Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.10.2016, Az. 5 StR 181/16

5. Strafsenat | REWIS RS 2016, 4242

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion: Erfordernis der Gesamtbetrachtung im Rahmen der Beweiswürdigung bei Freispruch


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 4. November 2015 hinsichtlich des Angeklagten [X.] mit den Feststellungen aufgehoben.

Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom Vorwurf des [X.] einer Sprengstoffexplosion in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl, freigesprochen und eine Entscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen getroffen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die vom [X.] hinsichtlich der Sachrüge vertreten wird. Die Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht mehr ankommt.

2

1. Das [X.] hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

3

Zwischen April und September 2014 sprengte der wegen dieser Taten rechtskräftig verurteilte [X.] im Zusammenwirken mit einem Mittäter, der in Größe und Statur dem Angeklagten entsprach, vier Geldautomaten durch Zünden eines zuvor in diese eingeleiteten [X.]. Bei den ersten drei Taten erbeuteten die Täter rund 400.000 €. Bei der vierten Tat verhinderte eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung des bereits teilweise gesprengten Geldautomaten, dass die Täter an das Bargeld gelangten. Bei allen vier Taten waren die Täter maskiert und trugen orange-schwarze [X.]e. Unmittelbar nach der letzten Tat flüchteten sie mit einem Fahrzeug über die nahe gelegene Grenze nach [X.] in [X.], wo sie an einem Wald anhielten, um die Kennzeichen des Fahrzeugs auszutauschen. Als sich ihnen eine Zivilstreife der [X.] Polizei näherte, ergriffen sie zu Fuß die Flucht und konnten sich der Festnahme entziehen. Einer der Flüchtenden verlor im Wald einen orange-schwarzen [X.], an dessen Innenseite DNA-Spuren des Angeklagten gesichert werden konnten. An einem im Fluchtfahrzeug sichergestellten weiteren Paar orange-schwarzer [X.]e befanden sich DNA-Spuren des [X.] .

4

Sieben Wochen später wurden [X.] und der Angeklagte in einem von [X.] geführten Pkw in [X.] von [X.] Polizeibeamten kontrolliert. In dem Fahrzeug wurden Notizzettel sichergestellt, auf denen die Standorte von Geldautomaten im [X.] und an der [X.] jeweils in Grenznähe zu [X.] notiert waren, ein Navigationsgerät, in dem die Adressen der vier Tatorte gespeichert waren, ein Computer, mit dem nach Bankfilialen in der Region der Tatorte sowie nach Gasen recherchiert worden war, eine Kapuzenjacke, die derjenigen glich, die der in den Bankfilialen gefilmte Täter trug, und eine Bohrmaschine der Art, wie sie auch bei den Taten benutzt worden war.

5

In den jeweiligen [X.] bewohnte [X.] mit einer anderen männlichen Person [X.] in einem Hotel in [X.] in [X.] nahe der [X.]. Ein an der Rezeption des Hotels tätiger Zeuge hat bekundet, er glaube, den Angeklagten als Hotelgast im Verlauf des Jahres 2014 wiedererkannt zu haben, sicher sei er sich jedoch nicht. [X.] und der Angeklagte stammen aus demselben Ort in [X.]. Im Mai 2014 überwies [X.] dem Angeklagten einen Geldbetrag von 7.300 €.

6

2. Das [X.] vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der im Verfahren schweigende Angeklagte an den Taten beteiligt war. Zwar stelle die in dem [X.] sichergestellte DNA des Angeklagten ein gewichtiges Indiz für dessen Täterschaft dar. Allerdings stehe lediglich fest, dass der Angeklagte den [X.] einmal angefasst habe; es gebe zahlreiche Möglichkeiten, wie seine DNA an die Innenseite des [X.]s gekommen sein könne. Ein weiteres Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten stelle dessen Bekanntschaft mit [X.] dar. Diese beiden Indiztatsachen seien jedoch „weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau“ ([X.]) geeignet, die Überzeugung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen.

7

3. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.

8

a) Das Revisionsgericht hat es zwar grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es hat jedoch das Urteil darauf zu überprüfen, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. [X.] ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 7. November 2012  – 5 [X.], und vom 27. April 2010 – 1 [X.], [X.], 108, 109).

9

b) Gemessen hieran hält die Beweiswürdigung der [X.] rechtlicher Prüfung nicht stand. In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht nicht nur mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Es muss sich auch aus den Urteilsgründen ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Denn aus dem Urteil ergibt sich nicht, dass das [X.] überhaupt eine Gesamtbetrachtung in dem gebotenen Umfang vorgenommen hat. Eine solche setzt voraus, dass sämtliche vorhandenen Beweisanzeichen erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden. Eine diesen Anforderungen genügende Darstellung weist das Urteil mit seiner lediglich formelhaften Erwähnung einer „Gesamtschau“ nicht auf. Dies lässt besorgen, dass die [X.] den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr.; vgl. etwa [X.], Urteile vom 7. November 2012  – 5 [X.]; vom 16. Dezember 2009 – 1 [X.], und vom 26. Mai 1999 – 3 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 20).

Insbesondere hat die [X.] ihre „Gesamtschau“ dadurch unzulässig verkürzt, dass sie lediglich die vom Angeklagten stammende DNA-Spur an der Innenseite des [X.]s sowie die Bekanntschaft der beiden Angeklagten gewürdigt hat ([X.]). Weitere Umstände hat sie außer Betracht gelassen, obwohl ihnen indizielle Bedeutung für die Beteiligung des Angeklagten zukommt. So stellt das [X.] nicht in seine Gesamtwürdigung ein, dass der Angeklagte und [X.] nur wenige Wochen nach der letzten Tat fernab ihrer [X.] Heimat in einem Fahrzeug angetroffen wurden, in dem sich [X.] und weitere im Zusammenhang mit einschlägigen Taten stehende Gegenstände befanden (Navigationsgerät, Notebook, Zettel mit den Adressen von Geldautomaten, Kapuzenjacke). Auch befasst es sich nicht mit der Überweisung eines nicht unerheblichen Geldbetrages durch [X.] an den Angeklagten innerhalb des Tatzeitraums und dem – wenngleich nicht sicheren – Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Angestellten des Hotels, in dem [X.] bei Begehung der Taten mit einer anderen männlichen Person wohnte. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die von mehreren Zeugen bekundete Täterbeschreibung in Größe und Statur auf den Angeklagten zutrifft.

4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das [X.] bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Sache bedarf daher, soweit sie den Angeklagten betrifft, neuer Verhandlung und Entscheidung.

5. Mit der Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die Entschädigungsgrundentscheidung und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (vgl. [X.], Urteile vom 25. April 2013  – 4 StR 551/12, dort nicht abgedruckt und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09).

Sander                        Schneider                        König

                Bellay                             Feilcke

Meta

5 StR 181/16

11.10.2016

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Saarbrücken, 4. November 2015, Az: 6 KLs 11/15

§ 261 StPO, § 267 StPO, § 308 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.10.2016, Az. 5 StR 181/16 (REWIS RS 2016, 4242)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4242

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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