Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.12.2014, Az. IV ZR 31/14

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 476

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR
31/14
vom

10. Dezember 2014

in dem Rechtsstreit

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die Vorsitzende [X.]in [X.], die [X.] [X.], [X.], [X.] und die [X.]in Dr. Brockmöller

am 10. Dezember 2014

beschlossen:

Auf die Beschwerden der Beklagten zu 1 und 3 wird die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 19. Dezember 2013 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben, soweit darin zum Nachteil der Beklagten zu 1 und 3 entschieden worden ist.

Der Rechtsstreit
wird im Umfang der Aufhebung
zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 4. Zivilsenat des Berufungs-gerichts zurückverwiesen.

Streitwert: 716.000

Gründe:

[X.] Die Parteien des Rechtsstreits sind die fünf Kinder der [X.] Eheleute J.

(im Folgenden: Vater) und G.

(im [X.]
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den: Mutter) R.

. Der Kläger begehrt

soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch von Belang

Feststellung der Nach-erbschaft der Parteien zu gleichen Teilen nach dem Tode des [X.] und der "Anrechnung"
aufgelisteter [X.] seiner Geschwister
"auf ihr Erbe nach den verstorbenen Eltern".
Die Beklagte zu 1 will mit ihrer ge-gen den Kläger, den Beklagten zu 2 (= Drittwiderbeklagter zu 1) und den [X.]
zu 2 erhobenen Widerklage feststellen lassen, dass die Mutter alleinige Vollerbin des [X.] war.

Unter dem 26. April 1964 errichteten beide Eltern auf einem Bogen
Papier jeweils eigenhändig ein Testament, in dem sie sich wechselseitig als "befreite"
Vorerben
einsetzten.
Am 15. Dezember 1964 erklärten der Vater und der Beklagte zu 2 zu notarieller Urkunde einen Erbvertrag, der auszugsweise wie folgt lautet:

"1)
Ich, der Kaufmann J.

R.

, bestimme meine Ehe-n-den Massgaben:

a)
Meine Ehefrau soll meinen Anteil an der Offenen Han-dieser Anteil grösser oder kleiner als der ihr nach dem Gesetz zustehende Erbteil, so soll eine Ausgleichung mit den anderen Erben nicht
erfolgen.
Nacherbe und Ersatzerbe dieses Anteils soll in erster Linie [der Beklagte zu 2], nach diesem dessen [X.], sein. Der Nacherbfall soll eintreten, wenn meine Ehefrau verstirbt, sich wiederverheiratet oder das Ge-sellschaftsverhältnis kündigt.
Bezüglich der Ausgleichung mit anderen Erben gilt für gleiche wie für meine Ehefrau.

b)
Das Recht der Verfügung über mein übriges Vermögen durch Testament soll durch diesen Erbvertrag nicht be-einträchtigt werden."
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Unter dem 6. April 1966 errichteten die Eltern wiederum auf einem Blatt gleichlautende letztwillige Verfügungen, in denen sie sich gegensei-tig zu
"unbeschränkten"
Vorerben
bestimmten.
Nach dem Tod
des [X.] 1971 erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der die Mutter als al-leinige Vorerbin sowie die fünf Kinder als Nacherben auswies und den Passus enthielt, dass die Vorerbin "zur freien Verfügung über die [X.] berechtigt"
sei.
In der Folge machte die Beklagte zu 3 Pflichtteils-ansprüche geltend, die nach Verhandlungen mit anwaltlicher Beteiligung von der Mutter -
ausweislich einer schriftlichen Bestätigung der Beklag-ten zu 3 vom
9. Februar 1973 -
schließlich durch Zahlung von 140.000
DM "abgegolten"
wurden.
Die Mutter verstarb im Jahr 2007.

Das [X.]
hat die Klage und die Widerklage gegen den [X.] zu 2 abgewiesen. Im Übrigen hat es der Widerklage stattgege-ben.
Auf die Berufung des [X.] und des [X.] zu 2
hat das Berufungsgericht
die Erbfolge im Sinne des [X.] festgestellt
und die Widerklage insgesamt abgewiesen. Wegen des Antrags auf Feststel-lung,
[X.] "anrechnen lassen [zu] müssen",
hat es das erstin-stanzliche Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das [X.] zurückverwiesen.

I[X.] Die Beschwerden
der Beklagten zu 1 und 3 gegen die Nichtzu-lassung der Revision führen
gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils,
soweit hierin zum Nachteil der Beschwerde-führerinnen entschieden worden ist, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
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1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die testamentari-schen Verfügungen der Eltern vom 6. April 1966 im Sinne einer wechsel-seitigen Einsetzung zu befreiten Vorerben auszulegen seien.

Der Wortlaut spreche hier eindeutig für eine Vorerbschaft. [X.] für eine
Fehlvorstellung der Erblasser bestünden nicht. Auch stritten die Umstände nicht gegen eine Vorerbschaft. Vielmehr spreche für die Anordnung einer solchen, dass sich die Mutter nie gegen die Richtigkeit des 1971 erteilten Erbscheins gewandt habe.

2. Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerden zu Recht rügen, den Anspruch der Beklagten zu 1 und 3 auf Gewährung rechtlichen [X.] aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es bei der [X.] nach dem Tod des [X.]
nicht berücksichtigt hat.

a) Die Beklagten zu 1 und 3 haben vorgetragen, für eine Ausle-gung des [X.] vom 6. April 1966 zugunsten der Anordnung einer Vollerbschaft spreche, dass die Mutter das Pflichtteilsverlangen der [X.] zu 3 nach dem Tod des [X.] erfüllt habe, obwohl sie gewusst habe, dass jene
keine Erbausschlagung vorgenommen hatte.

b) Das Berufungsgericht hat es unterlassen, sich mit diesem Vor-trag auseinanderzusetzen
und ihn in seine Würdigung einzubeziehen, obwohl es das Verhalten der Mutter nach dem Tode des [X.] für [X.] gehalten hat. Darin zeigt sich, dass es den Vortrag zur Pflichtteilszahlung unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten zu 1 und 3 entweder nicht zur Kenntnis genommen oder 6
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aber übergangen hat (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Juni 2010 -
II ZR 142/09, NJW-RR 2010, 1216 Rn. 5).

c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich, da nicht aus-geschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei seiner
Ausle-gung zum Ergebnis der Vollerbschaft der Mutter gelangt wäre, wenn es den übergangenen Vortrag berücksichtigt hätte. Damit wäre auch dem Feststellungsbegehren des [X.] nach den §§
2050, 2052 BGB die Grundlage entzogen.

Das Verhalten der Mutter nach dem Tod des [X.] ist für die Deu-tung von dessen letztwilliger
Verfügung vom 6. April 1966 von Belang, die Teil eines -
ausweislich des übereinstimmenden Wortlauts und der Niederlegung auf demselben Blatt Papier -
gemeinschaftlichen Testa-ments der Eheleute war. Bei der Auslegung gemeinschaftlicher Testa-mente ist stets zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegat-ten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Teils entsprochen hat, da die beiderseitigen Verfügungen nicht selten Ergeb-nis und Ausdruck eines gemeinsam gefassten Entschlusses beider Teile sind (Senatsurteil vom 7. Oktober 1992 -
IV ZR 160/91, NJW 1993, 256 unter 2).

Geht es um die Interpretation einer testamentarischen Anordnung des [X.], ist der Wille des Zweitversterbenden bei der [X.] zu berücksichtigen, für dessen Ermittlung das Verhal-ten des [X.] nach dem Tod seines Ehegatten von Bedeutung ist, soweit es einen entsprechenden Schluss zulässt (vgl. [X.]/[X.], 6. Aufl. § 2084 BGB Rn. 25). Dies ist im Falle der hier un-ter anwaltlicher Mitwirkung erfolgten Pflichtteilszahlung zu bejahen, weil 11
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sie weder mit rechtlicher Unkenntnis oder
einer seit [X.]errich-tung eingetretenen
Willensänderung der Mutter

wie die Beschwerde-erwiderung meint

noch damit erklärt zu werden vermag, dass die [X.] zu 3 ihr Nacherbe ausgeschlagen hätte, nachdem das Berufungs-gericht das Gegenteil festgestellt hat.

II[X.]
Für das weitere
Verfahren
wird Folgendes zu beachten
sein:

Das Berufungsgericht wird sich mit den Rügen
der Beklagten zu 1 und 3 zu befassen haben, dass
die
Berufung des [X.] zu
2 weder in der gesetzlichen Form des § 519 Abs. 1 ZPO eingelegt noch gemäß § 520 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO begründet worden ist.

Des Weiteren wird bei der [X.]auslegung
zu berücksichti-gen
sein, dass vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist (vgl. [X.], Senatsurteil vom 22.
September 1982
[X.], NJW 1983, 277 unter c
zur Verwendung der Bezeichnung Nacherbe). Gelingt dies trotz Auswertung aller möglicherweise dienlichen Umstände
nicht, muss sich der [X.] notfalls damit begnügen, den Sinn zu ermitteln, der dem mutmaßlichen Erblasserwillen am ehesten entspricht. Erst wenn die Par-teien dem [X.] hierzu keine außerhalb der Urkunde liegenden Um-stände an die Hand geben, ist er gegebenenfalls darauf angewiesen, sich allein auf die Ausdeutung des Wortlauts zu beschränken (Senatsur-teil vom 8. Dezember 1982 -
IVa [X.], [X.]Z 86, 41, 45).
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Bei der Bestimmung der Erbfolge nach dem Vater wird sich das Berufungsgericht
auch damit auseinanderzusetzen haben, ob die
eben-falls auslegungsbedürftigen
Verfügungen
des [X.] im Erbvertrag vom 15. Dezember 1964 seinen
testamentarischen
Anordnungen vom 6. April 1966 entgegenstehen und -
falls das der Fall sein sollte -
diese in [X.] des gemeinschaftlichen [X.] vom 26. April 1964 selbst wirksam sind.

Sollte die danach festgestellte Erbfolge Raum für die durch den Kläger geltend gemachten "[X.]"
lassen
und sein [X.] in der Fassung der Berufungsbegründung dahin auszulegen sein, dass er die Feststellung der Ausgleichungspflicht bei der Ausei-nandersetzung des väterlichen Nachlasses begehrt, wird zu prüfen
sein, welches rechtliche
Interesse er
i.S. des §
256 Abs. 1 ZPO haben könnte, dass im Verhältnis zu den Beklagten bindend festgestellt wird, welche Zuwendungen der Drittwiderbeklagte
zu
2, der von ihm nicht [X.] worden ist, von der Mutter erhalten hat. Weiter wird zu bedenken
sein,

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dass die Veruntreuung von [X.] keine gesetzliche Ausgleichungs-pflicht unter Miterben begründet und der Kläger bislang keinen Vortrag gehalten hat, auf dessen Grundlage die übrigen von ihm behaupteten Zuwendungen ausgleichspflichtig wären.

[X.] [X.] [X.]

[X.]

Dr. Brockmöller

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 18.03.2013 -
4 O 123/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 19.12.2013 -
5 U 19/13 -

Meta

IV ZR 31/14

10.12.2014

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.12.2014, Az. IV ZR 31/14 (REWIS RS 2014, 476)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 476

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II ZR 142/09

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