Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2012, Az. 5 StR 322/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 1652

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5 StR 322/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

vom 7. November 2012
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen versuchten Totschlags u.a.

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2
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Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.], an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter [X.],

Richterin [X.],
Richter [X.],
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay

als beisitzende Richter,

Staatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwältin [X.]. ,
Rechtsanwalt K.

als Verteidiger,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] (Oder) vom 23. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

[X.] n d e

Das [X.] hat die Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung aus tatsächlichen Grün-den freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom [X.] vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.

1. Das [X.] hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Der Angeklagte [X.]
war zur Tatzeit Mitglied der [X.].
war mit Mitgliedern dieser Gruppierung befreundet.

In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2009 besuchten Mitglieder und 1
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ein Dorffest in [X.]. Gegen 2.00 Uhr traten mehrere dieser Personen in einem aus drei Pkw bestehenden Konvoi die Heimfahrt über [X.] nach [X.] an. Sie wurden von mindestens zwei Pkw ver-
Mehrere schwarz gekleidete und mit Sturmhauben vermummte Personen liefen auf die Fahrzeuge zu und schlugen mit Hieb-
und Schlagwaffen zu-mindest auf ein Fahrzeug ein, bei dem die Seitenscheibe hinten links zersplit-terte. Nach kurzer [X.] konnten die angehaltenen Fahrzeuge weiterfahren. Die Angreifer eilten zu ihren Fahrzeugen zurück und setzten die Verfolgung fort. Im Zuge der Verfolgung kollidierte der auf den Angeklagten F.

t-ra in einer Rechtskurve mit einem der verfolgten Fahrzeuge (Pkw [X.] Sephia). Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.

Während der weiteren Verfolgungsjagd trennten sich die Wege der Verfolgten. Gegen 2.45 Uhr kam der allein zurückgebliebene [X.] bei einem Wendevorgang wegen eines Schaltproblems mittig auf der Fahrbahn zum deren Typ und Kennzeichen nicht ermittelt werden konnten. Ein Fahrzeug wurde mit aufgeblendetem Licht vor den [X.] gestellt, um diesen an der [X.] zu hindern. Der oder die anderen Pkw hielten zehn bis zwanzig Meter entfernt an. Mindestens drei, höchstens acht schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen verließen die Fahrzeuge und schlugen laut schreiend mit Schlagwaffen auf den [X.] und dessen vier Insas-sen ein. Zwei Täter sprangen auf die Motorhaube und schlugen mit [X.] sowie Macheten gegen die Frontscheibe und das Dach des [X.]. Weitere Täter zerschlugen mit Baseballschlägern die Heckscheibe und alle Seitenscheiben. Ein Versuch, zumindest die hinteren Türen zu öffnen, misslang. Nunmehr an beiden Seiten des [X.] stehend schlugen die Täter mit Baseballschlägern und stachen mit Macheten sowie Messern äußerst brutal auf die Insassen des [X.] ein.

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Einige Minuten später näherte sich ein Pkw. Die Täter verließen fluchtartig den [X.], wobei zwei der Fahrzeuge eine rote Lackierung auf-wiesen. Im vorderen Innenraum des [X.] wurde von einem Täter eine Mache-te mit einer Klingenlänge von 34 Zentimetern zurückgelassen, auf deren Klinge sich eine vom Angeklagten [X.]
herrührende DNA-Spur befand.

Drei der vier Insassen des [X.] wurden bei der Tat sehr schwer ver-letzt. Einer von ihnen erlitt einen akut lebensgefährlichen Stich in die Brust und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Er leidet an [X.] und Sensibilitätsstörungen im Arm-
und Schulterbe-reich.

b) Das [X.] vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die beiden Angeklagten im roten [X.] des Angeklagten [X.]
am [X.] gewesen und an dem gewalttätigen Überfall beteiligt waren. Für eine Beteiligung der Angeklagten spreche zwar eine Reihe von Indizien. Die [X.] reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um eine Überzeugung von deren Beteiligung zu gewinnen.

2. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.

a) Allerdings hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdi-gung
widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. [X.] ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die [X.] [X.] gesondert zu
erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der [X.] 6
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Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteile vom 27. April 2010

1 [X.], [X.], 108, 109, vom 1. Februar 2011

1 [X.] Rn. 15 und vom 7. Juni 2011

5 StR 26/11 Rn. 9).

b) Nach diesen Maßstäben hält die durch die [X.] vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung nicht stand.

aa) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festge-stellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten
oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass es die [X.] nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat ([X.], Urteil vom 27. April 2010, aaO, mwN). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.

Das [X.] hat sich mit den die Angeklagten belastenden Indi-zien lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung ge-troffen, dass hiermit der Beweis für deren Beteiligung nicht zu führen sei (un-auf eine Beteiligung hindeutende Telefonkontakte beider Angeklagter etwa eine Stunde vor der Tat untereinander sowie mi-vor der Tat, Wiedereinschalten dieser Mobiltelefone etwa zwei Stunden nach der Tat, Beteiligung des roten [X.] des Angeklagten [X.]
an der ersten Kollision mit dem [X.], rotes Fahrzeug am [X.], womöglich vom [X.] herrührende Glassplitter im [X.] des Angeklagten [X.], DNA-Spuren und ein Teilfingerabdruck des Angeklagten [X.]
an der im [X.] gefundenen Machete, DNA-Spuren und Fingerabdruckspuren dieses Ange-klagten am Fenster des [X.] und an im Fahrzeug befindlichen Gegen-ständen). Diese Vorgehensweise in Verbindung mit der äußerst knapp aus-11
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gefallenen Gesamtschau, im Rahmen derer die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und ge-geneinander abgewogen werden ([X.]), lässt besorgen, dass die [X.] den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft aus-reichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeu-gung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa [X.], Urteil vom 26. Mai 1999

3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 20; [X.], Urteil
vom 16. Dezember 2009

1 StR 491/09).

bb) Überdies durfte das [X.] mangels in diese Richtung zie-lender objektiver Anhaltspunkte (vgl. etwa [X.], Urteile vom 14. Januar 2009

1 [X.] Rn. 78 mwN, und vom 20. Juni 2012

5 StR 536/11, NJW
2012, 2453, 2454) nicht zugunsten des

in der [X.]uptverhandlung schweigenden

Angeklagten [X.]
unterstellen, dieser habe entgegen sonst festzustellender Übung sein Fahrzeug in der Tatnacht einem Unbe-kannten geborgt ([X.], 28). Dies gilt zumal vor dem Hintergrund einer nach dem Inhalt der
Telefongespräche naheliegend unmittelbar zuvor und danach erfolgten Fahrzeugbenutzung durch [X.]
([X.] ff.).

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die [X.] bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Entlastungserwägungen des Tatgerichts zur zweifelhaften Kennt-nis der Angeklagten von einer zeitlich zu bewältigenden Fahrstrecke der [X.] zum [X.] ([X.], 39) sind angesichts möglicher nicht kontrollierter Kommunikationswege nicht etwa derart gewichtig, dass sie die Freisprüche ungeachtet aller aufgezeigten Mängel allein tragen könnten. Nichts anderes gilt erst recht für vom [X.] gar nicht entlastend gedeutete Inhalte nach der Tat geführter Telefonate ([X.], 34).

Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Auch soweit die die freigesprochenen Angeklagten belastenden Feststellun-14
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gen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie keinen Bestand haben, weil die Angeklagten sie revisionsrechtlich bislang nicht anzugreifen vermochten.

4. Für die neue [X.]uptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit im angefochtenen Urteil beiläufig eine strafbare Beteiligung
des Angeklagten [X.]
sogar
bei dessen erwiesener Anwesenheit im Fahrzeug am [X.] in Zweifel gezogen worden ist ([X.]), wird sich das neue Tatgericht gegebenenfalls damit auseinanderzusetzen haben, dass der [X.] bereits beim ersten Angriff auf den [X.] eingesetzt worden ist und es danach ganz fernliegt, dass er im Rahmen der verfahrensgegenständli-chen Tat ohne unterstützende Funktion gewesen ist.

Gegen eine Verwertbarkeit der abgehörten Telefongespräche sind nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich.

[X.] Schneider

[X.]

König Bellay

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Meta

5 StR 322/12

07.11.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.11.2012, Az. 5 StR 322/12 (REWIS RS 2012, 1652)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1652

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 454/09

1 StR 408/10

5 StR 536/11

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