Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2011, Az. III ZR 342/09

III. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5676

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

III ZR 342/09

Verkündet am:

16. Juni 2011

K i e f e r

Justizangestellter

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja

[X.]
ZPO §§ 178 ff

a)
Für die Wirksamkeit einer [X.] nach §§ 178 bis 181 ZPO genügt, vorbehaltlich dolosen Verhaltens, nicht, dass der Adressat in zurechenbarer Weise den Rechtsschein geschaffen hat, unter der [X.] eine Wohnung oder Geschäftsräume zu nutzen. Insbesondere reicht nicht, dass er nach Aufgabe der Wohnung oder der Geschäftsräume ein Schild mit sei-nem Namen an dem [X.] belässt.

b)
Der nur einem überschaubaren Personenkreis (hier: drei Parteien) zugängli-che Briefschlitz in einem Mehrparteienhaus ist auch dann für eine [X.] gemäß § 180 Satz 1 ZPO geeignet, wenn die Sendungen nicht in ein geschlossenes Behältnis fallen, sondern auf den Boden des Hausflurs, so-fern der Adressat seine Post typischerweise auf diesem Weg erhält und eine eindeutige Zuordnung des Einwurfschlitzes zum Empfänger möglich ist.

[X.], Urteil vom 16. Juni 2011 -
III ZR 342/09 -
[X.] am [X.]

LG Frankfurt am [X.]

-

2

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 16.
Juni 2011
durch den Vizepräsidenten
Schlick und die Richter
Dr.
[X.], [X.], [X.] und Tombrink

für Recht erkannt:

Auf die Revision der [X.] wird
das Urteil des 10.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Frankfurt am [X.] vom 31.
März 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin verlangt
von der [X.]
Provisionen in Höhe von 35.907,82

kquisition von Aufträgen.

Die Klägerin erwirkte gegen die Beklagte
einen Mahnbescheid über ihre Forderungen
nebst Kosten, der dieser
am 17.
August 2007 unter der Anschrift B.

Straße 8
in F.

zugestellt wurde. Nachdem die Beklagte keinen Widerspruch eingelegt hatte, beantragte die Klägerin einen Vollstre-ckungsbescheid. Dieser wurde antragsgemäß erlassen und nach Angabe der 1
2
-

3

-

im Aktenausdruck gemäß §
696
Abs.
2 Satz
1
ZPO wiedergegebenen
Zustel-lungsurkunde am 7.
September 2007 unter derselben Anschrift durch Einle-gung des Schriftstücks "in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung"
zugestellt.

In dem Haus B.

Straße
8 hatten
außer der [X.] noch zwei wei-tere Parteien
eine Wohnung beziehungsweise Geschäftsräume.
In der Außen-tür des Hauses befand
sich ein einzelner Briefschlitz, in den die Post für alle drei Parteien eingeworfen wurde. Da innen ein Behältnis nicht angebracht war, fielen die Sendungen hinter der Tür auf den Boden des Hausflurs. Die Beklagte macht geltend, sie habe am 3.
September 2007
ihre Geschäftsräume dort auf-gegeben und ihren Sitz an einen
neuen Standort verlegt. Ihr Vorstand
habe bereits am 29.
August 2007 die Schilder mit ihrem Namen
an der Hausein-gangstür und am [X.] abmontiert. Sie ist deshalb der Auffassung, der [X.] sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

Nachdem die Beklagte mit am 23.
November
2007 eingegangenem Schriftsatz
Einspruch gegen den [X.] erhoben hatte, hat das [X.] diesen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das [X.] hat demgegenüber den [X.] aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der [X.].

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung des [X.] Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-richt.
3
4
5
-

4

-

I.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Einspruch der [X.] ge-gen den [X.] unzulässig, da er nach Ablauf der [X.] von zwei Wochen (§§
339, 700 ZPO) bei Gericht eingegangen sei. Der Bescheid sei am 7.
September 2007 ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beklagte habe den Inhalt der [X.] nicht entkräften können, wonach das Schriftstück in einen zu ihrem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden sei. Sie habe nicht nachweisen können, dass der am Haus B.

Straße
8 in die Haustür eingelassene Brief-schlitz zum Zeitpunkt der beurkundeten Zustellung nicht mehr mit ihrem [X.] versehen gewesen sei. Die hierzu vernommenen Zeugen hätten dies nicht bestätigt.
Insbesondere habe der Zeuge [X.]

, der einer der Mieter in dem Haus gewesen sei, bekundet, das ursprünglich
vorhandene Namensschild der [X.] sei erst ein "paar Tage"
bevor oder nachdem er ein
auf den 27.
September 2007 datierendes Schreiben der neuen Hauseigentümerin [X.] habe, entfernt worden.

Der Briefschlitz sei eine geeignete Vorrichtung im Sinne des §
180 Satz
1 ZPO gewesen. Zwar werde in der Literatur teilweise ein Gemeinschafts-briefkasten von mehreren Mietparteien mangels eindeutiger Zuordnungsmög-lichkeit nicht als im Sinne dieser Vorschrift geeignete Einrichtung angesehen. Maßgeblich sei jedoch, ob der Briefkasten beziehungsweise die ähnliche Ein-richtung eindeutig eine Zuordnung zum Adressaten ermögliche und auch für diesen beschriftet sei. Entscheidend sei
auch, ob der Adressat typischerweise über diese Vorrichtung seine
Post erhalte, da er damit zu erkennen gebe, dass er dem Kreis der Mitbenutzer hinreichendes Vertrauen entgegen
bringe. Die Beklagte habe nicht bestritten, dass ihr die Post üblicherweise durch den Brief-6
7
-

5

-

schlitz zugestellt worden sei. Dessen Nutzerkreis
sei auf drei Personen [X.] und damit überschaubar gewesen.

[X.] sei, ob die Beklagte tatsächlich ihren Geschäftssitz zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits verlegt gehabt habe. Ihren Darlegungen könne nicht entnommen werden, dass nicht noch ein von ihr zurechenbar gesetzter
Rechtsschein des Bestehens
eines Geschäftssitzes in der B.

Straße
8 be-standen habe. Unstreitig sei die Beklagte Dritten gegenüber
noch unter dieser Adresse
aufgetreten. Dies belege
eindrucksvoll die Gerichtsakte, wonach die Schriftsätze der [X.] im Rubrum noch bis zum Erlass des erstinstanzli-chen Urteils am 28.
Juli 2008
diese Anschrift aufgewiesen
hätten.

Schließlich komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist nicht in Betracht. Da die Beklagte
jedenfalls den
Rechtsschein eines Geschäftslokals in der B.

Straße
8 gesetzt habe, hätte sie auch dafür Sorge tragen müssen, dort niedergelegte Post zur Kenntnis zu nehmen.

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht, den
am 23.
November 2007 bei Gericht eingegangenen
Einspruch der [X.] gegen den [X.] gemäß §
341 Abs.
1 Satz
2 ZPO i.V.m. §
700 Abs.
1
ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht innerhalb der ge-8
9
10
11
-

6

-

mäß §
339 Abs.
1 ZPO i.V.m. §
700 Abs.
1 ZPO für diesen Rechtsbehelf gel-tenden zweiwöchigen [X.] erhoben wurde. Ob der
[X.]
der [X.] am 7.
September 2007
nach §
180 Satz
1 ZPO wirksam
zuge-stellt wurde, mit der Folge, dass die Einspruchsfrist am 21.
September 2007 ablief, hängt von noch nachzuholenden Feststellungen dazu ab, ob die [X.] an dem maßgeblichen Tag im Hause B.

Straße
8 noch Geschäftsräume unterhielt.

1.
Das Berufungsgericht durfte nicht offen lassen,
ob die Beklagte, wie sie geltend macht,
vor dem 7. September 2007
objektiv ihre Geschäftsräume an einen anderen Ort verlegt hatte.

Die [X.] nach §§
178
bis 181 ZPO setzt
voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zuge-stellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (z.B. [X.],
Be-schlüsse
vom 22.
Oktober 2009 -
IX
ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn.
15
und
vom 2.
Juli 2008 -
IV
ZB 5/08, [X.], 1747 Rn.
7 und
Urteil vom 19.
März 1998 -
VII
ZR 172/97, [X.], 862, 863). Entgegen der Ansicht der [X.] genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume,
für eine ordnungsgemäße
Zustellung nicht.
Dies ergibt sich aus dem unmiss-verständlichen Wortlaut der §§
178 bis 181 ZPO, nach dem nur in der [X.] beziehungsweise
den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu
gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden kann, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums [X.].

12
13
-

7

-

Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen
dahingehend, dass der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus. Die Zustellung dient unter ande-rem
dazu, dem Adressaten zur Wahrung des Grundrechts auf rechtliches Ge-hör (Art.
103 Abs.
1 GG) Gelegenheit zu verschaffen, das Dokument zur Kenntnis zu nehmen und seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung hierauf einzurichten (z.B. [X.] 67, 208, 211; [X.], Urteil vom 6.
April 1992 -
II
ZR 242/91, [X.]Z 118, 45, 47
jew. [X.]). Im Interesse der hierfür in besonderem Maße erforderlichen Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften not-wendigerweise formalen
Charakter ([X.], Urteil vom 12.
März 1980 -
VIII
ZR
115/79, [X.]Z 76, 222, 229; [X.], 3.
Aufl., §
166 Rn.
6; vgl. auch [X.] [3.
Kammer des [X.]], NJW-RR 2010, 421, Rn.
18).
Dieser verbietet es, über den Wortlaut der Bestimmungen hinausgehend eine
Zustellung an dem Ort zuzulassen, an dem lediglich der (zurechenbare)
Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums des Empfängers [X.].
Da die Voraussetzungen, unter denen der
Rechtsschein
und seine Zure-chenbarkeit gegenüber
dem Empfänger
angenommen werden könnten, we-sentlich
von den Details der konkreten Verhältnisse
abhängen, würde [X.] die rechtliche Beurteilung der einzelnen Zustellung mit Unsicherheiten
be-lastet, die mit ihrem Zweck unvereinbar wären.

Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es eine unzulässi-ge Rechtsausübung
darstellt, wenn der [X.] eine fehlerhafte [X.] geltend macht, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächli-chen Lebensmittelpunkt
bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (z.B. [X.] aaO
Rn.
17; [X.] NStZ-RR 2006, 238; [X.] NJW-RR 2001, 1511, 1512 jew. [X.]; so auch [X.], aaO
§
178 Rn.
11; [X.]/[X.], ZPO, 28.
Aufl., §
178 Rn.
7).
Hierbei handelt es sich jedoch nicht 14
15
-

8

-

um die
Erleichterung einer
wirksamen
Zustellung
im Wege der objektiven Zu-rechnung eines Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§
242 BGB) unter engen Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Un-wirksamkeit einer Zustellung zu berufen
([X.] aaO Rn.
18). Auch wenn [X.] -
verfassungsrechtlich unbedenkliche ([X.] aaO)
-
Rechtsprechung im Ergebnis dazu führt, dass eine Entscheidung über die materiellrechtliche Rechtslage unterbleibt und damit zugleich das rechtliche Gehör verkürzt wird, verhilft sie auf der anderen Seite der allgemeinen Redlichkeitspflicht der [X.] zur Geltung, die sich auch auf die Prozessführung und damit auch auf die Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung bezieht ([X.] aaO; vgl. auch [X.] 104, 220, 232).
Eine solche Fallgestaltung
liegt hier jedoch nicht vor. Die Beklagte hat nach dem bisherigen Sach-
und Streitstand nicht bewusst ver-sucht, den Anschein zu erwecken, sie unterhalte ihre Geschäftsräume weiterhin im Hause B.

Straße
8. Vielmehr
steht, soweit sie ihre Geschäftsräume tat-sächlich verlegt hatte, lediglich in Rede, dass sie es ohne [X.] [X.], ihr Namensschild an dem [X.] in der Haustür rechtzeitig zu entfernen.

2.
Zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung vom 7.
September 2007 weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:

a) Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum -
und sei
er auch nur zeitweilig besetzt
-
geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist ([X.], Beschlüsse vom 22.
Oktober 2009
-
IX
ZB 248/08, NJW-RR
2010, 489
Rn.
16 und vom 2.
Juli 2008 -
IV
ZB 5/08, [X.], 1747 Rn.
7 und Urteil vom 19.
März 1998 -
VII
ZR 172/97, [X.], 862, 863). Hat der Adressat die
Nutzung der Räume aufgegeben, ist eine Zustellung 16
17
-

9

-

an ihn dort nicht mehr möglich. Die Aufgabe setzt einen
entsprechenden
Wil-lensentschluss voraus, der
nach außen erkennbaren Ausdruck gefunden haben
muss
([X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009 aaO
Rn.
18, 21). Insoweit gilt nichts anderes als bei Wohnräumen
([X.] aaO
Rn.
21; zum Erfordernis des nach außen zu erkennenden
[X.]ns
bei einer Wohnung siehe [X.], Urteil vom 27.
Oktober 1987 -
VI
ZR 268/86, [X.], 713
f; [X.]/[X.] aaO §
178 Rn.
6). Der [X.] muss, wenn auch nicht gerade für den [X.] des zuzustellenden Schriftstücks oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobach-ter erkennbar sein
(z.B. [X.], Beschluss vom 22.
Oktober
2009
aaO Rn.
18
und Urteil vom 27.
Oktober 1987 aaO). Dies setzt indessen nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er nutze die Wohn-
beziehungsweise Geschäftsräume
dort auch weiterhin
([X.], Beschluss vom 22.
Oktober 2009 aaO
Rn.
18). Insbesondere genügt allein die Existenz eines Namensschilds nicht, weil ansonsten doch die Erkennbarkeit für den konkreten Zusteller maßgeblich wäre (vgl. [X.], aaO
§
178 Rn.
11).

Bei der Feststellung, ob
die Beklagte am 7.
September 2007 im Hause B.

Straße 8 noch Geschäftsräume unterhielt, wird das Berufungsgericht insbesondere einerseits der behaupteten Anmeldung der Sitzverlegung gegen-über dem Handelsregister nachzugehen und andererseits zu berücksichtigen haben, dass die [X.], deren Inhalt durch den Aktenausdruck des Mahnverfahrens nachgewiesen ist (§
696 Abs.
2 Satz
2 i.V.m. §
418 Abs.
1 ZPO),
zwar keinen Beweis gemäß §
418 Abs.
1 ZPO für die Existenz von [X.] an dem [X.] erbringt, jedoch ein Indiz hierfür darstellt (vgl. [X.], Beschluss vom 6.
Mai 2005 -
IX
ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2387; [X.] [3.
Kammer des [X.]], NJW 1992, 224, 225
f).
18
-

10

-

Demgegenüber kommt dem vom Berufungsgericht herangezogenen Umstand, dass in den Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten der [X.] im Rubrum teilweise noch die Anschrift B.

Straße
8 verwendet wurde, [X.] indizielle Bedeutung zu, da die Beklagte von Anbeginn im Widerspruch hier-zu vorgetragen
hat, sie habe am 7.
September 2007 dort keine Geschäftsräu-me mehr unterhalten. Die Verwendung der Anschrift B.

Straße
8 in den anwaltlichen Schriftsätzen lässt sich ohne weiteres damit erklären, dass ledig-lich versäumt wurde, die bereits in den [X.] eingespeicherte Ad-resse der [X.] zu aktualisieren.

b) Die Wirksamkeit der Zustellung
scheiterte, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht daran,
dass der [X.] in den in der Außentür des Hauses B.

Straße
8 befindlichen
Briefschlitz ein-geworfen wurde,
obgleich
es sich um eine
von drei Parteien gemeinschaftlich genutzte Vorrichtung handelte
und sich auf der Innenseite der Tür keine ge-schlossene Auffangvorrichtung für die eingeworfene Post befand. Der gemein-same Briefschlitz in der Haustür eines [X.] ist jedenfalls dann eine "ähnliche Vorrichtung" im Sinne des §
180 Satz
1 ZPO, die eine Zustellung ermöglicht, wenn, wie hier, in dem betreffenden Gebäude
lediglich drei Parteien wohnen beziehungsweise Geschäftsräume unterhalten,
der Zustellungsadres-sat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf
erhält
und -
etwa aufgrund [X.] entsprechenden Beschriftung
-
eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten möglich ist.

aa) In der Literatur wird allerdings in Übereinstimmung mit einigen ober-gerichtlichen Entscheidungen ([X.], 304, 305; [X.], Beschluss vom 1.
Juni 2004 -
4
Ws 172/04, juris Rn.
9) überwiegend 19
20
21
-

11

-

vertreten, der [X.] in einem Mehrfamilienhaus oder in einem
sonstigen größeren Gebäude, das von mehreren nicht gemeinsam wohnenden Personen
beziehungsweise von mehreren Inhabern verschiedener Unterneh-men
genutzt wird, sei keine für eine [X.] geeignete "ähnliche [X.]" (Musielak/Wolst, ZPO, 7.
Aufl., §
180 Rn.
2; Prütting/Gehrlein/Kessen, ZPO, 2.
Aufl.,
§
180 Rn.
2; [X.], ZPO, 22.
Aufl., §
180 Rn.
3;
Wieczorek/Schütze/Rohe, 3.
Aufl.
§
180 Rn.
10; [X.]/
Zimmer-mann, ZPO, 8.
Aufl., §
180 Rn.
1; so wohl auch [X.]/[X.] aaO
§
180
Rn.
3).

bb) Der Senat hält jedoch die Gegenauffassung
für überzeugender, nach der ein nur einem überschaubaren Personenkreis
zugänglicher Briefschlitz in einem Mehrparteienhaus
für eine
[X.] geeignet ist,
wenn der [X.] seine Post typischerweise auf diesem Wege erhält und eine eindeutige Zuordnung zum Empfänger möglich ist ([X.], aaO
§
180 Rn.
4).

(1) In der Rechtsprechung wird überwiegend vertreten, dass eine Ersatz-zustellung nach §
180 Satz
1 ZPO durch Einwurf in
einen
solchermaßen be-schränkt zugänglichen Gemeinschaftsbriefkasten erfolgen kann
([X.] am [X.],
NStZ-RR 2010, 349, 350;
LSG [X.], Urteil vom 9.
Februar 2006 -
L
7 [X.], juris Rn.
17; VG München, Beschluss vom 8.
Mai 2008 -
M
6b S
08.1916, juris Rn.
10, 28;
weitergehend: [X.], Urteil vom 12.
Juli 2005 -
5
Sa 164/05, juris Rn.
14
f, das sogar einen für einen größeren Personenkreis zugänglichen Briefkasten für geeignet hält). Dem ist beizupflichten.

Durch die Anforderungen des §
180 Satz
1 ZPO an die [X.], in die das zuzustellende Schriftstück eingelegt werden darf, soll insbe-22
23
24
-

12

-

sondere zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gewährleistet werden, dass der Adressat mit hinreichender Sicherheit in die Lage versetzt wird, den Inhalt der Sendung auch tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Bereitstellung
und Ausgestaltung einer Vorrichtung zum Postempfang liegt indessen in der Sphäre und Eigenverantwortung des Adressaten. Er verfügt
deshalb
über
einen Spiel-raum,
darüber zu entscheiden, welches Maß an Sicherheit gegen den Verlust von Sendungen die von ihm gewählte Einrichtung
bieten soll. Entscheidet er sich für eine Variante, die einzelne Risiken nicht ausschließt, muss er sich [X.] insbesondere
bei einer
förmlichen Zustellung
auch zu seinem Nachteil fest-halten lassen, solange die Vorrichtung insgesamt in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist.

Hiernach kann eine Zustellung nach §
180 Satz
1 ZPO durch Einlegen in eine Vorrichtung erfolgen, die für den Postempfang eines überschaubaren Per-sonenkreises bestimmt ist, der ein von wenigen Parteien genutztes [X.] oder dort ein Geschäftslokal unterhält. Der Adressat, der eine solche Einrichtung gewöhnlich
für den Erhalt von Postsendungen verwendet, gibt
da-mit zu erkennen, dass er den ihm typischerweise persönlich bekannten
Mitnut-zern hinreichendes
Vertrauen entgegenbringt, dass diese auch mit den an
ihn gerichteten
Sendungen sorgfältig umgehen ([X.] am [X.] aaO; [X.] aaO). Dies hält sich im Rahmen des einem Zustel-lungsadressaten durch §
180 Satz
1 ZPO eröffneten, eigenverantwortlich aus-zufüllenden Spielraums
zur Gestaltung seines Postempfangs. Die Nutzung [X.] gemeinschaftlichen Postempfangseinrichtung gewährleistet unter den dar-gestellten Voraussetzungen auch in der allgemein üblichen Art noch eine siche-re Aufbewahrung, da regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass ein überschaubarer Personenkreis, dem ein Hausnachbar vertraut, auch tatsäch-lich
mit für diesen
bestimmten Sendungen
gewissenhaft verfährt. Auch der 25
-

13

-

Wortlaut des §
180 Satz
1 ZPO fordert nicht, dass
der Briefkasten oder die ähnliche Vorrichtung allein zur Wohnung oder zu den Geschäftsräumen des Empfängers gehört
([X.] am [X.]
aaO).

(2) Die vorstehenden Erwägungen gelten nicht nur für die Nutzung eines gemeinschaftlichen geschlossenen Briefkastens, sondern auch für einen Brief-schlitz in einem Mehrparteienhaus, sofern die dargelegten engen Vorausset-zungen erfüllt sind. Dieser stellt dann eine "ähnliche Vorrichtung"
im Sinne des §
180 Satz
1 ZPO dar. Der Revision
ist einzuräumen, dass
das Risiko des Ver-lustes
von Sendungen erhöht ist, wenn die Post nicht in ein geschlossenes
Be-hältnis fällt, sondern auf den Boden des Hausflurs. Hierdurch unterliegen die eingeworfenen Briefe, solange die Nutzer des Hauses sie noch nicht an sich genommen haben,
nicht nur
deren Zugriff, sondern auch dem
Dritter, die [X.] in das Gebäude erhalten. Dieses Risiko besteht jedoch nicht nur bei einem
Mehrparteienhaus. Vielmehr haben auch Besucher eines Einfamilienhauses die Möglichkeit, Postsendungen im Hausflur oder Windfang an sich zu nehmen, wenn diese in einen ohne eine geschlossene Auffangvorrichtung versehenen Briefschlitz in der Außentür eingeworfen
werden. Aus der Regierungsbegrün-dung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes ([X.]. 492/00 S.
46) zu §
180 ZPO ergibt sich aber, dass ein solcher Briefschlitz jedenfalls in einem Einfamilienhaus eine für die [X.]
geeignete "ähnliche Vorrichtung"
darstellt. Hieraus folgt, dass das Risiko des Zugriffs Dritter auf die eingeworfene Post nicht per se zum Fehlen der Eignung eines Briefschlitzes für die
[X.] führt. Befindet sich ein solcher
[X.]
in einem [X.],
hat zwar im [X.] eine erhöhte
Anzahl
Dritter
die Möglichkeit,
auf Post zuzugreifen, die von den Nutzern noch nicht in die Wohnung oder das Geschäftslokal
hereingeholt wurde.
Ein gegenüber einem Einfamilienhaus an-dersartiges Risiko besteht hingegen
nicht. Nutzt der [X.] einen 26
-

14

-

gemeinschaftlichen [X.] ungeachtet der potentiell erhöhten Gefahr, dass sich Besucher seiner Post bemächtigen,
bringt er damit ebenfalls zum Ausdruck, dass er seinen [X.] und deren Kontaktpersonen, denen sie Zutritt zum Haus gewähren,
hinreichendes Vertrauen entgegen bringt. Solange es sich um ein Gebäude
mit wenigen Parteien handelt, bleibt auch dies noch im Rahmen einer
sicheren Aufbewahrung
im Sinne des §
180 Satz
1 ZPO.
Dies trifft jedoch
nicht
mehr zu, wenn -
was in der Streitsache
nicht der Fall ist
-
in den im Hause befindlichen Geschäftsräumen ein reger Publikumsverkehr herrscht.

Nichts anderes gilt
für die Gefahren, dass die hinter der Außentür auf dem Boden liegenden Postsendungen durch Wind, Verschieben beim Öffnen und Schließen der Tür oder vergleichbare Ereignisse
verlustig gehen oder
un-auffindbar werden, und das
von der Revision angeführte -
aber ohnehin wohl nur theoretische und daher vernachlässigbare
-
Risiko, dass ein [X.] an den Schuhen einer
Person haftet
und
nach draußen fort getragen wird. Diese Gefahren bestehen dem Grunde nach auch bei Einfamilienhäusern, in denen die Post durch einen bloßen Briefschlitz eingeworfen wird, ohne dass dieser als eine für eine Zustellung nach §
180 Satz
1 ZPO ungeeignete [X.] anzusehen ist. Die Risiken sind bei einem kleinen Mehrparteienhaus ledig-lich in quantitativer Hinsicht höher, was dem Adressaten, der sich gleichwohl eines gemeinsamen [X.]s bedient, aus den vorstehenden Gründen im Rahmen des §
180 Satz
1 ZPO zuzurechnen ist.

Schließlich widerspricht auch die Regierungsbegründung zu §
180 ZPO dieser Würdigung nicht. Zwar ist darin als "ähnliche Vorrichtung"
nur der Brief-schlitz eines Einfamilienhauses genannt ([X.]. 492/00 S.
46). Jedoch handelt es sich hierbei, wie sich aus der Verwendung des Wortes "insbesonde-27
28
-

15

-

re"
ergibt, lediglich um ein
Beispiel für eine einem Briefkasten gleichzustellende Einrichtung zum Empfang von Post.

3.
Da die Sache noch nicht
zur Endentscheidung reif ist, weil noch weitere Feststellungen notwendig sind, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zu-rückzuverweisen (§
563 Abs.
1, 3 ZPO).

Schlick
[X.]
[X.]

[X.]
Tombrink
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/[X.], Entscheidung vom 28.07.2008 -
2/25 O 468/07 -

[X.]/[X.], Entscheidung vom 31.03.2009 -
10 U 185/08 -

29

Meta

III ZR 342/09

16.06.2011

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.06.2011, Az. III ZR 342/09 (REWIS RS 2011, 5676)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5676

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Zu den Voraussetzungen der Ersatzzustellung und einer Wiedereinsetzung in die versäumte Widerspruchsfrist (hier verneint)


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Wird zitiert von

X R 15/18

Zitiert

III ZR 342/09

Zitieren mit Quelle:
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