Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2014, Az. IV ZR 31/14

4. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 472

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Gegenstand

Auslegung eines Ehegattentestaments: Verhalten des überlebenden Ehegatten als Anhaltspunkt für gemeinsam gefasste Entscheidungen


Tenor

Auf die Beschwerden der Beklagten zu 1 und 3 wird die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 19. Dezember 2013 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten zu 1 und 3 entschieden worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Streitwert: 716.000 €

Gründe

1

I. Die Parteien des Re[X.]htsstreits sind die fünf Kinder der verstorbenen Eheleute J.     (im Folgenden: Vater) und [X.]     (im Folgenden: Mutter) R.    . Der Kläger begehrt - soweit für das Verfahren der Ni[X.]htzulassungsbes[X.]hwerde no[X.]h von Belang - Feststellung der Na[X.]herbs[X.]haft der Parteien zu glei[X.]hen Teilen na[X.]h dem Tode des [X.] und der "Anre[X.]hnung" aufgelisteter [X.] seiner Ges[X.]hwister "auf ihr Erbe na[X.]h den verstorbenen Eltern". Die Beklagte zu 1 will mit ihrer gegen den Kläger, den Beklagten zu 2 (= Drittwiderbeklagter zu 1) und den [X.] zu 2 erhobenen Widerklage feststellen lassen, dass die Mutter alleinige Vollerbin des [X.] war.

2

Unter dem 26. April 1964 erri[X.]hteten beide Eltern auf einem Bogen Papier jeweils eigenhändig ein Testament, in dem sie si[X.]h we[X.]hselseitig als "befreite" Vorerben einsetzten. Am 15. Dezember 1964 erklärten der Vater und der Beklagte zu 2 zu notarieller Urkunde einen Erbvertrag, der auszugsweise wie folgt lautet:

"1) I[X.]h, [X.]    , bestimme meine Ehefrau [...] und meine Kinder zu Erben und zwar mit folgenden Massgaben:

a) Meine Ehefrau soll meinen Anteil an der [X.] [...] erhalten und zwar als Vorerbin. Ist dieser Anteil grösser oder kleiner als der ihr na[X.]h dem Gesetz zustehende Erbteil, so soll eine Ausglei[X.]hung mit den anderen Erben ni[X.]ht erfolgen.

Na[X.]herbe und Ersatzerbe dieses Anteils soll in erster Linie [der Beklagte zu 2], na[X.]h diesem dessen Abkömmlinge, sein. Der Na[X.]herbfall soll eintreten, wenn meine Ehefrau verstirbt, si[X.]h wiederverheiratet oder das Gesells[X.]haftsverhältnis kündigt.

Bezügli[X.]h der Ausglei[X.]hung mit anderen Erben gilt für [den Beklagten zu 2] [...] bei der Na[X.]herbfolge [...] das glei[X.]he wie für meine Ehefrau.

b) Das Re[X.]ht der Verfügung über mein übriges Vermögen dur[X.]h Testament soll dur[X.]h diesen Erbvertrag ni[X.]ht beeinträ[X.]htigt werden."

3

Unter dem 6. April 1966 erri[X.]hteten die Eltern wiederum auf einem Blatt glei[X.]hlautende letztwillige Verfügungen, in denen sie si[X.]h gegenseitig zu "unbes[X.]hränkten" Vorerben bestimmten. Na[X.]h dem Tod des [X.] 1971 erteilte das Na[X.]hlassgeri[X.]ht einen Erbs[X.]hein, der die Mutter als alleinige Vorerbin sowie die fünf Kinder als Na[X.]herben auswies und den Passus enthielt, dass die Vorerbin "zur freien Verfügung über die Erbs[X.]haft bere[X.]htigt" sei. In der Folge ma[X.]hte die Beklagte zu 3 Pfli[X.]htteilsansprü[X.]he geltend, die na[X.]h Verhandlungen mit anwaltli[X.]her Beteiligung von der Mutter - ausweisli[X.]h einer s[X.]hriftli[X.]hen Bestätigung der Beklagten zu 3 vom 9. Februar 1973 - s[X.]hließli[X.]h dur[X.]h Zahlung von 140.000 DM "abgegolten" wurden. Die Mutter verstarb im Jahr 2007.

4

Das [X.] hat die Klage und die Widerklage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen. Im Übrigen hat es der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung des [X.] und des [X.] zu 2 hat das Berufungsgeri[X.]ht die Erbfolge im Sinne des [X.] festgestellt und die Widerklage insgesamt abgewiesen. Wegen des Antrags auf Feststellung, [X.] "anre[X.]hnen lassen [zu] müssen", hat es das erstinstanzli[X.]he Urteil aufgehoben und den Re[X.]htsstreit an das [X.] zurü[X.]kverwiesen.

5

II. Die Bes[X.]hwerden der Beklagten zu 1 und 3 gegen die Ni[X.]htzulassung der Revision führen gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefo[X.]htenen Urteils, soweit hierin zum Na[X.]hteil der Bes[X.]hwerdeführerinnen ents[X.]hieden worden ist, und insoweit zur Zurü[X.]kverweisung der Sa[X.]he an das Berufungsgeri[X.]ht, wobei der Senat von der Mögli[X.]hkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrau[X.]h gema[X.]ht hat.

6

1. Das Berufungsgeri[X.]ht hat ausgeführt, dass die testamentaris[X.]hen Verfügungen der Eltern vom 6. April 1966 im Sinne einer we[X.]hselseitigen Einsetzung zu befreiten Vorerben auszulegen seien.

7

Der Wortlaut spre[X.]he hier eindeutig für eine Vorerbs[X.]haft. Anhaltspunkte für eine Fehlvorstellung der Erblasser bestünden ni[X.]ht. Au[X.]h stritten die Umstände ni[X.]ht gegen eine Vorerbs[X.]haft. Vielmehr spre[X.]he für die Anordnung einer sol[X.]hen, dass si[X.]h die Mutter nie gegen die Ri[X.]htigkeit des 1971 erteilten Erbs[X.]heins gewandt habe.

8

2. Das Berufungsgeri[X.]ht hat, wie die Bes[X.]hwerden zu Re[X.]ht rügen, den Anspru[X.]h der Beklagten zu 1 und 3 auf Gewährung re[X.]htli[X.]hen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in ents[X.]heidungserhebli[X.]her Weise verletzt, indem es bei der [X.] na[X.]h dem Tod des [X.] ni[X.]ht berü[X.]ksi[X.]htigt hat.

9

a) Die Beklagten zu 1 und 3 haben vorgetragen, für eine Auslegung des [X.] vom 6. April 1966 zugunsten der Anordnung einer Vollerbs[X.]haft spre[X.]he, dass die Mutter das Pfli[X.]htteilsverlangen der Beklagten zu 3 na[X.]h dem Tod des [X.] erfüllt habe, obwohl sie gewusst habe, dass jene keine Erbauss[X.]hlagung vorgenommen hatte.

b) Das Berufungsgeri[X.]ht hat es unterlassen, si[X.]h mit diesem Vortrag auseinanderzusetzen und ihn in seine Würdigung einzubeziehen, obwohl es das Verhalten der Mutter na[X.]h dem Tode des [X.] für besonders auslegungsrelevant gehalten hat. Darin zeigt si[X.]h, dass es den Vortrag zur Pfli[X.]htteilszahlung unter Verletzung des re[X.]htli[X.]hen Gehörs der Beklagten zu 1 und 3 entweder ni[X.]ht zur Kenntnis genommen oder aber übergangen hat (vgl. [X.], Bes[X.]hluss vom 14. Juni 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 1216 Rn. 5).

[X.]) Die Gehörsverletzung ist ents[X.]heidungserhebli[X.]h, da ni[X.]ht ausges[X.]hlossen werden kann, dass das Berufungsgeri[X.]ht bei seiner Auslegung zum Ergebnis der Vollerbs[X.]haft der Mutter gelangt wäre, wenn es den übergangenen Vortrag berü[X.]ksi[X.]htigt hätte. Damit wäre au[X.]h dem Feststellungsbegehren des [X.] na[X.]h den §§ 2050, 2052 BGB die Grundlage entzogen.

Das Verhalten der Mutter na[X.]h dem Tod des [X.] ist für die Deutung von dessen letztwilliger Verfügung vom 6. April 1966 von Belang, die Teil eines - ausweisli[X.]h des übereinstimmenden Wortlauts und der Niederlegung auf demselben Blatt Papier - gemeins[X.]haftli[X.]hen [X.] der Eheleute war. Bei der Auslegung gemeins[X.]haftli[X.]her Testamente ist stets zu prüfen, ob ein na[X.]h dem Verhalten des einen Ehegatten mögli[X.]hes Auslegungsergebnis au[X.]h dem Willen des anderen Teils entspro[X.]hen hat, da die beiderseitigen Verfügungen ni[X.]ht selten Ergebnis und Ausdru[X.]k eines gemeinsam gefassten Ents[X.]hlusses beider Teile sind (Senatsurteil vom 7. Oktober 1992 - [X.], NJW 1993, 256 unter 2).

Geht es um die Interpretation einer testamentaris[X.]hen Anordnung des [X.], ist der Wille des Zweitversterbenden bei der [X.]erri[X.]htung zu berü[X.]ksi[X.]htigen, für dessen Ermittlung das Verhalten des [X.] na[X.]h dem Tod seines Ehegatten von Bedeutung ist, soweit es einen entspre[X.]henden S[X.]hluss zulässt (vgl. [X.], 6. Aufl. § 2084 BGB Rn. 25). Dies ist im Falle der hier unter anwaltli[X.]her Mitwirkung erfolgten Pfli[X.]htteilszahlung zu bejahen, weil sie weder mit re[X.]htli[X.]her Unkenntnis oder einer seit [X.]erri[X.]htung eingetretenen Willensänderung der Mutter - wie die Bes[X.]hwerdeerwiderung meint - no[X.]h damit erklärt zu werden vermag, dass die Beklagte zu 3 ihr Na[X.]herbe ausges[X.]hlagen hätte, na[X.]hdem das Berufungsgeri[X.]ht das Gegenteil festgestellt hat.

III. Für das weitere Verfahren wird Folgendes zu bea[X.]hten sein:

Das Berufungsgeri[X.]ht wird si[X.]h mit den [X.] der Beklagten zu 1 und 3 zu befassen haben, dass die Berufung des [X.] zu 2 weder in der gesetzli[X.]hen Form des § 519 Abs. 1 ZPO eingelegt no[X.]h gemäß § 520 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO begründet worden ist.

Des Weiteren wird bei der [X.]auslegung zu berü[X.]ksi[X.]htigen sein, dass vor allem der wirkli[X.]he Wille des Erblassers zu erfors[X.]hen und ni[X.]ht an dem bu[X.]hstäbli[X.]hen Sinn des Ausdru[X.]ks zu haften ist (vgl. [X.], Senatsurteil vom 22. September 1982 - [X.], NJW 1983, 277 unter [X.] zur Verwendung der Bezei[X.]hnung Na[X.]herbe). Gelingt dies trotz Auswertung aller mögli[X.]herweise dienli[X.]hen Umstände ni[X.]ht, muss si[X.]h der [X.] notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem mutmaßli[X.]hen Erblasserwillen am ehesten entspri[X.]ht. Erst wenn die Parteien dem [X.] hierzu keine außerhalb der Urkunde liegenden Umstände an die Hand geben, ist er gegebenenfalls darauf angewiesen, si[X.]h allein auf die Ausdeutung des Wortlauts zu bes[X.]hränken (Senatsurteil vom 8. Dezember 1982 - [X.], [X.]Z 86, 41, 45).

Bei der Bestimmung der Erbfolge na[X.]h dem Vater wird si[X.]h das Berufungsgeri[X.]ht au[X.]h damit auseinanderzusetzen haben, ob die ebenfalls auslegungsbedürftigen Verfügungen des [X.] im Erbvertrag vom 15. Dezember 1964 seinen testamentaris[X.]hen Anordnungen vom 6. April 1966 entgegenstehen und - falls das der Fall sein sollte - diese in Anbetra[X.]ht des gemeins[X.]haftli[X.]hen [X.] vom 26. April 1964 selbst wirksam sind.

Sollte die dana[X.]h festgestellte Erbfolge Raum für die dur[X.]h den Kläger geltend gema[X.]hten "Anre[X.]hnungspfli[X.]hten" lassen und sein Klageantrag in der Fassung der Berufungsbegründung dahin auszulegen sein, dass er die Feststellung der Ausglei[X.]hungspfli[X.]ht bei der Auseinandersetzung des väterli[X.]hen Na[X.]hlasses begehrt, wird zu prüfen sein, wel[X.]hes re[X.]htli[X.]he Interesse er i.S. des § 256 Abs. 1 ZPO haben könnte, dass im Verhältnis zu den Beklagten bindend festgestellt wird, wel[X.]he Zuwendungen der Drittwiderbeklagte zu 2, der von ihm ni[X.]ht [X.] worden ist, von der Mutter erhalten hat. Weiter wird zu bedenken sein, dass die Veruntreuung von [X.] keine gesetzli[X.]he Ausglei[X.]hungspfli[X.]ht unter Miterben begründet und der Kläger bislang keinen Vortrag gehalten hat, auf dessen Grundlage die übrigen von ihm behaupteten Zuwendungen ausglei[X.]hspfli[X.]htig wären.

[X.]                             Wendt                                     Fels[X.]h

                 [X.]                         Dr. Bro[X.]kmöller

Meta

IV ZR 31/14

10.12.2014

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, 19. Dezember 2013, Az: 5 U 19/13

§ 2084 BGB, § 2265 BGB, §§ 2265ff BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.12.2014, Az. IV ZR 31/14 (REWIS RS 2014, 472)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 472

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Referenzen
Wird zitiert von

IV ZB 30/18

10 W 108/18

Zitiert

II ZR 142/09

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