Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.06.2021, Az. 6 StR 224/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5320

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Gegenstand

Strafverurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung: Aussetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung bei mangelnder Unrechtseinsicht; Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei fehlender Suchterkrankung


Tenor

1. Der Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 13. November 2020 gewährt.

2. Auf die Revision der Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil

a) im Strafausspruch dahin berichtigt, dass die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt ist;

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit

aa) die Vollstreckung der gegen die Angeklagte verhängten Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist;

bb) von der Anordnung einer Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von „18 Monaten“ verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision. Aus den in der Antragsschrift des [X.] dargelegten Gründen ist der Angeklagten von Amts wegen Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren. Die Revision hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

3

2.a) Der Strafausspruch bedarf insoweit der Berichtigung, als das [X.] eine Freiheitsstrafe von „18 Monaten“ anstelle einer solchen von einem Jahr und sechs Monaten verhängt hat. Gemäß § 39 StGB sind Freiheitsstrafen ab einer Dauer von einem Jahr grundsätzlich nach vollen Monaten und Jahren zu bemessen.

4

b) Die Entscheidung des [X.]s, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

5

Es hat zur Begründung der nach seiner Auffassung ungünstigen Kriminalprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB in rechtsfehlerhafter Weise unter anderem darauf abgestellt, dass die Angeklagte keine [X.] gezeigt, sondern die verfahrensgegenständliche Tat als Unfall dargestellt habe. Fehlende [X.] durfte nicht zum Nachteil der die Tat bestreitenden Angeklagten gewertet werden; denn auch im Rahmen des § 56 StGB darf einem Angeklagten ein die Grenzen des Zulässigen nicht überschreitendes Verteidigungsverhalten nicht angelastet werden (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Januar 2016 – 4 StR 521/15; vom 20. April 1999 – 4 [X.], [X.], 358; vom 20. Februar 1998 – 2 StR 14/98, [X.], 482).

6

Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das [X.] zu einer günstigeren Prognose gelangt wäre, wenn es die fehlende [X.] außer [X.] gelassen hätte.

7

3. Auch die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

8

Der [X.] hat hierzu in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„aa) Nach den Feststellungen des [X.]s spielte Alkohol in der Beziehung der Angeklagten zum Geschädigten eine maßgebliche Rolle. (…) Bei diversen Polizeieinsätzen anlässlich von Auseinandersetzungen zwischen ihr und dem Geschädigten war sie stets deutlich alkoholisiert. (…) Während des vorliegenden Tatgeschehens stand die Angeklagte mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,62 Promille ebenfalls unter Alkoholeinfluss. Dieser verstärkte ihren affektiven Ausnahmezustand, ohne dass sich freilich alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezeigt hätten. Der psychiatrische Sachverständige hat das Konsumverhalten der Angeklagten als kritisch beurteilt, eine Abhängigkeit jedoch ausgeschlossen.

bb) Obschon sich die [X.] des problematischen Alkoholkonsums der Angeklagten bewusst war, hat sie die [X.] der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mit einem fehlenden Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, begründet. Die auf diese pauschale Aussage reduzierten Ausführungen lassen besorgen, dass sie ihrer Maßregelentscheidung einen zu engen Begriff des Hanges und damit einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat. (…) [D]ie Urteilsgründe (…) legen nahe, dass die [X.] für ihre Entscheidung allein auf die fehlende Suchterkrankung der Angeklagten abgestellt hat. Damit hätte sie sich aber nicht begnügen dürfen (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Februar 2021 – 6 StR 18/21, juris Rn. 5). Vielmehr hätte sie näher als geschehen prüfen müssen, ob bei der Angeklagten eine durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Alkohol zu konsumieren, gegeben ist. Anlass hierzu bestand jedenfalls aufgrund der zu ihrer Person und zu den [X.] getroffenen Feststellungen.

cc) Das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen scheidet nicht von vornherein aus. (…) Über die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist daher – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 Abs. 1 StPO) – neu zu verhandeln und zu entscheiden. Der Aufhebung der [X.] der Maßregel steht nicht entgegen, dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Sie hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von ihrem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. [X.], Beschluss vom 21. März 2018 – 5 StR 60/18, juris Rn. 4).

dd) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist auszuschließen, dass das [X.] bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Strafe erkannt hätte.“

9

Dem schließt sich der Senat an.

4. [X.] beruht auf § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GKG (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2020 – 4 StR 265/19).

[X.]     

      

Schneider     

      

Feilcke

      

Tiemann     

      

Fritsche     

      

Meta

6 StR 224/21

02.06.2021

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hildesheim, 13. November 2020, Az: 20 KLs - 17 Js 17601/20

§ 56 StGB, § 64 StGB, § 224 StGB, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.06.2021, Az. 6 StR 224/21 (REWIS RS 2021, 5320)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5320

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 186/22

6 StR 99/22

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