Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2006, Az. 1 StR 466/05

1. Strafsenat | REWIS RS 2006, 2106

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[X.]BESCHLUSS 1 [X.] vom 23. August 2006 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung hier: Vorlage an den [X.] gemäß § 132 Abs. 2 und 4 [X.] - 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 23. August 2006 beschlos-sen: Dem [X.] wird gemäß § 132 Abs. 2 und 4 [X.] folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Ist die Beweiskraft (§ 274 [X.]) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund [X.] hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Ange-klagten die maßgebliche Tatsachengrundlage entfällt? Gründe: [X.] Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten ver-urteilt. Nach den Feststellungen des [X.] schlug der Angeklagte [X.] eines Streits über die Abgrenzung reservierter Sitzbereiche in einem Ok-toberfestzelt dem Geschädigten [X.]
mit einem 1,3 Kilogramm schweren [X.] Bierkrug zweimal wuchtig auf den [X.] und einmal in den Bereich des [X.]. Der Geschädigte wurde erheblich verletzt. Die Schläge waren darüber hinaus geeignet, das Leben des Geschädigten in Gefahr zu bringen. 1 - 3 - Die Revision rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt eine Formalrüge. 2 Der [X.] möchte die Revision des Angeklagten verwerfen, sieht sich daran jedoch - was die Verfahrensrüge anbelangt - durch die Rechtsprechung des 4. und insbesondere des 5. Strafsenats gehindert. 3 I[X.] 1. Die Revision rügt mit ihrer am 5. Juli 2005 beim Landgericht einge-gangenen Revisionsbegründung die Nichtverlesung des [X.]es als [X.] gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.]. 4 Die fertig gestellte Sitzungsniederschrift enthielt zunächst keinen Hinweis auf die Verlesung des [X.]es. Unter dem 18. August 2005 ergänzten der Strafkammervorsitzende und die Urkundsbeamtin die Sitzungsniederschrift hinsichtlich des ersten Verhandlungstages in einer eigenen Niederschrift dahin-gehend, dass nach den Worten —Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die Staatsanwaltschaft [X.] gegen den Angeklagten am [X.] Anklage zum Schwurgericht des LG [X.] erhoben hat, die mit Eröffnungsbe-schluss der Kammer vom [X.] unverändert zur Hauptverhandlung zugelas-sen [X.] der Satz angefügt wird: —Der Vertreter der Staatsanwaltschaft [X.] den [X.] 5 Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerungen von Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass der [X.] in Wirklichkeit verlesen wurde. Er löste, wie sich der [X.] der Staatsanwaltschaft erinnerte, Unmutsäußerungen im Publikum aus, da die Anklage auf den Vorwurf des versuchten Tot[X.] 6 - 4 - gerichtet war. Selbst der Verteidiger in der Hauptverhandlung, der die Revision nicht selbst begründet hat, stellt in seiner Stellungnahme die Verlesung nicht in Abrede, wenn er schreibt: —An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich [X.] nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich [X.] hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgrund dieses [X.] erscheint es [X.] aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der [X.] zutreffend ist.fi [X.] verwies auf einen bei der Fertigung der [X.] übersehenen Übertragungsfehler aus der teilweise stenogra-fischen Aufzeichnung während der Hauptverhandlung, in der der Hinweis auf die Verlesung des [X.]es noch enthalten war. Das entsprechende Blatt der vorläufigen Aufzeichnungen hatte die Protokollführerin ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt. 2. Nach der bisherigen, ständigen Rechtsprechung des [X.] (seit [X.]St 2, 125, 126, zur Entwicklung der Rechtsprechung vgl. unten) muss die Protokollberichtigung unberücksichtigt bleiben, da sie der Revisions-begründung des Angeklagten zu dessen Nachteil die Tatsachengrundlage ent-zieht. 7 [X.]enso wenig können nach der Rechtsprechung des [X.] übereinstimmende Erklärungen der [X.] den Inhalt des [X.] in Einzelpunkten zum Nachteil des Angeklagten in Frage stellen ([X.]St 8, 283; 10, 342, 343; 13, 53, 59; 22, 278, 280; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 3, 6, 8, 11; [X.], 375; 1986, 39, 40; 1992, 49; 1993, 94; 2000, 214; 2003, 218; 2005, 281, 282; [X.], 287, 288; 2002, 183; 2002, 530; 2004, 297; [X.], Beschluss vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; Beschluss vom 8 - 5 - 11. August 2004 - 3 [X.]/04 -). Sie dürfen nicht einmal zur Auslegung [X.] Formulierungen im Protokoll herangezogen werden ([X.]St 13, 53, 59). Ob - und in welchen Fallkonstellationen - distanzierende Erklärungen der - oder einer der - [X.] dem Protokoll generell die formelle [X.] entziehen und damit grundsätzlich den Weg zum Freibeweisverfahren er-öffnen ([X.]St 4, 364, 365; [X.] in [X.] Kommentar zur [X.] 5. Aufl. § 274 [X.]. 6) oder nicht ([X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 3; [X.] NStZ 2005, 281, 282), kann hier dahinstehen (vgl. [X.]R [X.] Beweiskraft 13; offen gelassen in [X.] NStZ 2002, 270, 272; soweit sie zugunsten des Angeklagten wirken vgl. [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 8, 28; [X.] NStZ 1988, 85; Gollwit-zer in Löwe/[X.], [X.]. § 274 [X.]. 27 m.w.[X.]). Die Voraussetzungen für eine Ergänzung des Protokolls im Freibeweis-verfahren liegen auch sonst nicht vor. Die - noch nicht ergänzte - Sitzungsnie-derschrift ist eindeutig, sie leidet - für sich betrachtet - nicht an offensichtlichen Mängeln, ist weder unklar, erkennbar lückenhaft oder widersprüchlich (zum Wegfall der Beweiskraft bei entsprechenden Mängeln vgl. [X.], 408, 410; [X.]St 16, 306, 308; 17, 220, 221; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 12, 16, 24, 25, 27; [X.] NJW 1976, 977; [X.], 49; bei [X.] NStZ-RR 2000, 293; [X.], 639; 2004, 297; [X.] 1961, 508; [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 274 [X.]. 23 ff.). 9 Gemäß der - negativen - Beweiskraft (§ 274 [X.]) des Protokolls in [X.] ursprünglichen, unvollständigen Fassung stünde im vorliegenden Fall der Rechtsverstoß somit fest. 10 Der [X.] vermag in einem Fall wie dem vorliegenden auch nicht [X.], dass das Urteil auf dem Rechtsverstoß, der Nichtverlesung des An-klagesatzes beruht (zur Bedeutung der Verlesung des [X.]es vgl. G. 11 - 6 - [X.], Gedanken zur Beweiskraft des tatrichterlichen Protokolls unter beson-derer Berücksichtigung der Rechtsprechung des [X.], in Fest-schrift aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens von [X.], [X.] und Rechtsanwaltschaft beim [X.], Seite 707, 724). 3. Der [X.] ist allerdings der Ansicht, dass - entgegen der bisherigen Rechtsprechung des [X.] - die formelle Beweiskraft des Proto-kolls gemäß § 274 [X.] auch hinsichtlich eines berichtigten Protokolls unein-geschränkt gilt, also auch dann, wenn einer zuvor vom Angeklagten erhobenen Rüge der Boden entzogen wird. 12 II[X.] Die Strafprozessordnung besagt weder in den §§ 271 bis 274 [X.] noch an anderer Stelle etwas zur Zulässigkeit der Protokollberichtigung (im Gegen-satz zu § 164 ZPO) oder zur - relativen - Unbeachtlichkeit der Beweiskraft einer Protokollberichtigung für das Revisionsgericht. 13 a) Die Zulässigkeit der - unbefristeten - Protokollberichtigung wurde im Grundsatz vom [X.] (noch offen gelassen in [X.], 76, 77) alsbald anerkannt: —Denn im allgemeinen wird es als eine Berufspflicht des [X.] anzusehen sein, Fehler der Beurkundung, von denen er sich nachträg-lich überzeugt hat, behufs der Verhütung von Rechtsverletzungen zur Anzeige zu bringen. Der Berücksichtigung einer solchen Anzeige, welche ein Audienz-protokoll betrifft, steht die Vorschrift in § 274 [X.], welche gegen den die [X.] betreffenden Inhalt des Protokolls nur den Nachweis der Fälschung 14 - 7 - zulässt, nach Ansicht des [X.]s nicht entgegen. Denn diese Vorschrift schließt gegenüber den [X.] nur den Gegenbeweis aus; eine Berichtigung oder Ergänzung des [X.] durch übereinstim-mende Erklärung des Vorsitzenden und des [X.] enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entzieht derselben, soweit der Widerruf reicht, die Beweiskraft, sodass es eines Gegenbeweises nicht mehr [X.] ([X.], 367, 370; entspr. [X.], 394, 396). —Dass ein Protokoll von den [X.] berichtigt (ergänzt) werden kann, ist unbestritten. Es muss sogar als Pflicht der Urkundsbeamten bezeichnet werden, erkannte [X.] der Beurkundung richtig zu stellen, um mögliche Rechtsnachteile Dritter zu [X.] ([X.] 1, 277, 278). Davon geht auch der [X.] in ständiger Rechtsprechung aus (seit [X.]St 1, 259 und [X.]St 2, 125; 10, 145). b) Der Grundsatz, dass eine Protokollberichtigung einer zugunsten des Angeklagten erhobenen [X.] nicht den Boden entziehen darf (—[X.]), findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der [X.] Obergerichte (vgl. [X.], 1, 10) - schon zu Beginn der [X.] ([X.], 76, 77 f.) und blieb ständige Rechtsprechung des [X.] bis zum Beschluss des [X.] vom 11. Juli 1936 ([X.], 241). Auch wenn diese Entscheidung sachliche Abwä-gungen enthält, darf sie nach Auffassung des [X.]s allerdings im Hinblick auf andere, im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen keine weitere Beachtung mehr finden. Grundlegend war der Beschluss der Vereinigten Strafsenate des [X.] vom 13. Oktober 1909 ([X.], 1). Dieser Rechtsprechung (vgl. auch [X.], 29; 59, 429, 431) folgten dann nach [X.] verschiedene Obergerichte (vgl. Oberster Gerichtshof für die Britische Zone, [X.] 1, 277, 279 m.w.[X.]) und schließlich der [X.] (vgl. [X.]St 2, 125; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 11, 13; [X.] NStZ 1984, 521; 15 - 8 - 1995, 200, 201; [X.], 183; [X.], 281). Der Grundsatz, wonach eine Protokollberichtigung einer Verfahrensrüge des Angeklagten nicht die [X.] entziehen darf, wurde früher auch übertragen auf Änderungen in einem noch nicht fertig gestellten - noch nicht unterschriebenen - Protokoll, die nach [X.] der Revisionsbegründung am Protokollentwurf vorgenommen wurden ([X.]St 10, 145, 147 f.; 12, 270, 271 f.). Nach Einführung des § 273 Abs. 4 [X.] (Urteilszustellung erst nach [X.]) durch das [X.] 1984 ist das nicht mehr relevant ([X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 26). In diesen Fällen, in denen die Protokollberichtigung für das [X.] nicht beachtlich ist, führt das dazu, dass Sachverhalte, die aufgrund der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermu-tet werden, der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen ([X.], 1, 6; [X.]St 26, 281, 283; 36, 354, 358). Abzustellen ist in diesen Fällen somit auf einen fiktiven Sachverhalt. 16 Anfänglich stellte sich noch die Frage, ob das Verbot, einer zugunsten des Angeklagten erhobenen Rüge die Grundlage zu entziehen, schon eine Pro-tokollberichtigung verbietet. So zu Beginn noch das [X.] ([X.], 76; 21, 323, 324). Später wird nicht mehr klar unterschieden, verwischt sich die Terminologie, auch in den grundlegenden Entscheidungen [X.], 1 und [X.]St 2, 125 (vgl. auch [X.], 429, 431). Dort wird zwar in den Leitsätzen auf die Nichtberücksichtigung einer Berichtigung abgestellt, während in den Be-gründungen von der Unzulässigkeit bereits der Protokollberichtigung die Rede ist ([X.], 1, 6; [X.]St 2, 125, 127 f.). Heute ist anerkannt, dass das Proto-koll auch in diesen Fällen - sofern die [X.] übereinstimmend einen Fehler erkannt haben - zu berichtigen ist (vgl. [X.]St 10, 342, 343; 12, 270, 271 f.; 34, 11; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 8, 13; [X.] [X.], 281; [X.] NStZ 1992, 49; so auch schon [X.] 1, 277, 278). Denn der Sitzungsniederschrift 17 - 9 - kann über das Revisionsverfahren hinaus Bedeutung zukommen (etwa in ei-nem Strafverfahren zur Frage, ob eine Vereidigung stattgefunden hat oder nicht), wenn auch nicht mit der formellen Beweiskraft des § 274 [X.]. Eine Protokollberichtigung ist immer zu berücksichtigen, wenn sie zu-gunsten des Angeklagten wirkt ([X.]St 1, 259, 261 f.) oder wenn sie - bei ei-nem einheitlichen Vorgang - teilweise zugunsten, teilweise zu Ungunsten einer Rüge vorgenommen worden ist ([X.], 29; [X.] aaO). [X.]liche Grenzen für die Protokollberichtigung gibt es nicht. 18 c) Folgende Argumente werden für die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer Rüge nicht den Boden zum Nachteil des Angeklag-ten entziehen darf, vorgetragen: 19 - Mit dem Eingang der [X.] erwerbe der Beschwerdeführer ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu erzwingen ([X.]St 2, 125, 126; [X.], 1, 9; 59, 429, 431). Da der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der vorliegenden Form verwerten dürfe, [X.] ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen Änderungen zu seinen Lasten zu widersetzen ([X.] 1, 277, 280), müsse er ge-gen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokoll-berichtigung gesichert sein ([X.]St 2, 125, 127). - Der Gesetzgeber habe mit § 274 [X.] eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit ein-räume ([X.]St 2, 125, 128; 26, 281, 283; [X.] in [X.] 10 - schrift für [X.], 603 f.). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer prozessrechtlich zulässigen Be-fugnis zu wahrheitswidrigen Zwecken gesehen und in Kauf ge-nommen ([X.], 1, 6; [X.] 1, 277, 282). Die Neugestaltung des § 274 [X.] sei eine Sache des Gesetzgebers ([X.], [X.] vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01 -; [X.] 1, 277, 280). - Mit zunehmender [X.] lasse das Erinnerungsvermögen (der Ur-kundspersonen) nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen sei nicht auszuschließen ([X.], 1, 5; [X.] 1, 277, 281; [X.]St 2, 125, 128; [X.][X.], [X.] 2006, 166, Anmerkung zum An-fragebeschluss des [X.]s vom 12. Januar 2006 - 1 [X.] -, [X.] 2006, 162). - Bei uneingeschränkter Berücksichtigung nachträglicher [X.] bestehe die Gefahr, dass die Sitzungsniederschrift nicht mehr mit äußerster Sorgfalt abgefasst wird. d) Die Rechtsprechung, wonach eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge des Angeklagten nicht zu seinen Ungunsten die Grundlage entziehen darf, fand auch Kritik. 20 Anders als das [X.] judizierte schon das Reichsmilitärgericht ([X.] 9, 35 - Urteil vom 24. Juni 1905 -; entsprechend [X.] 15, 282). Der Auf-fassung des [X.] wollte sich der I[X.] Strafsenat des Reichsge-richts anschließen. Dies führte zu der oben genannten Entscheidung der Verei-nigten [X.]e vom 13. Oktober 1909 ([X.], 1), die allerdings die bisherige Rechtsprechung des [X.] festschrieb. [X.] [X.] kritisierte dies und äußerte seinerzeit die Hoffnung, im —wissenschaftlichen Kampf zwischen [X.] und [X.] werde es im Laufe der [X.] gelingen, die 21 - 11 - Auffassung des [X.] zu ändern (vgl. [X.], Rechtsprechung des [X.] vom 6. Oktober 1902 bis 19. April 1912, in der [X.]schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Band 38, 1917, Seite 612, 632 ff.). Auch in der Rechtsprechung des [X.] finden sich Vorbe-halte: 22 Ob eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die [X.] entziehen darf, wird vom [X.] offen gelassen in [X.] NJW 1982, 1057, sowie vom 5. Strafsenat in [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 22 (Berichtigung des Namens einer Dolmetscherin bei offensichtlicher Namensverwechslung ist zu-lässig; vgl. auch [X.] NStZ-RR 1997, 73). Kritisch der 2. Strafsenat in [X.]St 36, 354, 358: —Sachverhalte, die auf Grund der formellen Beweiskraft der [X.] unwiderlegbar zu vermuten sind, brauchen der wahren Sachlage nicht zu entsprechen (vgl. [X.], 1, 6; [X.]St 26, 281, 283). Das ist eine bedenkliche Konsequenz der Vorschrift des § 274 [X.], von der [X.]. [X.] (Lehrkomm. [X.] II § 188 [X.]. 13) sagt, sie sei ‡ziemlich außergewöhn-lich™. – Die Regelung, die § 274 trifft, beruht allein auf pragmatischen Erwä-gungen ... . Diese Erwägungen widerstreiten dem grundsätzlich auch für das Revisionsgericht geltenden Gebot, die wahre Sachlage zu erforschen, wenn prozessual erheblich Tatsachen (von Amts wegen oder wenn sie Gegenstand einer Verfahrensrüge sind) der Klärung bedürfenfi. 23 Zuletzt sprachen sich definitiv - in obiter dicta - für eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz [X.] der 2. Strafsenat ([X.] NStZ 2005, 281, 282 - nach Zweifeln in [X.] NStZ 2002, 270, 272 und [X.] NJW 2001, 3794, 3796), und der 1. Strafsenat (Beschluss vom 13. Oktober 2005 - 1 [X.]). Der 3. Strafsenat ließ dies im Beschluss vom 27. Juni 2006 (3 [X.]) noch offen. 24 - 12 - In der Literatur äußerte sich zuletzt kritisch [X.], aaO; so auch Detter, [X.] und die Wahrheitspflicht der [X.], StraFo 2004, 329, und nun Lampe NStZ 2006, 366, Unzulässigkeit der "Rügeverkümmerung"?. Demgegenüber streiten für die bisherige Recht-sprechung: [X.] aaO und [X.][X.], [X.] 2006, 166. 25 IV. Der [X.] ist unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung ([X.] NStZ 1984, 521 - 1 StR 344/84 -; [X.]St 34, 11, 12 - 1 StR 643/85 - nicht tra-gend -; [X.] NStZ 1995, 200, 201 - 1 StR 641/94 - nicht tragend) der [X.], dass die formelle Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 [X.] unein-geschränkt gilt, auch dann, wenn eine Protokollberichtigung einer bereits erho-benen Rüge zum Nachteil des Angeklagten die Tatsachengrundlage entzieht. 26 Dem stand bislang jedenfalls folgende Rechtsprechung - soweit ersicht-lich - der anderen [X.]e entgegen: 27 2. Strafsenat: [X.]St 10, 145, 147 (2 StR 34/57); 28 3. Strafsenat: [X.]St 2, 125 (3 [X.]); [X.] [X.], 281 (3 StR 1069/51); [X.], Urteil vom 9. Januar 1985 - 3 [X.]; [X.] NStE Nr. 7 zu § 344 [X.] (3 StR 63/88); [X.] [X.], 183 (3 [X.]); [X.] 1, 259 (3 StR 106/51 - nicht tragend); [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 11 (3 StR 338/91 - nicht tragend), 13 (3 [X.] - nicht tragend); 29 4. Strafsenat: [X.]St 12, 270 (4 StR 408/58 - nicht tragend); [X.] NStZ 2002, 219 (4 StR 249/01 - wohl [X.] - nicht tragend); Urteil vom 21. [X.] 1966 - 4 [X.] - (nicht tragend); 30 - 13 - 5. Strafsenat: [X.]St 10, 342, 343 (5 StR 197/57); [X.] NStZ 1993, 51, 52 (5 [X.] - wohl [X.] - nicht tragend -); Beschluss vom [X.] 2003 - 5 [X.] ([X.] - nicht tragend - [insoweit nicht abge-druckt in [X.], 451]). 31 Mit Beschluss vom 12. Januar 2006 - 1 [X.] - (NStZ-RR 2006, 112) hat der [X.] bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 [X.] angefragt, ob an dem oben aufgestellten Rechtssatz entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. 32 Der 2. Strafsenat (Beschluss vom 31. Mai 2006 in Verbindung mit [X.] vom 3. Juli 2006 - 2 [X.] -) und der 3. Strafsenat (Beschluss vom 22. Februar 2006 - 3 [X.] 1/06 -) haben der hier vertretenen Rechtsansicht un-ter Aufgabe entgegenstehender Rechtsprechung zugestimmt. Der 4. Strafsenat (Beschluss vom 3. Mai 2006 - 4 [X.] 3/06 -) und der 5. Strafsenat (Beschluss vom 9. Mai 2006 - 5 [X.]) halten an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, wonach eine Protokollberichtigung, durch die einer zulässigen Verfahrens-rüge zum Nachteil des Beschwerdeführers die Tatsachengrundlage entzogen würde, bei der Revisionsentscheidung nicht berücksichtigt werden darf. 33 V. Ausgangspunkt für die Vorlage des [X.]s an den [X.] des [X.]s ist Folgendes: 34 Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet. Das bedeutet, dass bei der Beurteilung von Verfahrensverstößen der wahre Sachverhalt zugrunde zu legen ist. Dies hält der [X.] für entscheidend. 35 Die Verpflichtung zur Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffenden Sachverhalts erhält inzwischen dadurch zusätzliches Gewicht, dass das [X.] - 14 - desverfassungsgericht in letzter [X.] mehrfach die Auffassung vertreten hat, die durch eine Revisionsentscheidung bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Überlänge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines of-fensichtlich der Justiz anzulastenden Verfahrensfehlers gedient hat ([X.] - Kammer - NJW 2003, 2897, 2898; [X.]K 2, 239, 251 und zuletzt [X.] - Kammer - NJW 2006, 672, 673). Auch der [X.] geht für den Fall der Aufhebung eines Urteils wegen eines der Jus-tiz anzulastenden Verfahrensfehlers von einer Einbeziehung des infolge der Durchführung des Revisionsverfahrens verstrichenen [X.]raums aus (vgl. [X.], 2856, 2857 Abs. 41). Vor diesem Hintergrund der Wahrheitspflicht verstärkt durch das Verbot der - u.U. im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unangemessenen (abzustel-len ist auf das [X.]) - Verfahrensverzögerung und des Gebots der Beschleunigung des Verfahrens insbesondere in Haftsachen ist es nicht mehr akzeptabel, Urteile aufgrund eines fiktiven Sachverhalts wegen eines [X.] aufzuheben, der nach dem Inhalt des - berichtigten - Protokolls tat-sächlich nicht vorliegt. 37 Demgegenüber sind die für die bisherige, letztlich von einem - nach [X.] des [X.]s nicht gerechtfertigten - Misstrauen in die Redlichkeit der Ur-kundspersonen getragenen Rechtsprechung vorgebrachten Gründe nicht ge-nügend tragfähig. 38 Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Nichtberücksichtigung einer Protokollbe-richtigung begründet, findet im Gesetz keine Stütze. —Ein prozessuales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas 39 - 15 - Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es [X.] (so schon [X.] 9, 35, 42). Der [X.] kann zwar die Berichtigung eines Protokolls nicht erzwin-gen. Er kann eine Änderung aber anregen. [X.] sich dies mit der Erinnerung der [X.], wobei diese zur Unterstützung der Erinnerung auch auf Aufzeichnungen anderer zurückgreifen dürfen, wird dies zur [X.] führen, auch zugunsten des Angeklagten zur Untermauerung einer sonst aussichtslosen Verfahrensrüge (vgl. [X.] StV 1988, 45). - Der Grundsatz, wonach einer erhobenen Verfahrensrüge durch eine Pro-tokollberichtigung nicht die Grundlage zum Nachteil des Angeklagten entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung und kann durch Rechtsprechung geändert werden, eines Gesetzes bedarf es nicht. Dem vor einer Neuausrichtung einer Rechtsprechung in Betracht zu ziehen-den Wert der Beständigkeit der Rechtsordnung kommt hier kein Gewicht zu, da sich an der Pflicht der Instanzgerichte, dem tatsächlichen Ablauf entsprechende Protokolle zu fertigen, nichts ändert. Es geht um eine prozessrechtliche Frage, nicht um die Auslegung materiellen Rechts. - Berichtigung setzt bei beiden [X.] sichere Erinnerung [X.]. Ist diese nicht vorhanden, dann kann das Protokoll nicht (mehr) be-richtigt werden. Ein Argument gegen die Berücksichtigung einer Berichti-gung durch das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinne-rung nicht. Häufig kann eine Urkundsperson auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie im vorliegenden Fall auf die unmittelbar während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die Grundlage der Sitzungsniederschrift waren. Schließlich stammt der [X.] auf die nachlassende Erinnerungskraft aus einer [X.], als es die Vorschrift über die Urteilsabsetzungsfristen (§ 275 Abs. 1 [X.]) noch nicht gab. - 16 - - Die Ausweitung der Rechtsprechung zum Wegfall der formellen [X.] wegen erkennbarer Mängel des Protokolls, wie Lücken und Wider-sprüchen, hatte keine Auswirkungen auf die Sorgfalt bei der [X.]. Die Qualität der Sitzungsniederschriften schwankt von Gericht zu Gericht, mit der Rechtsprechung zum Umfang der Beweiskraft nach § 274 [X.] hat das nichts zu tun. Einer [X.], um die [X.] zum Einhalten der Vorschriften zu veranlassen (vgl. [X.] 1997, 471, 474), bedarf es nicht. Es ist nicht Aufgabe des [X.], den Tatrichter zu maßregeln ([X.] StV 2004, 196). Die Berücksichtigung jeder Protokollberichtigung durch das [X.] könnte auch der Ausweitung der Rechtsprechung zur [X.] des Protokolls (vgl. etwa [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 25, 27; [X.] NStZ 2002, 270, mit kritischer Anmerkung Fezer, 272, kritischer Anmerkung Köberer in [X.], 527; [X.], Beschluss vom 11. August 2004 - 3 [X.]/04; weitere Ent-scheidungen vgl. [X.]-Nack unter dem Registerstichwort: § 274 [X.] Freibe-weis) begegnen, eine Ausweitung zu der in der Literatur vorgebracht wird, die [X.]e suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbre-chung der formellen Beweiskraft des Protokolls (vgl. Detter, [X.] und die Wahrheitspflicht der Verfahrensbeteiligten, StraFo 2004, 329, 330); Park, [X.] und die Wahrheitspflicht der [X.], StraFo 2004, 335, 338, 340). Dementsprechend bedürfte es weniger Beweiserhebungen über den Ablauf des Verfahrens, die Rekonstrukti-on der Hauptverhandlung. 40 Soweit nunmehr [X.][X.] ([X.] 2006, 166) für einen "eng umrisse-nen Bereich" ein Freibeweisverfahren vorschlagen, merkt hierzu der [X.] in seinem ([X.] vom 31. Mai 2006 (2 [X.]) - aus Sicht des [X.]s zutreffend - an: —Die absolute Beweiskraft des Protokolls soll gerade 41 - 17 - beim Revisionsgericht das Freibeweisverfahren vermeiden. Vor allem aber ist der [X.] umrissene Bereich™, in dem ‡mit praktischer Gewissheit feststeht, dass das Protokoll in dem für die Rüge wesentlichen Bereich falsch sein muss™, weit-gehend konturlos; seine nähere Eingrenzung wäre [X.] und somit u.U. beliebigfi. [X.]enso wäre mit der Berücksichtung der - umfassenden - Protokollbe-richtigung durch das Revisionsgericht der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen Grenzen gesetzt (zum Diskussionsstand hierzu vgl. [X.], aaO; Detter StraFo 2004, 329, 334; Park StraFo 2004, 335, 337). Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfahrensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens und geäußerter Zwei-fel (vgl. [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 21, 22, 24) bis vor kurzem nie verneint (vgl. [X.], 1; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 21, 22, 27; [X.] NStZ 2002, 270, 272). Erst jetzt hat der 3. Strafsenat die wahrheitswidrige Behauptung ei-nes Verfahrensfehlers unter Berufung auf das insoweit fehlerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer sicher weiß, dass sich der Fehler unzweifelhaft nicht ereignet hat (Urteil vom [X.] 2006 - 3 [X.] -, laut Presseerklärung des [X.] vom selben Tag, die schriftlichen Urteilsgründe lagen zurzeit der Beschlussfassung noch nicht vor). Früher galt das Erheben einer - bewusst - unwahren Verfah-rensrüge (die Protokollrüge genügt bekanntlich nicht) - unabhängig von ihrer prozessualen Wirksamkeit - als standeswidrig (vgl. [X.], [X.], AnwBl. 1950/51, 90 ff.; —Der Rechtsanwalt hat hier wie überall nur dem Recht und der Wahrheit zu dienen. Es ist ihm nie erlaubt, zur Wahrheit in Widerspruch zu treten. Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist eine standes-rechtliche [X.] [S. 90]. —Der Zweck [Aufhebung eines Fehlurteils] heiligt auch hier nicht die [X.] [S. 91]. —– der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Grundsätze nicht anerkennt, muss mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen 42 - 18 - Verfahrens seitens des Generalstaatsanwalts rechnenfi [S. 92]), während es heute fast schon als anwaltlicher Kunstfehler gelten könnte, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass ein anderer [X.] die Revision begründet (vgl. hierzu m.w.[X.]: [X.] aaO, Seite 707, 726 f., zur Zulässigkeit der unwahren Verfahrensrüge kommt nunmehr - ge-stützt auf die Rechtsprechung des [X.] - auch das Handbuch des Strafverteidigers von [X.], von der 1. Auflage 1969, [X.]. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab 4. Auflage [X.] jun.] 2005, [X.]. 918, — – braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll ‡geschaffenen™ unverrückbaren Tatbestand als ‡Wahrheit™ auszugehenfi). Nur einen scheinba-ren Ausweg bietet jedoch die Beauftragung eines neuen Verteidigers für die Revisionsbegründung, der —dann vielleicht im Zustand der ‡Unberührtheit™ gehal-ten werden kannfi ([X.] aaO [X.]. 920), denn dieser hat sich grundsätzlich beim Instanzverteidiger über den Verfahrensablauf kundig zu machen (vgl. [X.] NStZ 2005, 283; die Verfassungsbeschwerde dagegen wurde nicht zur Entscheidung angenommen unter Hinweis auf den Grundsatz der Einheitlichkeit eines über mehrere Instanzen geführten Verfahrens [[X.] StraFo 2005, 512]). Auch diese Entwicklung spricht dafür, die Zurückhaltung bei der umfas-senden Berücksichtigung der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 [X.] aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung der [X.] einer bereits zugunsten des Angeklagten erhobenen Rüge die Tatsa-chengrundlage entzogen wird. Dies ist im Gegensatz zur Unzulässigkeit einer unwahren Verfahrensrüge der einzige zweifelsfrei mit der formellen Beweiskraft des Protokolls gemäß § 274 [X.] zu vereinbarende Weg, um einer derartigen Rüge den Erfolg zu verwehren (vgl. [X.] aaO 727). V[X.] - 19 - Zum Antwortbeschluss des 4. Strafsenats bemerkt der [X.]: 43 1. Die Auffassung des 4. Strafsenats zur Beruhensfrage teilt der [X.] nicht. 44 Mit der Frage, ob das Urteil im vorliegenden Fall auf der Nichtverlesung des [X.]es beruht (vgl. 4 [X.] 3/06 [X.]. 9), hat sich der [X.] ausei-nandergesetzt, dies aber im [X.] kurz gefasst (vgl. oben [X.]. 11) und sich zur Bedeutung des [X.]es auf die oben genannte Zitierung von [X.] beschränkt. Denn die Beurteilung der Beruhensfrage im Einzel-fall obliegt dem [X.]. Dessen Bewertung wird vom [X.] - jedenfalls bis zur Willkürgrenze - bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Anfrage zugrunde gelegt (vgl. [X.] in Löwe/[X.], 25. Aufl. [X.] § 132 [X.]. 42). 45 Nachdem die Beruhensfrage nun aber problematisiert wurde, hierzu [X.]: 46 - 20 - Die Verlesung des [X.]es ist wesentliches Verfahrenserfordernis und elementarer Teil der Hauptverhandlung, deren Unterlassung im [X.] schon deshalb die Revision begründet ([X.] NStZ 1986, 39 [40]). [X.] dient die Verlesung, auch wenn der Angeklagte den Inhalt der Anklage-schrift schon kennt - wovon jedenfalls beim verteidigten Angeklagten [X.] auszugehen ist - auch der Information [X.] und der Öffentlichkeit. Das Verlesen des [X.]es soll darüber hinaus dem Ange-klagten noch einmal den [X.] der Situation klar machen und ihm die Bedeu-tung der nachfolgenden Belehrung und Sachvernehmung vor Augen führen. Sie ist deshalb für sein weiteres Prozessverhalten von erheblichem Gewicht. In der Regel kann deshalb bei Nichtverlesung des [X.]es auch das Beruhen des Urteils hierauf nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. 47 Dies kann ebenso bei einfach gelagerten Sachverhalten gelten. Denn auch dann wird dem Angeklagten das vorgeworfene strafrechtlich relevante Geschehen durch den Vortrag des [X.]es nochmals plastisch vor [X.] geführt. Bei schwierigen Wirtschaftsstrafsachen, insbesondere bei Steuer-strafsachen, oder bei [X.] (Anlagebetrug, Betäubungsmitteldelikte, Einbrüche) mag der Informationswert des mündlichen Vortrags des Anklagesat-zes eher geringer sein. Es bleibt die oben genannte - unverzichtbare - Wirkung auf den Angeklagten, dem - zumal er selbst in diesen Fällen weiß, worum es in der Sache geht - der Eintritt in die entscheidende Phase des gesamten Verfah-rens nachdrücklich verdeutlicht wird. 48 Im Übrigen war der Sachverhalt des vorliegenden Falls auch nicht [X.] gelagert (vgl. [X.] NJW 1982, 1057), schon im Hinblick auf den äußeren Ablauf, aber auch hinsichtlich der Bewertung des Gefährdungspotentials der Tathandlung sowie der Verletzungen. Im [X.] wird dies komprimiert ü-ber zwei Seiten geschildert. Angeklagt worden war wegen versuchten [X.] - 21 - [X.] in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil einer weiteren Person - insoweit erfolgte dann keine Verurteilung. Die Hauptverhandlung erstreckte sich über fünf Tage auch unter Anhörung verschiedener Sachverständiger. Die oben genannte Rechtsprechung des [X.] zur Beru-hensfrage in diesem Zusammenhang, aber auch zur Unvollständigkeit des [X.] (vgl. dazu auch [X.]. 10 in der Stellungnahme des 4. Strafsenats - 4 [X.] 3/06 -, sowie [X.] NJW 2001, 3794 und die darin aufgelisteten Fälle) zeigt im Übrigen einen nicht ganz unbedenklichen Umgang mit dem Grundsatz der rela-tiven Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung. Auch dies war Anlass für den [X.], nunmehr eine Änderung der Rechtsprechung zum [X.] Berichtigung der Sitzungsniederschrift vorzuschlagen. 50 2. Einer erneuten Zustellung des Urteils (vgl. [X.]. 11 in 4 [X.] 3/06) [X.] es nach Meinung des [X.]s nach einer Berichtigung der [X.] nicht. Das Protokoll ist - auch im Sinne von § 273 Abs. 4 [X.] - an dem Tag fertig gestellt, an dem die letzte der beiden erforderlichen Unterschriften vollzogen wurde (§ 271 Abs. 1 [X.]), auch wenn es unrichtig oder lückenhaft ist oder sonstige formelle Mängel aufweist (vgl. [X.] im [X.] [X.] zur [X.], 5. Aufl. § 271 [X.]. 8). Spätere Berichtigungen derartiger [X.] berühren den [X.]punkt der Fertigstellung nicht mehr (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.]. § 271 [X.]. 31). 51 Der Beschwerdeführer ist auch sonst immer gehalten, soweit er Rechts-verstöße sieht und geltend machen will, neben der Sachrüge auch alle Fehler des Verfahrens innerhalb der [X.] gemäß § 344 Abs.2 Satz 2 [X.] zu rügen. [X.]ensowenig wie es grundsätzlich keine Wiedereinset-zung in der vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.] - 22 - frist zur Nachholung von Verfahrensrügen gibt, kann nach einer Berichtigung des fertiggestellten Protokolls mit erneuter Zustellung des Urteils die Revisions-begründungsfrist neu eröffnet werden. Eine Nachholung muss allenfalls dann ermöglicht werden, wenn allein aufgrund des Inhalts der Protokollberichtigung ein Rechtsfehler geltend gemacht werden soll. Falls solch ein Fall denkbar ist, dann wäre insoweit - hinsichtlich dieser Rüge - ausnahmsweise Wiedereinset-zung in den vorigen Stand zu gewähren. Anlass für die umfassende Neueröff-nung der [X.] wäre dies jedenfalls nicht. Außerdem gäbe eine erneute Zustellung - die Auffassung des 4. [X.] zugrunde gelegt - nur dann Sinn, wenn von der umfassenden Wirksamkeit der Berichtigung der Sitzungsniederschrift ausgegangen werden kann. Um dies zu klären, bedarf es aber zunächst der Entscheidung des [X.] hierüber. 53 3. Die Gesetzgebung hat auch nicht mittelbar die relative Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung im strafrechtlichen Revisionsverfahren festgeschrie-ben (zu [X.]. 27 in 4 [X.] 3/06). Die Stellung des Angeklagten im Strafverfahren ist dem der Parteien in kontradiktorischen Verfahren nicht vergleichbar. Eine relative Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung ist in diesen Verfahren nicht denkbar. 54 Dass die bisherige Rechtsprechung zu der sehr speziellen revisions-rechtlichen Frage der relativen Unwirksamkeit einer Protokollberichtigung im Strafverfahren sich so im Bewusstsein der betroffenen Bevölkerungskreise (al-ler Angeklagten) verfestigt hat, dass ihr gewohnheitsrechtlicher Charakter zu-kommt, erscheint dem [X.] doch äußerst fraglich. Hinzu kommt, dass diese Rechtsprechung nie unumstritten war. Der Adressatenkreis der [X.] jedenfalls wird wohl kaum unter dem Gesichtspunkt des [X.] - 23 - auf der bisherigen Auffassung zur relativen Unwirksamkeit der [X.] beharren wollen. 4. Der [X.] stimmt dem 4. Strafsenat darin zu, dass die Verfahrensbe-teiligten vor einer substanziellen Protokollberichtigung - etwa soweit es nicht nur offensichtliche Schreibversehen betrifft - zu hören sind (vgl. [X.]. 33 in 4 [X.] 3/06). Der [X.] lehnt es aber entschieden ab, die Abänderungsmöglichkeit oder die umfassende Geltung der Berichtigung davon abhängig zu machen, dass keiner der Verfahrensbeteiligten - substantiiert - widerspricht. Das würde das Problem der unwahren Verfahrensrüge nur auf [X.] [X.] beziehungsweise erstrecken. Ein Verteidiger, der eine unwahre Verfah-rensrüge erhoben hat, wird sich, wenn die entsprechende Protokollberichtigung avisiert wird, schwer tun, nicht entsprechend der Rüge - also substantiiert - zu widersprechen. 56 In diesem Zusammenhang betont der [X.] nochmals, dass er die Zwei-fel an der Redlichkeit [X.] und der Urkundsbeamten der Geschäftstellen nicht teilt, auch nicht dahingehend, dass sich der Vorsitzende —psychologisch verständlichfi auf —plötzliche [X.] beruft - auch dies beinhaltet den [X.] des Vorsatzes - und seinen Mitarbeiter, der das Protokoll führte - ebenfalls - zu einer Falschbeurkundung veranlasst, da dieser nicht zu widersprechen wagt (vgl. [X.]. 25 in 4 [X.] 3/06). Für völlig ausgeschlossen schließlich hält es der [X.], dass Vorsitzender und Urkundsbeamter, dann, wenn bei der vorhe-rigen Anhörung einer oder mehrere der anderen Verfahrensbeteiligten wider-sprechen, gleichwohl ohne sichere Erinnerung oder gar wider besseres Wissen das Protokoll - unzutreffend - berichtigen. Sind sich die [X.] aber sicher, dass sich der Widersprechende - zumindest - irrt, dann erfolgt die Be-richtigung der Sitzungsniederschrift zu Recht. 57 - 24 - VI[X.] Der [X.] legt die - streitige - Rechtsfrage dem [X.] für Straf-sachen zur Entscheidung vor (§ 132 Abs. 2 [X.]). Nach Auffassung des [X.]s ist sie auch von grundsätzlicher Bedeutung. Die Vorlage erfolgt deshalb sowohl aus Gründen der Divergenz zur Rechtsprechung des 4. und insbesondere des 5. Strafsenats als auch nach § 132 Abs. 4 [X.] (vgl. [X.]St 40, 360, 366). 58 [X.] [X.]

Meta

1 StR 466/05

23.08.2006

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.08.2006, Az. 1 StR 466/05 (REWIS RS 2006, 2106)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 2106

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