichtung lebt (BT-Drucks. 15/2494 S. 32) und rechtfertigt dementsprechend einen höheren Stundenansatz, während bei einem in einer Einrichtung versorgten Betreuten aufgrund des geringeren Betreuungsaufwandes nur ein niedrigerer Stundensatz vonnöten ist.

9

b) Im vorliegenden [X.]all kann der Beteiligte zu 1 nach der Intention des Gesetzes nur die geringeren Stundenansätze gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - 4 [X.] - und zwar nur zwei Stunden gemäß Nr. 4 der Vorschrift - in Rechnung stellen, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 [X.] erfüllt sind.

aa) Denn es ist davon auszugehen, dass bei einem inhaftierten Betreuten, dem in der [X.] und Verpflegung sowie umfangreiche [X.], gesundheitliche und tatsächliche [X.]ürsorge gewährt werden, entsprechend weniger Betreuungsaufwand für den Betreuer anfällt als bei einem zu Hause lebenden Betreuten ([X.] [X.]amRZ 2006, 1562; [X.] 2007, 80; [X.] in [X.] Betreuungsrecht 4. Aufl. § 5 [X.] Rn. 12; [X.]/[X.] 3. Aufl. Teil [X.] Rn. 184; Jurgeleit/[X.] Betreuungsrecht 2. Aufl. § 5 [X.] Rn. 34; HK-BUR Deinert/[X.] 72. Aktualisierung § 5 [X.] Rn. 106; Onderka in [X.]/[X.] RVG § 1 Rn. 90).

bb) Der Betroffene hatte während des Vollzugs der mehrjährigen [X.]reiheitsstrafe auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne von § 5 [X.] in der Justizvollzugsanstalt.

(1) Bei der Auslegung des im [X.] und Betreuervergütungsgesetz ([X.]) nicht näher umschriebenen Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" kann auf dessen Definition in anderen Rechtsgebieten zurückgegriffen werden. Übereinstimmend heißt es in § 30 Abs. 3 SGB I und § 9 AO: "Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt." [X.]ür den Bereich des internationalen Privatrechts hat der Senat den gewöhnlichen Aufenthalt als den Ort definiert, an dem eine Person sozial integriert ist und ihren auf längere [X.] angelegten tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 3. [X.]ebruar 1993 - [X.] - [X.]amRZ 1993, 798, 800 und vom 13. Dezember 2000 - [X.] - [X.]amRZ 2001, 412). Auf den Willen, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, kommt es nicht an (Senatsbeschluss [X.], 293 = [X.]amRZ 1981, 135, 136 mwN). Entscheidend sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse.

Die für einen gewöhnlichen Aufenthalt erforderliche Dauer des Aufenthalts ist unter Berücksichtigung des jeweiligen Normzwecks nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.

Bei der Bestimmung der erforderlichen Aufenthaltsdauer [X.]. § 5 [X.] ist somit der Zweck der Vorschrift, nämlich die Gewährung einer geringeren Vergütung für einen geringeren Betreuungsaufwand bei einem Aufenthalt des Betreuten in einer Einrichtung, mit zu berücksichtigen ([X.]röschle BtPrax 2006, 219, 220).

(2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hatte der Betroffene während der mehrjährigen Haftdauer seinen auf längere [X.] angelegten tatsächlichen Lebensmittelpunkt und damit seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt.

Da der gewöhnliche Aufenthalt sich nicht nach dem Willen des Betroffenen, sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt, kann auch die zwangsweise Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen ([X.] 2007, 80; [X.]/[X.]/[X.] 76. Aktualisierung § 272 [X.]am[X.]G Rn. 15; a.A. BayObLG BTPrax 2003, 132).

(a) Dem tatsächlichen Lebensmittelpunkt in der Justizvollzugsanstalt steht nicht entgegen, dass der Betroffene seine bis zur Inhaftierung genutzte Wohnung auch während der Haft nicht aufgegeben und dort auch seine [X.]e verbracht hat.

Entgegen einer verbreiteten Meinung in Literatur und Rechtsprechung ([X.], 123; [X.] [X.]amRZ 2006, 1562 Rn. 16; [X.] 2007, 80 Rn. 14; [X.]/[X.] [X.]am[X.]G 16. Aufl. § 272 Rn. 3; [X.] in [X.] Betreuungsrecht 4. Aufl. § 272 [X.]am[X.]G Rn. 4; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 272 [X.]am[X.]G Rn. 11) ist es während der Verbüßung einer längeren Strafhaft nicht möglich, dass der Betreute neben seinem Lebensmittelpunkt in der Vollzugsanstalt einen anderen tatsächlichen Lebensmittelpunkt hat. Denn der Gefangene verbringt die weit überwiegende [X.] in der Vollzugsanstalt, empfängt dort seine Besucher und unterhält dort seine [X.]n Kontakte. Daran ändert - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - auch der auf 21 Kalendertage pro Vollstreckungsjahr begrenzte [X.] nichts. Deshalb ist es auch unerheblich, ob der Betreute - wie hier - nach Verbüßung der längeren Strafhaft über eine konkrete Rückkehrmöglichkeit, beispielsweise in eine weiterhin angemietete Wohnung, verfügt. Denn die bloße Möglichkeit der späteren Rückkehr hat keine Auswirkung auf den aktuellen tatsächlichen Aufenthalt des Betreuten in der Justizvollzugsanstalt.

(b) Der tatsächliche Lebensmittelpunkt des Betroffenen in der Justizvollzugsanstalt war auch auf längere [X.] angelegt. Der Betroffene war zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, während der er sich dauerhaft in der Justizvollzugsanstalt aufhielt. Aufgrund der mehrjährigen Dauer des Aufenthalts und der umfassenden Versorgung in der Justizvollzugsanstalt ist davon auszugehen, dass sich entsprechend dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Satz 1 [X.] der Betreuungsaufwand verringert hat.

[X.]                                                   Vézina                                               Dose

                          [X.]                                       [X.]

Meta

XII ZB 521/10

14.12.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Osnabrück, 10. September 2010, Az: 7 T 481/10, Beschluss

§ 1 Abs 2 S 2 VBVG, § 4 Abs 1 S 2 Nr 2 VBVG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 1 VBVG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 2 VBVG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 3 VBVG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 4 VBVG, § 5 Abs 3 VBVG, § 1836 Abs 1 S 2 BGB, § 1836 Abs 2 S 3 BGB, § 1908i Abs 1 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2011, Az. XII ZB 521/10 (REWIS RS 2011, 452)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 452

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen
Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 256/13

XII ZB 521/10

7 T 168/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.