Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.03.2010, Az. 3 StR 538/09

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 8560

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Gegenstand

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt: Hinreichende Erfolgsaussicht bei erforderlicher Behandlungsdauer von 3 Jahren


Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 25. August 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten in einem ersten [X.]eil wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf die allein gegen den [X.] gerichtete, mit dem Ziel der Verhängung von Sicherungsverwahrung durchgeführte Revision der Staatsanwaltschaft hatte der [X.] das [X.]eil im [X.] aufgehoben, weil das [X.] die notwendige Erfolgsaussicht der Suchtbehandlung nach § 64 StGB nur widersprüchlich und damit rechtsfehlerhaft begründet hatte. Zugleich hatte er darauf hingewiesen, dass der neue Tatrichter angesichts der Vielzahl von Straftaten, Verurteilungen und Strafverbüßungen des Angeklagten auch zu prüfen habe, ob bei dem Angeklagten die Sicherungsverwahrung anzuordnen sei ([X.], [X.]. vom 12. Februar 2009 - 3 StR 569/08 = [X.], 442). Auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuld- und Strafausspruchs hat das [X.] nunmehr erneut die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt angeordnet; die Sicherungsverwahrung hat es abgelehnt, weil der hierzu erforderliche Hang beim Angeklagten nicht festzustellen sei. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat erneut Erfolg.

2

1. Das Rechtsmittel richtet sich gegen den gesamten [X.]. Zwar bekämpft die Beschwerdeführerin mit Einzelausführungen allein die [X.] der Sicherungsverwahrung, indes geht sie, wie auch aus dem uneingeschränkten [X.] zu ersehen ist, zutreffend davon aus, dass eine Beschränkung der Revision hier wegen des Zusammenhangs der Maßregeln nach §§ 64 und 66 StGB unzulässig wäre, was der [X.] schon in seiner ersten Entscheidung in dieser Sache ausgesprochen hat.

3

2. Die Ablehnung der Sicherungsverwahrung hält erneut rechtlicher Prüfung nicht stand. Das [X.] hat einen Hang des Angeklagten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verneint. Hierzu hat es unter Bezugnahme auf den gehörten Sachverständigen ausgeführt, die langjährige strafrechtliche Delinquenz des Angeklagten sei ausschließlich auf dessen Suchterkrankung zurückzuführen; der Angeklagte habe keine antisoziale Persönlichkeit und keinen dissozial-delinquenten Lebensstil, er stehe seiner Delinquenz nicht zustimmend gegenüber, bei ihm seien Reue und Empathie festzustellen; es bestehe keine persönlichkeitsgebundene Bereitschaft zur Begehung von Straftaten, die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit sei nicht in Umständen jenseits seiner Sucht begründet.

4

Gegen diese Begründung bestehen in zweifacher Hinsicht durchgreifende [X.]:

5

a) Zum einen werden die [X.]eilsgründe ihrer Aufgabe nicht gerecht, dem Revisionsgericht die sachlichrechtliche Nachprüfung der Entscheidung zu ermöglichen. Sie geben lediglich die Schlussfolgerungen des Sachverständigen wieder, teilen aber nicht die diesen zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen mit. Sie enthalten - nahezu wortgleich mit dem ersten [X.]eil - erneut keine Angaben zu Art und Umfang der Straftaten, die dazu führten, dass der Angeklagte seit 1978 - als er wohl schon als 16jähriger - eine Jugendstrafe von einem Jahr verbüßen musste, mehrfach zu - auch langjährigen - Jugend- und Freiheitsstrafen verurteilt wurde. Die Behauptung, die Delinquenz sei "ausschließlich auf die Suchterkrankung des Angeklagten zurückzuführen", hätte der Begründung bedurft, zumal eine solche monokausale Betrachtung im Schrifttum auf Kritik stößt (vgl. [X.] in [X.]. § 64 Rdn. 127; Rasch [X.] 1991, 109, 113; [X.] [X.] 2009, 294, 295).

6

b) Zum anderen ist zu besorgen, dass das [X.] seiner Entscheidung ein unzutreffendes Verständnis des Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zugrunde gelegt hat dahingehend, dass der für die Sicherungsverwahrung erforderliche Hang zur Begehung erheblicher Straftaten ausscheide, wenn die wiederholte Delinquenz eines [X.] allein auf dessen Hang zum  übermäßigen [X.] berauschender Mittel beruht. Eine solche Überlegung mag für den psychowissenschaftlichen Sachverständigen hilfreich sein, um sich der Frage nach den Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Ausschlussverfahren zu nähern (vgl. Leygraf in [X.]/[X.], Psychiatrische Begutachtung 5. Auflage S. 483, 486 f.). Für die richterliche Entscheidung über die Verhängung der Maßregel ist dies nicht zutreffend.

7

Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des [X.], der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. [X.] ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der [X.] ist und aus innerer Haltlosigkeit [X.] nicht zu widerstehen vermag. Nach der ständigen Rechtsprechung kommt es auf die Ursache für die fest eingewurzelte Neigung zu Straftaten nicht an ([X.] NJW 1980, 1055; [X.]R StGB § 66 Abs. 1 Hang 1, 3). Deshalb scheidet, selbst wenn sich eine Monokausalität der Suchterkrankung eines [X.] für dessen Kriminalität ausnahmsweise feststellen ließe, die Annahme eines Hanges im Sinne von § 66 StGB (neben der eines Hanges im Sinne von § 64 StGB) nicht aus. Der für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderliche Hang hätte seine Ursache in einem solchen Fall ausschließlich in der Suchterkrankung. Ob sodann die Unterbringung des [X.] in beiden Maßregelformen oder nur in einer von ihnen anzuordnen ist, beurteilt sich nach der Regelung in § 72 StGB. Ist der Zweck der Maßregel bereits durch eine von ihnen zu erreichen, was ein hohes Maß an prognostischer Sicherheit voraussetzt ([X.] [X.], 442), so wird nur die weniger beschwerende Maßregel, hier die Unterbringung in der Entziehungsanstalt, verhängt. Andernfalls sind beide anzuordnen und deren Vollstreckungsreihenfolge zu bestimmen. Vor dem Ende des Vollzugs der ersten Maßregel ist sodann zu entscheiden, ob der Zweck der zweiten Maßregel deren Vollstreckung noch erfordert.

8

Diese Regelung ermöglicht zweierlei: Sofern die Gefährlichkeit eines [X.] nach der Behandlung in der Entziehungsanstalt entfallen ist, kommt der Vollzug der angeordneten Sicherungsverwahrung nicht mehr in Betracht (vgl. § 72 Abs. 3 Satz 2 StGB). Andererseits kann ein gefährlicher Täter, dessen Behandlung im Vollzug der Maßregel nach § 64 StGB ohne Erfolg bleibt oder gar wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen werden muss (§ 67 d Abs. 5 StGB), auf diese Weise zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten - nach Verbüßung des durch Anrechnung (§ 67 Abs. 4 StGB) nicht erledigten Teil der Strafe - in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden.

9

3. Die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) ist schon wegen ihres hier bestehenden untrennbaren Zusammenhangs mit der erneut notwendigen Prüfung der Sicherungsverwahrung aufzuheben.

Unabhängig davon hätte der [X.] im Hinblick auf die von § 64 Abs. 2 StGB geforderte hinreichend konkrete Erfolgsaussicht [X.] gegen die Anordnung dieser Maßregel, da das [X.] in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen "von einer voraussichtlichen Dauer der Suchtbehandlung bis zur Erzielung eines Behandlungserfolges von drei Jahren" ausgegangen ist. Er ist der Auffassung, dass in einem solchen Fall die notwendige Erfolgsaussicht zu verneinen ist.

a) Hierfür spricht die Gesetzeslage. Nach § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zwei Jahre nicht übersteigen. Dieser Begrenzung liegt die Überzeugung des Gesetzgebers zugrunde, dass eine Unterbringungsdauer von mehr als einem Jahr äußerst selten und eine Behandlung über den [X.] hinaus nicht erforderlich, vielmehr eher schädlich sei (vgl. [X.] in [X.]. §  67 d Rdn. 4 unter Hinweis auf die Beratungen des Sonderausschusses; [X.] in [X.]. § 64 Rdn. 167; Sinn in [X.]. 2; [X.] in MünchKomm-StGB § 67 d Rdn. 5; SSW-StGB/[X.] § 67 d Rdn. 9). Auch die Änderung der Vorschriften über die teilweise Vorwegvollstreckung der Strafe in § 67 Abs. 2 StGB durch das Gesetz vom 16. Juli 2007 ([X.] 1327) zeigt, dass der Gesetzgeber eher von kürzeren Unterbringungszeiten ausgeht (vgl. [X.]. 16/1110 S. 14: " … sinnvolle Entziehungstherapie [ist] spätestens nach zwei Jahren beendet"; … voraussichtliche Dauer der Therapie bis zur Erzielung eines Behandlungserfolgs zu orientieren, die nach den Erfahrungen der Praxis gegenwärtig im Durchschnitt bei etwa einem Jahr liegt"), da er bei Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren einen teilweisen [X.] der Strafe nicht für angezeigt hält. [X.] von mehr als zweijähriger Dauer werden durchweg nicht für sinnvoll gehalten (vgl. [X.]/[X.], Maßregelvollzug 6. Aufl. S. 254).

b) Die Verlängerung der [X.] in den Fällen, in denen vor einer Freiheitsstrafe eine daneben angeordnete freiheitsentziehende Maßregel vollzogen wird (§ 67 d Abs. 1 Satz 3 StGB), spricht nicht dagegen, Therapien als aussichtslos anzusehen, sofern sie länger als zwei Jahre andauern müssten. Der gegenteiligen Ansicht des 5. Strafsenats, dass die Vorschrift gerade für Fälle längerer [X.] geschaffen worden sei (Beschl. vom 6. Februar 1996 - 5 StR 16/96), könnte sich der [X.] nicht anschließen. Die [X.] steht nicht in einem Zusammenhang mit der für eine Suchtbehandlung für notwendig erachteten [X.], sondern mit den sich aus der Länge der neben der Maßregel verhängten Freiheitsstrafe ergebenden Problemen. Sie soll die sich durch die Anrechnung der Maßregel auf die Freiheitsstrafe ergebende Besserstellung gegenüber dem Untergebrachten, bei dem die Strafe vor der Maßregel vollstreckt wird, ausgleichen. Sie ermöglicht zugleich, dass die neben einer Strafe angeordnete Unterbringung nach § 64 StGB nicht nach Ablauf von zwei Jahren erledigt ist, sondern zur Bewährung ausgesetzt oder zur Vermeidung einer Rückverlegung in den Strafvollzug weitervollstreckt werden kann (SSW-StGB/[X.] § 67 d Rdn. 12; Sinn in [X.]. 4; [X.] in MünchKomm-StGB § 67 d Rdn. 8).

c) Auch die in verschiedenen Untersuchungen festgestellten durchschnittlichen Unterbringungszeiten (vgl. hierzu im Einzelnen [X.], Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB S. 251 ff., insbesondere [X.]. 577 und 586) zeigen, dass [X.] weniger als zwei Jahre benötigen. Sie liegen weitgehend unterhalb dieser Grenze. Soweit sie diese in Einzelfällen überschreiten, beruht dies gerade auf der durch § 67 d Abs. 1 Satz 3 StGB eingeräumten Möglichkeit, die [X.] im Hinblick auf die Dauer der daneben erkannten Freiheitsstrafe aus vollzugspraktischen und nicht unmittelbar therapeutischen Gründen zu verlängern. Zwischen der Höhe der Freiheitsstrafe und der im Maßregelvollzug verbrachten [X.] besteht ein signifikanter Zusammenhang (vgl. [X.] aaO S. 257). Hinzu kommt, dass in die festgestellten [X.] auch jene [X.] einbezogen worden sind, die zuletzt doch wegen Erfolglosigkeit abgebrochen worden waren, was die ermittelten Werte erhöht hat.

4. Über den [X.] muss deshalb erneut entschieden werden. Der [X.] hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).

[X.]     

Pfister     

Ri[X.] von [X.] befindet
sich im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Hubert      

Schäfer      

Meta

3 StR 538/09

11.03.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Mönchengladbach, 25. August 2009, Az: 25 Ks 2/09 - 501 Js 2117/07, Urteil

§ 64 S 2 StGB, § 67d Abs 1 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.03.2010, Az. 3 StR 538/09 (REWIS RS 2010, 8560)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8560

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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