Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2013, Az. 4 StR 246/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2013, 8226

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Gegenstand

Strafverfahren: Wirksamkeit der Urteilszustellung bei unvollständigem Hauptverhandlungsprotokoll in Form eines nicht eingehefteten Teilprotokolls


Tenor

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des [X.] vom 21. Dezember 2011 wird als unzulässig verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

2. Über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die im vorgenannten Urteil getroffene Entscheidung zur Entschädigung des Angeklagten hat das [X.] zu entscheiden.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten vom [X.] der - teils gewerbsmäßigen - Fälschung von Schecks u.a. in mehreren Fällen freigesprochen und ihm eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft zuerkannt. Die Staatsanwaltschaft greift mit der Revision den Freispruch an und wendet sich zugleich mit der sofortigen [X.]eschwerde gegen die Entschädigungsentscheidung der [X.]. Die vom [X.] vertretene Revision ist mangels rechtzeitiger Rechtsmittelbegründung nicht zulässig.

I.

2

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, da bei Eingang der [X.] der [X.]eschwerdeführerin beim [X.] am 26. April 2012 die [X.] des § 345 Abs. 1 [X.] bereits abgelaufen war. Die am 3. Februar 2012 bewirkte Zustellung des angefochtenen Urteils an die Staatsanwaltschaft war wirksam mit der Folge, dass die hierdurch gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 [X.] in Lauf gesetzte [X.] unter [X.]erücksichtigung des § 43 Abs. 2 [X.] mit Ablauf des 5. März 2012 endete.

3

1. Der Zustellung liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:

4

Die vom Vorsitzenden und den jeweils zur Protokollierung herangezogenen Urkundsbeamten unterzeichnete Sitzungsniederschrift wurde ausweislich des in das [X.] vom letzten Hauptverhandlungstag aufgenommenen Fertigstellungsvermerks am 21. Dezember 2011 fertiggestellt. Nachdem das schriftliche Urteil zu den Akten gelangt war, wurden die Verfahrensakten auf Anordnung des Vorsitzenden zum Zwecke der Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft übersandt, bei der sie am 3. Februar 2012 eingingen. Zu diesem Zeitpunkt war das [X.] des letzten [X.] nicht in die Verfahrensakten eingeheftet. Mit Verfügung vom 22. Februar 2012 schickte die Staatsanwaltschaft die Verfahrensakten unter Hinweis auf das fehlende [X.] und die sich ihrer Auffassung nach daraus ergebende Unwirksamkeit der Zustellung an das [X.] zurück und bat darum, das Urteil nach Fertigstellung des Protokolls erneut zuzustellen. Im Zuge der anschließenden Nachforschungen der [X.]geschäftsstelle wurde das [X.] vom letzten Hauptverhandlungstag im [X.] zur Akte, das dem Rechtspfleger des [X.]s zur Kostenbearbeitung vorlag, aufgefunden und nunmehr in die Verfahrensakten eingeheftet, die sodann formlos der Staatsanwaltschaft zugeleitet wurden und ihr am 1. März 2012 wieder vorlagen. Mit Verfügungen vom 2. und 16. März 2012 ersuchte die Staatsanwaltschaft jeweils unter Übersendung der Akten um nochmalige Zustellung des Urteils. Der Vorsitzende der [X.] ordnete schließlich am 22. März 2012 die neuerliche Zustellung des Urteils an, die durch Zuleitung der Verfahrensakten an die Staatsanwaltschaft am 26. März 2012 bewirkt wurde. Am 26. April 2012 ging die [X.] der Staatsanwaltschaft beim [X.] ein.

5

2. [X.] an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012 war entgegen der Ansicht der [X.]eschwerdeführerin nicht wegen Verstoßes gegen § 273 Abs. 4 [X.] unwirksam.

6

a) Nach § 273 Abs. 4 [X.] darf das Urteil nicht zugestellt werden, bevor das Protokoll fertiggestellt ist. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass mit dem Protokoll schon zu [X.]eginn der regelmäßig mit der Urteilszustellung in Lauf gesetzten [X.] eine abgeschlossene Grundlage für die Entscheidung über die Anbringung von Verfahrensrügen vorliegt, die dem [X.] während der gesamten [X.] zur Einsichtnahme offensteht (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 3. Januar 1991 - 3 [X.], [X.]St 37, 287, 288; vom 24. Oktober 2001 - 1 [X.], [X.], 160, 161; vom 17. Juli 1991 - 3 StR 4/91, [X.], 502 f.; Entwurf der [X.]undesregierung zum [X.] 1964, [X.]. 9/62, [X.]). § 273 Abs. 4 [X.] ist eine zwingende Verfahrensvorschrift, deren Verletzung zur Unwirksamkeit der Zustellung führt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 16. Dezember 1976 - 4 [X.], [X.]St 27, 80 f.; [X.] in Löwe/ [X.], [X.], 26. Aufl., § 273 Rn. 65 mwN; [X.]. 9/62 aaO). Gemäß § 271 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden und den mit der Protokollierung befassten Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben. Die Fertigstellung des Protokolls erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des [X.] zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der für die [X.]eurkundung des gesamten [X.] erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 23. April 2007 - [X.], [X.]St 51, 298, 317; vom 4. Oktober 1991 - 1 StR 396/91, [X.]R [X.] § 271 Protokoll 1; vom 9. April 1991 - 4 StR 158/91, bei [X.], NStZ 1992, 29; vom 11. Juli 1990 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 145a Unterrichtung 1; vom 3. Januar 1991 - 3 [X.] aaO; vom 7. Oktober 1983 - 3 StR 358/83, [X.], 89; vom 15. September 1969 - [X.] ([X.]) 2/69, [X.]St 23, 115, 117; vgl. auch [X.]. 9/62 aaO). Wie sich hier aus dem in das [X.] vom letzten Hauptverhandlungstag aufgenommenen Fertigstellungsvermerk ergibt, war die Sitzungsniederschrift mit den Unterschriften des Vorsitzenden und der jeweils zur Protokollierung herangezogenen Urkundsbeamten bereits am 21. Dezember 2011, mithin vor der Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012, fertiggestellt.

7

b) Die Wirksamkeit der Urteilszustellung wird durch das zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht erfolgte Einheften des letzten [X.]s in die Verfahrensakten nicht in Frage gestellt. Weder für die Fertigstellung des Protokolls gemäß § 271 Abs. 1 [X.] noch für die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils nach § 273 Abs. 4 [X.] ist es erforderlich, dass die von den Urkundspersonen unterschriebene Niederschrift in tatsächlicher Hinsicht zur Akte genommen wird. [X.]eide [X.]estimmungen enthalten bezüglich des Protokolls keine mit der für das schriftliche Urteil geltenden Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 1 [X.] vergleichbare Regelung, sondern stellen ihrem Wortlaut nach bei der Fertigstellung des Protokolls allein auf die nach § 271 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlichen  Unterschriften der Urkundspersonen und für die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils ausschließlich auf die Fertigstellung des Protokolls ab (vgl. [X.],  [X.]eschluss vom 23. April 2007 - [X.] aaO). Für die alleinige Maßgeblichkeit der Unterschriften für die Fertigstellung des Protokolls spricht zudem der systematische Zusammenhang, in welchem die in § 271 Abs. 1 Satz 1 und 2 [X.] getroffenen Regelungen stehen. Der im Gesetz vorgesehene Vermerk über den Tag der Fertigstellung dient der [X.]eurkundung des Fertigstellungszeitpunkts und soll eine spätere Prüfung der Wirksamkeit der Zustellung und damit regelmäßig des Laufs der [X.] ermöglichen (vgl. [X.]. 9/62 aaO). Da er nach der Regelung des § 271 Abs. 1 Satz 2 [X.] in das Protokoll selbst aufgenommen werden soll, kann er sich sinnvollerweise nur auf die gemäß § 271 Abs. 1 Satz 1 [X.] erforderlichen Unterschriften der  Urkundspersonen, nicht aber auf nachfolgende Geschehnisse im Laufe des weiteren Geschäftsgangs beziehen. Auch der Gesetzeszweck des § 273 Abs. 4 [X.] gebietet es nicht, die Wirksamkeit der Urteilszustellung von einem Einheften der Niederschrift in die Verfahrensakten abhängig zu machen. Denn mit der Fertigstellung des Protokolls wird die Niederschrift, ohne dass es auf eine äußerliche Verbindung mit den Verfahrensakten ankommt, zum [X.]estandteil der Akten und unterliegt dem Akteneinsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 29. Oktober 1980 - St[X.] 43/80, [X.]St 29, 394; Urteil vom 15. April 1975 - 5 StR 508/74, bei [X.], [X.] 1975, 725). Sie steht damit als Grundlage für die Revisionsbegründung uneingeschränkt zur Einsichtnahme zur Verfügung. Schließlich ist selbst zu § 275 Abs. 1 Satz 1 [X.], der für das schriftliche Urteil das [X.]ringen zur Akte ausdrücklich vorschreibt, in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift nicht verlangt, dass das Urteil in tatsächlicher Hinsicht in die [X.] eingelegt werden muss. Es genügt vielmehr, dass es fristgerecht auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht wird (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 9. November 2006 - 1 [X.], [X.], 53; vom 4. Oktober 1989 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 275 Abs. 1 Satz 1 Akten 1; [X.] in Löwe/[X.], aaO, § 275 Rn. 6 mwN).

8

c) Durch die von der [X.]eschwerdeführerin angeführte Entscheidung des [X.] vom 7. Oktober 1983 - 3 StR 358/83 ([X.], 89) ist der Senat nicht gehindert, wie dargelegt zu entscheiden. Es ist schon zweifelhaft, ob dem genannten [X.]eschluss des [X.] überhaupt eine abweichende Rechtsansicht zu entnehmen ist, weil die Frage, ob die Fertigstellung des Protokolls eine äußerliche Verbindung der Niederschrift mit den Akten voraussetzt, für den damals zu entscheidenden Fall ersichtlich keine Rolle spielte. Jedenfalls wäre eine möglicherweise abweichende Rechtsauffassung für die Entscheidung des [X.] nicht tragend gewesen und damit für den Senat nicht bindend.

9

3. Durch die wirksame erste Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012 wurde nach § 345 Abs. 1 Satz 2 [X.] die Frist zur [X.]egründung der Revision in Lauf gesetzt, die unter [X.]erücksichtigung des § 43 Abs. 2 [X.] mit Ablauf des 5. März 2012 endete. Die weitere am 22. März 2012 angeordnete Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft war demgegenüber für das Revisionsverfahren ohne [X.]edeutung (vgl. [X.], Urteil vom 27. Oktober 1977 - 4 [X.], NJW 1978, 60; [X.], [X.], 55. Aufl., § 37 Rn. 29). Der Eingang der [X.] der Staatsanwaltschaft beim [X.] am 26. April 2012 erfolgte daher verspätet.

Für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte [X.] bezüglich der verfristet erhobenen Verfahrensrüge von Amts wegen besteht keine Veranlassung, weil das vollständige Protokoll der Staatsanwaltschaft noch innerhalb der laufenden [X.] vorlag, so dass nach Aktenlage nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Staatsanwaltschaft ohne Verschulden an der rechtzeitigen Anbringung der Verfahrensbeanstandung gehindert war.

II.

Das Revisionsgericht ist für die Entscheidung über die sofortige [X.]eschwerde gegen die Entschädigungsentscheidung der [X.] im Urteil gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 3 [X.] nur dann zuständig, wenn es zugleich über eine vom [X.]eschwerdeführer eingelegte Revision in der Sache zu befinden hat, weil nur in diesem Fall der erforderliche enge Zusammenhang zwischen den Rechtsmitteln besteht (vgl. [X.], [X.]eschlüsse vom 9. Mai 2012 - 4 StR 649/11; vom 25. November 2008 - 4 [X.], [X.], 96). Diese Voraussetzung ist wegen der Unzulässigkeit der Revision der Staatsanwaltschaft nicht gegeben.

Mutzbauer                           Roggenbuck                        Cierniak

                      [X.]ender                                 [X.]

Meta

4 StR 246/12

13.02.2013

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 21. Dezember 2011, Az: 27 KLs 19/11

§ 271 Abs 1 S 1 StPO, § 273 Abs 4 StPO, § 275 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.02.2013, Az. 4 StR 246/12 (REWIS RS 2013, 8226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8226

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Referenzen
Wird zitiert von

StB 6/23, StB 7/23, StB 6/23 + StB 7/23

4 StR 246/12

5 StR 439/20

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